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die letztere aber auch heute noch Strafe ist, ist das Berufsverbot in konsequenter
Weiterentwicklung des Rechtsgedankens zur Maßregel der Besserung und Sicherung geworden.
D. Die Ehrenstrafen im System des StGB
Aus der Wertung von § 45 und der Urteilsbekanntgabe als Ehrenstrafe ergibt sich
die bereits eingangs aufgestellte These, dass diese Wertung Einfluss auf die Interpretation der Sanktionen haben muss. Hieraus folgt die weitere These, dass die offenen
Fragestellungen der Vorschriften durch die entsprechende Einordnung systematisch
beantwortet werden können und somit ein praktischer Nutzen aus ihr zu ziehen ist.
Dies soll im folgenden untersucht werden.
I. Systematische Stellung der Ehrenstrafen im Sanktionensystem
Zunächst stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach der Einordnung der
Ehrenstrafen in das Sanktionensystem des StGB.
1. Die systematische Einordnung von § 45 in das StGB
Bereits vor dem Entstehen des modernen § 45 StGB bestand wegen der Automatik
der Sanktion Uneinigkeit hinsichtlich der systematischen Einordnung der Aberkennung des Wahlrechts und der Wählbarkeit wie auch der Amtsfähigkeit.987 Innerhalb
des alten Rechts wurden allerdings durch den Gesetzestext nur Buße und Einziehung
als Nebenfolgen bezeichnet,988 so dass eine Einordnung als Nebenfolge damals verwehrt blieb. Dieser alte Streit hat sich mit der Neuformulierung der Ehrenstrafe
1969 fortgesetzt, was nicht zuletzt darin begründet liegt, dass die Automatik des
Verlustes der Amtsfähigkeit und der Wählbarkeit beibehalten wurde. Innerhalb der
Systematik des StGB stehen die Sanktionen des § 45 im Dritten Abschnitt des Allgemeinen Teils, dessen erster Titel die Überschrift Strafen trägt. Gleichwohl ist § 45
mit einer eigenständigen amtlichen Überschrift versehen, die den Namen Nebenfolgen trägt. Aus dieser Feststellung alleine ist jedoch noch nicht viel gewonnen, da der
Begriff der Nebenfolge weder eindeutig dem Oberbegriff der Strafe des ersten Titels
noch dem der Maßregel der Besserung und Sicherung aus dem sechsten Titel zuzuordnen ist. Demzufolge ergibt sich auch zunächst die Feststellung, dass der Rechtscharakter des § 45 und seine Einordnung in das Sanktionensystem nicht eindeutig
987 Schmidt, ZStW 45 (1925), Seite 14.
988 Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT II,, § 61 I, Rn. 1.
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ist989 und damit der näheren Klärung bedarf. Eine solche ist nicht bloß von akademischem Interesse, denn die fehlende Klarheit der Einordnung in das Sanktionensystem wirft Probleme in praktischer Hinsicht auf. Diese bestehen, weil die genaue
Stellung des § 45 Auswirkungen auf die Kriterien, die im Rahmen der Strafzumessung zu berücksichtigen sind, hat. Das Problem der systematischen Einordnung der
Nebenfolgen ist in der Konsequenz entscheidend für die Frage, welche Kriterien bei
der Anwendung durch den Richter eine Rolle spielen,990 was insbesondere im Rahmen der Frage, ob die Sanktion durch das Schuldprinzip limitiert wird, relevant
ist.991 Allerdings besteht hinsichtlich der Einordnung wegen der fehlenden Eindeutigkeit – und in logischer Konsequenz wegen der ausstehenden Antwort auf die
Frage des Verständnisses als Ehrenstrafe – keine Einigkeit in der Rechtswissenschaft. So werden die Sanktionen des § 45 systematisch als Nebenstrafen,992 Sanktionen eigener Art,993 oder als Nebenfolgen mit nebenstrafähnlichen Charakter und
Sicherungsfunktion994 angesehen. Auch wird die materielle Zugehörigkeit von § 45
zu den strafrechtlichen Sanktionen überhaupt verneint und § 45 in den Kontext öffentlichrechtlicher Regelungen gestellt.995 Die so genannte dualistische Position, die
wohl überwiegend vertreten wird, differenziert zwischen den unterschiedlichen
Statusfolgen, wobei sie § 45 I als bloße Nebenfolge ohne Strafcharakter bezeichnet.996 Uneinheitlich werden dann die Rechtsminderungen von § 45 II und V von
den Vertretern der dualistischen Lösung entweder auf materieller Ebene als Nebenstrafe997 als Sanktion mit Nebenstrafcharakter998 oder als Sanktionen eigener Art mit
strafrechtlichem Charakter999 eingestuft.
