Extremismus und Demokratie
Herausgegeben von
Prof. Dr. Uwe Backes
Prof. Dr. Eckhard Jesse
Band 19
Lukás? Novotny´
Vergangenheitsdiskurse
zwischen Deutschen
und Tschechen
Untersuchung zur Perzeption der Geschichte nach 1945
Nomos
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in
der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische
Daten sind im Internet über http://www.d-nb.de abrufbar.
Zugl.: Chemnitz, Univ., Diss., 2008
ISBN 978-3-8329-4248-9
Gedruckt mit Zuschüssen des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds
und der Volkswagenstiftung.
1. Auflage 2009
© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2009. Printed in Germany. Alle Rechte,
auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen Wiedergabe und der
Übersetzung, vorbehalten. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.
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Vorwort der Herausgeber
Der Vergangenheitsdiskurs zwischen Polen und Deutschland erhitzt in beiden Staaten
oft die Gemüter. Der Vergangenheitsdiskurs zwischen der Tschechischen Republik
und Deutschland verläuft demgegenüber eher in ruhigen Bahnen. Dass dieser durchaus allerdings kon? iktbehaftet ist, belegt die Studie von Lukáš Novotný nachdrücklich.
Im Mittelpunkt steht die problembeladene deutsch-tschechische Geschichte des 20.
Jahrhunderts und deren Niederschlag in den wechselseitigen Perzeptionen der jüngeren Vergangenheit und Gegenwart. Mit deren Aufarbeitung will Lukáš Novotný zeigen, in welchem Maße das deutsch-tschechische Verhältnis bis in die jüngste Zeit von
den – oft nur klischeehaft präsenten – Auseinandersetzungen der Vergangenheit bestimmt wird. Eine differenzierte Aufarbeitung kann insofern auch ein Beitrag zur weiteren Entspannung des deutsch-tschechischen Verhältnisses sein.
Im ersten Teil gibt der Verfasser einen sachkundigen Überblick zur wissenschaftlichen Terminologie der Vergangenheitsdiskurse und zu den wichtigsten Kategorien,
mit denen sich die verschiedenen Disziplinen, nicht zuletzt Politikwissenschaft und
Geschichte, des Themas annehmen. Anschaulich werden dabei zentrale Faktoren historisch-politischer Identitätsbildung herausgearbeitet. Der zweite Teil dient der Erstellung eines historischen Fundaments für die anschließende Perzeptionsanalyse. Ausführlich kommen die wichtigsten Etappen des deutsch-tschechischen Verhältnisses zur
Sprache – vom Ende des Ersten Weltkriegs über die größten historischen Traumata
(„München“, Reichsgau Sudentenland, Protektorat Böhmen und Mähren, Vertreibung
und Zwangsaussiedlung der Sudentendeutschen) bis zum erfreulicheren, wenn auch
problembelasteten, Neubeginn in den gegenseitigen Beziehungen nach 1989. Der Verfasser stützt sich im Wesentlichen auf die Forschungsliteratur, ordnet sie kundig ein,
spart Kontroversen nicht aus und bemüht sich jeweils um ein abwägendes Urteil.
Danach steht der deutsch-tschechische Vergangenheitsdiskurs im Vordergrund.
Dazu bedient Novotný sich einer eigenen qualitativen Untersuchung bei Grenzlandbewohnern im bayerisch-böhmischen Raum. Damit wird in der Tat eine Forschungslücke geschlossen. Es geht um das Geschichtsbewusstsein, ferner um historische Knotenpunkte (wie die Vertreibung nach 1945 oder die Intervention der Staaten des Warschauer Paktes 1968 in die Tschechoslowakei), schließlich um das Leben an der
Grenze und um die Rolle des jeweils Anderen. Die Wahrnehmungsmuster reichen von
„Abwehr“ über „Entgegenkommen“ und „beobachtende Distanzierung“ bis zu „Regungslosigkeit“. Die methodische Behutsamkeit und die Interpretation der Aussagen
beeindruckt. Einleuchtend ist die These, wonach die Qualität der deutsch-tschechischen Nachbarschaft wesentlich von den Vergangenheitsdiskursen geprägt ist. Dass
die jüngere Generation weniger die leidvolle Vergangenheit in den Vordergrund rückt,
gibt Anlass zu Optimismus.
