253
welche die Beschwerde vor den DCSD ein größeres Risiko bedeuten würde. Der
Grundsatz der Vertraulichkeit gewährleistet zudem, dass während des Verfahrens
nur Parteiöffentlichkeit herrscht.440 Der Gefahr, dass der Name des Informanten mit
einer Beschwerde in Verbindung gebracht wird, die sich von vornherein, etwa wegen Unzuständigkeit der DCSD oder fehlende Beteiligteneigenschaft des Beschwerdeführers, als unzulässig erweist, kann durch vorheriges informelles Ansprechen
eines Komiteemitgliedes begegnet werden.441 So kann der Informant verhindern,
wegen eines in der Sache ergebnislosen Verfahrens als Denunziant angesehen zu
werden.
2. Hinzuziehung von Rechtsbeiständen
Obwohl das Verfahren in seiner Ausgestaltung und mit einem Richter an der Spitze
der Fachkomitees so angelegt ist, dass die Beteiligten einer anwaltlichen Beratung
nach Auffassung der DCSD nicht bedürfen, berechtigt § 10 VO-DCSD die Beteiligten eines Untersuchungsverfahrens vor den DCSD, sich während der Verfahrensdurchführung eines Rechtsbeistandes zu bedienen.
V. Ablauf des Untersuchungsverfahrens
Das Verfahren zur Aufklärung wissenschaftlicher Unredlichkeit vor den DCSD
gliedert sich in drei grobe Schritte. Es beginnt mit der Einleitung und der Vorprüfung durch den Vorsitzenden und das zuständige Fachkomitee. Hieran schließt sich
die eigentliche Untersuchung des Fachkomitees an. Das Verfahren endet mit der
Entscheidung des Komitees.
1. Einleitung und Vorprüfung durch den Vorsitzenden und das fachlich zuständige
DCSD
Nach Erhalt einer Beschwerde quittiert das Sekretariat der DCSD bei der zentralen
Forschungsbehörde (Forsknings- og Innovationsstyrelsen) deren Eingang und teilt
dem Beschwerdeführer den Verfahrensablauf vor den DCSD mit.442 Gleichzeitig
wird dem gemeinsamen Vorsitzenden der drei Komitees die Beschwerde zur Vorprüfung übermittelt, vgl. § 8 Abs. 2 GO-DCSD.
440 Vgl. auch oben 3. Teil, F. II. 3., S. 232 ff.
441 Brydensholt, in: The Danish Research Councils (Hrsg.), The Danish Commitee on Scientific
Dishonesty, Annual Report 1994, S. 11 (18) im Hinblick auf das frühere rein medizinische
Fachkomitee.
442 In der Regel wird dem Beschwerdeführer zu diesem Zeitpunkt auch die vertrauliche Behandlung des Falles nahegelegt.
254
Diesem stehen drei Optionen zur weiteren Behandlung des Falles zur Verfügung.
Gelangt der Vorsitzende zu der Auffassung, dass die vorgebrachten Vorwürfe einer
Prüfung in der Sache unterzogen werden sollten, wird die Beschwerde dem Beschuldigten mit der Bitte um Stellungnahme weitergeleitet.443 Das zuständige Fachkomitee übernimmt den Fall.444 Ist eine Zuordnung zu einem Komitee aufgrund der
Interdisziplinarität des Forschungsansatzes nicht eindeutig möglich, kommt auch die
Behandlung durch zwei oder gar alle drei Komitees in Betracht.445
Besteht keine Veranlassung für eine Begutachtung des Falles in der Sache durch
eines der Fachkomitees, weil die Beschwerde offensichtlich nicht in den Zuständigkeitsbereich der Komitees fällt, offensichtlich unbegründet ist oder die Kosten einer
Begutachtung des Falles im Verhältnis zu seiner Bedeutung unverhältnismäßig hoch
sind (§ 4 Abs. 3 VO-DCSD), kann der Vorsitzende gemäß § 7 Abs. 2 S. 2 GO-
DCSD selbständig die sofortige Zurückweisung der Beschwerde beschließen. Anschließend muss die Zurückweisungsentscheidung durch das zuständige Fachkomitee genehmigt werden.446 Ist es lediglich unwahrscheinlich, dass der Beschwerde
stattgegeben wird, präsentiert der Vorsitzende die Beschwerde zunächst dem zuständigen Fachkomitee zur Entscheidung, bevor nach § 7 Abs. 2 S. 1 GO-DCSD
gegebenenfalls die Zurückweisung durch den Vorsitzenden erfolgt.447 Richtet sich
die Beschwerde gegen eine Gruppe von Personen, wird die Entscheidung über die
Annahme oder Zurückweisung des Falles von demjenigen Fachkomitee getroffen, in
dessen Zuständigkeitsbereich das wissenschaftliche Produkt fällt. Sollte sich insoweit keine eindeutige Zuordenbarkeit feststellen lassen, trifft der gemeinsame Vorsitzende die Vorabentscheidung selbständig, § 8 Abs. 4 VO-DCSD.
