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Ein generalpräventiver Schwerpunkt spiegelt sich demgegenüber in der Position
wider, dass Grundlage der Strafe die Generalprävention sei, nachrangig jedoch auch
spezialpräventive Gedanken zu berücksichtigen seien.895
Demgegenüber hat Roxin vorgeschlagen, general- und spezialpräventive Akzente
nach den unterschiedlichen Ebenen der Strafrechtsdurchsetzung zu setzen.896 Die
hier zunächst interessierende Ebene der Strafandrohung soll dabei rein generalpräventive Zwecke erfüllen, während bei der Verhängung spezial- und generalpräventive Erfordernisse in Ausgleich zu bringen seien und schließlich bei der Strafvollstreckung die Spezialprävention im Vordergrund stehe.
II. Vereinbarkeit von Ehrenstrafen mit Strafzwecken
Nachdem nun die Diskussion um die Zwecke der Strafe knapp umrissen wurde, ist
es notwendig, die Vereinbarkeit der Ehrenstrafe mit Strafzwecken zu untersuchen.
In Frage steht, ob ein Eingriff in die Ehre dem Subsidiaritätsgedanken des Strafrechts unter dem Gesichtspunkt des Schutzes vor Strafe897 gerecht wird. Dies wäre
dann der Fall, wenn die Ehrenstrafe im Allgemeinen mit anerkannten Strafzwecken
vereinbart werden könnte. Dabei sind zwei Erscheinungsformen der Ehrenstrafen
ersichtlich, die jeweils nach ihrem dominanten Inhalt benannt werden. Die eine ist
die Schand- oder Kränkungsstrafe, die andere die Statusminderungssanktion.
1. Strafzwecke und Schandstrafe
Die frühere Kränkungs- oder Schandstrafe ist vor allem vor dem Hintergrund des
Abschreckungsgedankens, also der negativen Generalprävention zu sehen.898 In
diesen Strafen spiegelt sich das Bedürfnis der Gesellschaft wider, eine aus der Straftat gewonnene Einschätzung der Persönlichkeit des Straftäters auszudrücken.899 Dies
wird vor allem daran ersichtlich, dass Kränkungs- bzw. Schandstrafen in der Regel
eine symbolische Komponente haben, die das zugrunde liegende Fehlverhalten illustriert. Die Normgeltung wird also durch eine bildhafte Handlung bestätigt und die
Allgemeinheit auf diesem Wege – wegen der sich aus der Sanktion ergebenden
Einschränkung der Partizipationsrechte des Betroffenen – von der Begehung von
Straftaten abgeschreckt. Daneben kommt aber auch der Gedanke der Vergeltung
zum Ausdruck, wobei die Entwürdigung des Einzelnen eine Reaktion auf dessen
Schuld darstellt. Entsprechend dieser Darstellung sieht Kubiciel in Bezug auf heuti-
895 Jakobs, Strafrecht AT, 1. Abschnitt, Rn. 50.
896 Roxin, Strafrecht AT I, § 3, A, Rn. 41ff.; Roxin, JuS 1966, Seite 377ff.
897 Roxin, JuS 1966, Seite 382, sieht in dem Schutz eines Rechtsguts vor dem Strafrecht den
zweiten Aspekt des Subsidiaritätsgedankens.
898 Esser, Die Ehrenstrafe, Seite 38.
899 Esser, Die Ehrenstrafe, Seite 39.
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ge „shame sanctions“900 des amerikanischen Rechts sowohl eine vergeltende als
auch eine generalpräventive Wirkung dieser Sanktionen, die er in ihrer modernen
Ausformung auch im Vergleich zu mittelalterlichen Sanktionen als weniger drastisch ansieht.
Jedoch verkennt diese Position, dass eine Begrenzung der Wirkung derartiger
Sanktionen nicht gewährleistet werden kann, weil die Herbeiführung des eigentlichen Strafübels außerhalb der Reichweite des Staates liegt. In Frage stehen muss
auch, inwiefern eine Sanktion Strafe sein kann, bei der eine eigentliche Vollstreckung nicht möglich ist, da die Beteiligungsmöglichkeiten außerhalb rechtlicher
Regelungen in der Allgemeinheit nicht unmittelbar durch den Staat steuerbar sind.
Damit ist auch eine durch den Staat steuerbare Resozialisierung des Straftäters ausgeschlossen, da der Staat auch nicht gewährleisten kann, wann die Wirkung der
Bestrafung eines einzelnen auf die Allgemeinheit beendet ist.
Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwiefern es überhaupt notwendig ist, Normgeltung und Abschreckung auf dem Wege symbolischer Handlungen zu verdeutlichen, die in heutiger Zeit eher archaisch wirken. Es steht an dieser Stelle zu vermuten, dass der Staat seine Autorität schon durch ihre übermäßige Anwendung in Frage
stellen würde und damit den mit der Ehre einhergehenden Gedanken der Gesellschaftsstabilisierung desavouieren könnte. Insofern sind Schandstrafen dann auch
eher als Zeichen der Schwäche des Staates und seiner Strafrechtspflege zu werten
und widersprechen auf dieser Ebene damit auch der Grundüberlegung der Generalprävention, dass Strafe Respekt vor der Rechtsordnung erzeugen soll.
