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Bereichsleitern an den Vorsitzenden nicht bereits die anderen Vorstandsmitglieder faktisch vom operativen Geschäft ausschließt und daher unzulässig ist. Es ist
aber schwierig, bei einem solchen faktischen Ausschluss die Grenze des Zulässigen genau zu bestimmen. Insgesamt wird man die neue Geschäftsführungsorganisation der Deutsche Bank AG, wie sie sich formell nach den Bestimmungen der
Satzung bzw. Vorstandsgeschäftsordnung darstellt, noch für zulässig halten können. Etwas anderes gilt aber, falls der Vorstandssprecher, bzw. nach der Umbenennung 2006 jetzt der Vorstandsvorsitzende, entgegen den dortigen Bestimmungen dennoch ein materielles Weisungsrecht ausübt.
3. Andere Unternehmen
Andere Unternehmen, insbesondere die Hypo-Vereinsbank-AG (HVB Group),
haben eine vergleichbare Trennung von operativen und strategischen Geschäft
vorgenommen.367 Dabei ist nur ein Teil der Vorstandsmitglieder in den entsprechenden Gremien vertreten.368 Hier wird ebenfalls der Grundsatz der Gleichberechtigung, der nicht nur die Heraushebung eines einzelnen Mitglieds, sondern
die Schaffung von Vorstandsmitglieder »minderen Gewichts« oder »zweiter
Klasse« generell verbietet, in noch stärkerem Maße berührt.369 Die Berichterstattung erfolgt aber bei dieser Gestaltung nicht direkt an den Vorstandsvorsitzenden,
sondern an einen Teil der Vorstandsmitglieder. Insofern fördert sie keine zusätzliche Personalisierung der Leitung und soll hier nicht näher erörtert werden.
VII. Zusammenfassung
Bisher wurde dargestellt, in welcher Form trotz des im Gesetz verankerten
Kollegialprinzip in der Praxis eine sehr starke Dominanz eines einzelnen
Vorstandsmitglieds zu beobachten ist. Diese Entwicklungen werden allgemein
für bedenklich, aber noch zulässig gehalten. Einige moderne Vorstandsorganisationen bewegen sich aber schon nahe an der Grenze des Zulässigen.
C. Bestehender Reformbedarf
Die zunehmende Auseinanderentwicklung von Gesetzes- und Unternehmenswirklichkeit wirft die Frage auf, ob das Kollegialprinzip noch angemessen oder
367 Schwark, FS Ulmer, S. 605 (610); Götz, ZGR 2003, 1 (2).
368 FAZ vom 21.01.02, S. 18: »Die Aufteilung in Vorstände erster und zweiter Klasse ist nicht
unproblematisch«.
369 Hoffmann-Becking, ZGR 1998, 497 (515); Schwark, ZHR 1978, 203 (218); Mertens, Kölner Komm., § 77 Rn. 12 und 15.
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bereits reformbedürftig ist. In der Literatur wird dies ambivalent diskutiert. Einerseits wird gerade für eine stärkere Durchsetzung des Kollegialprinzips plädiert, um den Entwicklungen in der Praxis entgegenzuwirken.370 Andererseits
wird die Unzulänglichkeit des Kollegialprinzips für die Praxis betont und teilweise sogar dessen Abschaffung gefordert.371 Im Folgenden soll daher zunächst
untersucht werden, ob ein Bedürfnis für eine stärkere Durchsetzung des Kollegialprinzips besteht. Wird dies verneint, so ist umgekehrt zu fragen, ob eine
Lockerung des Kollegialprinzips oder gar die Einführung des Direktorialprinzips
geboten ist.372 Eine Mittellösung bestünde darin, die gesetzlichen Bestimmungen
lediglich näher zu konkretisieren.
I. Beschränkung der Rolle des Vorstandsvorsitzenden
Eine stärkere Durchsetzung des Kollegialprinzips durch Beschränkung der informellen Einflussmöglichkeiten des Vorstandsvorsitzenden wird nur vereinzelt gefordert.373 Dies geschieht vornehmlich mit dem Hinweis darauf, dass manche Unternehmenskrisen der jüngsten Vergangenheit bei einem wirklich kollegial geführten Vorstand nicht stattgefunden hätten.374 Es bleibt aber unklar, wie genau
eine solche Verschärfung des Kollegialprinzips durchgesetzt werden sollte. Dar-
über hinaus kann nicht übersehen werden, dass die Forderungen in der Praxis gerade in eine andere Richtung gehen. So ist die faktische Stärkung des Vorstandsvorsitzenden aufgrund der in Abschnitt B) genannten Einflussmöglichkeiten für
eine effektive Vorstandsarbeit förderlich, solange sie sich in den aufgezeigten
Grenzen hält.375 Es ist gerade ein Vorzug des Kollegialprinzips, dass es eine gewisse Personalisierung der Leitung zulässt. Daher erscheint eine Beschränkung
dieser Möglichkeiten untunlich. Stattdessen ist es notwendig, die zulässigen
Grenzen näher zu konkretisieren.376
370 Bernhardt, FAZ vom 23.02.2002, S. W1: »Das Kollegialprinzip im Vorstand gegen den
Ansturm starker Männer schützen«.
371 Breuer, in: DAI, Corporate Governance – Nutzen und Umsetzung, S. 18 (23); FAZ vom
26.11.2001, S. 18: »Ackermann: Die Deutsche Bank braucht eine starke Spitze«.
372 Vgl. die ähnlichen Handlungsvarianten bei v. Hein, ZHR 2002, 464 (493).
373 Bernhardt, in: Hommelhoff u. a. (Hrsg.), Corporate Governance, S. 119 (125); ders., FAZ
vom 23.02.2002, S. W1: »Das Kollegialprinzip im Vorstand gegen den Ansturm starker
Männer schützen«.