Scheidet eine Zurückweisung aus, wird die Beschwerde dem Beschuldigten über
das Sekretariat zur Anhörung zugeleitet.448 Das zuständige Fachkomitee übernimmt
die weitere Behandlung des Falles. Im Fall der Zurückweisung wird der Beschuldigte von der Beschwerde unterrichtet und erhält eine Ausfertigung der Zurückweisung,
vgl. § 8 Abs. 4 GO-DCSD.
443 The Danish Committees on Scientific Dishonesty, The Danish Committees on Scientific Dishonesty, Annual Report 1999, S. 22.
444 § 8 Abs. 1 u. 2 VO-DCSD (Bekendgørelse nr. 668 af 28. juni 2005 om Udvalgene vedrørende
Videnskabelig Uredelighed, § 8 Stk. 1, 2) bestimmen, dass der Vorsitzende die eingehenden
Beschwerden an die Einzelkomitees verteilt und diese dann über die Zurückweisung oder die
weitere Behandlung des Falles entscheiden. Die Vorprüfung durch den Vorsitzenden ist dort
nicht explizit erwähnt, wird aber praktiziert und hat in § 7 Abs. 2 GO-DCSD Niederschlag
gefunden.
445 Vgl. oben Zuständigkeit 3. Teil, F. III. 3., S. 245 f.
446 Der Sekretariatsentwurf der schriftlichen Zurückweisung wir dem zuständigen Fachkomitee
vorab zur Genehmigung zugeleitet, vgl. § 8 Abs. 4, S. 1 GO-DCSD.
447 The Danish Committees on Scientific Dishonesty, The Danish Committees on Scientific
Dishonesty, Annual Report 1999, S. 22.
448 Bei dieser Gelegenheit wird der Betroffene ebenfalls über den Ablauf des Verfahrens vor den
DCSD informiert und ersucht, den Fall vertraulich zu behandeln.
255
2. Untersuchung der Fälle in den DCSD
Die einzelnen Fachkomitees untersuchen die zu ihrem fachlichen Zuständigkeitsbereich gehörenden Fälle nach der Zuweisungsentscheidung in der Regel selbständig
ohne Beteiligung von Mitgliedern der anderen Fachkomitees.449 Sie sind verantwortlich für die Beibringung aller verfahrensrelevanten Informationen.450 Zu diesem
Zweck können sie sich entweder auf die Anhörung der Beteiligten beschränken oder
ein Ad-hoc-Komitee („ad-hoc udvalget“) einberufen. Die Fachkomitees bereiten die
anhängigen Fälle in internen Sitzungen vor.
a) Anhörung der Verfahrensbeteiligten
Die Anhörung der Verfahrensbeteiligten erfolgt schriftlich und richtet sich nach dem
oben beschriebenen Kontradiktionsprinzip.451 Zunächst erhält in der Regel der Betroffene Gelegenheit, sich zu dem Vorwurf wissenschaftlicher Unredlichkeit zu
äußern. Soweit dieser das Verfahren selbst eingeleitet hat, muss das zuständige Komitee eine schriftliche Stellungnahme des Betroffen mit allen für die Begutachtung
des Falles erforderlichen Informationen einholen.452 Wo die Beschwerden eine
Gruppe von Personen betrifft, ist das zuständige Komitee verpflichtet, Informationen über die Beiträge der individuellen Personen zu dem betroffenen wissenschaftlichen Produkt zu erfragen.453
Anschließend wird die Stellungnahme des Betroffenen dem Beschwerdeführer
zugeleitet. Dieser erwidert in einem dritten Schritt auf das Vorbringen des Betroffenen. Das Anhörungsverfahren schließt in der Regel mit der neuerlichen Erwiderung
des Betroffenen.454 Die Schriftsätze der Beteiligten werden jeweils sämtlichen Komiteemitgliedern zugeleitet. Eine mündliche Anhörung der Beteiligten vor dem
zuständigen Fachkomitee findet nur in Ausnahmefällen statt, wenn die Umstände
des Einzelfalls dies nahe legen.455
449 Bisher einmalig in der Geschichte der DCSD ist die im Fall Lomborg praktizierte gemeinsame Untersuchung eines Falles durch alle drei Komitees.
