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gewiesen und einen umfassenden Plan für die Standortsuche vorgelegt.57 Auf dieser
Grundlage arbeitet derzeit der Schweizer Bundesrat58 einen Sachplan für ein geologisches Tiefenlager aus, in dem die sicherheitstechnischen Kriterien für ein Endlager
und ein Verfahren zur Auswahl des am besten geeigneten Standortes festgelegt werden sollen. Nach dem derzeitigen Stand wird auch in der Schweiz nicht vor dem
Jahr 2030 mit der Inbetriebnahme eines Endlagers gerechnet.59
C. Bewertungskriterien für ein Finanzierungssystem
Die Risiken der nuklearen Stilllegung und Entsorgung spiegeln sich in deren Finanzsphäre wider. So führen die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen bei der Stilllegung und Entsorgung zu finanziellen Folgekosten in einer immensen Größenordnung. In Deutschland wird mit einem Finanzbedarf für alle mit der Stilllegung
und Entsorgung verbundenen Kosten von insgesamt mindestens 30 Milliarden Euro
gerechnet.60 In der Schweiz geht man von Stilllegungs- und Entsorgungskosten in
einem Umfang von 13,8 Milliarden Schweizer Franken (8,31 Milliarden Euro) aus.61
Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Schätzungen der Gesamtkosten aufgrund der ungeklärten Endlagerfrage in beiden Ländern noch mit großen Unsicherheiten verbunden sind.
Zu diesem enormen Finanzbedarf kommt die zeitliche Dimension hinzu. Je nach
Wahl der Stilllegungsvariante und unter der Prämisse, dass ein geeignetes Endlager
gefunden und bis 2030 errichtet wird, ist mit einem endgültigen Verschluss erst im
Jahr 2080 zu rechnen.62 Die Kosten verteilen sich somit auf einen Zeitraum von
mindestens 70 Jahren. Darüber hinaus besteht auch nach dem endgültigen Verschluss der Endlager die Gefahr, dass radioaktive Stoffe an die Oberfläche gelangen.
Auch diese Gefahr birgt erhebliche finanzielle Risiken, die in einem Finanzierungssystem berücksichtigt werden sollten.
57 NAGRA, Projekt Opalinuston, „nagra.ch/downloads/d_bro_opa.pdf“; Stand: Januar 2003;
besucht am: 1.08.2007.
58 Der Schweizer Bundesrat ist die Regierung in der Schweiz.
59 Bundesamt für Energie, Sachplan Geologisches Tiefenlager, Entwurf Konzeptteil,
„www.news-service.admin.ch/NSBSubscriber/message/attachments/6497.pdf“; Stand:
11.01.2007; besucht am 1.08.2007.
60 Dies ist die Höhe der derzeit gebildeten Stilllegungs- und Entsorgungsrückstellungen bei den
deutschen Kernkraftwerkbetreibern. Siehe Geschäftsberichte der vier großen Energieversorgungsunternehmen: E.ON AG Geschäftsbericht 2006; RWE AG Geschäftsbericht 2006,
EnWG Geschäftsbericht 2006, Vattenfall Europe Geschäftsbericht 2006.
61 Nuklearforum Schweiz, Finanzierung der nuklearen Entsorgung und der Stilllegung von
Kernkraftwerken, „www.nuklearforum.ch/_upl/files/Faktenblatt_Entsorgung _2006d.pdf“
Stand: Mai 2006, besucht am: 10.08.2007.
62 Bundesamt für Strahlenschutz, Kosten und Kostenverteilung des Endlagerprojekts,
„www.bfs.de/de/transport/endlager/Konrad/kosten_konrad.html“ Schacht Konrad, Stand:
20.06.2007; besucht am: 10.10.2007. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass keine
neuen Kernkraftwerke mehr gebaut werden.
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Inwieweit das deutsche und das schweizerische Finanzierungssystem diesen Herausforderungen gerecht werden, wird in den folgenden beiden Kapiteln untersucht.
