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3. Mitverantwortung für Fehlverhalten und Mittäterschaft
Wissenschaftliches Fehlverhalten besteht auch in einem Verhalten, aus dem sich
eine Mitverantwortung für das Fehlverhalten anderer ergibt, dementsprechend ist
insbesondere die aktive Beteiligung am Fehlverhalten anderer, Mitautorenschaft an
fälschungsbehafteten Veröffentlichungen und grobe Vernachlässigung der Aufsichtspflichten als Umstände formuliert, die eine Mitverantwortlichkeit auslösen.
Mitwissen um Fälschungen durch andere
Die häufigsten Fälle in diesem Bereich ranken sich um Autorenschaftsstreitigkeiten, wobei die Mitverantwortung für eine fehlerbehaftete Publikation durch die Nennung als Autor indiziert wird.576 Etwas anderes kann nur gelten, wenn sich aus der
Veröffentlichung ergibt, welcher Autor für welchen Beitragsteil einzelverantwortlich ist.577 Inwieweit darüber hinaus ein eigenes Verschulden für die Haftbarkeit
verlangt werden muss, ist fraglich.
Der Katalog der Mitverantwortungsfälle wird zum Teil um den Tatbestand des
Mitwissens um Fälschungen durch andere ergänzt.578 Die Mitwisserschaft zum wissenschaftlichen Fehlverhalten zu erheben, wirft nicht nur insoweit Bedenken als
dass ein Handlungsbeitrag des Mittäters anders als im Strafrecht vollständig entfallen kann. Es wird auch eine doppelte Vagheit in den Beurteilungsmaßstab einstellt,
sobald nicht nur das Fehlverhalten selbst in Zweifel steht sondern auch die Kenntnis
noch nicht ausgereift ist, sich eher auf eine zufällige Verdichtung von Anhaltspunkten oder Vermutungen beschränkt. Der wohl gewünschte Effekt einer aufmerksamen
Kommunikation über Unregelmäßigkeiten kann sich auch ins Gegenteil verkehren.
F. Die Ausgestaltung der Fehlverhaltensverfahren vor den Gremien der
Forschungseinrichtungen
Auf der Grundlage tatsächlicher Erhebungen, mit denen freilich kein Anspruch auf
Vollständigkeit oder Repräsentativität im statistischen Sinne verbunden ist, werden
die in den Forschungseinrichtungen implementiertem Verfahrens nach inhaltlichem
Zusammenhang und Detailregelungsgegenständen veranschaulicht und – wo dies
erforderlich ist – um rechtlich dogmatische Gesichtspunkte oder eine Rückkopplung
zu den bisherigen Befunden ergänzt. In der Grundstruktur sind die Abläufe ähnlich,
und werden daher empirisch gebündelt dargestellt. Nur punktuell weisen einige
576 Großmann/Trute, Physik Journal Bd. 2 (2003), S. 3. Siehe auch Albert/Wagner, in: Danish
Research Agency (Hrsg.), 2003 Annual Report, The Danish Committees on Scientific Dishonesty, S. 9.
577 Kuhn, in: DFG und Ombudsman der DFG (Hrsg.), Wissenschaftliches Fehlverhalten – Erfahrungen von Ombudsgremien, S. 13 (17).
578 MPG, Verfahrensordnung bei Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten, beschlossen
vom Senat der MPG am 14.11.1997, geändert am 24.11.2000, Anlage 1 (Katalog von Verhaltensweisen, die als wissenschaftliches Fehlverhalten anzusehen sind).
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Einrichtungstypen und einzelne Institutionen Divergenzen auf, die im jeweiligen
Zusammenhang aufgegriffen werden. Das Augenmerk liegt auf der Aufklärung von
Verdachtsfällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens. Für den Ablauf der vielfach von
Ombudsmännern wahrgenommene Beratungs- und Vermittlungstätigkeit im Vorfeld
solcher Verfahren oder im Bereich von Fragen guter wissenschaftlicher Praxis existieren mit Ausnahme der im Anschluss berücksichtigten Verfahrensgrundsätze des
Ombudsmans der DFG579 kaum fixierte Verfahrensregeln.
I. Anwendbares Verfahrensrecht
Die inhaltliche Ausgestaltung institutsinterner Verfahren folgt den vorgestellten
einrichtungsinternen Verfahrensordnungen. Gesetzlich verfasste Verfahrensordnungen, namentlich etwa das VwVfG, die Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder
oder die Disziplinarordnungen, üben ungeachtet der Unterschiede zwischen den
privatrechtlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen, und Verfahrensgrundlagen
nur begrenzt Einfluss auf die Fehlverhaltensverfahren aus. Will man die direkte
Anwendbarkeit des VwVfG auf die Handlungen der Gremien in den öffentlichrechtlichen Hochschulen und Ressortforschungseinrichtungen nicht schon aufgrund
der fehlenden Behördeneigenschaft der Senats bzw. Hochschulleitungskommissionen gemäß § 1 Abs. 4 VwVfG verneinen580, weil es an der Wahrnehmung von Aufgaben der öffentlichen Verwaltung sowie einer gewissen Außenwirkung des Handelns in eigener Zuständigkeit und in eigenem Namen fehlt581 – die Verfahrensgremien dieser Einrichtungen sind intern beratende Selbstkontrollorgane, wird man
jedenfalls den Verwaltungsaktcharakter der Gremienentscheidungen mangels Regelungs- und Außenwirkung in Zweifel ziehen müssen582. Hinsichtlich der Einzelhei-
