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Beim unmittelbaren Abbau einer Anlage ohne vorherige Abklingzeit sind höhere
Sicherheitsvorkehrungen für das Abbaupersonal erforderlich. Auch ist die Masse des
radioaktiven Materials größer als wenn vorher die Variante des sicheren Einschlusses gewählt worden ist.29 Ein wesentlicher Vorteil des unmittelbaren Abbaus
ist allerdings, dass ein Großteil des Betriebspersonals weiterbeschäftigt und auf das
vorhandene Know-how beim Abbau zurückgegriffen werden kann. Ein weiterer
Vorteil des unmittelbaren Abbaus gegenüber einem um etwa 30 Jahre verzögerten
Abbaus ist die erhöhte Finanzierungssicherheit, da die Demontage beim unmittelbaren Abbau in einem überschaubaren Zeitraum stattfindet. Eine längere Verschiebung birgt das Risiko, dass zum Zeitpunkt der Beseitigung einer Anlage keine
ausreichenden Finanzmittel mehr zur Verfügung stehen.30
Inwiefern der deutsche bzw. der schweizerische Gesetzgeber einer Variante den
Vorzug einräumt oder ob beide Varianten gleichwertig nebeneinander stehen, wird
im Verlaufe dieser Arbeit noch erörtert.31
B. Ablauf der nuklearen Entsorgung
Unter nuklearer Entsorgung ist die „Verwertung oder Beseitigung“ radioaktiver Abfälle zu verstehen.32 Grundsätzlich gibt es hierfür zwei Wege: zum einen die Verwertung durch die Wiederaufarbeitung in einer Wiederaufarbeitungsanlage33 und
zum anderen die Beseitigung in Form der Zwischen- und anschließenden Endlagerung der radioaktiven Abfälle. Da sowohl in Deutschland34 als auch in der
Schweiz35 die Wiederaufarbeitung gesetzlich untersagt worden ist, soll hier nur auf
29 Ausführlich zu den Vor- und Nachteilen des sicheren Einschlusses eines Kernkraftwerks gegenüber dem sofortigen Abbau, siehe Wieland, in: Ossenbühl (Hrsg.) Deutscher Atomrechtstag 2002, S. 165 (167 ff.).
30 Bürger, Energiewirtschaftliche Bewertung der Stilllegungs- und Entsorgungsrückstellungen,
S. 21 ff.
31 Siehe hierzu für Deutschland Drittes Kapitel, C., II., 4.; ausführlich zu der Rechtslage in der
Schweiz: Viertes Kapitel, C., II.
32 Rengeling, in: Lukes, Reformüberlegungen zum Atomrecht, S. 222.
33 Bei der Wiederaufarbeitung handelt es sich um ein chemisches Verfahren, bei dem die radioaktiven Spaltprodukte von den in den abgebrannten Brennelementen noch enthaltenen Kernbrennstoffen getrennt werden. Anschließend werden die Spaltprodukte nach entsprechender
Bearbeitung zwischen- bzw. endgelagert und die noch spaltbaren Kernbrennstoffe nach entsprechender Bearbeitung (Anreicherung) wieder in den Brennstoffkreislauf zurückgeführt.
Vgl. eingehend hierzu: Büdenbender/Heintschel von Heinegg/Rosin, Energierecht I, Rdnr.
967.
34 § 9a Abs. 1 S. 2 AtG. Danach ist die Abgabe bestrahlter Kernbrennstoffe zur Wiederaufarbeitung nach dem 1. Juli 2005 unzulässig.
35 Artikel 106 Abs. 4 KEG. Hiernach dürfen abgebrannte Brennelemente während einer Zeit
von mindestens 10 Jahren ab dem 1. Juli 2006 nicht zur Wiederaufarbeitung ausgeführt werden. Sie sind während dieser Zeit als radioaktive Abfälle zu entsorgen. Die Bundesversammlung kann diese Frist um weitere zehn Jahre per Bundesbeschluss verlängern. Damit ist die
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den zweiten Weg, die Beseitigung in Form der Zwischen- und anschließenden Endlagerung, eingegangen werden.
