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rungssystem so flexibel ausgestaltet sein, dass auf Kosten- und Preisentwicklungen
sowie auf technologische Entwicklungen möglichst zeitnah reagiert werden kann,
damit keine Finanzierungslücken entstehen, aber auch nicht unnötig Finanzmittel
angehäuft werden.
Ferner kommt der Anlage der angesammelten finanziellen Mittel eine große Bedeutung für die Finanzierungssicherheit zu. Sie sollte unter dem Gesichtspunkt einer
optimalen Rendite- und Risikoverteilung erfolgen, die gleichzeitig gewährleistet,
dass im Bedarfsfall ausreichend Finanzmittel verfügbar sind. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es neben der planmäßigen Stilllegung nach Ablauf der Lebensdauer
bzw. der Restlaufzeit auch zu einer außerplanmäßigen Stilllegung aufgrund eines
Störfalls kommen kann. Daher sollte das Finanzierungssystem in der Lage sein, jederzeit die notwendigen Finanzmittel für die Stilllegung und Entsorgung aufzubringen. Um dies zu gewährleisten, sollte von einer unabhängigen Stelle kontrolliert und
überprüft werden, ob ausreichend Finanzmittel angesammelt und diese sicher angelegt und ordnungsgemäß verwendet werden.
Für die Analyse der beiden unterschiedlichen Finanzierungssysteme in der
Schweiz und in Deutschland stehen demnach aus staatlich-administrativer Perspektive folgende Fragen im Vordergrund:
1. Ist sichergestellt, dass ausreichend finanzielle Mittel angesammelt werden,
um die gesamten Stilllegungs- und Entsorgungskosten finanzieren zu können?
2. Ist gewährleistet, dass die Finanzmittel so angelegt werden, dass sie dann zur
Verfügung stehen, wenn sie benötigt werden
a. nach einer planmäßigen Stilllegung am Ende der Lebenszeit oder
b. nach einer früheren außerplanmäßigen Stilllegung aufgrund eines
Zwischenfalls oder Unfalls?
3. Welche Vorkehrungen werden getroffen, um zu verhindern, dass die für die
Stilllegung angesammelten Finanzmittel zu anderen Zwecken verwendet
werden?
4. Welche staatlichen Kontrollen stellen sicher, dass tatsächlich genügend finanzielle Mittel im Bedarfsfall zur Verfügung stehen?
II. Gesamtwirtschaftliche Perspektive
Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive handelt es sich bei den stillgelegten Kernkraftwerken und den radioaktiven Abfällen um Umweltschadstoffe, die bei der Produktion von Elektrizität aus Kernenergie anfallen. Um die Menge dieser Umweltschadstoffe zu minimieren, müssen die Kosten und Risiken, die mit der Beseitigung
dieser Umweltschadstoffe verbunden sind, den Verursachern auferlegt werden. Nur
dann können die Märkte die richtigen Signale aussenden und eine Wohlfahrtminderung verhindern. Würden die Kosten der Stilllegung und Entsorgung dagegen ganz
oder teilweise der Allgemeinheit auferlegt, also externalisiert, käme zu es einer Verfälschung des Wettbewerbs und unter Umständen zu einer Fehlallokation von Finanzmitteln im Bereich der Kernenergie. Demzufolge müssen aus gesamtwirt-
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schaftlicher Sicht alle mit der Stilllegung und Entsorgung zusammenhängenden
Kosten in den Produktionskosten der Kernenergie Berücksichtigung finden.
Für die Stilllegung und Entsorgung bedeutet dies, dass den Kernkraftwerkbetreiber die Verantwortung für die Bereitstellung der finanziellen Mittel auferlegt
werden muss. Da sie die Kernkraftwerke gebaut haben und betreiben, können nur sie
die Stilllegungs- und Beseitigungskosten während der Betriebsdauer erwirtschaften.
Ein Finanzierungssystem sollte daher gewährleisten, dass die Kernkraftwerkbetreiber als Nutznießer der Kernenergie auch tatsächlich für die Kosten der Stilllegung und Entsorgung aufkommen und diese Kosten nicht auf die Allgemeinheit
oder zukünftige Generationen überwälzt werden.
Aus gesamtwirtschaftlicher Sicht von großer Bedeutung ist daneben die Transparenz des Finanzierungssystems. Die auf die Kernkraftwerkbetreiber zukommenden Kosten und Risiken sollten offen gelegt werden, damit Investoren alle Kosten
und Risiken im Zusammenhang mit der Stilllegung und Entsorgung einschätzen und
ihre Investitionen hiernach ausrichten können.
Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive ist ein Finanzierungssystem daher unter
folgenden Kriterien zu untersuchen:
1. Inwieweit legt das jeweilige Finanzierungssystem die tatsächlich anfallenden
Kosten den Verursachern auf?
2. Führt das Finanzierungssystem zu Wettbewerbsverzerrungen?
3. Wie transparent ist das jeweilige Finanzierungssystem?
III. Einzelwirtschaftliche Perspektive
Aus einzelwirtschaftlicher, unternehmensbezogener Sicht sollten die Finanzierungsaktivitäten für die Stilllegung und Entsorgung so gestaltet werden, dass die erwarteten Gesamtkosten für die beteiligten Unternehmen minimiert werden. Die für die
Finanzierung verantwortlichen Unternehmen haben zudem ein großes Interesse daran, dass das Finanzierungssystem ihnen einen möglichst großen Gestaltungsspielraum für die zweckbezogene Beschaffung und Bereitstellung des Finanzkapitals
lässt. Aus einzelwirtschaftlicher Blickrichtung stellen sich demnach insbesondere
folgende Fragen:
1. Wie hoch sind die mit dem Finanzierungssystem verbundenen Gesamtkosten für die Stilllegung und Entsorgung?
2. Wie werden die Gesamtkosten verteilt?
3. Wie flexibel ist das Finanzierungssystem bezüglich der Beschaffung und
Bereitstellung des Finanzkapitals? Hierbei sind insbesondere folgende Fragen von großem Interesse: Wie und wann müssen diese finanziellen Mittel
bereitgestellt werden? Und inwieweit können die Unternehmen über die finanziellen Mittel bis zum Anfall der Kosten frei verfügen?
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References
Zusammenfassung
Die nukleare Entsorgung und die Stilllegung von Kernkraftwerken ist nicht nur eine technische, sondern auch eine finanzielle Herausforderung. Die hohen Kosten und der lange Zeitraum, über den sich die notwendigen Stilllegungs- und Entsorgungsmaßnahmen erstrecken, stellen besondere Anforderungen an die finanzielle Vorsorge.
Dieses Buch analysiert die gesetzlichen Vorschriften, nach denen in Deutschland und der Schweiz finanzielle Vorsorge für die Stilllegung und Entsorgung betrieben wird, da diese beiden Länder unterschiedliche Wege gewählt haben, die weltweit exemplarisch für die unterschiedliche Herangehensweise an dieses Problem sind. In Deutschland basiert die Finanzierungsvorsorge auf einer unternehmensinternen Lösung durch die Bildung von Rückstellungen bei den kernkraftwerkbetreibenden Unternehmen. Diese Art der Finanzierungsvorsorge führt zu erheblichen Wettbewerbsvorteilen zugunsten der Kernkraftwerkbetreiber. Inwieweit diese mit dem nationalen und dem europäischen Recht vereinbar sind, bildet ein Schwerpunkt dieses Buchs. Ein anderer Schwerpunkt ist der Vergleich mit dem unternehmensexternen Finanzierungssystem, das die Schweiz zur Finanzierungsvorsorge gewählt hat.