450 Vgl. § 12 Abs. 1 VO-DCSD (Bekendgørelse nr. 668 af 28. juni 2005 om Udvalgene vedrøren
de Videnskabelig Uredelighed, § 12 Stk. 1) und § 4 Abs. 1 GO-DCSD (Forretningsorden for
Udvalgene Vedrørende Videnskabelig Uredelighed, § 4 Stk. 1) sowie die Ausführungen zur
Geltung des Untersuchungsgrundsatzes, oben unter 3. Teil, F. II. 2., S. 230 ff.
451 Vgl. oben 3. Teil, F. II. 1., S. 229 f.
452 Vgl. § 12 Abs. 3 VO-DCSD (Bekendgørelse nr. 668 af 28. juni 2005 om Udvalgene vedrørende Videnskabelig Uredelighed, § 12 Stk. 3).
453 Vgl. § 12 Abs. 4 VO-DCSD (Bekendgørelse nr. 668 af 28. juni 2005 om Udvalgene vedrøren-de Videnskabelig Uredelighed, § 12 Stk. 4).
454 The Danish Committees on Scientific Dishonesty, The Danish Committees on Scientific Dishonesty, Annual Report 1999, S. 22.
455 Der Vorsitzende ist berechtigt, über die Durchführung einer mündlichen Anhörung zu bestimmen, vgl. § 7 Abs. 4 GO-DCSD.
256
b) Einsatz und Tätigkeit von Ad-hoc-Komitees und Unterkomitees
Ein Ad-hoc-Komitee wird zum einen eingesetzt, wenn ein Fall einer weiteren Aufklärung, beispielsweise durch Befragung der Beteiligten oder anderer Personen, die
Besichtigung von Örtlichkeiten oder etwa einer Sachverständigenbewertung, bedarf.
Zum anderen kommt die Einsetzung eines Ad-hoc Komitees bei Fällen in Betracht,
in denen es zusätzlichen Sachverstandes in Forschungsdisziplinen bedarf, die auch
durch die Erweiterung der Mitgliederanzahl in den Komitees nicht abgedeckt werden.456
Die Ad-hoc-Komitees werden je nach den Bedürfnissen des Verfahrens in der
Regel aus einem oder mehreren Mitgliedern oder Ersatzmitgliedern der DCSD sowie einem oder mehreren externen Sachverständigen gebildet. Die Beteiligten des
Verfahrens werden über die Zusammensetzung des Ad-hoc-Komitees informiert und
können hierzu innerhalb von zwei Wochen eine Stellungnahme abgeben.457 In welchem Umfang auf diese Stellungnahmen, etwa durch nachträgliche Änderung der
Zusammensetzung eines Ad-hoc-Komitees, durch die DCSD reagiert wird, ist nicht
festgelegt und obliegt daher der Entscheidung der DCSD.458
Die neuen Tatsachen oder Gesichtspunkte, die aus der Arbeit der Komitees hervorgehen, werden in einem Gutachten zusammengefasst und den Beteiligten zur
Einsicht zugesandt, damit diese die Richtigkeit der darin niedergelegten Tatsacheninformationen bestätigen. Soweit dem Ad-hoc-Komitee externe Sachverständige
angehören, ist eine erneute Anhörung der Beteiligten im Hinblick auf die mit dem
Gutachten festgehaltenen Tatsachen obligatorisch.459 Etwaige Kritikpunkte sollen
gegenüber dem Ad-hoc-Komitee vorgebracht werden. Anschließend haben wiederum die Expertenmitglieder des Ad-hoc-Komitees Gelegenheit, zur Ergänzung. Das
Gutachten wird den Mitgliedern des zuständigen Fachkomitees nach Abschluss
dieses Verfahrensabschnittes samt der nachträglichen Ergänzungen zugeleitet.460 Es
nimmt nicht die endgültige Entscheidung des Komitees vorweg. Das Gutachten
einschließlich der Anmerkungen der Beteiligten und der nachträglichen Ergänzungen des Ad-hoc-Komitees stellt jedoch einen Teil der Entscheidungsgrundlage der
