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3. Rechtliche Ausgestaltung des Fahrverbotes
a) Fahrverbot ursprünglich als polizeiliche Untersagung des Kfz-Betriebs
Die Möglichkeit eines (kurzfristigen) Ausschlusses als Kraftfahrer von der Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr beinhalteten bereits die sog. „Grundzüge
betreffend den Verkehr mit Kraftfahrzeugen“142 vom 03. Mai 1906.
Bei diesen Grundzügen handelte es sich um die erste einheitliche Regelung des
Kraftfahrzeugverkehrs. Den Anstoß hierfür gab ein Schreiben vom 13. Oktober
1899, mit dem sich das damalige Kartell der deutschen und österreichischen Radfahrer-Schutzverbände mit Sitz in München an das Reichsamt des Innern wandte. Es
enthielt die Bitte, „beim hohen deutschen Länderrat veranlassen zu wollen, daß für
den Verkehr mit Fahrrädern und Motoren einheitliche Vorschriften in ganz Deutschland erlassen werden möchten“143. Die ca. 30.000 Radfahrer des Kartells empfanden
es „bei ihren Touren durch Deutschland störend, daß in jedem Länderstaate betreffs
Ausweichen, Vorfahren, Glockenzeichen, … Fahrtschnelligkeit, Fahrverboten und
Geboten überhaupt, andere Bestimmungen Geltung haben. Da Fahrrad und Motor
nun zum beliebtesten und gebräuchlichsten Verkehrsmittel geworden sind, mittels
deren in einem Zuge oft mehrere Länderstaaten durchfahren werden können, so ist
es für den deutschen Fahrrad- und Motorenverkehr störend, in jedem Länderstaate
andere Bestimmungen befolgen zu müssen, deren Kenntnis für den fremden Radund Motorfahrer nicht so leicht zu verlangen ist“144.
In der Folge stellte der Reichskanzler Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-
Schillingfürst145 den Länderstaaten mit Rundschreiben vom 16. Januar 1900 anheim,
„bei einer etwa in Aussicht genommenen Regelung oder Neuregelung dieses Gegenstandes [Fahrradverkehr] die preußischen Vorschriften, soweit angängig, zum
Vorbild zu nehmen“146. Aufgrund bereits bestehender eigener Verordnungen zeigten
sich jedoch „nur verhältnissmässig wenige Regierungen geneigt, alsbald Verordnungen über den Radfahrverkehr nach dem Muster der preussischen Vorschriften zu
erlassen“147.
Ein Vergleich der in den einzelnen Länderstaaten bestehenden Verordnungen bestätigte jedoch die vom Kartell der deutschen und österreichischen Radfahrer-
142 Bericht der 29. Kommission über den Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages,
XII. Legislaturperiode, I. Session 1908/1909, 15. Band - Anlagen, Aktenstück Nr. 1250,
S. 7579 (7634 ff.)
143 R.A.d.I. I 9548, BArch, R 1501/113922.
144 R.A.d.I. I 9548, BArch, R 1501/113922.
145 Dessen Amtszeit dauerte vom 29. Oktober 1894 bis 17. Oktober 1900.
146 R.A.d.I. I 11601, BArch, R 1501/113922.
147 Schreiben des Reichkanzlers an den Staatssekretär des Reichsamtes des Innern Arthur Graf
von Posadowsky-Wehner vom 17. November 1900, R.A.D.I. I 9916, BArch, R 1501/113922.