Hierbei ist zwischen schwachradioaktiven Abfällen mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung und wärmeerzeugenden hochradioaktiven Abfällen zu unterscheiden.36 Die wärmeerzeugenden hochradioaktiven Abfälle, zu denen insbesondere die abgebrannten Brennelemente37 gehören, müssen zunächst für einen gewissen Zeitraum zur Verringerung der zerfallsbedingten Wärmeentwicklung zwischengelagert werden. Anschließend werden sie in einer Konditionierungsanlage
zerlegt und in spezielle endlagerfähige Behälter verpackt. Erst dann können sie endgelagert werden. Bei schwachradioaktiven Abfällen mit vernachlässigbarer Wärmeentwicklung ist dagegen eine Zwischenlagerung grundsätzlich nicht notwendig. Sie
können sofort nach ihrem Abtransport aus dem Reaktor in ein Endlager verbracht
werden.
Die Endlagerung radioaktiver Abfälle muss gewährleisten, dass alle radioaktiven
Abfälle so lange von der Biosphäre isoliert werden, bis die Aktivität der Abfälle auf
einen für den Menschen und die Umwelt ungefährlichen Wert abgesunken ist. Als
Möglichkeiten der Endlagerung kommen die oberirdische Lagerung, die Lagerung
in geologischen Formationen, die Lagerung im Meer und die Verbringung außerhalb
der Erdatmosphäre in Betracht.38 Die oberirdische Endlagerung, die Endlagerung im
Meer bzw. unter dem Meer und auch die Endlagerung außerhalb der Erdatmosphäre
haben sich als so problematisch erwiesen, dass weltweit kein Land diese Möglichkeiten der Endlagerung mehr ernsthaft in Betracht zieht. Dies liegt entweder daran,
dass der Abschluss des radioaktiven Materials gegenüber der Außenwelt nicht mit
hinreichender Langzeitsicherheit erfolgen kann oder, wie bei der Verbringung in den
Weltraum, die Gefahren des Transports zu groß sind.39
Aus diesem Grund konzentriert sich die Suche nach einem Endlager in allen Ländern, die die Kernenergie nutzen, auf die Suche nach einem geeigneten geologischen
Tiefenlager.40 Da einige hochradioaktive Abfallstoffe eine sehr lange Halbwertszeit
(z. B. Plutonium (Pu) 239 ca. 24000 Jahre41) haben, muss die geologische Formation, in der das Tiefenlager errichtet werden soll, gewährleisten, dass die radioaktiven
Wiederaufarbeitung auch in der Schweiz für die Restlaufzeit der bestehenden Kernkraftwerke
faktisch verboten.
36 Zur Klassifizierung von radioaktiven Abfällen siehe Herrmann/Röthemeyer, Langfristig sichere Deponien, S. 15 f.
37 Die in Kernkraftwerken eingesetzten Brennelemente müssen in regelmäßigen Abständen ausgetauscht werden, weil infolge ihres „Abbrandes“ bei der Energieerzeugung der Anteil des
spaltbaren und damit für die Energieerzeugung in Betracht kommenden Materials in den
Brennelementen soweit zurückgeht, dass sich die für die Energieerzeugung notwendige Kettenreaktion nicht mehr fortsetzt. Siehe hierzu eingehend Büdenbender, Energierecht, Rdnr.
1211.
38 Vgl. Diekmann, Atomare Endlagerung, S. 19.
39 Eingehend hierzu: Rabben, Rechtsprobleme der atomaren Endlagerung, S. 39 ff.
40 Siehe hierzu Drasdo, Kosten der Endlagerung radioaktiver Abfälle, S. 71 ff.
41 Bundesamt für Strahlenschutz, „www.bfs.de/ion/wirkungen/plutonium.html“; Stand:
5.12.2005; besucht am: 20.03.2007.