DCSD dar.461
456 Vgl. dazu oben 3. Teil, D. III. 1. a), S. 204 f.
457 § 11 Abs. 1 VO-DCSD (Bekendgørelse nr. 668 af 28. juni 2005 om Udvalgene vedrørende
Videnskabelig Uredelighed, § 11 Stk. 1) und § 4 Abs. 3 GO-DCSD (Forretningsorden for
Udvalgene Vedrørende Videnskabelig Uredelighed, § 4 Stk. 3).
458 Nach Auskunft des Sekretariats der DCSD (Hanne Koktvedgaard) kann beispielsweise das
Bestehen eines Interessenkonflikts dazu führen, dass Fachleute zurückgewiesen werden. Die
Beteiligten sind nicht berechtigt, selbst Mitglieder der Ad-hoc-Komitees zu benennen.
459 § 11 Abs. 2 VO-DCSD (Bekendgørelse nr. 668 af 28. juni 2005 om Udvalgene vedrørende
Videnskabelig Uredelighed, § 11 Stk. 2).
460 Vgl. § 4 Abs. 4 GO-DCSD (Forretningsorden for Udvalgene Vedrørende Videnskabelig Uredelighed, § 4 Stk. 4) und The Danish Committees on Scientific Dishonesty, The Danish Committees on Scientific Dishonesty, Annual Report 1999, S. 23.
461 § 4 Abs. 4 GO-DCSD (Forretningsorden for Udvalgene Vedrørende Videnskabelig Uredelighed, § 4 Stk. 4).
257
Von den Ad-hoc-Komitees sind bisweilen eingesetzte so genannte Unterkomitees
oder Arbeitsgruppen eines Fachkomitees zu unterscheiden, die allein mit Mitgliedern oder Ersatzmitgliedern der DCSD besetzt sind. Diese intern fallbezogen eingesetzten Unterkomitees übernehmen verfahrensvorbereitende Sekretariatsaufgaben,
führen aber nicht selbst Tatsachenaufklärung durch und fertigen kein Gutachten
an. 462
c) Sitzungen der Komitees
Die einzelnen Fachkomitees führen nach Bedarf Sitzungen zur Behandlung der
anhängigen Fälle durch. Die Ladung der Mitglieder soll zwei Wochen im Voraus
unter Bekanntgabe der zu beratenden Fälle erfolgen.463
3. Entscheidung des zuständigen DCSD
Die Entscheidung des zuständigen Fachkomitees schließt sich entweder an die
wechselseitige Anhörung der Parteien oder die Untersuchungstätigkeit eines Adhoc-Komitees an.
a) Schriftliche Stellungnahme
Nach Abschluss der Untersuchungen fertigt das Fachkomitee gemäß § 13 Abs. 1
VO-DCSD einen schriftlichen Bericht mit einer begründeten Stellungnahme zu der
Beschwerde an. Dieser soll die dem Fall zugrunde liegenden Tatsachen, die Stellungnahmen der Beteiligten, die maßgeblichen Erwägungen des zuständigen Komitees, das voraussichtliche Verfahrensergebnis sowie die Anzahl der Mitglieder, die
die Entscheidung stützen, enthalten. Zu diesem Bericht werden die Parteien im Sinne des Kontradiktionsprinzips regelmäßig erneut angehört und können Einwände
geltend machen, bevor die endgültige Beschlussfassung erfolgt. Ist die Feststellung
wissenschaftlicher Unredlichkeit beabsichtigt, so ist diese erneute Anhörung des
Betroffenen obligatorisch und dient als letzte Gelegenheit, die Entscheidung zu
beeinflussen und etwaige Missverständnisse auszuräumen.464
462 So die DCSD auf Befragung des Ministeriums zum Fall Lomborrg, Entscheidung des dänischen Ministeriums für Wissenschaft, Technologie und Entwicklung im Fall Lomborg vom
17. Dezember 2003, erhältlich unter, S. 54 f.
463 § 10 GO-DCSD (Forretningsorden for Udvalgene Vedrørende Videnskabelig Uredelighed,
§ 10).
