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3. Bewertung der Ehrenstrafe im Verhältnis zum Verfassungsrecht
Somit konnte gezeigt werden, dass sich im Rahmen der Ehrenstrafe eine unterschiedliche Beurteilung im Bezug auf ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz ergibt. Während die Statusminderung den Anforderungen des Grundgesetzes entspricht, kann die Urteilsbekanntgabe einer entsprechenden Überprüfung nicht standhalten. Dies ist auch mit den beiden Seiten der Ehrenstrafe zu erklären. Die Statusminderung als Fortsetzung der der alten Rechtsminderung kann als Einschränkung
der Partizipationsmöglichkeit auch nach Hinzutreten der Menschenwürde in den
Ehrbegriff weiter bestehen, während, die Urteilsbekanntmachung wegen ihres Eingriffs in die Partizipationsfähigkeit mit der Menschenwürde nicht vereinbar ist.
IV. Die Ehrenstrafe und internationales Recht
Auch im Rahmen des europäischen und internationalen Rechts stellt sich die Frage
nach der Zulässigkeit der Ehrenstrafe in ihren beiden Ausgestaltungen.
1. § 45
In der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 4.11.1950 ist die Ehrenstrafe
und damit die Frage der Statusminderung wie auch die Frage der Urteilsbekanntmachung als zulässige Sanktion nicht ausdrücklich geregelt. Im ersten Zusatzprotokoll
zur Europäischen Menschenrechtskonvention vom 20.3. 1952 vereinbarten die Vertragsparteien in Bezug auf das Wahlrecht lediglich in Artikel 3, dass in angemessenen Abständen freie Wahlen abzuhalten seien. Das 12. Zusatzprotokoll vom
4.11.2000 verbietet allerdings in Artikel 1 die Diskriminierung von Menschen wegen Geschlecht, Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger
Überzeugung sowie nationaler oder sozialer Herkunft, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, Besitz, Geburtsstand oder eines anderen Status. Nicht erwähnt ist
hingegen eine Diskriminierung aufgrund einer strafgerichtlichen Verurteilung, so
dass davon ausgegangen werden muss, dass ein Verstoß gegen die europäische
Menschenrechtskonvention durch die statusmindernde Ehrenstrafe nicht vorliegt
und auch hier wieder der Grundsatz der Ehrenstrafe als traditioneller Einschränkung
des Wahlrechts Bestätigung erfährt.
Im Rahmen des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte
vom 19.12.19661148 ist in Artikel 25 festgelegt, dass jedem Staatsbürger das Recht
zu wählen, gewählt zu werden und öffentliche Ämter zu bekleiden zukommt. Dar-
über hinaus ist nach Artikel 10 III des Paktes der Strafvollzug so auszurichten, dass
die Resozialisierung des Verurteilten im Rahmen des Vollzuges berücksichtigt wird,
was für einen Verstoß der statusmindernden Ehrenstrafe gegen den Pakt sprechen
1148 In der Bundesrepublik Deutschland in Kraft durch BGBl. 1973 II, Seite 1534.
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könnte. Allerdings wird dies dadurch eingeschränkt, dass alleine die unangemessene
Einschränkung der genannten Rechte verboten ist. Nach einer Stellungnahme der
Menschenrechtskommission der Vereinten Nationen müssen Einschränkungen des
Wahlrechts wegen strafgerichtlicher Verurteilung hierzu das Prinzip der Proportionalität zwischen Straftat und Strafe wahren, darüber hinaus sind bei Einschränkungen der Amtsfähigkeit und der Wählbarkeit objektive, nachprüfbare Kriterien anzulegen.1149 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dementsprechend im
Fall Hirst v. The United Kingdom entschieden, dass dem nationalen Gesetzgeber bei
Fragen der Wahlrechtsbeschränkung in Folge einer Verurteilung, trotz des besonderen Gewichts des Wahlrechts, ein weiter Ermessenspielraum zustehe.1150 Die Minderung von Statusrechten im Rahmen der Ehrenstrafe muss sich dementsprechend
daran messen lassen, das sie nicht willkürlich und ohne eine hinreichende Begründung erfolgen darf. Allerdings hat die Menschenrechtskommission der Vereinten
Nationen vor dem Hintergrund der britischen Rechtslage im Jahr 2001 zu erkennen
gegeben, dass unter modernen Gesichtspunkten die zusätzliche Strafbelastung durch
den Wahlrechtsentzug, der im Fall Großbritanniens alle Häftlinge betraf, kaum zu
rechtfertigen sei, da sie nicht dem Gedanken der Resozialisierung aus Artikel 10 III
des Paktes über bürgerliche und politische Rechte entspreche.1151
Geht man diesen Gedanken konsequent zu Ende, kann die Erwägung der Menschenrechtskommission nicht nur für Inhaftierte, sondern muss auch im Bereich des
Wahlrechts erst recht für entlassene Straftäter gelten, denen nach § 45 V das Wahlrecht entzogen wurde. Wie in diesem Kapitel bereits aufgezeigt, bilden die Ehrenstrafen und bildet insbesondere der Wahlrechtsentzug nach § 45 V aber eine Reaktion auf schwere Kriminalität, und beide sind historisch derart verankert, dass sie
unter der Berücksichtigung der zeitlichen Begrenzung ihrer Wirkung nicht als unangemessen angesehen werden können. Für diese Wertung spricht auch, dass der Entzug des aktiven Wahlrechts nach deutschem Recht nur in Ausnahmefällen dort greifen kann, wo spezielle Vorschriften des StGB verletzt wurden. Allerdings lässt sich
aus dieser Wertung der Gedanke gewinnen, dass eine Ausweitung des Entzuges des
aktiven Wahlrechts auf alle verurteilten Straftäter vor dem Hintergrund der Menschenrechte problematisch wäre.