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Der Autor liefert eine eingehende Bestandsaufnahme zu den deutsch-tschechischen
Beziehungen im 20. Jahrhundert. Die Abschnitte über die Vergangenheitsdiskurse zeigen höchst unterschiedliche Wahrnehmungen im deutschen und tschechischen Grenzgebiet über wichtige Ereignisse im 20. Jahrhundert. Die Verbindung zwischen der
Darstellung des historischen Verlaufs und seiner Wahrnehmung in den Grenzgebieten
ist aufschlussreich. Positiv fällt nicht nur die Urteilskraft des Autors ins Gewicht, sondern auch seine gleichberechtigte Einbeziehung tschechischer und deutscher Literatur.
Insgesamt gibt die Studie dem Leser einen facettenreichen Überblick zur Entwicklung des deutsch-tschechischen Verhältnisses im 20. Jahrhundert. Anschaulich arbeitet
sie die dabei dominierenden Perzeptionsmuster in den Vergangenheitsdiskursen heraus. Dabei wird ein breites Meinungs- und Interessenspektrum – von tschechischen
Nationalisten bis zur Sudentendeutschen Landsmannschaft – ausgeleuchtet und in seiner politischen Relevanz gewichtet. Die Arbeit zeichnet sich durch eine differenzierte
Argumentation aus. Sie vermittelt einen guten Einstieg und Überblick, behandelt das
gesamte Problemfeld mit Sachkunde, Umsicht und Gespür für Repräsentativität. Die
instruktive Studie zu den deutsch-tschechischen Vergangenheitsdiskursen bildet eine
wichtige Voraussetzung für politische Maßnahmen, um De? zite zu beheben. Der Verfasser präsentiert abschließend einige Vorschläge.
Uwe Backes/Eckhard Jesse
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Danksagung
Das vorliegende Buch ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Mai
2008 von der Philosophischen Fakultät der Technischen Universität in Chemnitz angenommen wurde. An dieser Stelle möchte ich meinem Doktorvater Prof. Dr. Eckhard
Jesse danken. Er begleitete diese Arbeit stets mit großem Interesse, mit kritischen und
wertvollen Kommentaren und mit hilfsreichen Anregungen. Danken möchte ich auch
Prof. Dr. Uwe Backes und Prof. Dr. Beate Neuss für ihr Zweitgutachten.
Für viele weitere Ratschläge und Hinweise bedanke ich mich besonders bei Dozenten der Universität in Ústí nad Labem/Aussig, Prof. Ing. František Zich, Doc. PhDr.
Václav Houžvi?ka und Doc. PhDr. Milan Jeábek. Für das Lesen und die kritische
Durchsicht des Manuskripts bedanke ich mich bei Doc. PhDr. Winfried Baumann von
der Universität in Pardubitz/Pardubice. Ilona Scherm von der TU Chemnitz danke ich
für ihre technische Hilfe bei der Erstellung der Karte des Untersuchungsgebietes, Tom
Thieme von der TU Chemnitz für zahlreiche Hinweise und für wissenschaftlichen
Austausch.
Zu besonderem Dank bin ich dem Centrum für angewandte Politikforschung der
Ludwig-Maximilians-Universität in München und dem Soziologischen Institut der
Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik verp? ichtet. Die Dissertation wurde im Rahmen des von 2003 bis 2005 durchgeführten Forschungsprojektes
„Historische Prägestempel in grenzregionalen Identitäten. Selbstde? nition und gegenseitige Wahrnehmung von Deutschen und Tschechen in unmittelbarer Nachbarschaft“
erarbeitet. Gefördert wurde es von der VolkswagenStiftung. Ihr gilt für die Förderung
der Forschung der besondere Dank.
Ganz herzlich möchte ich mich bei den Menschen bedanken, die mir persönlich am
nächsten stehen. Meiner Frau So?a danke ich für ihre Geduld und ihr Verständnis vor
allem in der entbehrungsreichen Schlussphase. Ein besonderer Dank gilt meinen Eltern. Sie haben mich stets aufmunternd unterstützt und nie am Gelingen der Dissertation gezweifelt.