464 Waaben, in: Danish Agency for Science Technology and Innovation (Hrsg.), Annual Report
2005, The Danish Committees on Scientific Dishonesty, S. 16 (18).
258
b) Beschlussfassung
Soweit möglich, soll gemäß § 9 Abs. 3 S. 1 VO-DCSD unter den Mitgliedern der
Fachkomitees über die abschließende Bewertung der Fälle einstimmig entschieden
werden. Das Quorum ist erreicht, wenn der Vorsitzende und vier Mitglieder eines
Fachkomitees bzw. – im Falle der Verhinderung einzelner Mitglieder – eine entsprechende Anzahl von Vertretern anwesend sind.465
§ 9 Abs. 2 VO-DCSD bestimmt für gemeinsame Entscheidungen mehrerer Komitees, dass Beschlussfähigkeit nur dann vorliegt, wenn der Vorsitzende sowie von
jedem Einzelkomitee mindestens vier Mitglieder (oder Vertreter) anwesend sind.
Kann kein Konsens unter den Abstimmenden erzielt werden, so wird durch einfache Stimmenmehrheit entschieden, § 9 Abs. 3 S. 2 VO-DCSD. Auf Ersuchen eines
Komiteemitgliedes, dessen Auffassung der Mehrheitsentscheidung widerspricht,
muss dessen abweichendes Votum in die schriftliche Stellungnahme/Entscheidung
aufgenommen werden, vgl. § 13 Abs. 2 VO-DCSD.
c) Verbindliche Regelungswirkung und Rechtsnatur der Entscheidung
Innerhalb der Handlungsformen der dänischen Verwaltung wird zwischen tatsächlichen Handlungen der Verwaltung (faktisk forvaltning) und solchen Maßnahmen
unterschieden, die auf eine bindende Regelung eines Sachverhalts gegenüber dem
Bürger gerichtet sind.466 Letztere werden als „afgørelser“ (Regelungen oder Entscheidungen) bezeichnet. Die Anwendbarkeit des dänischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (Forvaltningslov) (dän. VwVfG) ist mit dem Begriff der „afgørelse“
verknüpft, vgl. § 2 Abs. 1 dän. VwVfG.467 Ausschließlich auf sogenannte „afgørelsessager“, gemeint sind Verfahren, die auf den Erlass einer verbindlichen Regelung
gegenüber Bürgern gerichtet sind, finden die Regeln des Verwaltungsverfahrensgesetzes (Forvaltningslov) Anwendung468, wenn diese nicht, wie für das Verfahren vor
den DCSD, durch gesetzestechnische Bezugnahme eingebunden werden469. Man
465 Entgegen dem Wortlaut in § 9 Abs. 1 VO-DCSD „til stede“ (Bekendtgørelse nr. 668 af
28. juni 2005, § 9 Stk. 1) ermöglicht die Geschäftsordnung der DCSD (Forretningsorden for
Udvalgene Vedrørende Videnskabelig Uredelighed in § 7 Abs. 3 eine schriftliche Abstimmung, wo diese Verfahrensweise unbedenklich erscheint. Der Regelfall soll jedoch die mündliche Abstimmung im Rahmen der Sitzung der Einzelkomitees sein, vgl. § 6 Abs. 1 GO-
DCSD.
466 Jensen/Vesterdorf/Vogter, Forvaltningsloven, § 2, S. 37 ff.
467 § 2 Abs. 1 dän. VwVfG: „Loven gælder for behandlingen af sager, hvori der er eller vil blive
truffet afgørelse af en forvaltningsmyndighed.“
468 Vogter, Forvaltningsloven med kommentarer, § 2, S. 51 f.; vgl. auch die Richtlinie des Justizministeriums zum Verwaltungsverfahrensgesetz (vejledning om forvaltningsloven), Punkt
10 sowie die Vorarbeiten zum Erlass des Verwaltungsverfahrensgesetzes, Folketingstidene
1985/86, tillæg A, sp. 115.
