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D. Fahrverbot als Rechtsfolge einer Ordnungswidrigkeit
Abschließend gilt es nunmehr den Blick auf das Fahrverbot gemäß § 25 StVG zu
richten. Hier erscheint insbesondere die chamäleonartige Wandlung des Fahrverbotes als Denkzettelstrafe (§ 44 StGB) in eine Denkzettelmaßnahme (§ 25 StVG)
fragwürdig. Denn wie einleitend bereits ausgeführt, unterscheiden sich beide
Rechtsfolgen weder namentlich noch hinsichtlich ihrer Bemessungskriterien.
Gleichwohl hat die Untersuchung des jugendstrafrechtlichen Anwendungsbereiches
des Fahrverbotes gezeigt, dass sich das Fahrverbot aufgrund seiner Denkzettelfunktion auch in Form eines Zuchtmittels in das Rechtsfolgensystem des JGG zu integrieren vermag.
Im Mittelpunkt der nachfolgenden Ausführungen steht deshalb die Frage, ob dieser
gemeinsame Nenner darüber hinaus – und wie offensichtlich vom Gesetzgeber vorausgesetzt – die Verhängung des Fahrverbotes als Sanktion einer Ordnungswidrigkeit zu rechtfertigen vermag. Dazu erfolgen zunächst eine Abgrenzung der Ordnungswidrigkeit zur Straftat und eine kurze Darstellung des im Bereich der Ordnungswidrigkeiten vorhandenen Sanktionssystems. Im Anschluss wird der Weg des
Fahrverbotes in den Bereich der Ordnungswidrigkeiten nachgezeichnet, um sich
dann der Frage widmen zu können, inwieweit sich das Fahrverbot als sog. „Denkzettelmaßnahme“ in das vorhandene Sanktionssystem zu integrieren vermag.
I. Allgemeines Strafrecht und Recht der Ordnungswidrigkeiten
1. Ordnungswidrigkeit in Abgrenzung zur Straftat
Der Bereich der Ordnungswidrigkeiten soll im Unterschied zum Kernbereich des
Strafrechts Gesetzesübertretungen umgreifen, „die nach allgemeinen gesellschaftlichen Auffassungen nicht als (kriminell) strafwürdig gelten …, Fälle mit geringerem
Unrechtsgehalt, die sich von den kriminellen Vergehen durch den Grad des ethischen Unwertgehaltes unterscheiden“1061 und „der Ahndung durch Verwaltungsbehörden (mit rechtlicher Kontrolle durch die Gerichte) … überlassen“1062 sind.
1061 BVerfGE 27, 18 (28); vgl. hierzu auch BVerfGE 8, 197 (207); 9, 167 (172); König in Göhler,
OWiG, 14. Aufl. 2006, Einl. Rn. 1.
1062 BVerfGE 8, 197 (207).
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Das Wesen der Ordnungswidrigkeit in Abgrenzung zur Kriminalstraftat ist umstritten. Ursprünglich erfolgte eine qualitative Differenzierung1063 dahingehend, dass die Ordnungswidrigkeit „sich in
dem bloßen Ungehorsam gegen einen Verwaltungsbefehl [erschöpft]“1064, also "bloßes Verwaltungsunrecht“1065 darstellt, während die Straftat „einem besonderen ethischen Unwerturteil [unterliegt]“1066 und vor allem Rechtsgüter des Einzelnen schädigt1067. Jedoch hat „die These von dem
tiefgreifenden qualitativen Unterschied … in der Praxis der Gesetzgebung ihre Bedeutung weitgehend verloren. Schon in ihrer Geburtsstunde – auf wirtschaftlichem Gebiet – waren die Ordnungswidrigkeiten kein bloßer ,Verwaltungs’ungehorsam. Sie waren zu einem nicht unerheblichen Teil
von vornherein ,abstrakte Gefährdungsdelikte’, die dem Schutz bestimmter Rechtsgüter dienten
(z.B. Preistreiberei, Inverkehrbringen gefälschter Bezugsberechtigungen usw.). … Nach der gegenwärtigen Praxis wird für die Unterscheidung zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im
allgemeinen nur darauf abgestellt, ob die Verwirklichung eines bestimmten Handlungstyps nach
dem Durchschnitt der vorkommenden Fälle einen sozialethischen Vorwurf verdient oder nicht und
deshalb eine Strafdrohung rechtfertigen; allein unter diesem Gesichtspunkt wird er als Kriminaloder Ordnungsunrecht eingestuft. Dabei hat der Gesetzgeber stets einen weiten Spielraum in Anspruch genommen, weil anderenfalls übermäßig differenzierte Regelungen nicht zu vermeiden wären.“1068 Mithin sei der Unterschied „zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten überwiegend
quantitativer, nicht qualitativer Art“1069.
