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lichkeiten der deutschen dualistischen SE in Anlehnung an die der AG zu untersuchen.
C. Einzelne Personalisierungsmöglichkeiten und ihre notwendige
Begrenzung im SEAG
I. Ein-Mann-Vorstand
1. Art. 39 Abs. 4 SE-VO
Zunächst ist zu prüfen, inwieweit auch bei der SE ein Ein-Mann-Vorstand möglich ist. Gem. Art. 39 Abs. 4 SE-VO bestimmt grundsätzlich die Satzung die Zahl
der Mitglieder des Leitungsorgans oder die Regeln für deren Festlegung. Bei der
dualistischen SE muss also die Satzung eine Vorgabe bzgl. der Mitgliederanzahl
machen. Anders als bei § 76 Abs. 2 S. 1 AktG ist ausdrücklich bestimmt, dass
auch eine Regelung zur Festlegung der Mindestzahl genügt. Damit kann beispielsweise dem Aufsichtsrat die Bestimmung dieser Zahl überlassen werden.
Dies wird jedoch überwiegend auch bei § 76 Abs. 2 S. 1 AktG bejaht,523 so dass
sich für die dualistische SE insofern keine Abweichung ergibt.
Weiterhin ermächtigt Art. 39 Abs. 4 S. 2 SE-VO die Mitgliedsstaaten, eine
Mindest- oder Höchstzahl an Mitgliedern des Leitungsorgans festzulegen. Der
deutsche Gesetzgeber hat von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht und in § 16
SEAG die Regelung des § 76 Abs. 1 S. 1 AktG auch für die dualistische SE übernommen, um einen Gleichlauf mit dem deutschen Aktienrecht herzustellen.524
Art. 39 Abs. 4 S. 2 SE-VO lässt als Minus zu abstrakten Fixgrenzen eine Anknüpfung an eine bestimmte Grundkapitalgrenze zu. Die Übertragung von § 76 Abs.
2 S. 1 AktG aus Gründen des Gleichlaufs mit dem nationalen Aktienrecht überzeugt. Zwar wird Sinnhaftigkeit der Grundkapitalgrenze im deutschen Recht
bezweifelt,525 aber die Reformbestrebungen im nationalen Aktiengesetz sollten
zunächst dort ausdiskutiert werden.526 Mit einer eventuellen Reform des Aktiengesetzes kann dann eine Anpassung des SEAG erfolgen.
523 Siehe oben 2. Teil A.III.1.a).
524 Zustimmend Hirte, NZG 2002, 1 (6); Teichmann, in: Theisen/Wenz (Hrsg.), Die Europäische Aktiengesellschaft, S. 691 (728).
525 Siehe oben 2. Teil A.III.1.a).
526 Vgl. Teichmann, in: Theisen/Wenz (Hrsg.), Die Europäische Aktiengesellschaft, S. 691
(729) in Bezug auf die Diskussion um die Höchstzahl der Aufsichtsratsmitglieder.
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2. Notwendigkeit eines Arbeitsdirektors?
Im deutschen Recht wird die Möglichkeit eines einköpfigen Vorstands erheblich
durch die Notwendigkeit eines Arbeitsdirektors beschränkt. Ob auch in der deutschen dualistischen SE ein Arbeitsdirektor bestellt werden darf oder sogar muss,
ist bisher noch nicht eingehend untersucht worden.527 Stattdessen gehen einige
Autoren ohne nähere Begründung vom Vorhandensein528 oder Fehlen529 eines Arbeitsdirektors bei der dualistischen SE aus. Gem. § 16 S. 2 SEAG, § 38 Abs. 2
SEBG ist ein Mitglied des Leitungsorgans für den Bereich Arbeit und Soziales
zuständig, wenn die besonderen Voraussetzungen des § 34 SEBG erfüllt sind.