374 Peltzer/v. Werder, AG 2001, 1 (3) für den Zusammenbruch der Metallgesellschaft. Auch
die Unternehmen Bremer Vulkan, Coop oder Philipp Holzmann waren von CEO-ähnlichen
Strukturen geprägt, vgl. Bernhardt, FAZ vom 29.01.2001, S. 18: »Eine Rückkehr zum
Generaldirektor ist nicht wünschenswert«.
375 Vgl. auch v. Hein, ZHR 2002, 464 (499).
376 Siehe unten 2. Teil C.III.
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II. (Alternative) Einführung des Direktorialprinzips
Eine weitere Handlungsalternative besteht darin, das Kollegialprinzip ganz
abzuschaffen. Dies wäre aber ein sehr weitgehender Schritt, der nur vereinzelt gefordert wird.377 Dagegen erscheint es eher vorstellbar, das Direktorialprinzip als
alternatives Modell (innerhalb des dualistischen Systems) einzuführen und den
Unternehmen die Wahl zwischen beiden Organisationsprinzipien zu lassen.378
Teilweise wird nicht unbedingt die Einführung des Direktorialprinzips, jedoch
mehr Flexibilität bei der Vorstandsorganisation gefordert, um das Unternehmen
in Krisenzeiten besser führen zu können.379
Zur Beurteilung der Angemessenheit des Kollegialprinzips sind zunächst dessen Vor- und Nachteile gegenüberzustellen. Sodann ist seine historische Entwicklung zu untersuchen. Schließlich muss der Frage nachgegangen werden, ob das
Direktorialprinzip überhaupt mit dem dualistischen System vereinbar ist oder ob
nicht vielmehr das Kollegialprinzip für den Vorstand zwingend ist.
1. Vor- und Nachteile des Kollegialprinzips
Der Vorteil des Kollegialprinzips liegt zunächst in der Ausnutzung des Sachverstandes aller Vorstandsmitglieder. 380 Durch die Notwendigkeit einer gemeinsamen Beratung sinkt die Gefahr einseitig vorgefasster Beschlüsse und unüberlegter Alleingänge. Ein ebenso wichtiger Vorteil ist die Kontrolle der einzelnen Vorstandsmitglieder untereinander, die die Kontrolle durch den Aufsichtsrat ergänzt.381 Außerdem wird die Arbeitsteilung erleichtert und eine größere Nachfolgekontinuität gewährleistet.382 Diesen üblicherweise genannten Vorteilen lässt
sich hinzufügen, dass das Kollegialprinzip wie oben gezeigt durchaus eine gewisse Personalisierung der Leitung erlaubt.
Demgegenüber wird der Vorzug des Direktorialprinzips vor allem in der höheren Entscheidungseffizienz gesehen, weil nicht alle Mitglieder der Geschäftsfüh-
377 FAZ vom 26.11.2001, S. 18: »Ackermann: Die Deutsche Bank braucht eine starke Spitze«;
FAZ vom 17.01.2002, S. 17: »Der CEO ist in Deutschland überfällig«, Interview mit R.
Berger; Börsenzeitung vom 1.2.2002, S. 18: »Deutsche Bank will mit neuer Führungsstruktur effizienter werden«. Verneinend aber selbst Breuer, FAZ vom 01.02.2002, S. 17:
»Die deutsche Bank erleidet einen kräftigen Gewinneinbruch«. Breuer fordert aber zumindest eine Lockerung des Kollegialpinzips, Frankfurter Runschau vom 11.12.2002, S. 10:
»Breuer schlägt Reform der Unternehmensführung vor«.
378 Rieger, FS Peltzer, S. 339 (348); Gruber/Weller, NZG 2003, 297 (297); Oesterle, ZfO 2003,
199 (206); ders., FAZ vom 02.05.2000, S. 29: »L’entreprise c’est moi«.
379 Bleicher/Paul/Leberl, Unternehmensverfassung und Spitzenorganisation, S. 273 f.
380 Bleicher/Paul/Leberl, Unternehmensverfassung und Spitzenorganisation, S. 31; Fleischer,
NZG 2003, 449 (458).
381 Martens, FS Fleck, S. 191 (201); v. Hein, ZHR 2002, 464 (496).
382 Fleischer, NZG 2003, 449 (458).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Studie analysiert die Personalisierungsmöglichkeiten für eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland. Untersucht werden sowohl die klassische Aktiengesellschaft als auch die seit 2004 mögliche Europäische Aktiengesellschaft (SE).
Ausgangspunkt der Untersuchung ist eine Systematisierung des Kollegialprinzips sowie der bereits im Gesetz angelegten Personalisierungsmöglichkeiten, wie der Vorstandsvorsitzende und der Vorstandssprecher. Sodann wird erörtert, auf welchen Faktoren deren faktische Macht beruht und wo die gesetzlichen Grenzen liegen. Daraus leitet die Autorin ab, ob die bestehenden gesetzlichen Regeln noch angemessen sind.
Darüber hinaus werden die Personalisierungsmöglichkeiten bei einer Europäischen Aktiengesellschaft (mit Sitz in Deutschland) aufgezeigt, und zwar zunächst für eine SE mit dem sogenannten dualistischen Leitungssystem. Für die SE mit monistischem System untersucht die Autorin rechtsvergleichend, inwieweit die Regelungen des deutschen SE-Ausführungsgesetzes bestehenden Corporate Governance-Grundsätzen entsprechen. Außerdem schlägt sie Regelungen über die monistische SE zur Aufnahme im Deutschen Corporate Governance Kodex vor.