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begriff folgenden Konsequenzen damit nicht gerecht werden.798 Dies wird bestätigt
durch Ketteler, der ausführt, dass sich der Unterschied zwischen Nationalsozialismus und „liberalistischer Anschauung“ wohl an keinem Punkt so deutlich zeige, wie
bei den Positionen zur Ehre und den Ehrenstrafen.799 Der Punkt 19 des Parteiprogramms der NSDAP von 1920, der das „materialistische“ römische Recht durch ein
deutsches Gemeinrecht ersetzen will, gibt einen Hinweis darauf, warum verstärkt
auf Sanktionen zurückgegriffen werden sollte, die in der als germanisch angesehenen Geschichte vermeintlich oder tatsächlich bestanden haben.800 Durch diesen
Rückgriff sollten die Ergebnisse der Rezeption auf dem Gebiet der Ehrenstrafe
rückgängig gemacht werden.801 Vorgebliches Ziel war so die vermeintliche Zusammenführung von Recht, Sittlichkeit und Volksempfinden.802 Wichtig war dabei auch
der Gedanke der Distanzierung der Volksgemeinschaft vom Straftäter über die Minderung seiner sittlichen und soziale Stellung.803
Insgesamt lässt sich für die Ehrenstrafe zur NS-Zeit feststellen, dass ein nationalsozialistisches System der Ehrenstrafen zwar nicht verwirklicht werden konnte. Die
hierzu entwickelten Ideen zeigen jedoch – neben den Verbrechen des Nationalsozialismus –, wie weit sich das nationalsozialistische Regime von seit der Aufklärung
herrschenden zivilisierten Grundsätzen entfernen wollte. Dieser Umstand liegt zwar
bereits in den ideologischen Wurzeln des Nationalsozialismus begründet, jedoch
machen die dargestellten Ideen auch deutlich, wie anfällig die Ehrenstrafe – mit
ihrer für Laien teilweise leicht zugänglichen Logik – für ideologischen Missbrauch
ist. Dies vor allem dann, wenn Recht im Sinne des Strafrechts als machtfunktional,
nicht machtbegrenzend verstanden wird.804 Dann nämlich wird das Strafrecht und
vor allem das Recht der Sanktionen zum Instrument gesellschaftspolitischer Zwecke, es kann zum Mittel der Vernichtung von Feinden werden.805 Genau dies wird
aus den Tendenzen zur Ehrenstrafe im Nationalsozialismus deutlich und offenbart
damit an dieser Stelle auch die Gefahren der Ehrenstrafe.
K. Die Entwicklung der Ehrenstrafe im Nachkriegsdeutschland
Im Nachkriegsdeutschland fand bis zum 3.10.1990 keine gemeinsame Rechtsentwicklung in den aus den Besatzungszonen hervorgegangenen deutschen Staaten
statt. Wesentlich für das heute geltende Recht ist zwar das Recht der alten Bundesrepublik, jedoch lohnt sich ein Blick auf die in der DDR bestehende Rechtslage, um
798 Mantler, Entwicklung und Bedeutungswandel der Ehrenstrafen, Seite 56.
799 Ketteler, Die Erneuerung der Ehrenstrafen, Seite 1.
800 Vgl. Ketteler, Die Erneuerung der Ehrenstrafen, Seite 54.
801 Betz, Die Ehrenstrafen, Seite 15.
802 Vgl. die Bewertung der Reformvorschläge von Ketteler, Die Erneuerung der Ehrenstrafen,
Seite 54; Betz, Die Ehrenstrafen, Seite 41.
803 Mantler, Entwicklung und Bedeutungswandel der Ehrenstrafen, Seite 67.
804 Zur Bewertung des NS-Rechts siehe etwa Werle, NJW 1988, Seite 2866.
805 Vogel, ZStW 115 (2003), Seite 662.
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die Entwicklung der Ehrenstrafe auf gleicher Grundlage, aber vor dem Hintergrund
eines anderen gesellschaftlichen Systems zu betrachten.
