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III. England
Das englische Recht, das ebenfalls dem common law system angehört, trifft ähnliche Regelungen. Es ist aber noch punktueller und lässt so den Unternehmen
mehr Gestaltungsfreiheit.618 Das maßgebliche Gesetz über die company, wie die
Kapitalgesellschaft in England genannt wird, ist der Companies Act. Dieser
wurde gerade nach langjährigen Reformbemühungen (»Company Law Reform«)
als Companies Act 2006619 neu gefasst. Das Gesetz tritt im Oktober 2008 voll in
Kraft, einige Abschnitte des CA 2006, insbesondere auch der Abschnitt über die
Rechtsstellung der directors, gelten aber bereits. Der AG entspricht dabei wiederum am ehesten die public limited company (plc) im Gegensatz zur private limited company.
Das Verwaltungsorgan der limited company wird im englischen Recht ebenfalls board of directors genannt. Der Begriff des boards wird im neuen Companies Act an verschiedenen Stellen erwähnt620, eine genaue Definition fehlt aber.
Das Gesetz definiert auch im Companies Act 2006 weder den Begriff des directors621 noch unterscheidet es zwischen den verschiedenen Arten von directors.622
Über die Bestellung der directors bestimmt das Gesetz lediglich, dass sowohl
über den Vorschlag eines Kandidaten als auch über dessen Bestellung durch die
Hauptversammlung separat abgestimmt werden muss, es sei denn, dass es einen
einstimmigen Beschluss für eine gemeinsame Abstimmung über mehrere Kandidaten gibt.623 Darüber hinaus erfordert jeder Anstellungsvertrag über zwei Jahre
die Zustimmung der Hauptversammlung.624 Die Abberufung muss jederzeit ohne
besondere Voraussetzungen mit einfacher Hauptversammlungsmehrheit möglich
sein.625
Vorschriften über die Unternehmensleitung fanden sich bisher vor allem im
Table A im Anhang des Companies Act 1985, der ein Muster für die articles einer
limited company enthält. Im Zuge der Company Law Reform wird auch der Table
A neu gefasst626, wobei für bisher gegründete Gesellschaften die alte Fassung
weiter gilt, es sei denn, sie entscheiden sich für die Annahme der neuen Fassung.
618 Cheffins, Company Law, S. 604; Charkham, Keeping Good Company, S. 331 f.
619 Verfügbar unter: http://www.opsi.gov.uk/acts/acts2006a.htm. Die Regelungen des Companies Act (CA) 2006 (c.46) treten schrittweise in Kraft, stellenweise gelten also noch die
Regelungen des CA 1985 fort.
620 Vgl. CA 2006, s. 422, 424, 433, 1159, 1162.
621 CA 2006, s. 250 bestimmt lediglich, dass director im Sinne des Gesetzes jede Person ist,
die ein solches Amt ausübt (ebenso die Vorgängerregelung CA 1985, s. 741(1)).
622 Cheffins, Company Law, S. 97 f; Gower’s Principles of Modern Company Law, S. 319.
623 CA 2006, s. 160 (CA 1985, s. 292).
624 CA 2006, s. 188 (in CA 1985, s. 319 lag die Grenze noch bei fünf Jahren).
625 CA 2006, s. 168 (CA 1985, s. 319).
626 Der Entwurf für die Neufassung des Table A ist verfügbar unter: http://www.berr.gov.uk/
bbf/co-act-2006/draft/page40411.html - Schedule 3 enthält dabei die Draft Model Articles
für die public limited company.
124
Die überarbeite Fassung soll ab Oktober 2008 wirksam werden,627 und liegt derzeit als Entwurf vor. Die wesentlichen Änderungen bestehen in der Bereinigung
der Verweisungen auf den neuen Companies Act 2006 sowie der Schaffung eines
speziellen Table A für die private company, allerdings werden auch Kernregelungen zur Leitung ersetzt.
Die articles sind im englischen Recht der Satzung vergleichbare Gründungsdokumente.628 Die Regelungen des Table A kommen dabei zur Anwendung, sofern
die Gesellschaft keine eigenen Regelungen trifft.629 Die meisten Gesellschaften
folgen zumindest im Bereich der Ausgestaltung der Geschäftsführung fast durchgängig dem Table A.630 Danach werden die non-executive directors durch die
Hauptversammlung mit einfacher Mehrheit für gestaffelte Amtszeiten von drei
Jahren gewählt, für die executive directors wird die Amtzeit bei der Ernennung
festgelegt.631 Die neue gesetzliche Regelung, die einen Anstellungsvertrag ohne
Zustimmung der Hauptversammlung auf nur zwei Jahre erlaubt, wird daher im
Regelfall zu einer Ernennung der executive directors auf maximal zwei Jahre führen.