Dies bedeutet, dass der Arbeitsdirektor zwingender Bestandteil der deutschen
Auffangregelung im Sinne des Art. 7 SE-RL ist, die unter bestimmten Umständen
nach dem Scheitern der Verhandlungslösung eingreift.
Es sprechen jedoch einige Gründe dafür, dass der deutsche Gesetzgeber mit
§ 38 Abs. 2 SEBG seine Kompetenz überschritten hat. Die komplizierten Regelungen zur Arbeitsnehmermitbestimmung in der SE-Richtlinie erwähnen den
Arbeitsdirektor nicht. Die Mitbestimmung wird in Art. 2 lit. k) SE-RL nur als
Beteiligung an der Bestellung der Aufsichts- und Verwaltungsorganmitglieder
definiert. Daher kann ein Arbeitsdirektor jedenfalls nicht in der mitgliedsstaatlichen Auffanglösung oder gar in der individuellen Verhandlungslösung vorgesehen werden, vgl. Art. 4 Abs. 2 lit. g) und Art. 7 SE-RL i. V. m. Teil 3 b) Anhang
SE-RL.530
Ein Arbeitsdirektor ist daher nur dann zu bestellen, wenn die Bestimmungen
des § 33 Abs. 1 MitbestG bzw. § 13 Abs. 1 MontanMitbestG, § 13 Abs. 1 MontanMitbestErgG auf die dualistische SE gem. Art. 9 Abs. 1 lit. c) ii) SE-VO
Anwendung finden. Art. 9 Abs. 1 lit. a) SE-VO sperrt aber die Anwendung der
deutschen Vorschriften, wenn der Arbeitsdirektor dem Mitbestimmungsrecht
zuzurechnen ist und die Regelungen der SE-Richtlinie zur Mitbestimmung
abschließend sind. Zwar handelt es sich bei der SE-Richtlinie nicht direkt um Vorschriften der SE-Verordnung, aber es wird in Art. 12 SE-VO auf sie verwiesen.
Insofern werden sie von Art. 9 Abs. 1 lit. a) SE-VO erfasst.
Sieht man in den Bestimmungen über den Arbeitsdirektor nur eine Regelung
der Vorstandsorganisation und nicht der Mitbestimmung, so würden sie gem. Art.
527 Vgl. die Diskussion nach den Vorträgen von Reichert und Köstler beim 15. ZGR-Symposium »Europäische AG und der Diskussionsentwurf zum deutschen Begleitgesetz« in Bonn
2003, zusammengefasst von Heinze, ZGR 2003, 810 (811). Henssler, FS Ulmer, S. 193
ff. thematisiert diese Problematik in keiner Weise.
528 Hans-Böckler-Stiftung (Hrsg.), Die Europäische Aktiengesellschaft, S. 20. Gruber/Weller,
NZG 2003, 297 (299) bejahen auch für die monistische SE einen Arbeitsdirektor, woraus
im Umkehrschluss zu entnehmen sein dürfte, dass ein Arbeitsdirektor auch in der dualistischen SE zu bestellen ist.
529 Neye/Teichmann, AG 2003, 169 (176 ff.). Auch Theisen/Hölzl, in: Theisen/Wenz (Hrsg.),
Die Europäische Aktiengesellschaft, S. 269 (286 ff.) erwähnen in ihrer Beschreibung der
Binnenorganisation des Leitungsorgans den Arbeitsdirektor nicht.