469 Vgl. oben 3. Teil, F. I., S. 228 ff.
259
unterscheidet konkrete und generelle „afgørelser“.470 Generelle afgørelser liegen bei
Erlass abstrakt genereller Rechtsvorschriften vor.471 Konkrete afgørelser, auf welche
das dänische Verwaltungsgesetz (Forvaltningslov) in § 2 Abs. 1 durch den Ausdruck
„truffet afgørelse“ vornehmlich Bezug nimmt472, sind Rechtsakte, die gegenüber
einer bestimmten Person oder einem näher bestimmbaren Personenkreis erlassen
werden. Sie werden ebenso wie im deutschen Recht als Verwaltungsakte (forvaltningsakter) bezeichnet. Ein „forvaltningsakt“ beinhaltet definitionsgemäß eine
einseitige konkrete Regelung seitens der Verwaltung, die verbindlich festlegt, was
im Hinblick auf einen bestimmten Sachverhalt Recht sein soll.473
Folgt man dieser herkömmlichen Betrachtungsweise, handelt es sich bei den Entscheidungen der DCSD nicht um „forvaltningsakter“ bzw. „afgørelser“ im Sinne
des § 2 Abs. 1 des dänischen Verwaltungsverfahrensgesetzes (Forvaltningslov), da
die Entscheidungen der DCSD unabhängig von ihrem konkreten Inhalt eines nach
traditionellem Verständnis der „afgørelse“ notwendigen rechtlich verbindlichen
Regelungsgehalts entbehren.474 Dies wird zum einen aus der gesetzlichen Formulierung der Sanktionskompetenzen der DCSD in § 31 Abs. 2 RiFG geschlossen, wonach die Komitees nur informative und empfehlende Kompetenzen haben.475 Zum
anderen war das Untersuchungsverfahren vor den DCSD von Beginn an darauf
ausgerichtet, einfache unverbindliche Feststellungen bzw. Äußerungen über bestimmte Forschungshandlungen zu treffen.476
Nach neuerem Verständnis wird der Begriff der „afgørelse“ teilweise auf Verwaltungshandlungen ausgedehnt, die zwar keine verbindliche Regelungswirkung
entfalten, jedoch einen besonderen Eingriffscharakter aufweisen, mithin eine stark
belastende Wirkung für den betroffenen Bürger erzeugen.477 Diese Ausdehnung
470 Jensen/Vesterdorf/Vogter, Forvaltningsloven, § 2, S. 37 ff.
471 Jensen/Vesterdorf/Vogter, Forvaltningsloven, § 2, S. 40.
472 Richtlinie des Justizministeriums zum Verwaltungsverfahrensgesetz (vejledning om forvaltningsloven), Punkt 10.
473 Albæk Jensen/Hansen Jensen, Grundlæggende Forvaltningsret, S. 60; zu den einzelnen Voraussetzungen eines „forvaltningsaktes“ vergleiche auch Andersen, Forvaltningsret, S. 18 f.
474 Zahle, Ugeskrift for Retsvæsen (UfR) Nr. 9 2003, Litterær afdeling, S. 91 (99); a.A.: Pagh,
DJØFbladet Nr. 3, 2003, verfügbar unter Pagh, DJØFbladet Nr. 3, 2003, verfügbar unter http:
//www.djoef.dk/online/view_artikel?ID=1132 &attr_folder=F (15.5.2007), der wegen der in
§ 12 Abs. 1 VO-DCSD angeordneten Anwendbarkeit des Verwaltungsverfahrensgesetzes
(Forvaltningslov) automatisch auf den Verwaltungsaktcharakter der Entscheidungen der
DCSD schließen will.
475 So Zahle, Ugeskrift for Retsvæsen (UfR) Nr. 9 2003, Litterær afdeling, S. 91 (97) unter
Bezugnahme auf den nahezu gleichlautenden § 6 VO-DCSD, insbesondere die dortigen Formulierungen „orientere“ (informieren), „henstille“ (empfehlen), und „anmelde“ (anzeigen).
476 Vgl. die Empfehlungen der Arbeitsgruppe des Dänischen Medizinischen Forschungsrates,
Andersen/Attrup/Axelsen/Riis, Scientific Dishonesty and Good Scientific Practice, S. 79 f.
sowie zum unverbindlichen Charakter der Feststellungen des früheren medizinischen Einzelkomitees oben 3. Teil, C. II. 4., S. 185 f.
