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IV. Frankreich
1. Quellen des Gesellschaftsrechts
Die Unternehmensverfassung der Aktiengesellschaft in Frankreich (Société
Anonyme – S.A.) ist anders als in England und Frankreich ausführlich im Gesetz
geregelt, so dass dort auch im monistischen System weniger Gestaltungsfreiheit
besteht. Eine generell größere Personalisierung ist dagegen wegen der weitgehend freien Gestaltung der Geschäftsführung in der Société par Actions Simplifiée (S.A.S.)648 möglich, die dementsprechend auch »société personnalisée« genannt wird. Sie kann mangels zwingendem Verwaltungsorgan649 kein echtes Vorbild für die monistische SE, sondern eher zukünftig für die Europäische Privatgesellschaft sein. Daher wird die S.A.S. im Folgenden nicht näher betrachtet.
Wie bereits erwähnt, bietet das französische Recht seit der Reform im Jahre
2001 für die S.A. zwei verschiedene Formen des monistischen Systems an.650 Beiden gemeinsam ist aber die Existenz eines Verwaltungsorgan, des conseil d’administration. Seine Mitglieder, die administrateurs, werden zwingend von der
Hauptversammlung gewählt und können von ihr jederzeit wieder abberufen werden.651
Anders als in den USA und England steht bei der Ausgliederung des Tagesgeschäfts nicht die Bestellung von mehreren executives, sondern eines einzelnen leitenden Geschäftsführers (directeur général) im Vordergrund. Im traditionellen
monistischen System, das 1940 statt des dualistischen Systems in Frankreich eingeführt wurde, ist der directeur général zugleich der Vorsitzende (président) des
conseil. Er wird daher président directeur général (PDG) genannt. Seit der
Reform von 2001 ist nun als weitere Form des monistischen Systems die Trennung beider Positionen möglich.652 Dabei ist der directeur général entweder ein
anderes Mitglied des conseil oder ein Externer. Der président hat in diesem
System allein die Funktion des Vorsitzes im conseil. Deshalb wird auch von der
formule du président du conseil (PCA) gesprochen.653 Zwar ist in beiden Systemen nur die Ernennung eines directeur général möglich, ihm können aber bis zu
fünf directeurs délégués an die Seite gestellt werden.654
Ebenso wie im anglo-amerikanischen Raum wurden Expertenkommissionen
eingesetzt, um Empfehlungen für eine gute Corporate Governance zu erarbeiten.
Die erste Kommission unter dem Vorsitz von Viénot legte 1995 ihren Bericht
648 Art. L. 221-1 bis L. 227-20 Code de Commerce.
649 Vgl. Guyon, Droit commercial général et Sociétés, S. 518.
650 Die Möglichkeit, statt des monistischen Systems das dualistische System zu wählen,
besteht dagegen schon seit 1966. Siehe oben 4. Teil A.II.
651 Art. L225-18.
652 Art. L225-51-1. Dazu ausführlich Menjucq, ZGR 2003, 679 (685).
653 Nabasque, Petites Affiches 134/2001, 4.
654 Art. L225-53.
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vor.655 1999 erfolgte eine Aktualisierung dieses Berichts.656 Im Jahre 2002 wurde
der Bouton-Bericht657 veröffentlicht. In den Berichten wurde gefordert, dass die
börsennotierten Gesellschaften in ihrem Jahresbericht angeben, inwieweit sie den
Empfehlungen folgen. Mit dem Gesetz zur finanziellen Sicherheit 2003658 wurde
für alle Aktiengesellschaften die Abgabe eines jährlichen Berichtes zu bestehenden internen Kontrollmechanismen verbindlich,659 der funktionell einem Corporate Governance Bericht nahe kommt. Im Gegensatz zu anderen Ländern wird
aber kein Leitmodell in einem Kodex vorgegeben, sondern das Gesetz nennt
lediglich die Bereiche, zu denen sich der Bericht äußern soll.
2. Aufgabe und Organisation des conseil
Das Gesetz formuliert seit 2001 die Aufgaben des conseil sehr ausführlich.660 Danach legt der conseil die Unternehmensstrategie fest und überwacht deren Umsetzung. Weitere zwingend dem conseil vorbehaltene Einzelbefugnisse sind die
Einberufung der Hauptversammlung, die Feststellung des Jahresabschlusses und
die Ernenung und Festsetzung der Vergütung der directeurs.661 Er kann aber auch
jede Aufgabe an sich ziehen, die nicht der Hauptversammlung vorbehalten ist
oder dem Unternehmenszweck widerspricht. Trotz der Präzisierung der Aufgabenstellung des conseil wird kritisiert, dass seine Funktion in Abgrenzung zum
directeur général im Einzelnen unklar bleibt.662
Zur inneren Ordnung des conseil bestimmt Art. L. 225-37 Abs. 1 und 2, dass
für die Beschlussfähigkeit mindestens die Hälfte der Mitglieder anwesend sein
muss und für die Beschlussfassung grundsätzlich das Mehrheitsprinzip gilt. Eine
Abweichung vom Mehrheitsprinzip ist ausdrücklich nur in Richtung einer höheren Mehrheit möglich, was dem Inhalt nach § 77 Abs. 1 S. 2, 2. HS AktG entspricht. Daher handelt es sich auch beim conseil um ein Kollegialorgan.663 Das
655 AFEP/CNPF, Rapport du Groupe de Travail sur le Conseil d’Administration des Sociétés
Cotées, Presidé par M. Marc Viénot, Paris 1999 (»Viénot I-Bericht«).
656 AFEP/MEDEF, Rapport du Comité sur le Gouvernement d’Entreprise, Presidé par M.
Marc Viénot, Paris 1999 (»Viénot II-Bericht«).
