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Kernkraftwerkbetreiber enthalten Informationen zur finanziellen Vorsorge für die
Stilllegungs- und Entsorgungskosten. Da die bilanzierten Rückstellungen aber über
einen sehr langen Zeitraum hinweg angesammelt werden, geben die Bilanzen nur
Auskunft über die bisher getätigte finanzielle Vorsorge. Den Bilanzen ist aber nicht
zu entnehmen, wie hoch die Gesamtkosten der Stilllegung und Entsorgung sein werden. Die Veröffentlichung des gesamten Verpflichtungsumfangs verweigern die
deutschen Kernkraftwerkbetreiber bisher unter dem Hinweis auf den Schutz ihres
Betriebs- und Geschäftsgeheimnisses. Demnach können sich Investoren im deutschen System im Gegensatz zur Schweiz nicht auf verlässliche Daten bezüglich der
finanziellen Risiken im Zusammenhang mit der Stilllegung und Entsorgung stützen.
Insgesamt ist aus gesamtwirtschaftlicher Sicht zwar die strenge Umsetzung des
Verursacherprinzips in beiden Finanzierungssystemen zu begrüßen. Im Bereich des
Wettbewerbs auf den Energiemärkten und bezüglich der Transparenz der Vorsorge
bietet das schweizerische System jedoch wichtige Vorteile.
III. Einzelwirtschaftliche Perspektive
Aus Sicht der für die Stilllegung und Entsorgung verantwortlichen Energieversorgungsunternehmen hat dagegen das deutsche Finanzierungssystem gegenüber dem
schweizerischen Fondsmodell erhebliche Vorteile. So führt das deutsche System nur
zu geringen Kapitalbereithaltungskosten, da das Finanzkapital in den Unternehmen
verbleibt und somit keine besonderen Vermögensverwaltungsstrukturen errichtet
werden müssen.
Ein unternehmensexternes System wie in der Schweiz ist dagegen mit der Gründung einer öffentlich-rechtlichen Anstalt verbunden, wodurch zusätzlicher Aufwand
sachlicher und personeller Art entsteht. Die Verwaltungskosten einer solchen Anstalt sind von den finanziell verantwortlichen Kernenergiebetreibern zu tragen und
erhöhen die Gesamtkosten nicht unerheblich. Allein im Jahr 2006 betrugen die
Vermögensverwaltungskosten für die in den beiden Fonds angesammelten Finanzmittel zusammen 12,2 Mio. Schweizer Franken.898
Darüber hinaus mindern im deutschen System die Rückstellungen die Ertragssteuerbelastung der Unternehmen, und die angesammelten Finanzmittel bleiben bis
zum Anfall der Kosten für die verantwortlichen Unternehmen frei verfügbar. So erhöhen die zurückgestellten Mittel ihren Cash-flow.899 Nach dem schweizerischen
Fondsmodell wird den verantwortlichen Unternehmen dagegen Kapital entzogen,
bevor es zum Anfall der eigentlichen Stilllegungs- und Entsorgungskosten kommt.
898 Vgl. Verwaltungskommission des Stilllegungsfonds, Jahresrechnung 2006, S. 3
„www.stilllegungs fonds.ch/de/dokumente/Jahresrechnung2006_StiF_d.pdf“, “; Stand:
1.09.2007; besucht am: 12.09.2007; Verwaltungskommission des Entsorgungsfonds, Jahresrechung 2006, S. 3 „www.entsorgungsfonds.ch/ de/dokumente/Jahresrechnung
2006_EntF_d.pdf“, Stand: 1.09.2007; besucht am 12.09.2007.
899 Siehe Drittes Kapitel, E. I. 5.
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Die Position der Kernkraftwerkbetreiber auf den Energiemärkten wird dadurch beeinträchtigt.
Insofern ist aus einzelwirtschaftlicher Perspektive die Finanzierungsvorsorge auf
der Grundlage von Rückstellungen eindeutig gegenüber einer unternehmensexternen
Finanzierungsvorsorge zu bevorzugen.
IV. Rechtliche Perspektive
Wie im Laufe dieser Arbeit bereits gezeigt900 ist die finanzielle Vorsorge, die die finanziell sowohl in Deutschland als auch in der Schweiz verantwortlichen Kernkraftwerkbetreiber betreiben, mit dem jeweiligen nationalen Recht vereinbar. Ebenso haben sich die europarechtlichen Einwände gegen die Finanzierungsvorsorge basierend auf Rückstellungen als unbegründet erwiesen. Auch die Einführung eines
Fondsmodells nach dem schweizerischen Vorbild wäre, wie in diesem Kapitel gezeigt, grundsätzlich mit dem deutschen Recht vereinbar. Dem Gesetzgeber steht es
daher offen, welches Finanzierungssystem er in seinem nationalen Recht umsetzen
möchte.
900 Siehe Drittes Kapitel, E. und F.
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References
Zusammenfassung
Die nukleare Entsorgung und die Stilllegung von Kernkraftwerken ist nicht nur eine technische, sondern auch eine finanzielle Herausforderung. Die hohen Kosten und der lange Zeitraum, über den sich die notwendigen Stilllegungs- und Entsorgungsmaßnahmen erstrecken, stellen besondere Anforderungen an die finanzielle Vorsorge.
Dieses Buch analysiert die gesetzlichen Vorschriften, nach denen in Deutschland und der Schweiz finanzielle Vorsorge für die Stilllegung und Entsorgung betrieben wird, da diese beiden Länder unterschiedliche Wege gewählt haben, die weltweit exemplarisch für die unterschiedliche Herangehensweise an dieses Problem sind. In Deutschland basiert die Finanzierungsvorsorge auf einer unternehmensinternen Lösung durch die Bildung von Rückstellungen bei den kernkraftwerkbetreibenden Unternehmen. Diese Art der Finanzierungsvorsorge führt zu erheblichen Wettbewerbsvorteilen zugunsten der Kernkraftwerkbetreiber. Inwieweit diese mit dem nationalen und dem europäischen Recht vereinbar sind, bildet ein Schwerpunkt dieses Buchs. Ein anderer Schwerpunkt ist der Vergleich mit dem unternehmensexternen Finanzierungssystem, das die Schweiz zur Finanzierungsvorsorge gewählt hat.