Zu berücksichtigen ist außerdem, dass die Position des Europarats zur Respektierung der Rechte von Abgeordneten nicht für Statusminderungen in Folge einer Verurteilung gilt.1152
Auch hieraus kann im Umkehrschluss gefolgert werden, dass die Ehrenstrafe in
Form der Statusminderung nicht gegen internationales Recht verstößt, da sich hier
ein besonderer Aspekt manifestiert, der neben einer politischen Sicherung der
1149 Human Rights Committee, General Comment 25 (57), Gerneral Comments under article 40,
paragraph 4 of the International Convenant on Civil and Political Rights, Adopdet by the
Committee at its 1510th meeting, U.N. Doc. CCPR/C/21/Rev.1/Add.7 (1996)., Nr.14 ff.
1150 Hirst v. The United Kingdom, (No. 2) Application no. 74025/01, Seite 17.
1151 Concluding Observations of the Human Rights Committee: United Kingdom of Great Britain
and Northern Ireland. 06/12/2001. CCPR/CO/73/UK;CCPR/CO/73/UKOT, Part II, 10.
1152 Steinberg, Der Staat 39, Seite 609.
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Staatsorgane eben auch noch die Vergeltung umfasst und als Einschränkung der
Partizipationsmöglichkeit aus diesem Grund in engen Grenzen als zulässig erscheint.
2. Urteilsbekanntmachung
In der Urteilsbekanntmachung könnte neben ihrer Verfassungswidrigkeit auch ein
Verstoß gegen das Resozialisierungsgebot des Artikels 10 III des Internationalen
Paktes über bürgerliche und politische Rechte liegen. Wie bereits dargelegt, sind die
Auswirkungen der Urteilsbekanntgabe nicht berechenbar. Vor allem der Umstand,
dass die Auswirkungen der Urteilsbekanntmachungen auf das Leben des Straftäters
auch zeitlich nicht zu begrenzen sind, lässt erhebliche Zweifel aufkommen, dass die
Vorschrift dem Resozialisierungsgebot aus Artikel 10 III des Paktes entsprechen
kann.
E. Bewertung der heutigen Ehrenstrafe/Ergebnis
Insgesamt konnte gezeigt werden, dass die Ehrenstrafe heute in § 45 und in der
Urteilsbekanntgabe fortlebt. Die Einordnung der Sanktionen als Ehrenstrafe – entgegen ihrer Bezeichnung als Nebenfolgen durch das Gesetz bei § 45, durch die Literatur bei der Urteilsbekanntgabe – erleichtert dabei die Interpretation der Vorschriften und bedeutet bei der Überprüfung ihrer Rechtmäßigkeit eine Erleichterung, da
sie den Übelskern der Sanktionen erkennbar werden lässt. In Bezug auf die Urteilsbekanntgabe führt dies sogar dazu, dass die entsprechenden Normen aus diesem
Grund für verfassungswidrig und auch für nicht mit internationalem Recht vereinbar
zu halten sind.
Die Bezeichnung der beiden Sanktionen als Nebenfolgen zeigt sich so als Verlegenheitsprodukt der Strafrechtsreform von 1969 und verwischt die Bedeutung und
Tragweite insbesondere des § 45. Die Bezeichnung als Nebenfolgen mit der Konsequenz einer unklaren systematischen Einordnung zeigt überdies, dass sie auch für
den Straftäter nachteilig ist. Erst die Interpretation der Vorschriften als Ehrenstrafe
bedeutet neben einer klaren systematischen Einordnung einen effektiven Schutz des
Straftäters vor einer extensiven Anwendung der Sanktionen, bis hin zu dem Punkt,
dass die Ehrenstrafe der Urteilsbekanntgabe als verfassungswidrig angesehen wird,
was jeden Gedanken an eine Ausweitung der Sanktion ad absurdum führt.
Da mit der alten Benennung die emotionale Komponente der Debatte um diese
Sanktionen verloren ging, liegt es nahe, dies auch als Erklärung für die erlahmte
Diskussion um beide Sanktionen in der Wissenschaft anzunehmen.
Es kann also zusammengefasst werden, dass es sich bei den als Nebenfolgen bezeichneten Sanktionen um Ehrenstrafen handelt. Während die Statusminderungssanktion in die Partizipationsmöglichkeit eingreift, greift die Urteilsbekanntgabe in
die Partizipationsfähigkeit ein und ist daher nicht mit dem Grundgesetz vereinbar.
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References
Zusammenfassung
Die statusmindernden Nebenfolgen stellen die Ehrenstrafen des heutigen StGB dar. Dieses Ergebnis steht am Ende einer Untersuchung, in der der Autor sich mit den Nebenfolgen, aber auch mit den Begriffen Ehre und Strafe auseinandersetzt. Dabei gelingt es ihm, die Verbindung von Ehrverständnissen und Ehrenstrafen durch die Geschichte nachzuweisen und zu zeigen, dass die Geschichte der Ehrenstrafe in Deutschland mit der Strafrechtsreform von 1969 keinen Abbruch gefunden hat. Gleichzeitig stellt er sich die Frage nach der Notwendigkeit von Ehrenstrafen in heutiger Zeit, die er in begrenztem Umfang für notwendig erachtet.