I. Die Ehrenstrafe in der DDR
Eine vertiefte Diskussion um die Ehrenstrafe gab es in der DDR nie. Das StGB der
DDR vom 12. Januar 1968806 regelte in § 58 StGB (DDR) die Aberkennung staatsbürgerlicher Rechte, befand sich also von der Benennung her in der Tradition der
Vorkriegsentwürfe. Die Sanktion, die nach § 58 I wegen Verbrechen gegen die Souveränität der DDR, den Frieden, die Menschlichkeit und die Menschenrechte sowie
wegen Verbrechen gegen die DDR oder wegen Mordes verhängt werden konnte,
hatte für die Dauer von zwei bis zehn Jahren zur Folge, dass der Verurteilte die in §
58 IV StGB (DDR) benannten Rechte nicht ausüben konnte, bzw. sie verlor. Dies
waren die aus staatlichen Wahlen hervorgegangenen Rechte, die leitende Funktion
auf staatlichem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet, sowie staatliche Würden,
Auszeichnungen und Dienstgrade. Außerdem verlor der Betroffene das Recht zu
stimmen, zu wählen oder gewählt zu werden. Eine Rehabilitation war vorgesehen.
Zweck der Regelung war nach § 58 II StGB (DDR), einen Missbrauch der Ämter
zu verhindern und die Schwere der zugrunde liegenden Straftat zu verdeutlichen.
Damit knüpfte die DDR-Vorschrift an die Tradition des RStGB an, ohne jedoch den
Begriff der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte zu übernehmen. In diesem
Sinne spielte auch der Gedanke eine Rolle zu verhindern, dass durch den Verurteilten ein negativer Einfluss auf die Gesellschaft ausgeübt wird,807 was klar an die
Reinhaltung des öffentlichen Lebens als Grundgedanke der Sanktion des RStGB
anknüpft. Die Regelung des StGB der DDR mit ihrer fakultativen und auf bestimmte
Tatbestände begrenzten Vorschrift, die nur eine vollständige Aberkennung der
Rechte kannte, bedeutete in der Konsequenz eine Ausweitung der Statusminderungssanktion, da nur noch eine vollständige Aberkennung möglich war.
Insgesamt handelt es sich bei der Vorschrift, die auch an politische Tatbestände
anknüpfte – und diese dazu nicht eindeutig formulierte – um eine Strafe, der eine
Binnendifferenzierung vollkommen fehlte. Dass in dieser Sanktion auch die Sicherung der Gesellschaft – neben der Vergeltung – an herausgehobene Stelle steht,
bedeutet nicht zwangsläufig einen Fortschritt gegenüber der alten Rechtslage, da
dieser Zweck ja auch bisher der Ehrenstrafe zugeschrieben wurde. Sicherung war in
der DDR politisch zu verstehen, so wie das Strafrecht der DDR insgesamt dem Aufbau des Sozialismus, und damit politischen Motiven dienen sollte.808 Auch hier kann
also – nun unter dem Aspekt des Sicherungsgedankens – gezeigt werden, wie anfällig, die Ehrenstrafe dafür ist, zum Instrument der Politik zu werden.
806 GBl. DDR I 1968 1.
807 Strafrecht der DDR, § 58, Rn. 1.
808 Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 802.
