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sind6. Finanzielle Gesichtspunkte rücken infolge eines stetig härter werdenden Wettkampfes um öffentliche und private Fördergelder zunehmend in den Vordergrund.7
In erfolgsversprechenden Disziplinen, wird ein gewisser Zwang spürbar, durch die
Suche nach verwertbaren Forschungsergebnissen Anwendungsgebiete ökonomisch
fruchtbar zu machen.8 Diese Aspekte – um nur einige zu nennen – drohen, die ehemals in der Wissenschaft vorhandenen internen Kontrollmechanismen auszuhebeln.
Ein gelungenes Verfahren muss auch diese Ursachen eines missbräuchlichen Verhaltens im Blick behalten. Sie sind Ausgangspunkt einer zunehmenden Verrechtlichung im Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten und können gleichzeitig
der Schlüssel zur Sicherung der wissenschaftseigenen Autonomie sein.
Die Ursachen und das Interessengepräge in Fällen wissenschaftlichen Fehlverhaltens werfen also die Frage nach einem geeigneten Umgang mit derartigem, in
mannigfachen Erscheinungsformen auftretendem Missstand auf. Die Einleitung vorhandener strafrechtlicher, zivilrechtlicher oder dienstrechtlicher Maßnahmen gewährleistet oftmals nicht die erforderlichen Verfahrensmechanismen, um eine zügige und schonende aber nicht bagatellisierende Aufklärung und Sanktionierung zu
erzielen. Diese rechtlichen Reaktionen verfolgen andere Regelungsziele und berücksichtigen die wissenschaftsspezifischen Interessenlagen nicht hinreichend.9 Andererseits sehen sich institutionsinterne Verfahren in Deutschland der Kritik einer drohenden Übernormierung und Beeinträchtigung der grundgesetzlich garantierten Wissenschafts- und Forschungsfreiheit ausgesetzt. Teilweise bestehen Bedenken gegen
eine Wissenschaftlergemeinde, die im Umgang mit eigenen Fehlverhaltensvorwürfen unter Ausschluss der außerwissenschaftlichen Öffentlichkeit agiert.10
B. Rechtliche Problemstellung
Das skizzierte Sachproblem wissenschaftlichen Fehlverhaltens transportiert eine
Reihe von rechtlichen Herausforderungen an die Implementierung wissenschaftseigener Verfahren zum Umgang mit Fehlverhaltensfällen, die übergreifend als Problematik der Einbeziehung privater Akteure in teils staatliche verantwortete Zusam-
6 MPG, Verantwortliches Handeln in der Wissenschaft, Max-Planck-Forum 3, S. 28 f.; Grunwald, Gute wissenschaftliche Praxis: Mehr als die Kehrseite wissenschaftlichen Fehlverhaltens, in: Hanau/Lenze/Löwer/Schiedermair (Hrsg.), Wissenschaftsrecht im Umbruch, Gedächtnisschrift für Hartmut Krüger, 2001 Berlin, S. 127 (135).
7 DFG, Empfehlungen der Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“ veröffentlicht in:
DFG, Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, Denkschrift, S. 28
8 MPG, Verantwortliches Handeln in der Wissenschaft, Max-Planck-Forum 3, S. 30; Trute,
Lug und Trug in den Wissenschaften – rechtliche Regulierung oder Selbststeuerung durch das
Ethos der Wissenschaften, S. 4 f.
9 DFG, Vorschläge zur Empfehlungen der Kommission „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“
veröffentlicht in: DFG, Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis, Denkschrift, Erläuterungen zu Empfehlung 8; Schmidt-Aßmann, NVwZ 1998, 1225 (1228 f.).
10 Stegemann-Boehl, Gegenworte. Zeitschrift für den Disput über Wissen, Heft 2 (1998), S. 20.
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menhänge – oder anders gewendet – als Rezeptionsgebiet privater Normen erfasst
werden können.
Zum einen macht die Bestimmung der Maßstäbe, nach denen Fehlverhalten in der
Forschung zu beurteilen ist, in Deutschland ebenso wie in anderen Staaten die Einbeziehung privater Akteure in Gestalt von Forschungs- oder Forschungsförderungseinrichtungen sowie durch und innerhalb diesen gebildete Spezialgremien notwendig. Schon die Wissensdefizite in den relevanten Forschungsdisziplinen ebenso wie
hinsichtlich der dort geltenden Verhaltensstandards lassen die (alleinige) Verantwortungsübernahme externer nicht in den Wissenschaftskontext eingebundener Institutionen oder aber nur eines Ausschnitts der real existierenden wissenschaftlicher
Einrichtungen ausscheiden. Darüber hinaus führt das Postulat der Selbstorganisation
und Autonomie eines von staatlichen Einflüssen überwiegend abgeschirmten gesellschaftlichen Teilbereichs der Wissenschaft und Forschung zu einer verstärkten Einbindung gesellschaftlicher Akteure in den Prozess der Strukturierung und Koordination von Fehlverhaltensregeln und Verfahren.
Zum anderen ist die internationale Verknüpfung der Materie gleichsam charakteristisch wie relevant für die Gestaltung wissenschaftseigener Standards und Verfahren zum Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten. Hierzu trägt ein zwischen
den einzelnen Vergleichsländern bestehender wechselseitiger Lernprozess nicht unerheblich bei, der durch eine stetige Einspeisung und Anpassung von international
herausgebildeten materiellen Maßstäben und erprobten Verfahrensstrukturen in die
jeweilige vorgegebenen oder in der Entwicklung begriffenen landeseigenen Handlungsstrukturen und Mechanismen vorangetrieben wird und für ein gegenwärtiges
Bild stetiger Weiterentwicklung der Thematik sorgt. Ebenso wenig wie wissenschaftliche Erkenntnis und Wissenschaftsförderung vor den nationalen Grenzen halt
machen, entwickeln sich Maßstäbe und Verfahren zum Umgang mit Fehlverhalten
in einer auf nationale Territorien begrenzen Art und Weise.