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Schutzverbände angesprochenen erheblichen Abweichungen untereinander. Und so
sah sich der neue Reichskanzler Fürst Bernhard von Bülow148 veranlasst, die Bundesregierungen der einzelnen Länderstaaten dazu anzuregen, eine Verständigung
über den Erlass gleichartiger Bestimmungen zur Regelung des Fahrradverkehrs auf
öffentlichen Wegen und Plätzen herbeizuführen149. Zugleich führte er aus: „Die Verständigung würde dann vielleicht zweckmäßig auf die einheitliche Regelung des in
schneller Entwicklung befindlichen Verkehrs mit Kraftfahrzeugen (Automobilen) zu
erstrecken sein, für welche die in einem Abdruck beigefügte, neuerdings von dem
hiesigen Polizeipräsidenten erlassene Polizeiverordnung als Anhalt würde dienen
können.“150
Nachdem diese Anregung bei sämtlichen Bundesregierungen grundsätzliche Zustimmung erfahren hatte, wurden die „Grundzüge, betreffend den Verkehr mit Kraftfahrzeugen auf öffentlichen Wegen und Plätzen“ aufgestellt151. Der Stellvertreter des
Reichskanzlers, Arthur Graf von Posadowsky-Wehner152, beantragte daraufhin, der
Bundesrat wolle beschließen, die Bundesregierungen zu ersuchen, den Verkehr mit
Kraftfahrzeugen in ihren Gebieten nach Maßgabe der „Grundzüge“ zu regeln153. Unter dem 05. Oktober 1905 erfolgte zunächst eine Überweisung an die Ausschüsse für
Handel und Verkehr und Justizwesen154. Am 21. März 1906 wurde der Antrag durch
die Ausschüsse für Handel und Verkehr und für Justizwesen dahingehend ergänzt,
dass „den zu erlassenden Ausführungsvorschriften die den Grundzügen beigegebenen Erläuterungen dem Inhalt und tunlichst auch dem Wortlaute nach zu
Grunde zu legen“ sind und ein In-Kraft-treten der Grundzüge zum 01. Oktober 1906
normiert155. Dem Antrag entsprach der Bundesrat mit Beschluss vom 03. Mai
1906156.
148 Dessen Amtszeit dauerte vom 17. Oktober 1900 bis 14. Juli 1909.
149 Schreiben des Reichskanzlers vom 26. Juni 1901, R.A.d.I. I 5682, BArch, R 1501/113922.
150 Schreiben des Reichskanzlers vom 26. Juni 1901, R.A.d.I. I 5682, BArch, R 1501/113922.
151 Vgl. BR-Drucks. 114, Session 1905, vom 27.09.1905.
152 Dessen Amtszeit begann am 01. Juli 1897 und endete durch eigenen Rücktritt am 24. Juni
1907. Neben dem Amt des Vizekanzlers hatte Posadowsky-Wehner zugleich das Amt des
Staatssekretärs des Reichsamtes des Innern und des preußischen Staatsministers ohne Geschäftsbereich inne.
153 Vgl. BR-Drucks. 114, Session 1905, vom 27.09.1905. Dem Erlass eines entsprechenden
Reichsgesetzes stand zunächst Art. 4 der Verfassung des Deutschen Bundes aus dem Jahre
1870 entgegen, ersetzt durch die Reichsverfassung vom 16. April 1871. Danach war der Verkehr mit Kraftfahrzeugen keine Angelegenheit der Reichgesetzgebung. Vgl. hierzu Janiszewski, Verkehrsstrafrecht, 5. Aufl. 2004, Rn. 13; Lohkamp, Reformbedürftigkeit von Fahrverbot und Fahrerlaubnisentzug?, 2003, S. 4 f.; Asholt, Straßenverkehrsstrafrecht, 2007, S.
29.
154 Vgl. Protokolle über die Verhandlungen des Bundesrates des Deutschen Reiches, Jahrgang
1905, Protokoll der zweiunddreißigsten Sitzung vom 05.10.1905, § 571.
155 Vgl. BR-Drucks. 66, Session 1906, vom 21.03.1906, (Bundesrat-Drucksachen 1906 Bd. I).
156 Vgl. Protokolle über die Verhandlungen des Bundesrats des Deutschen Reichs, Jahrgang
1906, Protokoll der neunzehnten Sitzung vom 03.05.1906, § 320.
45
Diese Grundzüge regelten im Kapitel F „Untersagung des Betriebs“ unter § 27 Folgendes157:
„§ 27
Ungeeigneten Personen, insbesondere solchen, welche die den Führern von Kraftfahrzeugen
obliegenden Verpflichtungen verletzt haben, kann das Führen von Kraftfahrzeugen dauernd
oder für bestimmte Zeit polizeilich untersagt werden. Sie haben alsdann das ausgestellte Zeugnis (§ 14 Abs. 1) der Polizeibehörde abzuliefern. …“158.
