24
Es bedarf noch näherer Prüfung, ob die Organisation der Geschäftsführung
zwingend mit einem bestimmten System der Unternehmensverfassung verbunden
ist und ob sich ggf. die Einführung des Direktorialprinzips für den Vorstand empfiehlt. Die weiteren Unterschiede zwischen den beiden Unternehmensverfassungen legen aber den Schluss nahe, dass unabhängig davon den Gestaltungsmöglichkeiten im deutschen Recht und der Annäherung an ausländische Vorbilder
Grenzen gezogen sind, solange hierzulande nur das dualistische System existiert.
C. Die Zukunft: Die Europäische Aktiengesellschaft
Eine allgemeine Einführung des monistischen Systems im deutschen Aktienrecht
wird zur Zeit noch nicht ernsthaft erwogen.16 Seit dem 8. Obtober 2004 steht aber
Unternehmen in Deutschland die Europäischen Gesellschaft (Societas Europaea
– SE) als supranationale Rechtsform offen. Sie ermöglicht erstmals grenzüberschreitende Unternehmenszusammenschlüsse. Da sie über ein in Aktien zerlegtes
Grundkapital verfügt, kann sie treffender als Europäische Aktiengesellschaft bezeichnet werden.17
Die Europäische Aktiengesellschaft beruht auf einer Verordnung18 sowie einer
ergänzenden Richtlinie über die Mitbestimmung,19 auf die sich die Mitgliedsstaaten nach jahrzehntelangen Bemühungen auf dem EU-Gipfel von Nizza 2001 verständigt haben.20 Der deutsche Gesetzgeber hat sie in dem Gesetz zur Einführung
der Europäischen Gesellschaft (SEEG)21 umgesetzt, das sich in das SE-Ausführungsgesetz (SEAG) und das SE-Beteiligungsgesetz (SEBG)22 gliedert. Zwar bildet bereits die Verordnung die Rechtsgrundlage für die SE, sie enthält aber
bestimmte Ermächtigungen für den nationalen Gesetzgeber. Darüber hinaus verlangt die SE-Richtlinie ein entsprechendes Tätigwerden der Mitgliedsstaaten.
16 Dagegen wird auf europäischer Ebene inzwischen empfohlen, dass die Mitgliedsstaaten
den Unternehmen beide Systeme anbieten, vgl. Bericht der Hochrangigen Gruppe von
Experten auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts über moderne gesellschaftsrechtliche
Rahmenbedingungen in Europa vom 04.11.2002 (»Bericht der Hochrangigen Expertengruppe«), S. 63, zurückhaltender dagegen EU-Kommission, Modernising Company
Law and Enhancing Corporate Governance in the European Union – A Plan to Move Forward (»Aktionsplan der EU-Kommission«), COM (2003) 284 final, S. 15.
17 Hommelhoff, AG 2001, 279 (287); Schwarz, ZIP 2001, 1847 (1848).
18 Verordnung (EG) Nr. 2157/2001 des Rates vom 8. Oktober 2001 über das Statut der Europäischen Gesellschaft (SE), veröffentlicht im Abl. EG Nr. L 294 vom 10.11.2001, S. 1 ff.
(im Folgenden »SE-Verordnung« oder »SE-VO« genannt).
19 Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, veröffentlicht im
Abl. EG Nr. L 294 vom 10.11.2001, S. 22 ff. (im Folgenden »SE-RL« genannt).
20 Vgl. Blanquet, ZGR 2002, 20 ff.; Lutter, BB 2002, 1 ff.
21 BGBl 2004, 3675 (3675) – Artikel 1.
22 BGBl 2004, 3675 (3686) – Artikel 2.
25
Für die SE gelten zum einen besondere Gründungsvoraussetzungen,23 zum
anderen ist sie durch eine völlig neue Art der Unternehmensverfassung gekennzeichnet.24 Die SE-Verordnung überlässt nämlich der einzelnen SE die Wahl zwischen dem monistischen und dualistischen System.25 Mit der SE wird daher
Gesellschaften mit Sitz in Deutschland ab 2004 das monistische System eröffnet.