Die Folgen dieser Rahmenbedingungen liegen auf der Hand. Es entwickeln sich
im Bereich der Fehlverhaltensbekämpfung in der Wissenschaft zunehmend vielschichtige Kooperationsmechanismen zwischen Staat und Gesellschaft, denen mit
den herkömmlichen Vorstellungen eines dualistischen Regimes von staatlicher Verantwortung einerseits und privater Autonomie andererseits nicht mehr beizukommen
ist. Die Rückführung dessen, was in der kontinuierlich entwickelten Handlungs- und
Maßstabspraxis als Recht anerkannt wird, auf eine zentrale staatliche Instanz ist
unter Einflussnahme von aus den hierarchischen Rechtsproduktions- und Weisungssträngen herausgenommenen Einrichtungen nicht möglich. Vielmehr treten staatliche und private Akteure in mehrschichtigen Beziehungen auf den Plan, um die Regelungsmaterie gleichberechtigt mitzugestalten.
Hieraus ergeben sich unweigerlich Konsequenzen für die Beantwortung der Frage, wie aus der gesellschaftlichen Sphäre stammende Rechtsproduktions- und Organisationsleistungen innerhalb des Staates und seiner Rechtsordnung anzuerkennen
und zu verarbeiten sind. Es handelt sich um verfassungsrechtliche Fragen, die insbesondere die Bestimmung und Gewährleistung des erforderlichen Legitimationslevels
oder etwa die Anforderungen an Gesetzesvorbehalt etc. betreffen.
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Ziel der Arbeit ist es die konträren Rahmenbedingungen, Regelungs- und Koordinierungsansätze für den Umgang mit wissenschaftlichem Fehlverhalten und die
Entwicklung wissenschaftlicher Verhaltensstandards in den drei Vergleichsländern
USA, Dänemark und Deutschland zu untersuchen, diese zu ordnen und für die
deutsche Debatte um die Ordnung teils staatlich teils gesellschaftlich beeinflusster
Teilsysteme sowie die daraus resultierenden Legitimationsfragen fruchtbar zu machen. Damit soll zugleich ein Beitrag zur Fortentwicklung des Wissenschaftsrechts
als Referenzgebiet des allgemeinen Verwaltungsrechts geschaffen werden. Insbesondere die gemeinwohlsichernde Bildung und Implementation von teilweise verrechtlichten teilweise außerrechtlichen Standards wissenschaftlicher Praxis in dem
zum Teil verfassungsrechtlich gestützten wissenschaftlichen Autonomiebereich und
die Verzahnung von öffentlichen und privaten Regelungs- und Organisationsformen
stehen im Mittelpunkt der Ausarbeitung.
C. Gang der Untersuchung
Zunächst werden die Maßstäbe und Verfahrensmechanismen zum Umgang mit
wissenschaftlichem Fehlverhalten in den Vergleichsländern USA (2. Teil), Dänemark (3. Teil) und Deutschland (4. Teil) in drei entsprechend der Chronologie der
Entwicklungen aufeinander folgenden Länderteilen erörtert. Dabei werden die Verfahrensmodelle der Länder jeweils anhand des nachstehenden Grobrasters analysiert:
Zum Einstieg erfolgt eine konzentrierte Darstellung der Forschungslandschaft der
betroffenen Länder (jeweils Gliederungspunkt A.) sowie der verfassungsrechtlichen
Vorgaben des dänischen, US-amerikanischen bzw. deutschen Rechts (jeweils Gliederungspunkt B.). Ohne die Kenntnis der institutionellen Rahmenbedingungen und
des jeweiligen staatlichen Einflusses auf die Forschungsförderung und die Forschungsinstitutionen ist eine vergleichende Betrachtung kaum möglich.11 Der verfassungsrechtliche Hintergrund beeinflusst maßgeblich Reichweite und Stellenwert
von wissenschaftlicher Selbstverwaltung auf der einen und staatlicher Determinierung auf der anderen Seite.
In einem nächsten Schritt wird die historische Entwicklung der landesspezifischen Mechanismen skizziert (jeweils Gliederungspunkt C.), um einen Eindruck von
den Einflüssen zu erhalten, die zur Ausprägung des jeweiligen Verfahrensmodells
geführt haben.
Anschließend werden jeweils die zuständigen Institutionen und Gremien zur Aufklärung und Ahndung wissenschaftlichen Fehlverhaltens und deren Funktion und
Arbeitsweise behandelt (jeweils Gliederungspunkt D.). Besondere Aufmerksamkeit
gilt an dieser Stelle sowohl der regulativen – insbesondere normativen Einbettung –
11 Vgl. zur Bedeutung der verfassungsrechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen Stegemann-Boehl, Fehlverhalten von Forschern, S. 29 ff.
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References
Zusammenfassung
Wissenschaftliches Fehlverhalten ist kein neuartiges, aber ein in Deutschland lange unbeachtetes Phänomen. Die Autorin vergleicht verschiedene nationale Standards und Verfahrensmodelle des Umgangs mit wissenschaftlichem Fehlverhalten und erkennt Tendenzen einer allgegenwärtigen zunehmenden Verkomplizierung und zugleich Internationalisierung von Regulierungssystemen in diesem Bereich.