530 A.A.: Köstler, ZGR 2003, 800 (804).
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9 Abs. 1 lit. c) SE-VO unproblematisch zur Anwendung ankommen. Der Arbeitsdirektor muss aber schon wegen seiner systematischen Stellung in § 33 MitbestG
bzw. § 13 MontanMitbestG der Mitbestimmung zugerechnet werden. Insbesondere § 33 Abs. 3 sowie § 6 Abs. 3 S. 2 MitbestG zeigen, dass der Arbeitsdirektor
ebenso wie die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat ein Organ der Mitbestimmung ist.531
Ob die SE-Richtlinie die Mitbestimmung abschließend regeln will, ist durch
Auslegung zu ermitteln. Bei der Feststellung einer Lücke in der SE-Verordnung
ist zu prüfen, ob der europäische Gesetzgeber diese Materie auf europäischer
Ebene abschließend regelt.532 Weiterhin ist danach zu fragen, ob Sinn und Zweck
der Regelung in dem lückenhaften Bereich Sinn machen.533 Diese Auslegungsmethoden müssen auch auf die notwendig mit der SE-Verordnung verknüpften
SE-Richtlinie angewendet werden.
Für eine abschließende Regelung der Mitbestimmung in der SE-Verordnung
spricht, dass die Mitbestimmung lange Zeit das Haupthindernis bei der Verabschiedung der SE-Verordnung war.534 Weiterhin enthält Art. 50 Abs. 3 SE-VO
einen Mitbestimmungsvorbehalt für die Beschlussfassung im Aufsichtsorgan,
aber gerade nicht für das Leitungsorgan. Erwägungsgrund 21 der SE-Verordnung
bestimmt schließlich, dass die SE-Richtlinie die »Beteiligung bei den den
Geschäftsverlauf der SE betreffenden Fragen und Entscheidungen« regelt. Zwar
sollen »die übrigen arbeits- und sozialrechtlichen Fragen«, die gerade das Ressort
des Arbeitsdirektors bilden, den einzelstaatlichen Vorschriften unterliegen, aber
die besondere Funktion des Arbeitsdirektors liegt gerade in der (gleichberechtigten) Mitentscheidung bei der Geschäftsführung, also im Regelungsbereich der
Richtlinie. Weiterhin kann die Mitbestimmung auch allein aufgrund der SE-
Richtlinie, d. h. ohne einen Arbeitsdirektor, sinnvoll funktionieren.
Aus diesen Gründen erscheinen die Regelungen der SE-Richtlinie als abschlie-
ßend. Sie sperren demnach gem. Art. 9 Abs. 1 lit. a) SE-VO die Anwendung der
Vorschriften über den Arbeitsdirektor.535 Endgültige Klarheit hierüber kann aber
erst der EuGH schaffen.
Geht man davon aus, dass eine dualistische SE über keinen Arbeitsdirektor verfügt, so wäre ein Ein-Mann-Vorstand bei der dualistischen SE leichter möglich.
Dennoch ist auch bei der SE zu erwarten, dass man wegen der Missbrauchsgefahr
selten von dieser Möglichkeit Gebrauch macht. Interessant ist der Ein-Mann-Vorstand insbesondere für die Tochter-SE im Sinne des Art. 2 Abs. 3 SE-VO, weil
bei Tochterunternehmen allgemein eine schlanke Führung gewünscht wird, wäh-
531 Raiser, MitbestG, § 33, Rn 14.
532 Casper, FS Ulmer, S. 51 (59); Wagner, NZG 2002, 985 (989).
533 Casper, FS Ulmer, S. 51 (55).
534 Blanquet, ZGR 2002, 20 (23 ff.).
535 So im Ergebnis auch Schwarz, SE-Komm., Art. 39 Rn 73; Reichert/Brandes, Münchner
Komm., Art. 50 SE-VO, Rn. 32. Vgl. auch v. Werder, RIW 1997, 304 (308) bezogen auf
den geänderten Vorschlag einer Richtlinie zur Ergänzung des SE-Statuts hinsichtlich der
Stellung der Arbeitnehmer vom 06.04.1991, KOM (91) 174 endg., veröffentlicht im Abl.
EG Nr. C 138 vom 29.05.1991, S. 8 ff.
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rend gleichzeitig eine hinreichende Kontrolle durch das Mutterunternehmen
gewährleistet ist.