477 FOB 1992 S. 296 und FOB 1998, S. 284 (296 f.); siehe auch Rønsholdt, Forvaltningsret,
S. 98 f. und Gammeltoft-Hansen, in: Gammeltoft-Hansen/Andersen/Larsen/Loiborg, Forvaltningsret 1994, S. 42 f.
260
wird im Allgemeinen damit begründet, dass der Eingriffscharakter solcher Behördenmaßnahmen eine Anwendung des Verwaltungsverfahrensgesetzes (Forvaltningslov) nahe legt, um die Wahrung der Interessen des betroffenen Bürgers sicherzustellen.478 Daher gäbe es angesichts des für spätere Sanktionen wegweisenden Charakters und der belastenden Wirkung der Äußerungen der DCSD guten Grund, diese
den „afgørelser“ gleichzustellen und damit den verwaltungsrechtlichen Vorschriften zu unterwerfen.479 Diese Beurteilung entspräche einerseits der Tatsache, dass für
die Verfahren vor den DCSD die Geltung des Verwaltungsverfahrensgesetzes (Forvaltningslov) ohnehin angeordnet wird, ist aber andererseits gerade wegen dieser
Verweisung nicht zwingend erforderlich.
G. Rechtsfolgen der Entscheidung – Sanktionierung
Wie bereits oben erwähnt , sind die DCSD als Verfahrensinstitution im Dienste der
Aufklärung wissenschaftlicher Unredlichkeit eingerichtet worden, wohingegen die
Sanktionierung von aufgedeckten Fehlverhaltensweisen in Dänemark im Wesentlichen losgelöst von dem zentralisierten Aufklärungsverfahren durch die betroffenen
sanktionsberechtigten Institutionen stattfindet. Vor der eigentlichen Sanktionierung
bedarf es jedoch – gewissermaßen als Vorstufe – der Formulierung und Übermittlung des Verfahrensergebnisses durch die DCSD, Handlungen, denen für sich betrachtet bereits Sanktionscharakter innewohnt. Im Folgenden sollen diese beiden
aufeinander folgenden „Sanktionsstufen“ beleuchtet werden.
I. Erste „weiche“ Sanktionsmaßnahmen der DCSD
Die DCSD sind durch § 31 Abs. 2 RiFG, § 15 Abs. 1 VO-DCSD im Falle der Feststellung des Vorliegens wissenschaftlicher Unredlichkeit zum Ergreifen folgender
fünf Maßnahmen ermächtigt: Sie können den Arbeitgeber des unredlichen Wissenschaftlers informieren, sofern der Wissenschaftler dort als Forscher beschäftigt ist
(Nr. 1)480, dem Forscher den Widerruf der wissenschaftlichen Arbeit empfehlen
(Nr. 2), die aufsichtsführende Behörde des Bereichs in Kenntnis setzen (Nr. 3) und –
sofern eine strafbare Handlung vorliegt, Anzeige bei der Polizei erstatten (Nr. 4).
Schließlich können sich die DCSD auf Ersuchen der anstellenden Forschungsein-
478 FOB 1992 S. 296 und FOB 1998, S. 284 (296 f.).
479 So auch Zahle, Ugeskrift for Retsvæsen (UfR) Nr. 9 2003, Litterær afdeling, S. 91 (99).
480 Die Einschränkung, dass der Betroffene eine Anstellung als Forscher innehaben muss („hvis
vedkommende er ansat som forsker“), wurde im Hinblick darauf in die gesetzliche Neuregelung aufgenommen, dass die Feststellung wissenschaftlicher Unredlichkeit nur dann relevant
ist, wenn der Inhalt des Arbeitsverhältnisses von einer Forschungstätigkeit bestimmt wird.
Vgl. die Anmerkungen zum Gesetzesentwurf, abgedruckt in Danish Research Agency, Report
on the rules governing research ethics, S. 28.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Wissenschaftliches Fehlverhalten ist kein neuartiges, aber ein in Deutschland lange unbeachtetes Phänomen. Die Autorin vergleicht verschiedene nationale Standards und Verfahrensmodelle des Umgangs mit wissenschaftlichem Fehlverhalten und erkennt Tendenzen einer allgegenwärtigen zunehmenden Verkomplizierung und zugleich Internationalisierung von Regulierungssystemen in diesem Bereich.