Aufgrund des Umstandes, dass die polizeiliche Untersagungsverfügung nach § 27
auch allein auf die Verletzung bestehender Verkehrsvorschriften gestützt werden
konnte, wurden gegen die Rechtsgültigkeit der Norm Bedenken geäußert: „Diese
Vorschrift geht über die Zwecke der Verkehrssicherheit usw. weit hinaus und ist
zweifellos eine Strafbestimmung, ebenso wie die Disqualifikation zum Eisenbahnund Telegraphendienst (§ 319 StGB.) und ähnliche Nebenstrafen des StGB. Die
Entziehung der Fahrerlaubnis ist nur zulässig bez. der Automobilomnibusse,
-Droschken und anderer öffentlichen Verkehrsmittel (§ 37 GewO.), nicht aber
gegenüber Privatfahrern, wie auch noch niemals eine Polizeibehörde auf den Gedanken gekommen ist, dem Kutscher einer Privatequipage, eines Möbelwagens, eines Brauereifuhrwerks und drgl. wegen Uebertretung der Straßenordnung das
Fahren dauernd oder für bestimmte Zeit zu verbieten. Gemäß § 6 EinfGes. z. StGB.
und § 366 Nr. 10 StGB. kann eine solche Vorschrift nur durch R e i c h s g e s e t z
erlassen werden, welches über die Gründe der Entziehung, die Dauer derselben und
die zur Entziehung berufene Behörde (am besten das Gericht) nähere Bestimmung
zu treffen hätte … Die Rechtsungültigkeit des § 27 ist … auch bereits vom Bezirksausschuss zu Berlin … und LG I. Berlin StK. … ausgesprochen worden. … Es
muß wundernehmen, daß der Bundesrat die reichsgesetzliche Regelung dieser bei-
157 Bericht der 29. Kommission über den Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages,
XII. Legislaturperiode, I. Session 1908/1909, 15. Band - Anlagen, Aktenstück Nr. 1250, S.
7579 (7634 <7638>).
158 Hervorhebung von hier. § 14 Abs. 1 der Grundzüge lautete wie folgt: „Das Führen von Kraftfahrzeugen ist nur solchen Personen gestattet und darf nur solchen Personen überlassen werden, die mit den Einrichtungen und der Bedienung des Fahrzeugs völlig vertraut sind und sich
hierüber durch ein von einer sachverständigen Behörde oder einer behördlich anerkannten
Stelle ausgestelltes Zeugnis ausweisen können. Das Zeugnis ist der Polizeibehörde des
Wohnorts des Führers zur Kenntnisnahme vorzulegen und von dieser, sofern gegen die Zuverlässigkeit und Befähigung der betreffenden Person Bedenken nicht bestehen, mit einem
hierauf bezüglichen Vermerke zu versehen. Der Führer hat das Zeugnis bei sich zu führen
und auf Verlangen den zuständigen Behörden vorzuzeigen.“, Bericht der 29. Kommission
über den Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, XII. Legislaturperiode, I. Session
1908/1909, 15. Band - Anlagen, Aktenstück Nr. 1250, S. 7579 (7634 <7638>).
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nahe wichtigsten Frage des ganzen Automobilverkehrsrechts nicht in die Wege geleitet hat.“159
Die Arbeiten an einer entsprechend reichsgesetzlichen Regelung des Automobilverkehrs wurden zwar im gleichen Jahre des Erlasses der Grundzüge über den Verkehr
mit Kraftfahrzeugen aufgenommen, sie mündeten jedoch erst drei Jahre später in
dem Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen (KfG) vom 03. Mai 1909160.
Zur Begründung des KfG wurde angeführt, dass sich die mit der Einführung der „Grundzüge
betreffend den Verkehr mit Kraftfahrzeugen“ verbundene Hoffnung, „daß … die Gefahren des
Automobilverkehrs verringert werden würden“161, „nur zum Teil verwirklicht“162 hatte. So betrug
die Anzahl der Unfälle „im Sommerhalbjahr 1906 2290 und ist im Sommerhalbjahr 1907 auf 3240
gestiegen. Noch stärker ist die Zunahme der tödlichen Verletzungen, ihre Zahl ist von 51 im Sommerhalbjahr 1906 auf 82 im Sommerhalbjahr 1907 gestiegen. ... Infolgedessen hat auch die Erregung über die Gefahren, die mit dem Automobilbetriebe für das Publikum verbunden sind, nicht
nachgelassen. Die Einführung wirksamer Maßregeln zur Verhütung von Unfällen und einer Verschärfung sowohl der Haftung für den Schaden als der Strafen für Überschreitungen der polizeilichen Vorschriften wird nach wie vor aufs lebhafteste gefordert.“163 Diesen Forderungen sollte das
Gesetz über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen (KfG) Rechnung tragen164.
