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Angemerkt sei, dass sich neben diesen Statusminderungen im 19. Jahrhundert –
ohne dies jedoch vertiefen zu wollen – für Amtsträger das Disziplinarrecht, losgelöst
vom Strafrecht, jedoch unter Beibehaltung der bisherigen Sanktionen, bildete.642
G. Die Ehrenstrafen des Deutschen Reichs
Die Ehrenstrafe des RStGB ist für die Geschichte dieser Sanktionsform von kaum zu
überschätzender Bedeutung. Dies zum einen deswegen, weil das RStGB – allerdings
mit deutlichen Veränderungen – nach wie vor als StGB in Deutschland prägt, zum
anderen aber, weil spätere Statusminderungssanktionen aus dem Katalog des RStGB
schöpften, wie noch zu sehen sein wird.
Anzusetzen ist bei den Beratungen zum Strafgesetzbuch des norddeutschen Bundes. In der zweiten Lesung der Gesetzesvorlage erhob sich erstmals Widerstand
gegen die aus dem preußischen StGB überlieferte Ehrenstrafe, da die Ehre als dem
Richterspruch nicht zugänglich angesehen wurde.643 Dies führte zum Antrag, die
Ehrenstrafen bis auf wenige Ausnahmen aus dem StGB zu tilgen.644 Eine Mehrheit
konnte dieser Vorstoß aber nicht auf sich vereinigen.645 So blieb das preußische
StGB von 1851 in seiner Entscheidung für die Ehrenstrafe – wie auch im Übrigen646
– grundsätzlich Vorbild für die Regelung des Strafgesetzbuches des norddeutschen
Bundes. Dennoch führte es ein verändertes System ein, auf das im Rahmen der Darstellung des RStGB zurückzukommen sein wird. Das Strafgesetzbuch des norddeutschen Bundes wurde wegen der zwischenzeitlich erfolgten Gründung des Deutschen
Reiches durch Gesetz vom 16. April 1871 zum Reichsgesetz und schließlich durch
Gesetz vom 15. Mai 1871 zum umredigierten RStGB.647 Das RStGB beruhte auf den
Gedanken Generalprävention und Vergeltung und beinhaltete eine Differenzierung
der einzelnen Strafen, die es dem Richter ermöglichen sollte, über die Strafart gerechte Vergeltung entsprechend der Schwere der Tat auszudrücken.648 Eine neue
Debatte um die Ehrenstrafe fand in den Beratungen zum RStGB nicht statt.649 Von
642 Lambrecht, Strafrecht und Disziplinarrecht, Seite 24.
643 Der Abgeordnete von Kirchmann sah die Ehre als dem Urteilsspruch nicht zugänglich an,
vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen
Bundes, 1. Band (1.- 32. Sitzung), Seite 205ff. Im weiteren Verlauf (inbs. Seite 206) führte er
schon wesentliche Kritikpunkte, wie die Ungleichmäßigkeit der Wirkung an, die, wie später
noch gezeigt werden wird, von der wissenschaftlichen Debatte aufgegriffen wurden.
644 Vgl. Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen
Bundes, 1. Band (1.-32. Sitzung), Seite 206.
645 Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstages des Norddeutschen Bundes, 1. Band (1.-32. Sitzung), Seite 215.
646 Roxin, Strafrecht AT I, § 4 A, Rn. 1; Schmidt, Die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, Seite 343; Betz, Die Ehrenstrafen, Seite 22.
647 Mantler, Entwicklung und Bedeutungswandel der Ehrenstrafen, Seite 21; Hagen, Die Entwicklung der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 30; Schmidt, Die Geschichte
der deutschen Strafrechtspflege, Seite 344.
