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XI. Zwischenergebnis
Im Ergebnis der Bestandsaufnahme des strafrechtlichen Anwendungsbereiches des
Fahrverbotes ist im Wesentlichen Folgendes festzuhalten:
1. Das Fahrverbot gemäß § 44 Abs. 1 StGB stellt eine Rechtsfolge dar, mit der eine „Lücke“ im Sanktionssystem des Strafgesetzbuches geschlossen werden sollte. Diese sog. „Lücke“ beruhte auf dem Umstand, dass es Fallkonstellationen
gab, in denen die für eine Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1
StGB erforderliche Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht
zweifelsfrei festgestellt werden konnte, der betroffene Straftäter wegen der begangenen Zuwiderhandlung dennoch eines ausdrücklichen Anrufs an seine
Pflichten als Kraftfahrer bedurfte. Durch eine in der Vergangenheit unzureichende Ausrichtung der Entziehung der Fahrerlaubnis am Maßregelzweck der
Sicherung wurde die Entziehung der Fahrerlaubnis jedoch auch in den Fällen
verhängt, für die ursprünglich das Fahrverbot vorgesehen war. Hier gilt es anzusetzen und die vom Fahrverbot als Nebenstrafe auszufüllende „Lücke“ durch
eine zurückhaltendere, am Maßregelzweck ausgerichtete Entziehung der Fahrerlaubnis zu schaffen. Denn nur unter dieser Voraussetzung lässt sich das Nebeneinander einer fahrerlaubnisbezogenen Strafe und Maßregel rechtfertigen.
2. Die Verhängung des Fahrverbotes als sog. „Denkzettelstrafe“ dient
- der Ahndung eines bestimmten Fehlverhaltens,
- der Belehrung des Straftäters über die begangene Verfehlung,
- der Warnung, dass er in Gefahr steht, im Falle der Wiederholung seine
Fahrerlaubnis zu verlieren,
- als mahnende Erinnerung dazu, den Straftäter von einer entsprechenden
Verfehlung in Zukunft abzuhalten.
3. Die Verhängung des Fahrverbotes verfolgt neben dem Schuldausgleich vorrangig den spezialpräventiven Strafzweck der Abschreckung des Täters.
Der Aspekt der Generalprävention erschöpft sich bereits in der Strafandrohung
des Fahrverbotes als auch seiner Verhängung.
Der Gesichtspunkt der Abschreckung anderer (negative Generalprävention)
vermag die Verhängung eines spezialpräventiv nicht gebotenen Fahrverbotes
nicht zu rechtfertigen. Eine Erhöhung der Verbotsdauer im Rahmen des Schuldangemessenen ist aus Gründen der Abschreckung anderer nur dann zulässig,
wenn die Strafverschärfung eine entsprechende Strafwirkung zu entfalten vermag (Geeignetheit) und eine gemeinschaftsgefährliche Zunahme der zur Verurteilung anstehenden oder ähnlicher gelagerter Straftaten zu konstatieren ist (Erforderlichkeit).
4. Aufgrund der vorrangig spezialpräventiven Strafwirkung der Abschreckung
richtet sich das Fahrverbot gegen die sozial und ihrer Persönlichkeit gefestigten
„Gelegenheitstäter“, die eine Straftat aus Leichtsinnigkeit, Nachlässigkeit oder
in einer Augenblicks- oder Konfliktsituation begehen. Als „Denkzettel“ erfasst
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das Fahrverbot folglich nicht mehr die sog. Wiederholungstäter. Gegen diese
Tätergruppe richtet sich die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB.
5. Die Verhängung des Fahrverbotes in Fällen sog. „Zusammenhangstaten“ setzt
zumindest die Förderung einer tatbestandlich eingetretenen Gefährdung geschützter Rechtsgüter voraus. Sie scheidet aus, soweit das Führen eines Kraftfahrzeuges lediglich im Stadium einer straflosen Vorbereitungshandlung erfolgte.
6. Im Rahmen der Ermessensausübung ist strikt zwischen der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit des Fahrverbotes zu unterscheiden.
a) Die Geeignetheit des Fahrverbotes als „Denkzettel“ dürfte insbesondere bei
Fallgestaltungen ausgeschlossen sein, in denen die Verhängung des Fahrverbotes für den Straftäter Arbeitslosigkeit und damit verbundene soziale
Not seiner Familie zur Folge hätte, mithin zu einer Entsozialisierung des
Straftäters führen würde.
b) Im Rahmen der Erforderlichkeit ist insbesondere zu hinterfragen, ob der
Straftäter überhaupt (noch) der Einwirkung des „Denkzettels“ Fahrverbot
bedarf (sog. Denkzettelbedürftigkeit).
c) Im Bereich der Angemessenheit ist zu prüfen, inwieweit die Hauptstrafe infolge der zusätzlichen Verhängung der Nebenstrafe verringert werden
muss.