b) Umwandlung in kurzzeitige Entziehung der Fahrerlaubnis
Die Möglichkeit des (kurzzeitigen) Ausschlusses als Kraftfahrzeugführer vom Stra-
ßenverkehr war nunmehr ausdrücklich als Entziehung der Fahrerlaubnis in § 4 KfG
geregelt. Die Norm hatte folgenden Wortlaut165:
159 Isaac, DJZ 1906, Sp. 1147/1148 – Hervorhebung von dort; vgl. auch Asholt, Straßenverkehrsstrafrecht, 2007, S. 30.
160 RGBl. 1909, 437; siehe die ausführliche Darstellung der Entstehungsgeschichte des KfG bei
Asholt, Straßenverkehrsstrafrecht, 2007, S. 31 ff.
161 Amtl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, XII. Legislaturperiode, I. Session 1908/1909, 10. Band - Anlagen, Aktenstück Nr. 988, S. 5593 (5595).
162 Amtl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, XII. Legislaturperiode, I. Session 1908/1909, 10. Band - Anlagen, Aktenstück Nr. 988, S. 5593 (5595).
163 Amtl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, XII. Legislaturperiode, I. Session 1908/1909, 10. Band - Anlagen, Aktenstück Nr. 988, S. 5593 (5595).
164 Vgl. Amtl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen,
Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, XII. Legislaturperiode, I. Session 1908/1909, 10. Band - Anlagen, Aktenstück Nr. 988, S. 5593 (5595).
165 RGBl. 1909, 437 (438) – Hervorhebung von hier.
47
„§ 4
Werden Tatsachen festgestellt, welche die Annahme rechtfertigen, daß eine Person zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet ist, so kann ihr die Fahrerlaubnis dauernd oder für bestimmte Zeit durch die zuständige Verwaltungsbehörde entzogen werden; nach der Entziehung
ist der Führerschein der Behörde abzuliefern. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist für das
ganze Reich wirksam.“
Die rechtliche Ausgestaltung als Entziehung der Fahrerlaubnis erklärt sich vor dem
Hintergrund, dass nach § 2 KfG derjenige, der „auf öffentlichen Wegen oder Plätzen
ein Kraftfahrzeug führen will, … der Erlaubnis der zuständigen Behörde“166 bedurfte. Die Erlaubnis galt für das ganze Reich und war zu erteilen, „wenn der Nachsuchende seine Befähigung durch eine Prüfung dargetan hat und nicht Tatsachen
vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, daß er zum Führen von Kraftfahrzeugen
ungeeignet ist“167. Den Nachweis der Erlaubnis hatte der Kraftfahrzeugführer nach
§ 2 KfG durch eine Bescheinigung (Führerschein) zu erbringen168.
Die Notwendigkeit des § 4 KfG wurde damit begründet, dass „die Ablegung der
Führerscheinprüfung … nicht aus[schließt], daß der Führer sich nachträglich als untauglich oder unzuverlässig erweist … in diesen Fällen muß die Möglichkeit bestehen, dem Führer die erteilte Ermächtigung wieder zu entziehen.“169
Dem in § 4 KfG abermals vorgesehenen kurzfristigen Ausschluss von der Teilnahme am Straßenverkehr konnte ein Strafcharakter dennoch nicht abgesprochen
werden, würde er doch nach Ansicht des Gesetzgebers „nicht selten genügen, um
den Führer zum Gefühle seiner Pflichten zurückzurufen“170.