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Abfälle für mehrere hunderttausend Jahre sicher von der Biosphäre abgeschlossen
werden können.42 Die Möglichkeiten zur Vorhersage der Entwicklung von geologischen Formationen über einen so langen Zeitraum stoßen aber nach derzeitigem
Stand von Wissenschaft und Technik an ihre Grenzen. Insbesondere über die Auswirkungen von langfristigen Veränderungen der geologischen, thermischen und radiologischen Zustandsbedingungen in einem möglichen Endlager, die unter anderem
von den komplexen Wechselwirkungen der radioaktiven Abfälle mit ihrer potentiellen, selbst veränderlichen Endlagerumgebung abhängen, existieren noch erhebliche
Ungewissheiten.43 Dabei besteht vor allem die Gefahr, dass sich innerhalb der Jahrtausende die grundwasserführenden Schichten so verschieben, dass der eingelagerte
Atommüll mit ihnen in Kontakt gerät und strahlende Nuklide in die Umgebung ausgeschwemmt werden.44
Demnach kann auch bei geologischen Tiefenlagern nicht ausgeschlossen werden,
dass es innerhalb relevanter Zeiträume zu einer Freisetzung von radioaktiven Abfallstoffen in die Biosphäre kommt.45 Aufgrund dieser Unwägbarkeiten ist weltweit bisher noch kein Endlager für hochradioaktive Abfälle gefunden und genehmigt worden.46 Einige Länder tendieren aufgrund der Langzeitrisiken mittlerweile zu „Zwischenlösungen“ in Form offener und ständig überwachter geologischer Lager, in denen die Abfälle „bis auf weiteres“ rückholbar gelagert werden sollen.47
I. Das Endlagerkonzept in Deutschland
Deutschland verfolgte bis zum Regierungswechsel 1998 bezüglich der Endlagerung
radioaktiver Abfälle ein so genanntes „Zwei-Endlager-Konzept“.48 Ein Salzstock bei
Gorleben wurde mit dem Ziel erkundet, dort wärmeentwickelnde hochradioaktive
Abfälle endzulagern.49 Ein stillgelegtes Eisenerzbergwerk, der sog. Schacht Konrad
bei Salzgitter, war als Endlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle mit ver-
42 Deswegen verlangt der von der Bundesregierung eingesetzte „Arbeitskreis Auswahlverfahren
Endlagersuche (AkEnd)“ von einem geeigneten Endlagerstandort, dass dieser gewährleistet,
dass die hochradioaktiven Abfälle von der Biosphäre für eine Million Jahre isoliert werden
können. Siehe AkEnd, Abschlussbericht, Auswahlverfahren für Endlagerstandorte, S. 4
„www.bmu.de/files/pdfs/ allgemein/application/pdf/akend_bericht.pdf“; Stand: 1.12.2002;
besucht am 5.03.2007.
43 Vgl. Nies, in: Ossenbühl (Hrsg.), Deutscher Atomrechtstag 2004, S. 93 (96).
44 Vgl. Rabben, Rechtsprobleme der atomaren Entsorgung, S. 44 ff; Merz, ET 1982, S. 156 (159
f.). Der Wassereinbruch im Versuchsendlager Asse hat gezeigt, dass diese Gefahr durchaus
real ist. Siehe hierzu: Fröhlingsdorf/Knauer, Gau in der Grube, in: DER SPIEGEL, Nr.
17/2007 vom 23.04.2007, S. 48 (50).
45 Vgl. Reich, Finanzierung der nuklearen Entsorgung, S. 19.
46 Siehe zu dem Stand der Endlagersuche in anderen Ländern, Herrmann/Röthemeyer, Langfristig sichere Deponien, S. 287 ff.