648 Roxin, Strafrecht AT I, § 4 A, Rn. 2.
649 Mantler, Entwicklung und Bedeutungswandel der Ehrenstrafen, Seite 33.
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besonderer Bedeutung unter den als Ehrenstrafen verstandenen Sanktionen sind
innerhalb des RStGB die statusmindernden Sanktionen, die unter den Begriff der
bürgerlichen Ehrenrechte fielen.650
I. Die Statusminderungssanktionen des RStGB
Die statusmindernden Sanktionen waren in den §§ 31 ff. geregelt. Dabei ist zu unterscheiden651 zwischen der automatischen Statusminderung nach § 31 mit bestrittenem Strafcharakter652 und dem fakultativen Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte.653
In dieser Unterscheidung drückte sich ein erster Unterschied zum preußischen StGB
aus, da die Statusminderungen dort vor allem an die Zuchthausstrafe angebunden
waren und damit automatisch eintraten. Gemeinsam ist der automatischen und der
fakultativen Statusminderung allerdings, dass sie auf Jugendliche nicht anwendbar
waren.
1. Automatische Statusminderung nach § 31 RStGB
Von der automatischen Statusminderung waren folgende Statusrechte betroffen,
deren Umfang im Gegensatz zum preußischen StGB vermindert wurde:
• Das Recht, in das Deutsche Heer oder die Kaiserliche Marine einzutreten.
• Das Recht, öffentliche Ämter zu bekleiden.
Unter den Begriff des öffentlichen Amtes fielen nach § 31 II RStGB auch die
Advokatur, die Anwaltschaft und das Notariat sowie der Geschworenen- und der
Schöffendienst.
Voraussetzung der Statusminderung nach § 31 RStGB war – wie bei der Ehrenstrafe des preußischen StGB – die Verurteilung zu einer Zuchthausstrafe.
Hintergrund dieser regelmäßigen und dauerhaften Sanktion war die angestrebte
Reinhaltung des öffentlichen Dienstes von Personen, die durch die Zuchthausstrafe
650 Holzer, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 42, definiert sie als Sanktionen, die sich
gegen die staatsbürgerliche Ehre des Einzelnen richten; Lemme, Der Verlust der bürgerlichen
Ehrenrechte, Seite 14, spricht von den eigentlichen Ehrenstrafen des RStGB.
651 Holzer, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 21; Kießlich, Die Ehrenstrafen, Seite 26
und Kühne, Die Ehrenstrafen, Seite 16, sprechen in diesem Sinne zu Recht von Verlust der
bürgerlichen Ehrenrechte im engeren oder weiteren Sinn, was die weitere Interpretation der
Vorschrift als Ehrenstrafe rechtfertigt.
652 Gegen den Strafcharakter etwa Kerwitz, Die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte,
Seite 5; für den Strafcharakter die h.M. in der damaligen Literatur Marcuse, Die Ehrenstrafen,
Seite 2f.; Köhne, ZStW 8 (1888), Seite 446; Holzer, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte,
Seite 70; Kießlich, Die Ehrenstrafen, Seite 26; Kühne, Die Ehrenstrafen, Seite 16; Dolles, Die
Nebenstrafen an der Ehre, Seite 62; Hintergrund dieses Streits ist nach Dolles, Die Nebenstrafen an der Ehre, Seite 57, die gewollte Begründung einer Wesensverschiedenheit zwischen
der automatischen und der fakultativen Statusminderung.