Der im Gesetzgebungsverfahren eingebrachte Vorschlag, „auch den ordentlichen Gerichten im
Strafverfahren die Befugnis zu geben, auf Entziehung des Fahrscheines … zu erkennen und den
Verwaltungsbehörden nur diejenigen Fälle zu überlassen, in denen nichtstrafbare Handlungen den
Grund zur Fahrerlaubnisentziehung abgäben“171, wurde „mit dem Hinweis bekämpft, daß eine
gleichmäßigere Rechtsprechung dadurch erzielt werde, wenn nur einer Behörde – Gerichts- oder
Verwaltungsbehörde – diese Befugnis zustände. Die Entscheidung den Verwaltungsbehörden zu
übertragen, habe … den Vorteil, daß man gleichmäßigere Beschlüsse erzielen würde, da die Zahl
166 RGBl. 1909, 437.
167 RGBl. 1909, 437.
168 Vgl. RGBl. 1909, 437.
169 Amtl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, XII. Legislaturperiode, I. Session 1908/1909, 10. Band - Anlagen, Aktenstück Nr. 988, S. 5602.
170 Amtl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, XII. Legislaturperiode, I. Session 1908/1909, 10. Band - Anlagen, Aktenstück Nr. 988, S. 5602.
171 Bericht der 29. Kommission über den Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages,
XII. Legislaturperiode, I. Session 1908/1909, 15. Band - Anlagen, Aktenstück Nr. 1250, S.
7579 (7596).
48
der zur Entscheidung berufenen Behörden geringer sei“172. Mit der Übertragung auf den Strafrichter würde auch „dem Bedürfnisse der Sicherung des Verkehrs gegen ungeeignete Elemente …
nicht genügt, denn die Gründe, die eine Entziehung der Fahrerlaubnis notwendig machen, können
sehr verschiedenartig sein und setzen keineswegs immer eine strafbare Zuwiderhandlung gegen die
Verkehrsvorschriften voraus. Körperliche oder geistige Gebrechen, Verübung von Roheitsdelikten,
Trunksucht oder dergleichen mehr werden den Führer unter Umständen als derart ungeeignet zur
Ausübung seines Berufs erscheinen lassen, daß ihm die Fahrerlaubnis ohne Gefährdung der Sicherheit des Verkehrs nicht belassen werden kann“173. Zudem wurden im Fall einer Doppelkompetenz
von Gericht und Verwaltungsbehörde „Schwierigkeiten mannigfacher Art“174 befürchtet. Unüberwindbar erschien dabei die Frage, ob „die Verwaltungsbehörden noch die Entziehung aussprechen
können, wenn das Gericht davon Abstand genommen habe?“175 Bekanntlich wurden diese „Hürden“ einige Jahrzehnte später mit dem Gesetz zur Sicherung im Straßenverkehr vom 19. Dezember
1952176 überwunden und die Kompetenz zur Entziehung der Fahrerlaubnis auch den Strafgerichten
(§ 42m StGB a.F.) zugewiesen177.
Schließlich wurde die Möglichkeit des kurzzeitigen Ausschlusses als Kraftfahrer
von der Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr durch das Gesetz zur Änderung
der Regelung des Kraftfahrzeugverkehrs vom 13. Dezember 1933 gänzlich abgeschafft178.
Eine wirkliche Renaissance erfuhr sie erst wieder mit der Einführung des Fahrverbotes in das Strafgesetzbuch, nunmehr auch im tatsächlich rechtlichen Gewand einer
(Neben)Strafe.
172 Bericht der 29. Kommission über den Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages,
XII. Legislaturperiode, I. Session 1908/1909, 15. Band - Anlagen, Aktenstück Nr. 1250, S.
7579 (7596).
173 Amtl. Begründung zum Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages, XII. Legislaturperiode, I. Session 1908/1909, 10. Band - Anlagen, Aktenstück Nr. 988, S. 5602.
174 Bericht der 29. Kommission über den Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages,
XII. Legislaturperiode, I. Session 1908/1909, 15. Band - Anlagen, Aktenstück Nr. 1250, S.
7579 (7596).
175 Bericht der 29. Kommission über den Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Kraftfahrzeugen, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Deutschen Reichstages,
XII. Legislaturperiode, I. Session 1908/1909, 15. Band - Anlagen, Aktenstück Nr. 1250, S.
7579 (7596).