657 MEDEF/AFEP-AGREF, Rapport du Groupe de Travail Présidé par Daniel Bouton, Pour
un meilleur Gouvernement des Entreprises Cotées, 2002 (»Bouton-Bericht«).
658 La Loi n° 2003-706 (»Loi de Securité Financière«).
659 Art. L.225-37, L. 225-68.
660 Art. L225-35 Abs. 1: »Le conseil d’administration détermine les orientations de l’activité
de la société et veille à leur mise en oeuvre. Sous réserve des pouvoirs expressément attribués aux assemblées d’actionnaires et dans la limite de l’objet social, il se saisit de toute
question intéressant la bonne marche de la société et règle par ses délibérations les affaires
qui la concernent.«
661 Vgl. Guyon, Droit commercial général et Sociétés, S. 361.
662 Bureau, Bull. Joly Sociétés 2001, § 149, 553 (565); Couret, JCP 12/2001, 1660 (1662);
Vendeuil, JCP 30/2001, 1266 (1267).
663 Cozian/Viandier/Deboissy, Droit des sociétés, S. 221; Couret, JCP 12/2001, 1660 (1663);
Nabasque, Petites Affiches 134/2001, 4 (5). Vgl. auch Bouton-Bericht, S. 6.
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französische Recht bringt dies klarer als das anglo-amerikanische Recht zum
Ausdruck.
V. Ausgestaltung in der SE
1. Bestellung und Abberufung der Mitglieder des Verwaltungsrats
Art. 43 SE-VO enthält nur wenige Bestimmungen über das Verwaltungsorgan,
das in der deutschen monistischen SE »Verwaltungsrat« heißt.664 Gem.
Art. 43 Abs. 3 S. 1 SE-VO werden die Mitglieder des Verwaltungsorgans von der
Hauptversammlung bestellt. Überraschenderweise wird dagegen die Abberufung
ähnlich dem Aufsichtsorgan im dualistischen System nicht geregelt.665
Für die monistische SE wurde teilweise ein unmittelbarer Rückgriff auf das
nationale Recht oder die Satzung empfohlen.666 Andere Autoren befürworteten
zumindest für das Verwaltungsorgan der deutschen monistischen SE eine Abberufung nur aus wichtigem Grund, weil dies der Regelung im dualistischen System
entspreche und aufgrund der möglichen Mitbestimmung im Verwaltungsorgan
geboten sei.667 Teilweise wurde das Erfordernis eines wichtigen Grundes bereits
aus dem Fehlen einer Parallelregelung zu Art. 39 Abs. 2 SE-VO hergeleitet.668
Eine vierte Ansicht wollte die Regelung aus anderen monistischen Ländern übernehmen,669 wo die Mitglieder des Verwaltungsorgans jederzeit ohne wichtigen
Grund durch die Hauptversammlung abberufen werden können.670
Wie bereits erwähnt wurde, schließt Art. 39 Abs. 2 Unterabs. 2 SE-VO das Eingreifen der nationalen Regelung für das Leitungsorgan nicht aus.671 Insofern kann
von dieser Vorschrift nicht auf eine abweichende Regelung beim Verwaltungsorgan geschlossen werden. § 29 Abs. 1 SEAG sieht nun als gute Mittellösung vor,
dass für die Abberufung ohne wichtigen Grund eine (satzungsdispositive) Drei-
Viertel-Mehrheit der Hauptversammlung erforderlich ist. Daneben kann gem.
§ 29 Abs. 3 SEAG der Verwaltungsrat selbst bei Gericht eine Abberufung eines
seiner Mitglieder aus wichtigem Grund beantragen.
664 Siehe oben 3. Teil A. III.
665 Art. 66 Abs. 3 SE-VOV 1991 enthielt noch eine Abberufungsmöglichkeit für die Mitglieder des Verwaltungsorgans durch die Hauptversammlung.
666 Nicaise, Journal des tribunaux 2002, 481 (488); Menjucq, ZGR 2003, 679 (682).
667 Theisen/Hölzl, in: Theisen/Wenz (Hrsg.), Die Europäische Aktiengesellschaft, S. 269
(305).
668 Schindler, Die Europäische Aktiengesellschaft, S. 69.
669 Jacks/Schönborn, EuZW 2003, 254 (263).
670 § 8.08(a) RMBCA, § 141(k) DelGCL; CA, s. 303; Art. L225-18.
671 Siehe oben 3. Teil C.III.2.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Studie analysiert die Personalisierungsmöglichkeiten für eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland. Untersucht werden sowohl die klassische Aktiengesellschaft als auch die seit 2004 mögliche Europäische Aktiengesellschaft (SE).
Ausgangspunkt der Untersuchung ist eine Systematisierung des Kollegialprinzips sowie der bereits im Gesetz angelegten Personalisierungsmöglichkeiten, wie der Vorstandsvorsitzende und der Vorstandssprecher. Sodann wird erörtert, auf welchen Faktoren deren faktische Macht beruht und wo die gesetzlichen Grenzen liegen. Daraus leitet die Autorin ab, ob die bestehenden gesetzlichen Regeln noch angemessen sind.
Darüber hinaus werden die Personalisierungsmöglichkeiten bei einer Europäischen Aktiengesellschaft (mit Sitz in Deutschland) aufgezeigt, und zwar zunächst für eine SE mit dem sogenannten dualistischen Leitungssystem. Für die SE mit monistischem System untersucht die Autorin rechtsvergleichend, inwieweit die Regelungen des deutschen SE-Ausführungsgesetzes bestehenden Corporate Governance-Grundsätzen entsprechen. Außerdem schlägt sie Regelungen über die monistische SE zur Aufnahme im Deutschen Corporate Governance Kodex vor.