653 Fuchs, Die Ehrenstrafen, Seite 82.
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einen Ansehensverlust erlitten hatten, sowie die Wahrung der Autorität staatlicher
Organe.654
Fraglich ist bei der automatischen Statusminderung des § 31 RStGB allerdings,
ob sie als Strafe gewertet werden kann. Wegen ihrer systematischen Einordnung
unter der Überschrift Strafen wie auch wegen ihrer Übelswirkung auf die Ehre und
der Reaktion auf vergangenes Unrecht wurde die Sanktion als Ehrenstrafe gewertet
und findet als solche in den zeitgenössischen Abhandlungen zur Ehrenstrafe der Zeit
regelmäßige Erwähnung.655 Dieses Ergebnis wird durch die damals vertretene Position bestätigt, dass sich die Begnadigung nicht auf die eingetretenen Ehrenfolgen
auswirke,656 was nur über die Interpretation als Strafe begründet werden konnte.657
Auch die Entwicklungsgeschichte der Vorschrift unterstützt die Wertung als Ehrenstrafe. Wie schon gesagt, ging die Sanktion aus der entsprechenden Vorschrift des
preußischen StGB hervor. Dort war die – als solche anerkannte – Ehrenstrafe wie in
vielen vormaligen Gesetzen der Territorien mit der Zuchthausstrafe verknüpft, so
dass die Fortführung der Sanktion im Rahmen von lediglich zwei Statusrechten
ebenfalls Ehrenstrafe – bezogen auf ihren Strafcharakter – sein musste.658 Es handelte sich also bei der automatischen Statusminderung um eine Ehrenstrafe, die sich aus
der Regelung des preußischen StGB entwickelt hat.
2. fakultativer Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte
Auch der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte nach § 32 RStGB konnte nur in
Verbindung mit einer Hauptstrafe verhängt werden,659 hatte also den Charakter einer
Nebenstrafe.660
Unter bürgerlichen Ehrenrechten wurden nach den §§ 33 und 34 RStGB folgende
Statusrechte verstanden:
• Das Recht, die Landeskokarde zu tragen.
• Das Recht, in das Deutsche Heer oder die kaiserliche Marine einzutreten.
• Das Recht, öffentliche Ämter, Würden, Titel, Orden und Ehrenzeichen zu erlangen oder zu tragen.
• Das Recht, in öffentlichen Angelegenheiten zu stimmen, zu wählen oder gewählt zu werden oder andere politische Rechte auszuüben.
654 Lemme, Der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 33; dies erfüllte nach Dolles, Die
Nebenstrafen an der Ehre, Seite 80, auch den Zweck die Ehre der Gesamtheit zu erhalten.
655 Vgl. z.B. Merkel, Die Lehre von Verbrechen und Strafen, Seite 290, der sie beschränktere
Ehrenstrafen nennt, allerdings auf Seite 288 daran zweifelt, ob bestimmte Rechte als Ehrenrechte bezeichnet werden könnten; auch Binding, Grundriss des Deutschen Strafrechts, Seite
250ff., stellt beide Vorschriften in § 99 unter den Begriff der „Nebenstrafen an der Ehre“ dar,
sieht in ihnen aber Minderungen im Bestand an Rechten oder an der Rechtsfähigkeit.
656 Fuchs, Die Ehrenstrafen, Seite 84.
657 Dolles, Die Nebenstrafen an der Ehre, Seite 60ff.
658 Dolles, Die Nebenstrafen an der Ehre, Seite 62.
659 Lemme, Der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 15f.
660 Zum Strafcharakter genauer Holzer, Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 28.
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• Die Fähigkeit, Zeuge bei Aufnahme von Urkunden zu sein.
• Das Recht, Vormund zu sein oder eine ähnliche familienrechtliche Stellung
einzunehmen.
Der Verlust des Adels, den das preußische StGB noch kannte, taucht im RStGB
nicht mehr auf. Zur Ergänzung sei an dieser Stelle nur kurz erwähnt, dass der Verlust des Rechts, die Landeskokarde zu tragen, im Deutschen Reich eher von symbolischer Bedeutung war,661 wenngleich das zu der Regelung des preußischen StGB
Gesagte hier entsprechend gelten muss, dass es sich bei dieser Sanktion um eine
öffentlich sichtbare Kennzeichnung des Straftäters und damit eine Demütigung
handelt.