176 BGBl. I, S. 823.
177 Vgl. hierzu BT-Drucks. I/2674, S. 8 f., 12 ff. Siehe zu der darauf zurückzuführenden Bindung
der Verwaltungsbehörde gemäß § 3 Abs. 3, 4 StVG im Falle einer strafgerichtlichen Entziehung der Fahrerlaubnis oder eines Strafverfahrens, in dem die Fahrerlaubnisentziehung in Betracht kommt, auch die Ausführungen unter B. VI.
178 RGBl. I, 1058.
49
c) Fahrverbot als (Neben)Strafe
Obwohl sich der Strafcharakter des kurzzeitigen Fahrverbotes vor dem geschichtlichen Hintergrund nahezu aufdrängen musste, wurde die Ausgestaltung des Verbotes als Maßregel von der Länderkommission alternativ in Erwägung gezogen179.
Man gab jedoch zu Bedenken, „dass die neue Maßregel wegen der Kürze der Verbotsdauer eine Sicherungsfunktion kaum habe. Die Besserungsfunktion stehe im
Vordergrund. … Das Fahrverbot … habe spezialpräventiven Charakter“180.
Aus diesem Grund wurde die Verkürzung einer im Falle der Entziehung der Fahrerlaubnis anzuordnenden Sperrfrist von sechs auf drei Monate bereits während der Beratungen der Großen Strafrechtskommission verworfen: „Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist eine Maßregel der Sicherung
und Besserung, die davon ausgeht, daß der Täter im Zeitpunkt des Urteils zur Führung eines Kraftfahrzeuges ungeeignet ist. Es scheint … nicht dem Sinn der Maßregel zu entsprechen, wenn schon
bei der Entscheidung gesagt werden kann, daß der Täter nach nur drei Monaten wieder zur Führung
von Kraftfahrzeugen geeignet sein werde. Es bestehen große Bedenken, dies bei 6 Monaten zu sagen. Doch ist dies immerhin ein Zeitraum, der wesentlich mehr Gewicht hat. … Setzen wir aber die
Frist auf 3 Monate herab, so würden wir damit im Grunde zugeben, daß es nicht um die Ausgestaltung einer Maßregel, sondern einer Strafe geht.“181 In diesem Sinne äußerte sich auch der Gesetzgeber: „Dadurch würde das Wesen der Entziehung als einer Maßregel der Sicherung und Besserung
ernstlich in Frage gestellt und im unteren Bereich in Wahrheit eine strafähnliche Maßnahme geschaffen.“182
Auch „werde der Richter [die Nebenstrafe des Fahrverbots] häufiger anwenden als
eine inhaltlich gleiche Maßregel, weil er hier … immer prüfen werde, ob die Maßregel zur Abwehr einer Gefahr erforderlich sei“183.
Schließlich solle das Fahrverbot „vor allem nachlässige und leichtsinnige Kraftfahrer zur Vorsicht mahnen“, folglich könne „es nicht an enge Voraussetzungen, wie
etwa den Mangel der Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen oder die Gefährlichkeit des Täters für die Sicherheit des Straßenverkehrs, anknüpfen“184.
Dem Einwand, als Maßregel könne das Fahrverbot „mit der Weisung, Verkehrs- und
Fahrunterricht zu nehmen, verbunden und zugleich bestimmt werden …, daß dem
Richter für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Weisung das Recht zustehe, das
179 Vgl. Niederschrift über die 5. Tagung der Länderkommission, S. 8 ff.
180 Niederschrift über die 5. Tagung der Länderkommission, S. 9.
181 Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtsreform, Bd. 4, S. 70; siehe auch
S. 65, 75, 78, 83.
182 BT-Drucks. IV/651, S. 18 f.; ebenso bereits in der Entwurfsbegründung des E 1960, S. 217
und der Entwurfsbegründung des E 1962, S. 228.
183 Niederschrift über die 5. Tagung der Länderkommission, S. 9.
184 BT-Drucks. IV/651, S. 13.
50
Fahrverbot nachträglich zu verlängern“185, wurde entgegengehalten, dass sich der
gleiche Erfolg im Falle der Aussetzung der Hauptstrafe zur Bewährung erzielen lasse. Außerdem würde die „Weisung, am Verkehrs- oder Fahrunterricht teilzunehmen,
… den Eindruck erwecken oder verstärken, dass die Anordnung des Fahrverbotes
die Feststellung eines Eignungsmangels voraussetze. Es komme aber doch darauf
an, die Maßnahme von dieser Voraussetzung zu lösen, um ihr ein möglichst weites
Anwendungsgebiet zu sichern.“186
Im Ergebnis sprach sich die Länderkommission mit überwiegender Mehrheit187 für
die Einführung des Fahrverbotes als Nebenstrafe aus.