Der Table A weist den directors die Leitungsaufgabe zu.632 Eine Weiterdelegation des Managements an einzelne executive bzw. managing directors ist jedoch
ausdrücklich zulässig.633 Diese Möglichkeit dürfte bereits nach dem common law
anerkannt sein, d. h. eine entsprechende Festlegung dieser Delegation in den
articles ist nicht zwingend erforderlich.634 Obwohl auch die Bestellung von externen officers zulässig ist, ist sie anders als in den USA auf der obersten Managementebene eher untypisch.635 Daher ist die Verwendung des Begriffes managing
director oder executive director statt officer vorherrschend.636 Eine genauere Aufgabenbeschreibung für das board bzw. die directors findet sich weder im Gesetz
noch in Table A. Vielmehr besteht eine Allzuständigkeit vorbehaltlich einer
627 Ab 01.10.2007 gilt bereits eine geänderte Fassung des Table A, für die keine großen Änderungen bis zur Endfassung erwartet werden. Vgl. Companies (Tables A to F) (Amendment)
Regulations 2007 (SI 2007/2541, verfügbar unter: http://www.opsi.gov.uk/si/si2007/
20072541.htm.
628 Zu den Gründungsdokumenten gehört außerdem noch das memorandum of association,
das insbesondere den Gesellschaftszweck enthält.
629 CA 2006, s. 20 (CA 1985, s. 8).
630 Farrar’s Company Law, S. 364.
631 Draft Model Articles, art. 20; CA 1985 Table A, arts. 73-80. 84.
632 Draft Model Articles, art. 2: »responsible for the management of the company’s business«
(Table A, art. 70: »...the company shall be managed by the directors...«).
633 Draft Model Articles, art. 4; CA 1985 Table A, arts. 72, 84.
634 Freeman & Lockyer v. Buckhurst Park Properties Ltd., 2 QB 480 (1964). Diese Entscheidung scheint allerdings der früheren in Kerr v. Marine Products, 44 TLR 292 (1928) zu
widersprechen, die eine ausdrückliche Ermächtigung des boards zur Bestellung eines
managing directors verlangt.
635 Gower’s Principles of Modern Company Law, S. 321.
636 Cheffins, Company Law, S. 108.
125
abweichenden Regelung im Gesetz, in den Gründungsdokumenten oder in einem
Hauptversammlungsbeschluss.637
Neben dem Table A finden sich wesentliche Aussagen zur Corporate Governance im Combined Code der Londoner Börse.638 Der im Jahre 1998 erlassene
Combined Code ist das Ergebnis der Anfang der 90er Jahre eingesetzten Reformkommissionen Cadbury, Greenbury, Turnball und Hampel. Nach den Börsenzulassungsregeln müssen die (gelisteten) Unternehmen in ihrem Jahresbericht angeben, inwieweit sie den Combined Code befolgen und jegliche Abweichungen
begründen (»comply or explain«).639 Im Zuge einer umfassenden Reform des englischen Gesellschaftsrechts ist im Juli 2003 auf Grundlage eines von Derek Higgs
vorgelegten Berichts640 eine überarbeitete Fassung des Combined Code verabschiedet worden, die ab 1. November 2003 die Anforderungen an die Unternehmensleitung verschärft. Geringfügige Änderungen des Combined Code sind 2006
in Kraft getreten.641
Im Combined Code wird ausdrücklich eine Unterscheidung zwischen executives und non-executives vorgenommen642 und der Begriff des boards durchgängig
verwendet. Die neue Fassung enthält erstmals eine detaillierte Aufgabenbeschreibung für das board. Danach besteht die Funktion des boards in der Festlegung der
Strategie, der Sicherstellung der notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen und der Überwachung des Managements.643 Darüber hinaus ist ein Katalog von dem board vorbehaltenen Geschäften zu erlassen und im Jahresbericht zu
publizieren.644
Auch in England wird das board als Kollegialorgan begriffen,645 weil für seine
Beschlussfassung das Mehrheitsprinzip vorgesehen ist.646 Theoretisch könnte
aber eine Gesellschaft in ihren articles auch eine andere Regelung treffen und
somit das Direktorialprinzip für das board vorsehen. Ein solcher Fall ist jedoch
in der Praxis bisher nicht vorgekommen und würde nach dem Combined Code
2003 einer gesonderten Begründung bedürfen.647
637 Draft Model Articles, art. 2; CA 1985 Table A, art. 70.
638 The Committee on Corporate Governance, The Combined Code on Corporate Governance,
London 1998, überarbeitete Fassungen 2003 und 2006.
639 Vgl. FSA, The Listing Rules 2000, para. 12.43A(a).
640 Higgs, Review of the role and effectiveness of non-executive directors, DTI, London 2003
(»Higgs Report«), verfügbar unter: http://www.dti.gov.uk/cld/non_exec_review.
641 Die aktuelle Fassung des Combined Code 2006 ist verfügbar unter: http://www.frc.org.uk/
corporate/combinedcode.cfm.