Die fakultative Statusminderung des RStGB setzte voraus, dass der Richter auf
sie erkannte. In diesem Umstand wurde die Aufgabe der Verbindung von Ehrenstrafe und Strafart gesehen,662 wie sie im preußischen StGB verankert war. Die Anzahl
der Delikte, in denen der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte als Sanktion vorgesehen war, war aber innerhalb des RStGB sehr groß. Die entsprechenden Delikte
umfassten neben Verbrechen auch Vergehen, aber nicht die damals noch innerhalb
des StGB geregelten Übertretungen.663
Bei einigen Tatbeständen (Meineid, § 161; Kuppelei, §181; gewerbs- oder gewohnheitsmäßiger Wucher, § 302d)664 war der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte
zwingend vorgeschrieben, wobei anzumerken ist, dass diese Delikte in der Geschichte der Sanktionen, wie auch hier, immer wieder Auslöser der Ehrenstrafe
waren.665 Im Regelfall war dem Richter jedoch ein Ermessen für die Aberkennung
eingeräumt.
Eine große Anzahl an Delikten ermöglichte die fakultative Statusminderung.666
Einbezogen waren sowohl Delikte gegen die Interessen des Staates als auch klassische „unehrliche“ Delikte667 wie etwa der Betrug.
661 Fuchs, Die Ehrenstrafen, Seite 117; Dolles, Die Nebenstrafen an der Ehre, Seite 83; schon
Merkel, Die Lehre von Verbrechen und Strafen, Seite 288, spricht vom Bedeutungsverlust
dieses Rechts; in diesem Sinne auch Goldschmidt, Vergleichende Darstellung, Seite 418, der
das Recht als inhaltslos bezeichnet.
662 Kerwitz, Die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 4; Hagen, Die Entwicklung
der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 31.
663 Lemme, Der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 17.
664 Übersicht mit Beschreibung der Tatbestände bei Lemme, Der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 18ff.
665 Dolles, Die Nebenstrafen an der Ehre, Seite 66, bezeichnet sie aus diesem Grund als absolut
entehrende Verbrechen.
666 Nach Übersichten von Fuchs (Seite 90f.) und Lemme (28f.): Duchesne-Paragraf (Versuch der
Beteiligung, § 49a); Wahlfälschung (§ 108); Wahlbestechung (§109); Bruch der amtlichen
Verfügungsgewalt in gewinnsüchtiger Absicht (§ 133); Untauglichmachung zur Wehrpflicht,
(§142); Täuschung zwecks Wehrpflichtentziehung (§ 143); Münzverringerung (§150); Falsche Versicherung an Eides statt (§ 156); Eidesnotstand (§ 157); Widerruf des Meineides (§
158); Versuchte Anstiftung zur falschen Versicherung an Eides statt (§ 159); Falsche Anschuldigung (§ 164); Störung des Gräberfriedens (§ 168); Blutschande (§ 173); Widernatürliche Unzucht (§ 175); Kuppelei (§ 180); Zuhälterei (§ 181a); Erregung öffentlichen Ärgernisses (§ 183); Diebstahl (§242); Unterschlagung (§246); Erpressung (§253); Hehlerei (§ 258);
Betrug (§ 263); Untreue (§266); Urkundenfälschung (§ 267); Urkundenbeseitigung (§ 274);
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Unklar war nach der Vorschrift des § 32 RStGB, nach welchen Kriterien das Gericht über die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte befinden konnte, wenn
diese Sanktion im Gesetzt ermöglicht wurde. In der Literatur wurde deswegen gefordert, dass die Schwere der Tat sowie die Tatmotive ihre Ehrenrührigkeit zeigen
müssten.668 Als ehrlos wurde ein Verhalten angesehen, das um ethisch niedrig stehender Interessen wegen höhere Werte, im Bewusstsein dieser Divergenz, aufs Spiel
setzt; eine ehrlose Gesinnung wurde angenommen, wenn sich ein solches Verhalten
aus der psychischen Eigenart des Täters erkläre.669 Diese Definition der ehrlosen
Gesinnung wurde jedoch in der Literatur für zu unbestimmt gehalten,670 was den
Wunsch nach einer Begrenzung der Sanktion zum Ausdruck kommen lässt.