Der Gesetzgeber folgte diesem Vorschlag neben den von der Länderkommission angeführten Argumenten, „weil bei dieser Rechtsform am ehesten sachgemäße Grundsätze für seine Verhängung [des Fahrverbotes] und die Bemessung der Verbotsfrist
herausgearbeitet werden können“188.
Der von Seiten der Länderkommission erhobenen Forderung, „dass der Charakter
des Fahrverbotes als einer Nebenstrafe entweder durch die Einstellung der Vorschrift in einen neu zu schaffenden Titel ‚Nebenstrafen’ oder in der Überschrift der
Bestimmung zum Ausdruck kommen müsse“189, kam der Gesetzgeber ebenfalls
nach, indem er das Fahrverbot in den Abschnitt „Strafen“ einstellte und es ausdrücklich nur neben einer Geld- oder Freiheitsstrafe zuließ.
Darüber hinaus wird das Fahrverbot in das Bundeszentralregister190 (§§ 4 Nr. 1, 5
Abs. 1 Nr. 7 BZRG) eingetragen191, durch seine Anordnung gilt der Täter als vorbestraft192.
Zusammenfassend mangelte es dem Fahrverbot also an dem für eine Maßregel typischen Sicherungszweck, vielmehr stand die Besserung des Täters im Vordergrund.
War folglich der Weg für eine Verkürzung der Sperrfrist im Falle einer gerichtlichen
Entziehung der Fahrerlaubnis auf unter sechs Monate versperrt, verblieb nur die
185 Niederschrift über die 5. Tagung der Länderkommission, S. 9.
186 Niederschrift über die 5. Tagung der Länderkommission, S. 10.
187 Vgl. Niederschrift über die 5. Tagung der Länderkommission, S. 11: „Bei der Abstimmung
sprach sich die Kommission gegen die Stimme des Landes Baden-Württemberg, bei Stimmenthaltung der Länder Bayern und Niedersachsen dafür aus, das Fahrverbot als Nebenstrafe
auszugestalten.“
188 BT-Drucks. IV/651, S. 13.
189 Niederschrift über die 5. Tagung der Länderkommission, S. 17.
190 Das BZR wird gemäß §§ 1, 2 Abs. 1 BZRG vom Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof in Bonn geführt.
191 Vgl. Janiszewski, Verkehrsstrafrecht, 5. Aufl. 2004, Rn. 779 ff.; nach Nr. 45 Abs. 3 MiStra ist
die Verhängung eines Fahrverbotes auch der für die Wohnung des Verurteilen zuständigen
Polizeidienststelle mitzuteilen, sofern diese die Ermittlungen nicht selbst geführt hat und über
die Anordnung der Nebenstrafe unterrichtet ist, in diesem Sinne Geppert in LK-StGB, Bd. 2,
12. Aufl. 2006, § 44 Rn. 76; Th. Wolf in Pohlmann/Jabel/Wolf, StVollstrO, 8. Aufl. 2001,
§ 59a Rn. 29.
192 Vgl. BVerfGE 27, 36 (42).
51
rechtliche Ausgestaltung des Fahrverbotes als (Neben)Strafe, die heute einhellig anerkannt ist193.
4. Fazit
Im Ergebnis stellt das Fahrverbot gemäß § 44 Abs. 1 StGB eine Rechtsfolge dar, mit
der eine „Lücke“194 im Sanktionssystem des Strafgesetzbuches geschlossen werden
sollte. Diese sog. „Lücke“ beruhte auf dem Umstand, dass es Fallkonstellationen
gab, in denen die für eine Entziehung der Fahrerlaubnis erforderliche Ungeeignetheit
zum Führen von Kraftfahrzeugen nicht zweifelsfrei festgestellt werden konnte, der
betroffene Straftäter wegen der begangenen Zuwiderhandlung dennoch eines ausdrücklichen Anrufs an seine Pflichten als Kraftfahrer bedurfte.