642 Combined Code 1998 und 2006, para. A.3.1.
643 Combined Code 2006, Supporting Principles A.1.
644 Combined Code 2006, para. A.1.1.
645 Farrar’s Company Law, S. 304.
646 Draft Model Articles, art. 6; CA 1985 Table A, art. 88.
647 Combined Code 2003, para. A.1.: »... The board is collectively responsible for ...«.
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IV. Frankreich
1. Quellen des Gesellschaftsrechts
Die Unternehmensverfassung der Aktiengesellschaft in Frankreich (Société
Anonyme – S.A.) ist anders als in England und Frankreich ausführlich im Gesetz
geregelt, so dass dort auch im monistischen System weniger Gestaltungsfreiheit
besteht. Eine generell größere Personalisierung ist dagegen wegen der weitgehend freien Gestaltung der Geschäftsführung in der Société par Actions Simplifiée (S.A.S.)648 möglich, die dementsprechend auch »société personnalisée« genannt wird. Sie kann mangels zwingendem Verwaltungsorgan649 kein echtes Vorbild für die monistische SE, sondern eher zukünftig für die Europäische Privatgesellschaft sein. Daher wird die S.A.S. im Folgenden nicht näher betrachtet.
Wie bereits erwähnt, bietet das französische Recht seit der Reform im Jahre
2001 für die S.A. zwei verschiedene Formen des monistischen Systems an.650 Beiden gemeinsam ist aber die Existenz eines Verwaltungsorgan, des conseil d’administration. Seine Mitglieder, die administrateurs, werden zwingend von der
Hauptversammlung gewählt und können von ihr jederzeit wieder abberufen werden.651
Anders als in den USA und England steht bei der Ausgliederung des Tagesgeschäfts nicht die Bestellung von mehreren executives, sondern eines einzelnen leitenden Geschäftsführers (directeur général) im Vordergrund. Im traditionellen
monistischen System, das 1940 statt des dualistischen Systems in Frankreich eingeführt wurde, ist der directeur général zugleich der Vorsitzende (président) des
conseil. Er wird daher président directeur général (PDG) genannt. Seit der
Reform von 2001 ist nun als weitere Form des monistischen Systems die Trennung beider Positionen möglich.652 Dabei ist der directeur général entweder ein
anderes Mitglied des conseil oder ein Externer. Der président hat in diesem
System allein die Funktion des Vorsitzes im conseil. Deshalb wird auch von der
formule du président du conseil (PCA) gesprochen.653 Zwar ist in beiden Systemen nur die Ernennung eines directeur général möglich, ihm können aber bis zu
fünf directeurs délégués an die Seite gestellt werden.654
Ebenso wie im anglo-amerikanischen Raum wurden Expertenkommissionen
eingesetzt, um Empfehlungen für eine gute Corporate Governance zu erarbeiten.
Die erste Kommission unter dem Vorsitz von Viénot legte 1995 ihren Bericht
648 Art. L. 221-1 bis L. 227-20 Code de Commerce.
649 Vgl. Guyon, Droit commercial général et Sociétés, S. 518.
650 Die Möglichkeit, statt des monistischen Systems das dualistische System zu wählen,
besteht dagegen schon seit 1966. Siehe oben 4. Teil A.II.
651 Art. L225-18.
652 Art. L225-51-1. Dazu ausführlich Menjucq, ZGR 2003, 679 (685).
653 Nabasque, Petites Affiches 134/2001, 4.
654 Art. L225-53.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Studie analysiert die Personalisierungsmöglichkeiten für eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland. Untersucht werden sowohl die klassische Aktiengesellschaft als auch die seit 2004 mögliche Europäische Aktiengesellschaft (SE).
Ausgangspunkt der Untersuchung ist eine Systematisierung des Kollegialprinzips sowie der bereits im Gesetz angelegten Personalisierungsmöglichkeiten, wie der Vorstandsvorsitzende und der Vorstandssprecher. Sodann wird erörtert, auf welchen Faktoren deren faktische Macht beruht und wo die gesetzlichen Grenzen liegen. Daraus leitet die Autorin ab, ob die bestehenden gesetzlichen Regeln noch angemessen sind.
Darüber hinaus werden die Personalisierungsmöglichkeiten bei einer Europäischen Aktiengesellschaft (mit Sitz in Deutschland) aufgezeigt, und zwar zunächst für eine SE mit dem sogenannten dualistischen Leitungssystem. Für die SE mit monistischem System untersucht die Autorin rechtsvergleichend, inwieweit die Regelungen des deutschen SE-Ausführungsgesetzes bestehenden Corporate Governance-Grundsätzen entsprechen. Außerdem schlägt sie Regelungen über die monistische SE zur Aufnahme im Deutschen Corporate Governance Kodex vor.