Neben den totalen Statusminderungen sah das RStGB in § 35 auch Teilaberkennungen vor. Nach § 35 konnte neben der Gefängnisstrafe nur die Amtsfähigkeit
aberkannt werden, wenn auch die bürgerlichen Ehrenrechte hätten entzogen werden
können. Diese Sanktion erfüllte die Funktion der milderen Statusminderung neben
der Totalaberkennung.671 Es gab jedoch auch Tatbestände, die lediglich eine teilweise Aberkennung von Statusrechten vorsahen.672
Die Ehrenstrafen des RStGB waren nach § 45 ausdrücklich auch auf den Versuch
anwendbar. Dies erklärte sich daraus, dass im Charakter des spezifischen Deliktes
bereits eine zutage getretene „ehrlose Gesinnung“ gesehen wurde, wobei der Charakter des Deliktes auch im Versuch grundsätzlich derselbe bleibe.673 Hierin kommt
Fälschung von Stempel- Post- und Telegrafenwertzeichen (§275); Fälschung von Gesundheitszeugnissen (§ 277); Ausstellung unrichtiger Gesundheitszeugnisse (§ 278); Gebrauchmachen von gefälschten oder unrichtigen Gesundheitszeugnissen (§ 279); Veranstaltung öffentlicher Glücksspiele (§ 248); Beteiligung am öffentlichen Glücksspiel (§284a); gewerbsmäßiges Glücksspiel (§ 285); Pfandkehr (§289); Wilddieberei (§ 294); Wucher (§ 302);
Sachbeschädigung an bestimmten Gegenständen (§ 304); Nichterfüllung von Lieferungsverträgen mit Behörden im Krieg oder bei Notstand (§ 329); Aktive Bestechung (§333); Amtsunterschlagung (§ 350).
667 Einen Überblick über derart entehrende, heimliche Delikte, bietet Dolles, Die Nebenstrafen
an der Ehre, Seite 89f.
668 Lemme, Der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 25; Fuchs, Die Ehrenstrafen, Seite
89.
669 Liepmann, Hamburgische Schriften 1, Seite 87; Hagen, Die Entwicklung der Aberkennung
der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 45.
670 Schmidt, ZStW 45 (1925), Seite 30; Liepmann, Hamburgische Schriften 2, Seite 123, verweist insbesondere auf die Abhängigkeit des Begriffes von der politischen Einstellung des
Richters.
671 Fuchs, Die Ehrenstrafen, Seite 93; Lemme, Der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite
34, spricht hier von einem Mittelweg.
672 Entsprechend der Übersicht bei Fuchs, Die Ehrenstrafen, Seite 94f.: Hochverrat (§ 81); Hochverräterisches Komplott (§ 83); Landesverräterische Konspiration (§ 87); Landesverräterische
Waffenhilfe (§ 88); Landesverräterische Begünstigung (§ 89); Schwere landesverräterische
Begünstigung (§ 90); Begehung der §§ 87,89 und 90 durch Ausländer (§91); Tätlichkeit gegen den Landesherrn (§ 94); Beleidigung des Landesherren (§95); Geheimbündelei (§128);
Teilnahme an Staatsfeindlichen Verbindungen (§ 129); minder schwere Amtsvergehen (§
358);
673 Fuchs, Die Ehrenstrafen, Seite 96.
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zum Ausdruck, dass in weiten Teilen doch der verwirklichte Tatbestand zur Ermittlung der ehrlosen Gesinnung herangezogen wurde.