Demzufolge bietet die Europäische Aktiengesellschaft auch ganz neue
Personalisierungsmöglichkeiten, die der deutsche Gesetzgeber bereits bei der
Umsetzung der Verordnung berücksichtigen muss. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt
kann nur darüber spekuliert werden, wie sich nach dem Erlass dieser Regelungen
eine personalisierte Leitung bei der SE in der Praxis darstellen wird. Bei diesen
Überlegungen können jedoch Anregungen aus anderen monistischen Ländern
aufgegriffen werden.
D. Ziel der Arbeit und Vorgehensweise
Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Personalisierungsmöglichkeiten für eine
Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland darzustellen. Untersucht werden daher sowohl die Aktiengesellschaft im Sinne des Aktiengesetzes als auch die ab
2004 mögliche Europäische Aktiengesellschaft. Deren Ausgestaltung durch den
nationalen Gesetzgeber wird unter Corporate Governance-Gesichtspunkten beurteilt.
In Teil 2 wird allein die herkömmliche deutsche Aktiengesellschaft behandelt.
Ausgangspunkt der Untersuchung ist eine Systematisierung der Aussagen des
Kollegialprinzips gem. §§ 76 ff. AktG sowie der bereits im Gesetz angelegten
Personalisierungsmöglichkeiten. Dies betrifft insbesondere die Figur des Vorstandsvorsitzenden und des Vorstandssprechers. Sodann wird erörtert, auf welchen Faktoren die faktische Macht des Vorstandsvorsitzenden bzw. Vorstandssprechers beruht und wo die gesetzlichen Grenzen seiner Vorrangstellung im Einzelnen liegen. Daraus wird abgeleitet, ob die bestehenden gesetzlichen Regeln
noch angemessen oder stattdessen reformbedürftig sind. Hier ist zu berücksichtigen, welche Vorteile das Kollegialprinzip bietet und inwieweit es zwingend
mit dem dualistischen System verknüpft ist.
Danach werden die Personalisierungsmöglichkeiten bei einer Europäischen
Aktiengesellschaft (mit Sitz in Deutschland) aufgezeigt und den bestehenden
Möglichkeiten gegenübergestellt. Schon bei der Untersuchung des dualistischen
Systems in Teil 3 der Arbeit können sich Unterschiede gegenüber der deutschen
AG zeigen, falls die Regelungen der SE-Verordnung und des SE-Ausführungsgesetzes von denen des Aktiengesetzes abweichen. Vor allem die in Teil 4 behandelte monistische SE eröffnet einen gänzlich neuen Gestaltungsspielraum, der
23 Art. 2 SE-VO.
24 Hommelhoff, AG 2001, 279 (283); Hirte, NZG 2002, 1 (5); Kallmeyer, ZIP 2003, 1531.
Für Österreich Artmann, wbl 2002, 189 (190).
25 Art. 38 b i. V. m. Art. 39 Abs. 5, 43 Abs. 4 SE-VO.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Studie analysiert die Personalisierungsmöglichkeiten für eine Aktiengesellschaft mit Sitz in Deutschland. Untersucht werden sowohl die klassische Aktiengesellschaft als auch die seit 2004 mögliche Europäische Aktiengesellschaft (SE).
Ausgangspunkt der Untersuchung ist eine Systematisierung des Kollegialprinzips sowie der bereits im Gesetz angelegten Personalisierungsmöglichkeiten, wie der Vorstandsvorsitzende und der Vorstandssprecher. Sodann wird erörtert, auf welchen Faktoren deren faktische Macht beruht und wo die gesetzlichen Grenzen liegen. Daraus leitet die Autorin ab, ob die bestehenden gesetzlichen Regeln noch angemessen sind.
Darüber hinaus werden die Personalisierungsmöglichkeiten bei einer Europäischen Aktiengesellschaft (mit Sitz in Deutschland) aufgezeigt, und zwar zunächst für eine SE mit dem sogenannten dualistischen Leitungssystem. Für die SE mit monistischem System untersucht die Autorin rechtsvergleichend, inwieweit die Regelungen des deutschen SE-Ausführungsgesetzes bestehenden Corporate Governance-Grundsätzen entsprechen. Außerdem schlägt sie Regelungen über die monistische SE zur Aufnahme im Deutschen Corporate Governance Kodex vor.