1063 Als Vertreter dieser Theorie werden vorwiegend James Goldschmidt, Erik Wolf und Eberhard Schmidt genannt, siehe hierzu die ausführliche Darstellung bei Bohnert in KK-OWiG,
3. Aufl. 2006, Einl. Rn. 55 ff., 61 ff., 72 ff.
1064 BGHSt 11, 263 (264)
1065 BVerfGE 8, 197 (207).
1066 BGHSt 11, 263 (264).
1067 Vgl. Lemke/Mosbacher, OWiG, 2. Aufl. 2005, Einl. Rn. 13; König in Göhler, OWiG,
14. Aufl. 2006, Vor § 1 Rn. 4; Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, 2. Aufl. § 3 Rn. 8.
1068 BT-Drucks. V/1319, S. 88; vgl. hierzu auch Roxin, Strafrecht – AT, Bd. 1, 4. Aufl. 2006, § 2
Rn. 62.
1069 Roxin, Strafrecht – AT, Bd. 1, 4. Aufl. 2006, § 2 Rn. 132 mit dem ergänzenden Hinweis, dass
„es eine Grenze gibt, jenseits derer die Quantität in Qualität umschlägt: Einen Mord, eine
Geiselnahme oder einen Bankraub etwa nur als Ordnungswidrigkeiten zu ahnden, kommt
nicht in Betracht. … Daraus folgt, … dass … bei schwereren Straftaten im Kernbereich der
Delinquenz die Bestrafung durchaus durch inhaltliche Kriterien vorgezeichnet ist. Man sollte
daher bei der Abgrenzung besser anstatt von einer quantitativen, von einer gemischt qualitativ-quantitativen Betrachtungsweise sprechen“; in diesem Sinne auch Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, 2. Aufl. 2005, § 3 Rn. 11: „Im konkreten Einzelfall kann es durchaus geschehen, daß eine Ordnungswidrigkeit ein höheres Gewicht hat als eine Straftat. Die Grenzziehungsmethode des geltenden Rechts läßt sich daher weder als eine rein quantitative noch
als eine qualitative, sondern am besten als gemischt qualitativ-quantitative bezeichnen.“ –
Hervorhebung von dort; ebenso König in Göhler, OWiG, 14. Aufl. 2006, Vor § 1 Rn. 6; Maurach/Zipf, Strafrecht – AT, Tb. 1, 8. Aufl. 1992, § 1 III Rn. 35; wohl auch Stree in Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, Vor §§ 38 ff. Rn. 35, Weber in Baumann/Weber/Mitsch,
Strafrecht – AT, 11. Aufl. 2003, § 4 Rn. 16 und Lemke/Mosbacher, OWiG, 2. Aufl. 2005,
Einl. Rn. 17; krit. Bohnert in KK-OWiG, 3. Aufl. 2006, Einl. Rn. 108 ff.; für eine qualitative
Abgrenzung Thies, Ordnungswidrigkeitenrecht, 2002, Rn. 91.
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Als Ordnungswidrigkeiten gelten also die „alltäglich und massenhaft vorkommenden“1070 Zuwiderhandlungen gegen staatliche Ge- und Verbote, bezogen auf den
Verkehrsbereich bspw. das Parken eines Pkw im Haltverbot1071 oder die Missachtung des Lichtzeichens Rot einer Ampelanlage (sog. „Rotlichtverstoß“)1072.
Ihre Ahndung setzt gemäß § 1 Abs. 1 OWiG eine tatbestandsmäßige, rechtswidrige
sowie vorwerfbare1073 Handlung voraus.
Des Weiteren bedarf es für die begangene Zuwiderhandlung der Androhung einer
Geldbuße. Darin liegt ein für den Rechtsanwender wichtiges – wenn auch nur formales – Kriterium zur Abgrenzung der Ordnungswidrigkeit von einer Straftat1074.
Denn Letztere ist gekennzeichnet durch die Sanktionierung mit einer Geld- oder
Freiheitsstrafe.