II. Die Schaffung von »Geschäftsführern« bzw. eines »leitenden
Geschäftsführers«
Art. 39 Abs. 1 S. 2 SE-VO enthält die Möglichkeit, die laufenden Geschäfte des
Leitungsorgans auf einen oder mehrere Geschäftsführer auszugliedern, sofern
diese Möglichkeit bereits im nationalen Recht existiert. Ein einzelner Geschäftsführer bzw. ein Vorsitzender unter mehreren Geschäftsführern wäre zwar wegen
Art. 39 Abs. 1 S. 1 SE-VO vom Leitungsorgan weisungsabhängig, hätte aber zumindest für das Tagesgeschäft eine entscheidende faktische Machtposition. Insofern liegt hier eine zusätzliche Personalisierungsmöglichkeit.
Für Deutschland entfällt aber diese Möglichkeit, weil § 76 Abs. 1 AktG solche
Geschäftsführer nicht vorsieht.536 Überhaupt erscheint zweifelhaft, ob die Bestellung von Geschäftsführern in der dualistischen SE überhaupt in einem Mitgliedsstaat Anwendung findet. Die Regelung wurde auf Wunsch Schwedens aufgenommen,537 da die Zuordnung des skandinavischen Modells der Unternehmensleitung
zum monistischen oder dualistischen System zweifelhaft ist.538 Allerdings wird
heute dieses Modells fast durchgängig als monistisch bewertet.539 In diesem Fall
verbliebe für Art. 39 Abs. 1 S. 2 SE-VO kein Anwendungsbereich.540
III. Der Vorsitzende des Leitungsorgans
Weiterhin ist für die dualistische SE wie bei der AG die Möglichkeit der Bestellung eines Vorstandsvorsitzenden zu prüfen.
536 Vgl. Teichmann, in: Theisen/Wenz (Hrsg.), Die Europäische Aktiengesellschaft, S. 691
(727); ders., ZIP 2002, 1109 (1113).
537 Teichmann, ZIP 2002, 1109 (1113).
538 Collan/Uusitalo, in: Hohloch (Hrsg.), EU-Handbuch Gesellschaftsrecht, Finnland, Rn. 638
(für das finnische Recht).
539 Hansen, in: Oplustil/Teichmann (Hrsg.), The European Company - all over Europe, S. 74;
Teichmann, Binnenmarktkonformes Gesellschaftsrecht, S. 537.
540 Schindler, Die Europäische Aktiengesellschaft, S. 60, Fn. 429, vertritt die Auffassung, dass
die Geschäftsführer im dualistischen System eine geringere Bedeutung als im monistischen System haben. Es bleibt aber unklar, wo ein solches dualistisches System mit
Geschäftsführern existiert.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Studie analysiert die Personalisierungsmöglichkeiten für eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland. Untersucht werden sowohl die klassische Aktiengesellschaft als auch die seit 2004 mögliche Europäische Aktiengesellschaft (SE).
Ausgangspunkt der Untersuchung ist eine Systematisierung des Kollegialprinzips sowie der bereits im Gesetz angelegten Personalisierungsmöglichkeiten, wie der Vorstandsvorsitzende und der Vorstandssprecher. Sodann wird erörtert, auf welchen Faktoren deren faktische Macht beruht und wo die gesetzlichen Grenzen liegen. Daraus leitet die Autorin ab, ob die bestehenden gesetzlichen Regeln noch angemessen sind.
Darüber hinaus werden die Personalisierungsmöglichkeiten bei einer Europäischen Aktiengesellschaft (mit Sitz in Deutschland) aufgezeigt, und zwar zunächst für eine SE mit dem sogenannten dualistischen Leitungssystem. Für die SE mit monistischem System untersucht die Autorin rechtsvergleichend, inwieweit die Regelungen des deutschen SE-Ausführungsgesetzes bestehenden Corporate Governance-Grundsätzen entsprechen. Außerdem schlägt sie Regelungen über die monistische SE zur Aufnahme im Deutschen Corporate Governance Kodex vor.