579 Vgl. unten 4. Teil, G. I., S. 413 ff.
580 Hartmann, Grundsätze guter wissenschaftlicher Praxis unter qualitätssicherungs- und rechtsfolgenbezogenem Blickwinkel, S. 253 nimmt die Behördeneigenschaft bedenkenlos allein
aufgrund der institutionellen Verselbständigung der Verfahrensgremien als von der jeweiligen personellen Besetzung unabhängigen Verwaltungseinheiten an.
581 Die Tätigkeit muss nach außen gerichtet sein, darf insbesondere nicht nur der internen Willensbildung dienen. Zu den Anforderungen an den Behördenbegriff vgl. OVG Münster
NVwZ, S. 609; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 1 Rn. 51 ff. (52); Obermeyer, VwVfG, § 1
Rn. 76 ff. (82). Keine Behörden sind dementsprechend in eine Behörde eingegliederte Ausschüsse, beispielsweise Prüfungsausschüsse oder beratende Ausschüsse öffentlich-rechtlicher Forschungsinstitute vgl. Stelkens/Schmitz, in: Stelkens/Bonk/Sachs (Hrsg.), VwVfG, § 1
Rn. 24 ff., 228.
582 Verwaltungsverfahren im Sinne des VwVfG ist die nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden, die auf die Prüfung der Voraussetzungen, die Vorbereitung und den Erlass eines
Verwaltungsakts oder den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages gerichtet ist, § 9
VwVfG. Dazu Pünder, in: Erichsen/Ehlers (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, § 13
Rn. 1 ff.
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ten sei auf die späteren Ausführungen zum Charakter der Gremienentscheidung
verwiesen.583
Eine direkte Anwendbarkeit des VwVfG greift nur wenigen Einzelfällen Platz
greifen, wenn die Verfahrensordnung einem Gremium die Kompetenz zur abschlie-
ßenden Regelung eines aufgeklärten Fehlverhaltensfalles zubilligt. Hinsichtlich aller
Verfahrensgestaltungen mit schwächer ausgeprägten Außenbezug der Ausschussfeststellungen entfalten die wichtigsten Verfahrensregelungen im verwaltungsinternen Bereich als Konkretisierungen der Amtspflichten in verwaltungsinternen Verfahren, bei quasi-verwaltungsprivatrechtlichem Handeln vereins- oder gesellschaftsinterner Entscheidungsgremien als Ausdruck allgemeiner Rechtsgedanken mittelbare Wirkung.584 Letztlich bedarf es einer ergänzenden Heranziehung der Verwaltungsverfahrensvorschriften regelmäßig nicht, da die rechtsstaatlich besonders sensiblen grundlegenden Verfahrensgrundsätze sowohl in die Verfahrensordnungen
öffentlich-rechtlicher als auch privatrechtlicher Einrichtungen Eingang gefunden
haben.
II. Allgemeine Verfahrensgrundsätze und Charakteristika
1. Mehrstufigkeit des Verfahrens
Die Verfahren der Institutionen des deutschen Wissenschaftssystems weisen im
Prinzip eine dreistufige Ablaufstruktur auf. Sie lassen sich in ein Voruntersuchungsverfahren – auch Vorprüfungsverfahren genannt, ein förmliches Untersuchungsverfahren sowie eine daran anschließende Stufe der institutsinternen Entscheidung über
das Vorliegen wissenschaftlichen Fehlverhaltens und das weitere Vorgehen unterteilen. Für die Voruntersuchung sind in einigen Forschungseinrichtungen die Ombudsleute oder Personen in Leitungsfunktionen zuständig, in anderen wiederum ist es die
Untersuchungskommission, die gleichfalls für die anschließende förmliche Untersuchung verantwortlich ist.585 Demzufolge greift eine stringente übergeordnete Aufgabentrennung – wie sie in Amerika praktiziert wird – in deutschen Forschungseinrichtungen nicht Platz. Verantwortlich für die Entscheidung auf Grundlage der Ergebnisse der Untersuchungskommission ist grundsätzlich ein leitendes Organ der
jeweiligen Einrichtung.
583 Vgl. unten 4. Teil, F. VI., S. 410.
584 Schulze-Fielitz, WissR Bd. 37 (2004), S. 100 (112).
585 Vgl. dazu 4. Teil, F. V. 1., S. 401 f.
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References
Zusammenfassung
Wissenschaftliches Fehlverhalten ist kein neuartiges, aber ein in Deutschland lange unbeachtetes Phänomen. Die Autorin vergleicht verschiedene nationale Standards und Verfahrensmodelle des Umgangs mit wissenschaftlichem Fehlverhalten und erkennt Tendenzen einer allgegenwärtigen zunehmenden Verkomplizierung und zugleich Internationalisierung von Regulierungssystemen in diesem Bereich.