2. Sanktionssystem
Und damit sind wir zugleich bei der einzigen Hauptsanktion1075 im Recht der Ordnungswidrigkeiten angelangt – die Geldbuße1076.
Sie beträgt gemäß § 17 Abs. 1 OWiG mindestens 5 € und – soweit das Gesetz nichts
anderes bestimmt – maximal 1000 €. Die Höchstgrenze bezieht sich dabei auf vorsätzliches Handeln, im Falle von Fahrlässigkeit wird dieser Betrag gemäß § 17 Abs.
2 OWiG halbiert.
Die Höhe der Geldbuße ist für den Betroffenen in zweierlei Hinsicht von Bedeutung: Einerseits besteht bei Geldbußen bis zu einer Höhe von 35 € nach § 56 Abs. 1
OWiG1077 die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung durch Verwarnung und Erhe-
1070 Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, 2. Aufl. 2005, § 3 Rn. 2.
1071 Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 49 Abs. 1 Nr. 12, 12 Abs. 1 Nr. 6 a) StVO.
1072 Ordnungswidrigkeit gemäß §§ 49 Abs. 3 Nr. 2, 37 Abs. 2 Nr. 1 Satz 7 StVO.
1073 Die Formulierung „vorwerfbar“ – der sachlich mit dem Begriff „schuldhaft“ im Sinne des
allgemeinen Strafrechts übereinstimmt – wurde vom Gesetzgeber bewusst gewählt, weil mit
dem Begriff „Schuld“ „das Element sozialethischer Mißbilligung verbunden werden kann,
das in dem Vorwurf eines bloßen Ordnungsverstoßes nicht enthalten ist“, Entwurf eines Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (EGOWiG), BT-Drucks. V/1319
vom 20.01.1967, S. 46; beachte auch § 12 OWiG, der Fälle regelt, in denen die Vorwerfbarkeit mangels Verantwortlichkeit zu verneinen ist, bspw. bei der Handlung einer noch nicht
vierzehn Jahre alten Person oder bei Vorliegen einer krankhaften seelischen Störung. Siehe
dazu im Ganzen Rosenkötter, Das Recht der Ordnungswidrigkeiten, 6. Aufl. 2002, Rn. 79 ff.
1074 Vgl. König in Göhler, OWiG, 14. Aufl. 2006, Einl. Rn. 9.
1075 Vgl. Mitsch, Recht der Ordnungswidrigkeiten, 2. Aufl. 2005, § 15 Rn. 1.
1076 Insoweit ist zu beachten, dass die Geldbuße gemäß § 30 OWiG unter bestimmten Voraussetzungen auch gegen juristische Personen und Personenvereinigungen verhängt werden kann
(sog. „Verbandsgeldbuße“).
1077 § 56 Abs. 1 OWiG: „Bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten kann die Verwaltungsbehörde
den Betroffenen verwarnen und ein Verwarnungsgeld von fünf bis fünfunddreißig Euro erheben.“
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die rechtsdogmatisch relevante Frage, inwieweit die Kriminalrechtsfolge Fahrverbot (§ 44 StGB) gleichzeitig als Rechtsfolge einer typischen Jugendverfehlung (§ 44 StGB i.V.m. § 8 Abs. 3 JGG) und einer Verkehrsordnungswidrigkeit (§ 25 StVG) fungieren kann.
Unter diesem Blickwinkel werden zunächst das Wesen und die Funktion des Fahrverbotes als sog. „Denkzettel“ herausgearbeitet. Anschließend wird das Fahrverbot in das jeweilige Sanktionssystem eingeordnet und die Voraussetzungen für seine Anordnung und Vollstreckung kritisch hinterfragt. Im Ergebnis ist festzustellen, dass das Fahrverbot im Strafrecht noch nicht den Platz einnimmt, der ihm ursprünglich vom Gesetzgeber zugedacht war. Dazu bedarf es in erster Linie einer zurückhaltenden Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB. Im Jugendstrafrecht verstößt die Verhängung des Fahrverbotes nach derzeitiger Rechtslage gegen das Analogieverbot gemäß Art. 103 Abs. 2 GG. Neben der Verhängung einer Geldbuße für eine begangene Verkehrsordnungswidrigkeit vermag das Fahrverbot als sog. „Denkzettel“ nicht zu fungieren, es entfaltet für den Betroffenen vielmehr Strafwirkung.