Der Begriff der Nebenfolge wird dieser uneinheitlichen Einordnung von § 45 zufolge dann zum Teil damit erklärt, dass der Strafgedanke nicht betont werden solle.1000 Eine Einordnung als Maßregel findet demgegenüber – soweit ersichtlich –
nicht statt.
§ 45 trägt den Titel der Nebenfolge, was, wie gesehen, vor allem historische
Gründe hat. Nebenfolgen sind – entgegen der hier vertretenen Auffassung, nach der
es sich zumindest bei der Statusminderung und bei der Urteilsbekanntgabe um Ehrenstrafen handelt – nach verbreiteter Auffassung strafrechtliche Rechtsfolgen der
Straftat, denen kein spezifischer Strafcharakter zugesprochen wird,1001 bzw. deren
989 LK-Hirsch (11. Auflage), § 45, Rn. 1.
990 MüKo-Radtke, § 45, Rn. 5.
991 LK-Hirsch, § 45 (11. Auflage), Rn. 1
992 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 74 I 1; Schmidhäuser, Strafrecht AT, Seite 456;
Schwarz, Die strafgerichtliche Aberkennung, Seite 46.
993 Nelles, JZ 1991, Seite 21; NK-Albrecht, § 45 Rn. 6.
994 Maurach/Gössel/Zipf, Strafrecht AT II, § 61 I, Rn. 3; LK-Hirsch (11. Auflage), § 45, Rn 1.
995 Nelles, JZ 1991, Seite 21 f.
996 Lackner/Kühl, § 45, Rn. 3; MüKo-Radtke, § 45, Rn. 5f.; Tröndle/Fischer, § 45, Rn. 7; Schütz,
Jura 1995, Seite 462; Streng, Strafrechtliche Sanktionen, Rn. 302.
997 Tröndle/Fischer, § 45, Rn. 7; Lackner/Kühl, § 45, Rn. 3.
998 Schütz, Jura 1995, Seite 462.
999 LK-Hirsch, § 45 (11. Auflage), Rn. 1.
1000 Lackner/Kühl, § 45, Rn. 3.
1001 MüKo-Radtke, Vor §§ 38 ff., Rn. 74; Schönke/Schröder-Stree, Vorbem. §§ 38ff., Rn. 30.
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Rechtscharakter unklar ist,1002 während die Nebenstrafe einen eigenständigen Strafcharakter aufweist.1003 Die wesentliche Besonderheit liegt allerdings – und insofern
ist der Charakterisierung der Nebenfolgen zuzustimmen – wie bei den Nebenstrafen,
zu denen die Grenzen fließend verlaufen sollen,1004 darin, dass sie lediglich zusammen mit der Hauptstrafe verhängt werden können.1005
Basis der dualistischen Lösung ist dementsprechend die Überlegung, dass die
Folgen des § 45 I nicht in einem Akt richterlicher Strafzumessung zustande kämen
und daher keine Strafe sein könnten.1006 Damit greift die Argumentation auf die
Entstehungsgeschichte des § 45 zurück. Bei den Beratungen zur großen Strafrechtsreform wurde durch das Bundesjustizministerium geäußert, dass die fehlende Strafzumessung der Unterschied zur Strafe sei.1007 Bei § 45 handele es sich allein um die
Feststellung einer sozialen Wertung.1008 Dagegen sei bei den fakultativen Regelungen dieser Akt richterlicher Strafzumessung erforderlich und die Stellung als straf-
ähnliche Sanktion würde auch systematisch durch die Einordnung in den Titel der
Strafen bestätigt.1009
Die hier gefundene gemeinsame Eigenschaft aller Sanktionen des § 45 als Ehrenstrafen spricht jedoch gegen die dualistische Position, was durch das Argument
unterstützt wird, dass § 45 I und § 45 II identische Statusminderungen vorsehen, die
dementsprechend nur eine einheitliche Beurteilung konsequent erscheinen lassen.1010
Für eine einheitliche Bewertung des § 45 als Nebenstrafe spricht auch, dass der
repressive Charakter der Vorschrift deutlich überwiegt1011 und daher jede andere
Wertung dem Inhalt der Statusminderung von § 45 I nicht gerecht wird. Die Strafqualität sowohl der fakultativen als auch der automatischen Sanktion wurde hier
bereits nachgewiesen. Somit kann für eine unterschiedliche Interpretation der einzelnen Rechtsminderungen des § 45 kein Raum bleiben.