Damit kann festgehalten werden, dass die Schandstrafe heute anerkannten Strafzwecken nicht gerecht wird, da sie zwar neben der Vergeltung mit dem Gedanken
der Generalprävention erklärt werden kann, ihrer Sinnbestimmung aber zuwiderläuft.
2. Strafzwecke und Statusminderung
Der Angriffspunkt der Statusminderungssanktionen ist seit jeher die Geltung einer
Person vor dem Gesetz901 auf der einen Seite und damit, wie dargestellt, im Rahmen
seiner Partizipationsrechte seine Stellung in der Gesellschaft auf der anderen Seite.
Es handelt sich also bei den Statusminderungenssanktionen um Sanktionen, die seit
der Aufklärung in Partizipationsmöglichkeit902 eingreifen.
Für die Ehrenstrafe als Statusminderungssanktion gilt, dass Straftheorien, die ein
besonderes Gewicht auf die Spezialprävention legen, Probleme mit einer Sanktion
haben müssen, die über die Vollstreckung der Freiheitsstrafe hinaus und die Partizipationsmöglichkeit einschränkend wirkt. Vor allem die Elemente der Besserung und
900 Kubiciel, ZStW 118 (2006), Seite 56; bei diesen Sanktionen geht es darum, den Straftäter in
der Öffentlichkeit bloßzustellen.
901 Esser, Die Ehrenstrafe, Seite 40.
902 Zuvor war auch ein Eingriff in die Partizipationsfähigkeit möglich.
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Abschreckung des Individuums wirken an dieser Stelle fragwürdig. Der Gedanke
der Besserung dabei deshalb, weil es mit Resozialisierungsvorstellungen kaum zu
vereinbaren ist, den Verurteilten über den Zeitpunkt der Vollstreckung der Freiheitsstrafe hinaus zu belasten.903 Da Statusminderungen aber nur dann Sinn machen,
wenn sie auch nach der Haft fortwirken – da die Minderungen während der Freiheitsstrafe ohnehin eintreten –, kann die Statusminderung aus dem Gesichtspunkt
der Resozialisierung kaum gerechtfertigt werden. Demgegenüber erscheint individuelle Abschreckung durch die Ehrenstrafe zwar grundsätzlich als möglich, gegen die
Abschreckung als Zweck der Aberkennung von Statusrechten wurde allerdings zu
Recht schon früh eingewandt, dass dieser nur bei solchen Tätern greifen könne, für
die die Statusrechte zumindest eine gewisse Bedeutung hätten.904
Demgegenüber ist die Ehrenstrafe mit dem Gedanken der Sicherung vereinbar.905
Die Minderung der Partizipationsmöglichkeit des Einzelnen sichert die Gesellschaft
vor Schäden, die aus seinem Wirken in bestimmten Positionen entstehen können,
bzw. einem Schaden, der aus seiner Mitwirkung an Entscheidungen resultieren
könnte. Die Sicherung kann jedoch im heutigen Sanktionensystem nur ein Aspekt
der Ehrenstrafe sein, da sie sonst als Maßregel der Besserung und Sicherung auszugestalten gewesen wäre.
Dementsprechend wurde denn auch schon in der Vorkriegsdiskussion die Ehrenstrafe mit dem Zweck verbunden, die Straftat zu vergelten,906 was vor allem in Gemeinschaft mit generalpräventiven Erwägungen einen Sinn ergibt. Vergeltend kann
die Ehrenstrafe wirken, indem sie durch die Minderung des gesellschaftlichen Status
die Schuld des Täters ausgleicht. Die Minderung der Partizipationsmöglichkeit auch
im Sinne der Generalprävention kann als abschreckend gelten, da die Partizipationsmöglichkeit im demokratischen Staat, der die Beteiligungsmöglichkeit aller
Bürger voraussetzt, zumindest theoretisch von erheblicher Bedeutung ist. Die Geltung von Normen jedoch wird durch die Ehrenstrafe in jedem Fall bestätigt, da
durch sie im Rahmen der Funktion der Ehre auch der Anspruch des Staates deutlich
gemacht wird, die Stabilität des gesellschaftlichen Systems zu sichern.
Damit kann festgehalten werden, dass die Ehrenstrafe in Form der Statusminderungssanktion keinen Platz mehr in einem Strafrechtssystem hat, das Strafe vor
allem unter dem Gesichtspunkt der Resozialisierung sieht.