Zur Lösung dieser Problematik bot es sich zunächst an, die Mindestdauer der Sperrfrist bei der Maßregel der Entziehung der Fahrerlaubnis auf unter sechs Monate zu
reduzieren. Dem stand jedoch die Rechtnatur der Entziehung der Fahrerlaubnis als
Maßregel entgegen. Denn es wäre kaum nachzuvollziehen, einen für die Sicherheit
des Verkehrs und damit für andere Verkehrsteilnehmer gefährlichen Täter nur kurzzeitig die Teilnahme am Straßenverkehr zu verwehren.
Und so war das Fahrverbot dazu berufen, die bestehende „Lücke“ zu schließen.
Demgegenüber blieben die Fälle, in denen sich der Täter als ungeeignet zum Führen
von Kraftfahrzeugen erwiesen hatte, weiterhin vom Anwendungsbereich der Entziehung der Fahrerlaubnis erfasst.
Neben dem Abgrenzungskriterium der (mangelnden) Fahreignung195 sollte die Entscheidung für oder gegen die Strafe bzw. Maßregel auch dadurch erleichtert werden,
dass
1. bei der Entziehung der Fahrerlaubnis eine Anzahl schwerer Verkehrszuwiderhandlungen aufgenommen wurden, die „kraft Gesetzes den Eignungsmangel
des Täters begründen, wenn nicht besondere Umstände des Einzelfalles diese
Annahme ausschließen“196 und
193 Vgl. BT-Drucks. IV/651, S. 13; BGHSt 29, 58 (60 f.); BGH, NZV 2003, 199; LG München I,
Urt. v. 11.02.2004 - 26 Ns 497 Js 109227/03 -; Athing in MK-StGB, Bd. 1, 2003, § 44 Rn. 1,
11; Fischer, StGB, 56. Aufl. 2009, § 44 Rn. 2; Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, § 44
Rn. 1, Rn. 6 d) aa); Horn in SK-StGB, Bd. 1, § 44 Rn. 2 (Stand: Januar 2001); Geppert in
LK-StGB, Bd. 2, 12. Aufl. 2006, § 44 Rn. 1.
194 Vgl. Niederschrift über die 5. Tagung der Länderkommission, S. 6.
195 Vgl. Niederschriften über die 5. Tagung der Länderkommission, S. 6: „Wo der Eignungsmangel festgestellt werde, sei die Maßregel anzuordnen. In dem anderen Falle, in dem über
Eignung oder Eignungsmangel eine sichere Feststellung nicht möglich sei, könne die Sonderstrafe [Fahrverbot] angebracht sein.“
196 Entwurf eines Strafgesetzbuches (StGB) E 1960 mit Begründung, S. 167.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die rechtsdogmatisch relevante Frage, inwieweit die Kriminalrechtsfolge Fahrverbot (§ 44 StGB) gleichzeitig als Rechtsfolge einer typischen Jugendverfehlung (§ 44 StGB i.V.m. § 8 Abs. 3 JGG) und einer Verkehrsordnungswidrigkeit (§ 25 StVG) fungieren kann.
Unter diesem Blickwinkel werden zunächst das Wesen und die Funktion des Fahrverbotes als sog. „Denkzettel“ herausgearbeitet. Anschließend wird das Fahrverbot in das jeweilige Sanktionssystem eingeordnet und die Voraussetzungen für seine Anordnung und Vollstreckung kritisch hinterfragt. Im Ergebnis ist festzustellen, dass das Fahrverbot im Strafrecht noch nicht den Platz einnimmt, der ihm ursprünglich vom Gesetzgeber zugedacht war. Dazu bedarf es in erster Linie einer zurückhaltenden Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 StGB. Im Jugendstrafrecht verstößt die Verhängung des Fahrverbotes nach derzeitiger Rechtslage gegen das Analogieverbot gemäß Art. 103 Abs. 2 GG. Neben der Verhängung einer Geldbuße für eine begangene Verkehrsordnungswidrigkeit vermag das Fahrverbot als sog. „Denkzettel“ nicht zu fungieren, es entfaltet für den Betroffenen vielmehr Strafwirkung.