Um die Vor- und Nachteile der beiden unterschiedlichen Finanzierungssysteme herausarbeiten zu können, sollen die beiden Finanzierungskonzepte aus verschiedenen
Blickrichtungen analysiert werden. Dabei sind zum einen die Vorstellungen und
Ziele der an der Stilllegungs- und Entsorgungsfinanzierung unmittelbar und mittelbar Beteiligten zu berücksichtigen. Hieraus ergeben sich jeweils spezifische Bedingungen und Beurteilungskriterien, die in die Bewertung eines Finanzierungssystems
einbezogen werden müssen. In den Prozess der Stilllegung und Entsorgung sind neben den unmittelbar für die Stilllegung und Entsorgung verantwortlichen Unternehmen, aus Gründen der nuklearen Sicherheit und des Strahlenschutzes insbesondere
auch staatliche Organe involviert. Demzufolge soll die Gesamtbewertung sowohl
aus einzelwirtschaftlicher Perspektive als auch aus staatlich-administrativer Perspektive erfolgen. Darüber hinaus, muss ein solches Finanzierungssystem gesamtwirtschaftlich sinnvoll ausgestaltet werden und rechtlich mit dem Verfassungs- und Europarecht vereinbar sein. So dass neben der einzelwirtschaftlichen und staatlichadministrativen Perspektive auch die gesamtwirtschaftliche und rechtliche Perspektive bei der Bewertung eines Finanzierungssystems für die Stilllegung und Entsorgung im Kernenergiebereich Berücksichtigung finden soll. Dementsprechend erfolgt
die Gesamtbewertung aus folgenden Blickrichtungen:
‚ der staatlich-administrativen Perspektive,
‚ der gesamtwirtschaftlichen Perspektive,
‚ der einzelwirtschaftlichen Perspektive und
‚ der rechtlichen Perspektive.
I. Staatlich-administrative Perspektive
Auf der staatlich-administrativen Ebene ist das oberste Ziel der Stilllegung und Entsorgung die Sicherheit und der Schutz der Bürger vor den Gefahren der Kernenergie.63 Aus diesem Grund muss ein Finanzierungssystem sicherstellen, dass eine
aus Sicherheitsgründen notwendige Stilllegung und Entsorgung nicht deswegen unterbleibt, weil die finanziellen Mitteln für ihre Durchführung fehlen. Die Finanzierungssicherheit steht somit im Mittelpunkt der staatlich-administrativen Perspektive.
Risiken bezüglich der Finanzierung der Stilllegungs- und Entsorgungskosten ergeben sich insbesondere aus dem schwierig abzuschätzenden hohen Finanzbedarf und
aus dem langen Zeitraum, auf den sich die Kosten verteilen.
Ein Finanzierungssystem muss deswegen sicherstellen, dass genügend finanzielle
Mittel während der Betriebsphase angesammelt werden. Dabei sollte das Finanzie-
63 In Deutschland ist dieses Ziel in § 1 Nr. 2 AtG ausdrücklich festgelegt und steht nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 53, 30 (58)) über allen anderen Zielen des Atomgesetzes. In der Schweiz legt Art. 1 Satz 2 KEG ausdrücklich fest, dass
der Schutz von Mensch und Umwelt der vorrangige Zweck des Kernenergiegesetzes ist.
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rungssystem so flexibel ausgestaltet sein, dass auf Kosten- und Preisentwicklungen
sowie auf technologische Entwicklungen möglichst zeitnah reagiert werden kann,
damit keine Finanzierungslücken entstehen, aber auch nicht unnötig Finanzmittel
angehäuft werden.