Im geltenden Strafrecht wird dem Resozialisierungsgedanken jedoch lediglich im
Rahmen der präventiven Vereinigungstheorien ein derart breiter Raum gegeben, die
aber nur dann haltbar sind, wenn die Vergeltung als Strafzweck weitgehend ausgeblendet wird. Die Vergeltung ist aber für die Rechtfertigung staatlicher Strafe von
zentraler Bedeutung. Indem der Staat vergeltend eingreift, sichert er das Gewaltmonopol, da er Fehden, Blutrache oder Lynchjustiz verhindert und damit letztlich den
903 Vgl. hierzu die seit Gründung des Deutschen Reiches vorgetragene Argumentation, die Ehrenstrafe sei resozialisierungsfeindlich, in ihrer Darstellung im historischen Teil der Arbeit,
sowie die spätere Diskussion im Rahmen der Untersuchung von Sinn und Zweck der Ehrenstrafe.
904 Kerwitz, Die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 21.
905 Kerwitz, Die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 23.
906 Fuchs, Die Ehrenstrafen, Seite 23.
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öffentlichen Frieden wahrt.907 Dies wird durch die Rechtspraxis bestätigt, aus der
berichtet wird, dass die Vergeltung im Sinne der Definition der Strafe über den angerichteten Schaden und damit die Befriedung der Gesellschaft auch heute noch
wesentlicher Bestandteil der Strafe sei.908 Erst eine derartige Bestimmung des Strafrechts berücksichtigt nämlich das Genugtuungsinteresse des Opfers, das seine
Rechtfertigung dadurch erhält, dass nicht nur Gesellschaft und Täter in einer Zweierbeziehung, sondern letztlich Gesellschaft, Opfer und Täter in einer Dreierbeziehung zueinander stehen.909 Darüber hinaus – was hier als zentral anzusehen ist – hat
eine rein präventive Vereinigungstheorie keine Basis im Schuldprinzip,910 so dass
sie deshalb den folgenden Ausführungen nicht zugrunde gelegt wird.
Damit ist die Ehrenstrafe als Statusminderungssanktion auch heute noch mit
Strafzweckerwägungen zu begründen, Ehrenstrafe also auch im heutigen Strafrecht
noch möglich.
III. Vereinbarkeit von Ehrenstrafen mit Verfassungsrecht
Da sich erst im Zusammenhang mit konkreten Sanktionen deren Vereinbarkeit mit
dem Verfassungsrecht überprüfen lässt, geht es bei der Frage der Verfassungsmä-
ßigkeit von Ehrenstrafen insgesamt vor allem um die Frage zu stellen, welche verfassungsmäßigen Grenzen gegenüber Sanktionen bestehen, die in Partizipationsrechte eingreifen.
Generell ausgeschlossen sind dabei nur Sanktionen, die in die Menschenwürde
eingreifen, da die soziale Achtung als Person zu den Ausprägungen der Menschenwürde gehört.911 Der Würdekern soll dabei verletzt sein, wenn die Anerkennung als
gleichberechtigtes Mitglied in der sozialen Gemeinschaft oder die Achtung als
Mensch grundsätzlich negiert wird.912 Dies entspricht auch den Ausführungen zur
Ehre und zu den Ehrenstrafen. Seit der Aufklärung ist dem Staat der Zugriff auf die
auf der Menschenwürde gründende Basis der Ehre verwehrt. Sanktionen, die in die
Partizipationsfähigkeit des Einzelnen eingreifen sind also nicht mit dem Schutz der
Menschenwürde zu vereinbaren, während Sanktionen, die für eine bestimmte Zeit
die Partizipationsmöglichkeiten nehmen, nicht gegen die Menschenwürde verstoßen.
Darüber hinaus verbietet die menschliche Würde erniedrigende Strafen.913
Schand-/ oder Kränkungsstrafen bestehen aber gerade aus einer Herabwürdigung des
Einzelnen in den Augen der Gemeinschaft. Somit verstoßen Schand- und Kränkungsstrafen gegen die in Artikel 1 I GG geschützte Menschenwürde. Dieses Ergebnis ließe sich aber auch mit einem Eingriff in die Partizipationsfähigeit durch die
907 Krey, Strafrecht AT, Rn. 148.
908 Schreiber, ZStW 94 (1982), Seite 280.
909 Krey, Strafrecht AT, Rn. 148.
910 Krey, Strafrecht AT, Rn. 138.
911 Maunz/Dürig-Herdegen, Art. 1, Rn. 110.
912 Maunz/Dürig-Herdegen, Art. 1, Rn. 110.
913 Maunz/Dürig-Herdegen, Art. 1, Rn. 91.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die statusmindernden Nebenfolgen stellen die Ehrenstrafen des heutigen StGB dar. Dieses Ergebnis steht am Ende einer Untersuchung, in der der Autor sich mit den Nebenfolgen, aber auch mit den Begriffen Ehre und Strafe auseinandersetzt. Dabei gelingt es ihm, die Verbindung von Ehrverständnissen und Ehrenstrafen durch die Geschichte nachzuweisen und zu zeigen, dass die Geschichte der Ehrenstrafe in Deutschland mit der Strafrechtsreform von 1969 keinen Abbruch gefunden hat. Gleichzeitig stellt er sich die Frage nach der Notwendigkeit von Ehrenstrafen in heutiger Zeit, die er in begrenztem Umfang für notwendig erachtet.