Für den Mittäter, den Anstifter und den Gehilfen war die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte zwangsläufig, da die Nebenstrafen des RStGB für die ersten
beiden Gruppen ohnehin anwendbar waren und der Strafermäßigungsgrundsatz des
§ 49 II RStGB für den Gehilfen im Rahmen der Ehrenstrafe keine Strafmilderung
herbeiführte.674
Die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte konnte gemäß § 37 RStGB auch
gegenüber einem im Ausland verurteilten Deutschen in einem neuen Verfahren
verhängt werden konnte, soweit die zugrunde liegende Straftat dies nach deutschem
Recht rechtfertigte. Diese Regelung bedeutete für den Bereich der Ehrenstrafe letztlich eine Loslösung des Verbots der Doppelbestrafung sowie des Territorialitätsgrundsatzes675 und betonte den Strafcharakter der Ehrenstrafe. Hintergrund dieser
Regelung war die Absicht, die bürgerlichen Ehrenrechte vor dem „Unwürdigen“ zu
schützen und einen Ausgleich mit im Inland verurteilten Straftätern herbeizuführen.676 Die Regelung bedeutete aber auch, dass die Ehrenstrafe in diesem Fall den
Charakter einer Nebenstrafe verlor,677 da die Sanktion im neuen Verfahren ohne eine
erneute Hauptstrafe verhängt wurde, die deutsche Gerichtsbarkeit also nur auf die
Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte erkennen konnte.
Die zeitliche Dauer der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte lag nach § 32
II RStGB bei Verhängung einer – zeitlich begrenzten – Zuchthausstrafe zwischen
zwei und zehn, bei einer Gefängnisstrafe zwischen einem und fünf Jahren. Bei lebenslanger Zuchthaus- und der Todesstrafe stellte sich die Frage der zeitlichen Begrenzung der Ehrenstrafe nicht. Im Rahmen der Strafzumessung sollte der Richter
die zu Tage getretene ehrlose Gesinnung – unter Berücksichtigung des gesamten
abgeurteilten Sachverhalts – des Straftäter berücksichtigen.678 Hier stellt sich die
Frage, wie dies überhaupt festgestellt werden konnte, da schon mit der Unsicherheit
im Zusammenhang mit dem Begriff der ehrlosen Gesinnung ein großer, kaum überprüfbarer Spielraum bestand.
Die Frist für den Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte begann nach § 36 II
RStGB ab dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem die Freiheitsstrafe verbüßt, verjährt oder
erlassen war. Begründet wurde dies damit, dass die in Frage kommenden Rechte
ohnehin erst nach der Strafe relevant würden,679 da Strafgefangene zu dieser Zeit die
entsprechenden Statusrechte ohnehin nicht ausüben konnten. Erste Auswirkungen
zeigte die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte dennoch bereits in der Haft-
674 Fuchs, Die Ehrenstrafen, Seite 99.
675 Kerwitz, Die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 7; Kießlich, Die Ehrenstrafen,
Seite 30.
676 Fuchs, Die Ehrenstrafen, Seite 105; Lemme, Der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite
56.
677 Kerwitz, Die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 7, anders Hagen, Die Entwicklung der Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 33, der durch die Voraussetzung des ausländischen Urteils die Verbindung mit einer anderen Sanktion gewahrt sieht.