Wird der Verlust des Wahlrechts hingegen unter Sicherungsaspekten gesehen,1012
könnte es konsequent erscheinen, die Sanktion auch als Maßregel anzusehen. Argumente für eine solche Sicht könnten dabei die tatbestandlichen Anknüpfungspunkte
der Absätze zwei und fünf sein, die vor allem auf solche Handlungen zielen, die
gegen den demokratischen Rechtsstaat in seinem Bestand gerichtet sind,1013 wobei
der Verstoß gegen die dort geschützten Rechtsgüter als Manifestation der Gefähr-
1002 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 75
1003 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 74, 1.
1004 Schönke/Schröder-Stree, Vorbem. §§ 38ff., Rn. 30.
1005 MüKo-Radtke, Vor §§ 38 ff., Rn. 74.
1006 MüKo-Radtke, § 45, Rn. 6; LK-Hirsch, § 45 (11. Auflage), Rn. 1.
1007 Schafheutle, Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, 5. Wahlperiode,
30. Sitzung, Seite 587.
1008 Güde, Beratungen des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, 5. Wahlperiode, 30.
Sitzung, Seite 587.
1009 MüKo-Radtke, § 45, Rn. 7; LK-Hirsch, § 45 (11. Auflage), Rn. 1.
1010 Nelles, JZ 1991, Seite 18; Schwarz, Die strafgerichtliche Aberkennung, Seite 46f; LK-
Theune, § 45, Rn. 1.
1011 Schwarz, Die strafgerichtliche Aberkennung, Seite 46.
1012 Spies, Die Schranken des Allgemeinen Wahlrechts, Seite 100.
1013 Spies, Die Schranken des Allgemeinen Wahlrechts, Seite 100.
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lichkeit einer Person verstanden werden könnte. Grundsätzlich kommt es aber bei
der Einordnung einer Sanktion als Strafe darauf an, ob sie auf Übelzufügung ausgerichtet ist,1014 wobei diese hier in der Einschränkung der Partizipationsmöglichkeit
des Einzelnen besteht. Auch ist die Sanktion Reaktion auf eine konkrete Tat des
Täters, so dass über die Ehrenstrafe ein Schuldausgleich stattfindet. Zudem spricht
auch die systematische Einordnung der Sanktion gegen eine Wertung als Maßregel;
einer anderen Interpretation ist folglich die Grundlage entzogen, so dass sie hier
nicht weiter verfolgt werden muss.
Somit bleibt für die systematische Einordnung des § 45 einzig die Wertung als
(Neben-)Strafe Raum. Gegen eine derartige Wertung wird zwar vorgebracht, dass
hierdurch die Statusfolgen des § 45 automatisch Teil der abstrakten Strafandrohung
für Verbrechen würden und hierdurch die Einführung der Einheitsstrafe in Frage
gestellt werde.1015 Eine solche Argumentation läuft aber eher auf ein „was nicht sein
darf, das nicht sein kann“ hinaus und ist daher besser als rechtspolitische Forderung
zu verstehen. Wie gesehen, handelt es sich bei § 45 um Ehrenstrafen. Die Anknüpfung der Statusfolgen an das Verbrechen ist letztlich lediglich eine Konsequenz des
Wegfalls der Zuchthausstrafe. Aus diesem Grund ist es in der Tat so, dass § 45 I in
die Strafandrohung für Verbrechen hineinzulesen ist. Dass damit die Einheitsstrafe
in Frage gestellt ist, ist demgegenüber keine Frage der Interpretation der Norm,
sondern eine Botschaft an den Gesetzgeber, der offenkundig etwas innerhalb des
StGB belassen hat, was eigentlich nicht im Gesetz verbleiben sollte. § 45 ist daher
systematisch einheitlich als Nebenstrafe zu werten, diese Einordnung ist auch hinsichtlich der Wertung von § 45 als Ehrenstrafe konsequent.
2. Die systematische Einordnung der Urteilsbekanntgabe
Auch bei der Urteilsbekanntgabe besteht Streit über die Einordnung in den Sanktionenkatalog des StGB. Der BGH, wie auch früher schon das Reichsgericht und Teile
der Literatur, sieht sie als Nebenstrafe an.1016
Dagegen hält die Gegenposition in der Literatur sie für eine reine Nebenfolge ohne Strafcharakter.1017 Noch deutlicher als bei § 45 ist hier entscheidendes Kriterium,
ob in der Urteilsbekanntgabe eine Ehrenstrafe gesehen wird. Ist dies wie hier der
Fall, entfällt die Suche nach einem in der Sanktion enthaltenen Übel, da dies offensichtlich ist. Historisch wie auch vom Strafzweck her kann der (Neben-) Strafcharakter dieser Sanktion damit nicht geleugnet werden. Es geht nicht und ging auch nie
nur um das berechtigte Interesse des Opfers, eine Aussage öffentlich zu korrigieren
