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Forscher, die an einer der dänischen Universitäten oder wissenschaftlichen Hochschulen wissenschaftlich tätig sind, trugen früher ein hohes Maß an Eigenverantwortung für ihre Forschungsinhalte und waren in der Auswahl derer weitgehend frei.65
Diese individuelle Freiheit ist jetzt zugunsten einer zentralen strategischen Forschungsplanung und Steuerung eingeschränkt worden.66
II. Verfassungsimmanente Vorgaben für die Verfahrensgestaltung
Die dänische Verfassung enthält keine allgemeinen Garantien über ein rechtsstaatliches Verfahren, welche neben den allein für die Judikative geltenden Bestimmungen
des VI. Kapitels der Verfassung auch auf Verwaltungsverfahren oder außerstaatliche
Verfahren Anwendung finden könnten.67 Auch den verfassungsrechtlich geschützten
Freiheitsrechten wird in Rechtsprechung und Literatur keine Grundrechtsdimension
entnommen, die Maßstäbe für eine den Grundrechtsschutz effektuierende Organisations- und Verfahrensgestaltung setzt.68
III. Fazit
Die verfassungsrechtliche Betrachtung unter Einbezug des einfachgesetzlichen
Grundrechtsschutzes lässt den Schluss zu, dass dem dänischen Gesetzgeber im
Hinblick auf die Einführung und Ausgestaltung eines Verfahrens zum Umgang mit
wissenschaftlichem Fehlverhalten ein weiter Handlungsspielraum zukommt. Der
individuelle Forscher ist vor staatlichen Übergriffen im Wesentlichen nur durch die
verfassungsrechtliche Gewährleistung der Meinungsäußerungsfreiheit geschützt.
Eine Verfassungsdimension, welche die verfahrensrechtliche Ausgestaltung beeinflusst, ist nicht existent.
senschaftliche Mitarbeiter einer Universität bereits zuvor – etwa durch ihren Anstellungsvertrag – in der freien wissenschaftlichen Betätigung beschränkt sind. Øllegaard, Forskerforum 2003 Nr. 163, S. 5; Ein früherer Entwurf enthielt außerdem den zweideutigen Hinweis, dass ein Wissenschaftler sich für den Bereich seiner freien Forschung externe Finanzmittel suchen kann, Rektorkollegiet, Skema: Fra udkast til lovforslag, verfügbar unter: http://
www.rektorkollegiet.dk/typo3conf/ext/naw_securedl/secure.php?u=0&file=fileadmin/user_u
pload/downloads/fra_udkast_til_lov.pdf&t=1172784258&hash=95393956fa5ff0dab9502490
6aa6120 (15.02.2007).
65 An Sektorforschungsinstituten oder in der Forschung privater Unternehmen war der Freiraum
eines Forschers dagegen naturgemäß von je her beschränkt, da dieser mit Forschungsaufträgen aus einem ganz klar vorbestimmten Bereich betraut wird.
66 Søndergaard, Forskerforum, 2003 Nr. 163, S. 2.
67 Germer, Dänemark, in: Grabitz (Hrsg.), Grundrechte in Europa und USA, S. 85 (97).
68 Gralla, Der Grundrechtsschutz in Dänemark, S. 181 ff.
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C. Geschichtliche Entwicklung des Dänischen Verfahrensmodells
Die Einrichtung einer verantwortlichen Institution und eines Verfahrens zum Umgang mit Vorwürfen wissenschaftlichen Fehlverhaltens nahm in Dänemark ihren
Ausgangspunkt im Jahr 1991 mit dem Beginn der Aktivitäten einer Arbeitsgruppe
des Dänischen Medizinischen Forschungsrats (Statens Sundhedsvidenskabelige
Forskningsråd (SSVF)).69 Auf dessen Empfehlung erfolgte Ende 1992 die Einsetzung eines Danish Committee on Scientific Dishonesty (Udvalg Vedrørende Videnskabelig Uredelighed (UVVU))70, das ausschließlich für die medizinischen Forschungsdisziplinen zuständig war.71 Nach einem fünfjährigen Erprobungszeitraum
wurde die Anzahl der Komitees auf drei erweitert und die Zuständigkeit über den
medizinischen Bereich hinaus auf andere Forschungsdisziplinen ausgedehnt.
I. Das Verfahrensmodell der Arbeitsgruppe des Dänischen Medizinischen
Forschungsrats
1. Einsetzung der Arbeitsgruppe
Der Dänische Medizinische Forschungsrat beschloss im März 1991, das Problem
wissenschaftlichen Fehlverhaltens mit der Einsetzung einer unabhängigen sachverständigen Arbeitsgruppe, welche die Ausarbeitung eines Berichts mit Empfehlungen
zur Begegnung wissenschaftlichen Fehlverhaltens ausarbeiten sollte, zu adressieren.72 Die Arbeitsgruppe sollte einerseits Vorschläge für die Prävention gegen wis-
69 Der Dänische Medizinische Forschungsrat war bis zum 1.1.2004 als einer von sechs Forschungsräten, die jeweils unterschiedliche Forschungsdisziplinen abdecken, Teil des dänischen Beratungssystems in Forschungsangelegenheiten, vgl. oben 3. Teil, A. II. 1. b), Fn. 28.
Seine 15 Mitglieder werden durch den dänischen Forschungsminister ernannt. Der Dänische
Medizinische Forschungsrat war mit der Aufgabe der Förderung von Wissenschaft und Forschung auf dem Gebiet der Medizin betraut. In diesem Rahmen war er verantwortlich für die
Vergabe von Fördermitteln, die Beratung des dänischen Parlaments, der Regierung und anderen Einrichtungen in forschungspolitischen und anderen konkret forschungsbezogenen Angelegenheiten. Darüber hinaus lokalisierte er innovative Forschungsziele und trieb diese als unabhängiger Initiator voran.
70 Da die Verwendung der dänische Bezeichnung im deutschen Sprachraum eher unüblich ist,
sich jedoch keine feststehende deutsche Übersetzung eingebürgert hat, soll im Folgenden die
autorisierte englische Bezeichnung des Komitees (bzw. der späteren drei Komitees) Danish
Committee(s) on Scientific Dishonesty (DCSD) verwandt werden.
71 Ein Nachweis in deutscher Sprache findet sich in dem Bericht der DFG, Sicherung guter
wissenschaftlicher Praxis, Denkschrift, S. 39.
72 So die Einleitung des Ergebnisberichts von Andersen/Attrup/Axelsen/Riis, Scientific Dishonesty and Good Scientific Practice, S. 14. (Der Titel der dänischen Fassung lautet: „Videnskabelig uredelighed og god videnskabelig praksis“.) Die Aktivitäten der Arbeitsgruppe
waren – auch wenn dies aus dem Titel ihres Berichts nicht hervorgeht – auf den Bereich der
Gesundheitswissenschaften, im Wesentlichen der Medizin, beschränkt. Die Arbeitsgruppe
setzte sich aus dem amtierenden und dem ehemaligen Präsidenten des Dänischen Medizini-
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References
Zusammenfassung
Wissenschaftliches Fehlverhalten ist kein neuartiges, aber ein in Deutschland lange unbeachtetes Phänomen. Die Autorin vergleicht verschiedene nationale Standards und Verfahrensmodelle des Umgangs mit wissenschaftlichem Fehlverhalten und erkennt Tendenzen einer allgegenwärtigen zunehmenden Verkomplizierung und zugleich Internationalisierung von Regulierungssystemen in diesem Bereich.