678 Fuchs, Die Ehrenstrafen, Seite 111.
679 Fuchs, Die Ehrenstrafen, Seite 114.
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zeit. So hatten nur Gefangene, die im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte waren,
das Recht, sich selbst zu beschäftigen sowie eigene Wäsche, Betten und Kleidung zu
gebrauchen.680
II. Weitere Ehrenstrafen
Als weitere Ehrenstrafe enthielt das RStGB, in § 57 geregelt, bis 1923 den Verweis
für Jugendliche zwischen 12 und 18 Jahren, der als Demütigungsstrafe angesehen
wurde.681 Der Verweis wurde als Ehrenhauptstrafe bezeichnet, da er als einzige der
Ehrenstrafen als selbständige Sanktion verhängt werden konnte.682 Weitere Ehrenstrafen683 waren die Urteilspublikation (§§ 165, 200, 285a) sowie die Aberkennung
der Zeugnisfähigkeit im Rahmen der Aussagedelikte (§ 161) und die Aberkennung
der Fähigkeit zur Beschäftigung im Eisenbahn- und Telegraphendienst (§ 319), die
in der damaligen Zeit von hoher strategischer Bedeutung war. Die größte Bedeutung
kam der Urteilspublikation zu. Die Veröffentlichung der Verurteilung wurde durch
das RStGB – deutlich reduziert gegenüber der Rechtslage im preußischen StGB –
bei den Tatbeständen der Beleidigung (§ 200), der falschen Anschuldigung (§ 165)
und , ab 1919, des Glücksspiels (§ 285a) angedroht. Daneben fand sie sich noch
fakultativ ebenfalls im Rahmen der Vorschriften zum Glücksspiel.684 Neben der
Wiedergutmachungsfunktion wurde ihr ein Strafcharakter zugesprochen,685 der
allerdings im Rahmen der Beleidigungsdelikte auch bestritten wurde.686 Er wurde
vor allem darin gesehen, dass die Urteilspublikation neben den finanziellen Folgen
einen beschämenden Charakter habe.687 Mit dieser Begründung wurde die Urteilsveröffentlichung auch als moderne Schandstrafe angesehen.688
680 Fuchs, Die Ehrenstrafen, Seite 131.
681 Binding, Grundriss des Deutschen Strafrechts, Seite 250; Fuchs, Die Ehrenstrafen, Seite 75;
Schmidt, ZStW 45 (1925), Seite 18.
682 Fuchs, Die Ehrenstrafen, Seite 76, wobei die Stellung des Verweises als Strafe jedoch umstritten war, vgl. hierzu die Darstellung bei Fuchs, Die Ehrenstrafen, Seite 77f.
683 Diese wurden jedoch zum Teil nicht als „bürgerliche Ehrenrechte“ angesehen, vgl. Lemme,
Der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 14; anders Fuchs, Die Ehrenstrafen, Seite 76;
Kerwitz, Die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 3.
684 § 284 (Veranstaltung von öffentlichem Glücksspiel); § 285 (gewerbsmäßiges Glücksspiel); §
284a (Beteiligung am öffentlichen Glücksspiel).
685 Ständige Rechtsprechung des Reichsgerichts, RGSt 6, 180, 181ff.; RGSt 16, 73, 74ff.; RGSt
37, 267, 268; RGSt 53, 290, 291; dies wurde auch vom BGH noch so gesehen, vgl. BGHSt
10, 306, 310f; aber auch Quanter, Die Schand- und Ehrenstrafen, Seite 199f.; Kühne, Die Ehrenstrafen, Seite 28.
686 Z.B. Dolles, Die Nebenstrafen an der Ehre, Seite 67; Schmidt, ZStW 45 (1925), Seite 21.
687 RGSt 6, 180, 181; Quanter, Die Schand- und Ehrenstrafen, Seite 199; auch Merkel, Die Lehre
von Verbrechen und Strafen, Seite 291, spricht von einer die Ehre betreffenden Deliktsfolge.
688 Quanter, Die Schand- und Ehrenstrafen, Seite 200; anders Kühne, Die Ehrenstrafen, Seite 27,
der hier eine Prangerwirkung nicht erkennen kann.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die statusmindernden Nebenfolgen stellen die Ehrenstrafen des heutigen StGB dar. Dieses Ergebnis steht am Ende einer Untersuchung, in der der Autor sich mit den Nebenfolgen, aber auch mit den Begriffen Ehre und Strafe auseinandersetzt. Dabei gelingt es ihm, die Verbindung von Ehrverständnissen und Ehrenstrafen durch die Geschichte nachzuweisen und zu zeigen, dass die Geschichte der Ehrenstrafe in Deutschland mit der Strafrechtsreform von 1969 keinen Abbruch gefunden hat. Gleichzeitig stellt er sich die Frage nach der Notwendigkeit von Ehrenstrafen in heutiger Zeit, die er in begrenztem Umfang für notwendig erachtet.