Prag im Januar 2009 Lukáš Novotný
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Inhalt
Abkürzungsverzeichnis 11
1. Einleitung 13
1.1 Problemstellung 13
1.2 Forschungsstand 16
1.3 Aufbau 20
1.4 Methode und Untersuchungsdesign 23
2. Vergangenheitsdiskurs – Begriffsklärung 30
2. 1 Vergangenheitsdiskurs und Geschichtsbewusstsein 30
2.2 Vergangenheitsdiskurs und Vergangenheitsbewältigung 38
2.3 Vergangenheitsdiskurs und Grenze 44
3. Deutsche und Tschechen in der Tschechoslowakei 1918-1938 48
3.1 Die Tschechoslowakei und der Tschechoslowakismus 48
3.2 Der 4. März 1919 50
3.3 Nationalitäten im neuen Staat 52
3.4 Parteien und Parteiensystem 56
4. „München“ – die Katastrophe im deutsch-tschechischen Verhältnis 61
4.1 Ursachen der Spannungen zwischen Deutschland und der
Tschechoslowakei 61
4.2 Das Karlsbader Programm 63
4.3 Der Weg nach München 67
4.4 München – peace for our time? 72
5. Die „Zweite“ Republik und der Reichsgau Sudetenland 78
5.1 Die autoritative Demokratie 78
5.2 Der Mustergau Sudetenland 82
6. Das Protektorat Böhmen und Mähren und das Londoner Exil 85
6.1 Böhmen und Mähren als Bestandteil des Großdeutschen Reiches 85
6.2 Der Widerstand im Protektorat 87
6.3 Die Emigrantenregierung und ihre Armee 90
6.4 Die Heydrichiade 92
7. Die Vertreibung und Zwangsaussiedlung der Sudetendeutschen 95
7.1 Die Genese der Zwangsaussiedlung 95
7.2 Die Alliierten und die Vertreibung 97
7.3 Der Verlauf der Vertreibung 102
7.4 Wilde Vertreibung und geordneter Transfer 106
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8. Der „Kalte Krieg“ zwischen Deutschen und Tschechen 113
8.1 Beziehungen zu zwei deutschen Staaten 113
8.2 Die Vertriebenen in der bundesdeutschen Gesellschaft 115
8.3 Organisationen der Vertriebenen 118
8.4 Die Nicht-Vertriebenen und ihr Schicksal 129
9. Ein Neubeginn in den gegenseitigen Beziehungen nach 1989 132
9.1 Aussöhnung und Gesten 132
9.2 Der Nachbarschaftsvertrag 135
9.3 Der lange Weg zu einer gemeinsamen Erklärung 138
9.4 Erklärung als Lösung der Probleme? 141
9.5 Wiedergeburt der deutschen Minderheit nach der Wende 146
10. Geschichtsbewusstsein der Grenzlandbewohner 149
10.1 Bewusstsein über die eigene Geschichte 149
10.2 Bewusstsein über die Ereignisse der deutsch-tschechischen
Beziehungen 155
10.3 Bewusstsein über die Geschichte des Nachbarlandes 159
11. Bewältigung der historischen Ereignisse der deutsch-tschechischen
Beziehungen 162
11.1 Von 1918 bis zum Münchner Abkommen 162
11.2 Protektorat und der Zweite Weltkrieg 167
11.3 Vertreibung und Neubesiedlung 174
11.4 Das Jahr 1968 188
11.5 Der Dialog nach 1989 191
11.6 Der Beitritt Tschechiens zur EU 194
12. Die Grenze und der Nachbar 201
12.1 Das Leben an der Grenze 201
12.1.1 Die Grenze vor 1945 201
12.1.2 Der Eiserne Vorhang 203
12.1.3 Die Zeit nach 1989 211
12.2 Der Nachbar 220
12.3 Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit 232
13. Schluss 238
13.1 Zusammenfassung 238
13.2 Empfehlungen für den deutsch-tschechischen Dialog 243
14. Literatur 247
Anhang 267
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
In den deutsch-tschechischen Beziehungen spielt die Geschichte eine wichtige Rolle. Sie wird zum einen als Argument für die Gestaltung der gemeinsamen Zukunft benutzt, zum anderen aber auch als Waffe, um die andere Seite möglichst negativ darzustellen.
Die Arbeit untersucht an Hand eines qualitativen Datenmaterials die Funktion der Vergangenheitsdiskurse in der deutsch-tschechischen Nachbarschaft.