(dann wäre die Sanktion dem Täter-Opfer-Ausgleich ähnlich), sondern darum, dass
der Täter in der Öffentlichkeit als Urheber einer Aussage kenntlich gemacht wird
1014 Schmidt, ZStW 45 (1925), Seite 16.
1015 Nelles, JZ 1991, Seite 19; NK-Albrecht, § 45, Rn. 6.
1016 BGHSt 10, 306, 310; RGSt 73, 24, 26; NK-Vormbaum, § 165, Rn. 4.
1017 Schönke/Schröder-Stree, § 165, Rn. 1; SK-Rudolphi/Rogall, § 165, Rn. 1; LK-Ruß (11.
Auflage), § 165, Rn. 1.
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und die Öffentlichkeit damit Straftat und Täter im Zusammenhang sieht. Darin liegt
der beschämende Charakter, der sowohl einer generalpräventiven als auch einer
vergeltenden Zweckbestimmung unterliegt. Damit enthält die Urteilspublikation ein
zusätzliches Element der Bestrafung1018 und ist folglich ebenfalls als Nebenstrafe
anzusehen. Über die Einordnung als Nebenstrafe wird, wie auch über die Einordnung der Sanktion als Ehrenstrafe, der verfassungsrechtlich problematische Teil der
Vorschrift deutlicher.1019
3. Ergebnis der systematischen Einordnung
Das Ergebnis zur Systematik ergibt, dass es sich bei der als Nebenfolge bezeichneten Urteilsbekanntgabe und der Statusminderung um Nebenstrafen handelt. Damit
sind die Nebenfolgen insofern auch keine dritte Sanktionenkategorie, sondern den
Strafen zugeordnet.
II. Auslegungsfragen innerhalb der Sanktionen
Nach der systematischen Einordnung von § 45 und Urteilsbekanntgabe als Nebenstrafen kann im Folgenden untersucht werden, inwiefern bestehende Auslegungsfragen durch sie gelöst werden können.
1. Auslegungsfragen des § 45
a) Mindestmaß der Freiheitsstrafe in § 45 I
Die Begehung eines Verbrechens bei einer Freiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr
ist Voraussetzung des Eintritts der automatischen Statusfolge nach § 45 I. Dies
scheint auf den ersten Blick eindeutig zu sein. Offen bleibt aber die Frage, ob hinsichtlich der automatischen Ehrenstrafe des § 45 I das zeitliche Mindestkriterium
eines Jahres über eine Einzelstrafe wegen eines Verbrechens erfüllt sein muss,1020
oder ob hierfür die Gesamtstrafe ausschlaggebend ist, wie es der BGH im Rahmen
des Beamtenrechts gesehen hat.1021 Wenn die Voraussetzung des Verbrechens aber,
wie dargestellt, im Rahmen der Ehrenstrafe für die Beurteilung der besonderen Sozialschädlichkeit eines Verhaltens stehen soll, so macht nur die erste Wertung Sinn.
Denn das zeitliche Mindestkriterium stellt gerade eine Begrenzung des Eintretens
1018 Jescheck/Weigend, Strafrecht AT, § 75 II.
1019 NK-Vormbaum, § 165, Rn. 4, sieht unter diesem Gesichtspunkt in der Gegenauffassung
lediglich ein Weginterpretieren der als lästig empfundenen Einordnung als Nebenstrafe.
1020 Tröndle/Fischer, § 45, Rn. 6; LK-Hirsch, § 45 (11. Auflage), Rn. 12; Schönke/Schröder-
Stree, § 45, Rn. 3; Schwarz, Die strafgerichtliche Aberkennung, Seite 44.
1021 BGH, NStZ 1981, Seite 342.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die statusmindernden Nebenfolgen stellen die Ehrenstrafen des heutigen StGB dar. Dieses Ergebnis steht am Ende einer Untersuchung, in der der Autor sich mit den Nebenfolgen, aber auch mit den Begriffen Ehre und Strafe auseinandersetzt. Dabei gelingt es ihm, die Verbindung von Ehrverständnissen und Ehrenstrafen durch die Geschichte nachzuweisen und zu zeigen, dass die Geschichte der Ehrenstrafe in Deutschland mit der Strafrechtsreform von 1969 keinen Abbruch gefunden hat. Gleichzeitig stellt er sich die Frage nach der Notwendigkeit von Ehrenstrafen in heutiger Zeit, die er in begrenztem Umfang für notwendig erachtet.