47 Siehe Reich, Finanzierung der nuklearen Entsorgung, S. 19.
48 Siehe Renneberg, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 10. Atomrechtssymposium, S. 273 (279).
49 Bündenbender/Heintschel von Heinegg/Rosin, Energierecht I, Rdnr. 1089.
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nachlässigbarer Wärmeentwicklung vorgesehen.50 Dieses Konzept wurde nach dem
Regierungswechsel 1998 grundlegend geändert. Seit dem wird ein „Ein-Endlager-
Konzept“ bevorzugt.51 Dieses sieht vor, dass in nur einem geologischen Tiefenlager
alle radioaktiven Abfälle gelagert werden. Zur Suche eines solchen Endlagers soll es
ein neues Such- und Erkundungsverfahren geben, mit dem Ziel den relativ besten
Standort für ein Endlager in Deutschland zu finden und dort möglichst große Endlagersicherheit zu schaffen. Für diese Suche stellte ein hierfür einberufener „Arbeitskreis Auswahlverfahren Endlagerstandorte (AkEnd)“ Kriterien zusammen, die ein
solches Endlager erfüllen sollte.52 Anhand dieser Kriterien soll eine ergebnisoffene
Suche nach einem Endlagerstandort unter Einschluss des Standorts Gorleben erfolgen.53 Bis zum Jahr 2020 soll die Suche abgeschlossen sein und anschließend das
Endlager am bestgeeigneten Standort errichtet werden. Während der Zeit der Neuerkundung sollen die Arbeiten am Salzstock Gorleben und am Schacht Konrad unterbrochen und durch ein Moratorium offen gehalten werden. Mit der endgültigen Fertigstellung eines betriebsbereiten Endlagers wird nicht vor 2030 gerechnet.54
II. Das Endlagerkonzept in der Schweiz
Auch in der Schweiz ist bisher noch keine endgültige Entscheidung über ein Endlager gefallen.55 Zwar hatte man sich 1993 zur Endlagerung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen für den Standort Wellenberg entschieden. Seit 1995 ist das
weitere Vorgehen allerdings aufgrund der Verweigerung einer notwendigen kantonalen Konzession blockiert.56 Auch für hochradioaktive Abfälle wurde bisher noch
kein Standort für ein geologisches Endlager gefunden. Die für die Endlagersuche
zuständige „Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle
(NAGRA)“ hat bislang lediglich die grundsätzliche Machbarkeit eines geologischen
Tiefenlagers für hochradioaktive, wärmeentwickelnde Abfälle in der Schweiz nach-
50 Daneben existieren noch zwei weitere Endlagerprojekte. Zum einen das ehemalige Salzbergwerk Asse in dem Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zur Endlagerung durchgeführt
wurden. Zum andern das Endlagerprojekt der ehemaligen DDR in Morsleben, das durch die
deutsche Einheit hinzugekommen ist. Es wurde zwar auch nach der deutschen Einheit noch
weitergeführt ist aber nie Teil der Entsorgungsstrategie der Bundesregierung geworden. Der
Einlagerungsbetrieb wurde inzwischen aufgrund einer Anordnung des OVG Magdeburg eingestellt. Mit einem Weiterbetrieb ist nach Einschätzung des BfS nicht zu rechnen. Die Kosten
für diese beiden Projekte zahlt unstrittig der Staat. Näheres zu allen Endlagerprojekten siehe
Scholz, in: Pelzer, Brennpunkte des Atomenergierechts, S. 93 (97 ff.).
51 Siehe hierzu kritisch Huck, RdE 2005, S. 39f.
52 Siehe AkEnd, Abschlussbericht, a.a.O. (Fn. 42).
53 Nies, in: Ossenbühl (Hrsg.), Deutscher Atomrechtstag 2004, S. 93 (96). Der Standort
„Schacht Konrad“ scheidet als Endlagerstandort für alle radioaktiven Abfälle aus, da er aus
geologischen Gründen nicht für wärmeentwickelnde Abfälle geeignet ist.
54 Trittin, in: Koch/Roßnagel (Hrsg.), 12. Atomrechtssymposium, S. 15 (18).
55 Vgl. Jagmetti, Energierecht, S. 5520 ff.
56 Die Volksabstimmung vom 22. September lehnte die Konzession für einen notwendigen
Sondierungsstollen mit 57,5 Prozent Nein-Stimmen ab. Jagmetti, Energierecht, Rdnr. 5525.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die nukleare Entsorgung und die Stilllegung von Kernkraftwerken ist nicht nur eine technische, sondern auch eine finanzielle Herausforderung. Die hohen Kosten und der lange Zeitraum, über den sich die notwendigen Stilllegungs- und Entsorgungsmaßnahmen erstrecken, stellen besondere Anforderungen an die finanzielle Vorsorge.
Dieses Buch analysiert die gesetzlichen Vorschriften, nach denen in Deutschland und der Schweiz finanzielle Vorsorge für die Stilllegung und Entsorgung betrieben wird, da diese beiden Länder unterschiedliche Wege gewählt haben, die weltweit exemplarisch für die unterschiedliche Herangehensweise an dieses Problem sind. In Deutschland basiert die Finanzierungsvorsorge auf einer unternehmensinternen Lösung durch die Bildung von Rückstellungen bei den kernkraftwerkbetreibenden Unternehmen. Diese Art der Finanzierungsvorsorge führt zu erheblichen Wettbewerbsvorteilen zugunsten der Kernkraftwerkbetreiber. Inwieweit diese mit dem nationalen und dem europäischen Recht vereinbar sind, bildet ein Schwerpunkt dieses Buchs. Ein anderer Schwerpunkt ist der Vergleich mit dem unternehmensexternen Finanzierungssystem, das die Schweiz zur Finanzierungsvorsorge gewählt hat.