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II. Die Ehrenstrafe in der Bundesrepublik
Mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland galt das RStGB zunächst unver-
ändert weiter. Die Ehrenstrafe geriet nun aber auch im Rahmen ihrer Anwendung in
die Diskussion. Beispiele hierfür sind spektakuläre politische Fälle wie den Fall Otto
John809 oder den Fall Josef Angenfort.810 Daneben kam die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auch bei einer zwischen 6000 und 10000 geschätzten Zahl von
Kommunisten811 zur Anwendung, die wegen politischer Delikte verurteilt wurden.812
Die in der Bundesrepublik 1951 geschaffenen Staatsschutzbestimmungen hatten
dabei von Anfang an eine antikommunistische Stoßrichtung;813 ihr Vorbild ist in den
von den Alliierten aufgehobenen Bestimmungen der NS-Zeit zu sehen.814 Daher
wurde den verhängten Strafen und damit auch der Ehrenstrafe der Vorwurf gemacht,
Instrument des politischen Kampfes zu sein.815 Insbesondere wurde der Vorwurf
erhoben, dass die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte mit dem Ziel verhängt
werde, Kommunisten aus dem politischen Leben der Bundesrepublik zu verbannen.816 Hinzuweisen ist an dieser Stelle auf den Umstand, dass seit dem ersten StÄG
von 1951 der BGH in erster und letzter Instanz für Hoch- und Landesverrat zuständig war.817
Um hier die Anwendung der Ehrenstrafe beurteilen zu können, fehlt der Raum.
Allerdings lief die Sanktion zumindest Gefahr, Mittel im Kampf um politische
809 Der erste Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz verschwand 1954 unter mysteriösen Umständen und tauchte danach in der DDR auf, um kurz darauf wieder nach West-Berlin
zu gehen. Er wurde 1956 wegen Staatsschutzdelikten, die er zeitlebens bestritt, zu vier Jahren
Zuchthaus verurteilt, und ihm wurden die Statusrechte aberkannt, vgl. BGHSt 10, 163-173;
810 Angenfort, KPD-Abgeordneter im nordrhein-westfälischen Landtag und westdeutscher FDJ-
Vorsitzender, wurde wegen Hochverrats zu Zuchthausstrafe verurteilt und 1957 von Bundespräsident Heuss begnadigt. In seinem Fall ist die erste Zuchthausstrafe für ein politisches
Verbrechen nach Ende des zweiten Weltkrieges ausgesprochen worden, vgl. BGHSt 8, 102-
105.
811 von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, Seite 290, spricht von einer verstärkten
Anwendung der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte gegen Kommunisten in den
sechziger Jahren.
812 Gössner, Die vergessenen Justizopfer, Seite 27; von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, Seite 278, geht von 6000-7000 Verurteilungen aus.
813 Eisenhardt, Deutsche Rechtsgeschichte, Rn. 783 a.
814 Müller, Furchtbare Juristen, Seite 233f.
815 Pfannenschwarz/Schneider, Das System der strafrechtlichen Gesinnungsverfolgung, Seiten
125ff., wobei hier wiederum die politische Ausrichtung dieses in der DDR verfassten Werks
zu berücksichtigen ist, die sich etwa auf Seite 157 deutlich zeigt; von Brünneck, Politische
Justiz gegen Kommunisten, Seite 274; vgl. aber auch für die heutige USA Notz, Financial
Times Deutschland vom 27.10.2004, Seite 13.
816 von Brünneck, Politische Justiz gegen Kommunisten, Seite 274, betont das disziplinierende
Element der Aberkennung von Statusrechten im Zusammenhang mit den juristischen Auseinandersetzungen im kalten Krieges und sieht in der Sanktion eine Wirkung auf Dritte, die
ebenfalls politischen Einfluss hat; Gössner, Die vergessenen Justizopfer, Seite 157.
817 Rüping/Jerouschek, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, Rn. 317.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die statusmindernden Nebenfolgen stellen die Ehrenstrafen des heutigen StGB dar. Dieses Ergebnis steht am Ende einer Untersuchung, in der der Autor sich mit den Nebenfolgen, aber auch mit den Begriffen Ehre und Strafe auseinandersetzt. Dabei gelingt es ihm, die Verbindung von Ehrverständnissen und Ehrenstrafen durch die Geschichte nachzuweisen und zu zeigen, dass die Geschichte der Ehrenstrafe in Deutschland mit der Strafrechtsreform von 1969 keinen Abbruch gefunden hat. Gleichzeitig stellt er sich die Frage nach der Notwendigkeit von Ehrenstrafen in heutiger Zeit, die er in begrenztem Umfang für notwendig erachtet.