7. Entgegen der Regelanordnung des § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB ist aus der Feststellung einer (noch) bestehenden Geeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen
i.S.d. § 69 StGB keinesfalls der Rückschluss auf eine „Denkzettelbedürftigkeit“
des Straftäters zu ziehen.
8. Die Regelvermutung des § 44 Abs. 1 Satz 2 StGB ist in der Weise auszulegen,
dass auch in Fällen von Trunkenheitsfahrten stets die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Verhängung des Fahrverbotes als „Denkzettel“ zu prüfen ist.
9. Eine Bindungswirkung der strafgerichtlichen Entscheidung nach § 3 Abs. 4 Satz
1 StVG besteht auch dann, wenn der Richter den Beschluss der vorläufigen
Entziehung der Fahrerlaubnis in der Hauptverhandlung aufhebt und stattdessen
auf ein Fahrverbot erkennt, soweit die Fahrerlaubnisbehörde von demselben und
nicht von einem anderen umfassenderen Sachverhalt als der Strafrichter ausgeht.
10. Eine additive Vollstreckung zweier Fahrverbote lässt sich mit der Denkzettelfunktion des Fahrverbotes nicht vereinbaren. Folglich ist in diesen Fällen für
den Beginn der Verbotsfrist auf die Rechtskraft der jeweiligen Entscheidung
abzustellen.
11. Soweit die mit einem Fahrverbot verbundenen und für den Strafgefangenen im
offenen Vollzug spürbaren Einschränkungen bereits eine ausreichende Denkzettelwirkung des Fahrverbotes erzielen, sind die Haftzeiten eines Freigängers im
offenen Strafvollzug entgegen § 44 Abs. 3 Satz 2 StGB auf die Verbotsfrist anzurechnen.
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12. Die Anrechnung einer verfahrensfremden vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 51 Abs. 5 i.V.m. Abs. 1 StGB in einem Verfahren, bei dem
von vornherein nur die Verhängung eines Fahrverbotes in Betracht kam, ist
ausgeschlossen. Dies käme einer Vorweg-Sicherung des Fahrverbotes gleich.
Der vorläufige Fahrerlaubnisentzug würde dadurch den Charakter einer vorweggenommenen Strafe annehmen, was allerdings gegen die Unschuldvermutung des Art. 6 Abs. 2 MRK und gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art.
20 Abs. 3 GG) abgeleitete Schuldprinzip verstößt825.
13. Im Falle der Führerscheinabgabe vor Rechtskraft des Urteils ist die Zeit zwischen Abgabe und Rechtskraft in analoger Anwendung des Rechtsgedankens
aus § 111a Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 450 Abs. 2 StPO unverkürzt auf die Fahrverbotsfrist anzurechnen.
14. Analog § 265 Abs. 2 StPO ist auf die Möglichkeit der Verhängung eines Fahrverbotes generell hinzuweisen.
15. Das Verbot der „reformatio in peius“ ist allein an der Primärsanktion auszurichten, weshalb das Rechtsmittelgericht unter Erhöhung der Tagessatzanzahl der
Geldstrafe von der Verhängung des Fahrverbotes absehen kann.
16. Die Aufwertung des Fahrverbotes zur Hauptstrafe, die Erhöhung der Verbotsdauer als auch seine Normierung als Regelsanktion im Fall einer sog. Zusammenhangstat sind abzulehnen.
825 Vgl. LG Frankfurt a.M., StV 1981, 628; Schäfer in Löwe/Rosenberg, StPO, Bd. 2, 25. Aufl.
2004, § 111a Rn. 3; Geppert, ZRP 1981, 85 (86); von der Aa/Pöppelmann, Jura 1999, 462
(464).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die rechtsdogmatisch relevante Frage, inwieweit die Kriminalrechtsfolge Fahrverbot (§ 44 StGB) gleichzeitig als Rechtsfolge einer typischen Jugendverfehlung (§ 44 StGB i.V.m. § 8 Abs. 3 JGG) und einer Verkehrsordnungswidrigkeit (§ 25 StVG) fungieren kann.
Unter diesem Blickwinkel werden zunächst das Wesen und die Funktion des Fahrverbotes als sog. „Denkzettel“ herausgearbeitet. Anschließend wird das Fahrverbot in das jeweilige Sanktionssystem eingeordnet und die Voraussetzungen für seine Anordnung und Vollstreckung kritisch hinterfragt. Im Ergebnis ist festzustellen, dass das Fahrverbot im Strafrecht noch nicht den Platz einnimmt, der ihm ursprünglich vom Gesetzgeber zugedacht war. Dazu bedarf es in erster Linie einer zurückhaltenden Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB. Im Jugendstrafrecht verstößt die Verhängung des Fahrverbotes nach derzeitiger Rechtslage gegen das Analogieverbot gemäß Art. 103 Abs. 2 GG. Neben der Verhängung einer Geldbuße für eine begangene Verkehrsordnungswidrigkeit vermag das Fahrverbot als sog. „Denkzettel“ nicht zu fungieren, es entfaltet für den Betroffenen vielmehr Strafwirkung.