Ferner kommt der Anlage der angesammelten finanziellen Mittel eine große Bedeutung für die Finanzierungssicherheit zu. Sie sollte unter dem Gesichtspunkt einer
optimalen Rendite- und Risikoverteilung erfolgen, die gleichzeitig gewährleistet,
dass im Bedarfsfall ausreichend Finanzmittel verfügbar sind. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass es neben der planmäßigen Stilllegung nach Ablauf der Lebensdauer
bzw. der Restlaufzeit auch zu einer außerplanmäßigen Stilllegung aufgrund eines
Störfalls kommen kann. Daher sollte das Finanzierungssystem in der Lage sein, jederzeit die notwendigen Finanzmittel für die Stilllegung und Entsorgung aufzubringen. Um dies zu gewährleisten, sollte von einer unabhängigen Stelle kontrolliert und
überprüft werden, ob ausreichend Finanzmittel angesammelt und diese sicher angelegt und ordnungsgemäß verwendet werden.
Für die Analyse der beiden unterschiedlichen Finanzierungssysteme in der
Schweiz und in Deutschland stehen demnach aus staatlich-administrativer Perspektive folgende Fragen im Vordergrund:
1. Ist sichergestellt, dass ausreichend finanzielle Mittel angesammelt werden,
um die gesamten Stilllegungs- und Entsorgungskosten finanzieren zu können?
2. Ist gewährleistet, dass die Finanzmittel so angelegt werden, dass sie dann zur
Verfügung stehen, wenn sie benötigt werden
a. nach einer planmäßigen Stilllegung am Ende der Lebenszeit oder
b. nach einer früheren außerplanmäßigen Stilllegung aufgrund eines
Zwischenfalls oder Unfalls?
3. Welche Vorkehrungen werden getroffen, um zu verhindern, dass die für die
Stilllegung angesammelten Finanzmittel zu anderen Zwecken verwendet
werden?
4. Welche staatlichen Kontrollen stellen sicher, dass tatsächlich genügend finanzielle Mittel im Bedarfsfall zur Verfügung stehen?
II. Gesamtwirtschaftliche Perspektive
Aus gesamtwirtschaftlicher Perspektive handelt es sich bei den stillgelegten Kernkraftwerken und den radioaktiven Abfällen um Umweltschadstoffe, die bei der Produktion von Elektrizität aus Kernenergie anfallen. Um die Menge dieser Umweltschadstoffe zu minimieren, müssen die Kosten und Risiken, die mit der Beseitigung
dieser Umweltschadstoffe verbunden sind, den Verursachern auferlegt werden. Nur
dann können die Märkte die richtigen Signale aussenden und eine Wohlfahrtminderung verhindern. Würden die Kosten der Stilllegung und Entsorgung dagegen ganz
oder teilweise der Allgemeinheit auferlegt, also externalisiert, käme zu es einer Verfälschung des Wettbewerbs und unter Umständen zu einer Fehlallokation von Finanzmitteln im Bereich der Kernenergie. Demzufolge müssen aus gesamtwirt-
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die nukleare Entsorgung und die Stilllegung von Kernkraftwerken ist nicht nur eine technische, sondern auch eine finanzielle Herausforderung. Die hohen Kosten und der lange Zeitraum, über den sich die notwendigen Stilllegungs- und Entsorgungsmaßnahmen erstrecken, stellen besondere Anforderungen an die finanzielle Vorsorge.
Dieses Buch analysiert die gesetzlichen Vorschriften, nach denen in Deutschland und der Schweiz finanzielle Vorsorge für die Stilllegung und Entsorgung betrieben wird, da diese beiden Länder unterschiedliche Wege gewählt haben, die weltweit exemplarisch für die unterschiedliche Herangehensweise an dieses Problem sind. In Deutschland basiert die Finanzierungsvorsorge auf einer unternehmensinternen Lösung durch die Bildung von Rückstellungen bei den kernkraftwerkbetreibenden Unternehmen. Diese Art der Finanzierungsvorsorge führt zu erheblichen Wettbewerbsvorteilen zugunsten der Kernkraftwerkbetreiber. Inwieweit diese mit dem nationalen und dem europäischen Recht vereinbar sind, bildet ein Schwerpunkt dieses Buchs. Ein anderer Schwerpunkt ist der Vergleich mit dem unternehmensexternen Finanzierungssystem, das die Schweiz zur Finanzierungsvorsorge gewählt hat.