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Gemeinwesen zugeschrieben wird,322 zeigt die gesellschaftsstabilisierende Funktion
der Ehre und entspricht ihr. Die bürgerlichen Ehrenrechte sind damit Attribute des
Vollbürgertums.323 Ein solches Verständnis schützt überdies das demokratische
System, da es ausgehöhlt würde, würde demokratische Politik als „ehrloses Gewerbe“ angesehen.324
Nun stellt sich die Frage, in welchem Umfang bürgerliche Ehrenrechte auf die
Ehre wirken. Die Verwechslung zwischen Ehrfähigkeit und Ehrbestand, die aus der
Wendung gegen die Standesehre herrührt, ist einem rein personalen Verständnis der
Ehre zu Recht vorgeworfen worden325 und wurde hier dementsprechend widerlegt.
Die hieraus resultierende fehlerhafte Gleichsetzung von Bürgerehre und Menschenwürde beruht nicht zuletzt darauf, dass es in der früheren Standesehre eine Einheit
zwischen Ehrfähigkeit und Ehrbestand gegeben hat und genau dies die Ungleichheit
der Standesgesellschaft bedingte. Wenn aber eine Einheit zwischen Ehrbestand und
Ehrfähigkeit besteht, so ist es nur logisch, dass allein die äußere Erscheinung der
Ehre, also der Ehrbestand wahrgenommen wird. Die Angleichung der Ehrfähigkeit
im Zuge des Vordringens des Gedankens einer Menschen- und Personenwürde
führt, wie gezeigt, allerdings nicht denknotwendig zu dem Schluss, dass auch der
Ehrbestand aller Gesellschaftsmitglieder gleich sein muss. Dies gilt vor allem dort,
wo es gesetzlich vorgeschriebene oder durch persönliche Leistung erworbene tatsächliche Ungleichheiten gibt. Auch die Analyse, dass die Wendung gegen die
Standesehre nicht von einer Wandelung des Ehrverständnisses, sondern von einer
Neuentdeckung der Menschlichkeit ausging,326 wie Jakobs es sieht, kann in dieser
Form, in der die Menschenwürde als ein Surrogat der Ehre in einer neuen Zeit gesehen wird, nicht nachvollzogen werden, da die Ehre seit jeher mehr umfasst als die
bloße Zugehörigkeit zur größtmöglichen Gruppe, der Gattung Mensch. Mängel in
der Bürgerehre sind demzufolge immer Mängel des Ehrbestandes, nicht der Ehrfähigkeit eines Menschen. Die Bürgerehre bezieht sich damit alleine auf den Ehrbestand eines Menschen.
IX. Bewertung der Ehre als Element der Ehrenstrafe/Ergebnis
Aus all dem folgt eine aus der Funktion der Ehre hergeleitete Definition, die sich in
ihrem Inhalt aus für den freiheitlichen Rechtsstaat verbindlichen Kriterien herleitet,
gleichzeitig aber deutlich macht, dass die „Hülle“, in die dieser Inhalt eingekleidet
ist in der Geschichte konstant geblieben ist. Diese Hülle ergibt sich aus dem Gleichheitssatz auf der einen und der Gesellschaftsstabilisierung auf der anderen Seite.
322 Isensee, FS Kriele, Seite 37; v. Magoldt/Klein/Starck-Starck Art. 5, Rn. 212.
323 So schon Siegert, Die im Volksbürgerthum enthaltenen bürgerlichen Ehrenrechte, Seite 29.
324 Isensee, FS Kriele, Seite 38; v. Mangoldt/Klein/Starck-Art. 5, Rn. 212; vgl. auch Wiese, AöR
1976, Seite 552, der § 31 RStGB als Ausfluss des repräsentativen Elementes der parlamentarischen Demokratie ansieht und daher das Abgeordnetenmandat zu Recht für ein Ehrenamt
im Wortsinn hält.
325 Jakobs, FS Jescheck, Seite 639.
326 Jakobs, FS Jescheck, Seite 639.
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Daraus folgt die Ehrfähigkeit als eine aus der Zugehörigkeit zur Gattung Mensch
erwachsende Partizipationsfähigkeit, aus der erst die Partizipationsmöglichkeit, also
ein Anspruch erwächst, der sich darin verdichtet, von anderen nicht unverdient in
seiner Gleichwertigkeit herabgewürdigt zu werden. Gleichwohl ergibt sich aus der
Unterteilung in Staatsbürger und Menschen, die zwar in einer Gesellschaft leben, die
Staatsbürgerschaft jedoch nicht innehaben, eine Ungleichheit, da sich aus der
Staatsbürgerschaft das Potenzial zum Erlangen eines besonderen Status innerhalb
der Gesellschaft herleitet. Diese Stellung wird Staatsbürgerrecht oder Bürgerehre
genannt und bildet als solche einen sachlichen Grund für eine Ausnahme vom
Gleichheitssatz, die für die Erhaltung der Gesellschaft von Bedeutung ist.
Gegen die Ehre gerichtete Sanktionen, so es solche gibt, sind demnach Sanktionen, die in die Partizipationsfähigkeit oder in die Partizipationsmöglichkeit des Einzelnen eingreifen.
B. Der Begriff der Strafe
Stratenwerth/Kuhlen äußern in ihrem Lehrbuch zum Allgemeinen Teil des Strafrechts Zweifel daran, ob unter historischen Gesichtspunkten überhaupt von „der“
Strafe als einer mit sich selbst identischen Erscheinung gesprochen werden darf.327
In diesem Sinne spricht auch Meier davon, dass über das Wesen der Strafe nur eine
Aussage gemacht werden könne, wenn man ein konkretes Sanktionensystem vor
Augen habe.328 Wenn also erklärt werden soll, was Ehrenstrafen sind, so besteht das
Problem darin, diese Sanktionsart zunächst unabhängig von den Rahmenbedingungen eines konkreten Sanktionensystems zu klären, um nicht der Auseinandersetzung
mit den Rahmenbedingungen ihres Auftretens in der Geschichte, sowie der Frage,
ob Ehrenstrafen im heutigen Strafrecht bestehen können, vorzugreifen. Diesem
Problem kann nur begegnet werden, wenn man das Begriffselement der Strafe jenseits seiner Zweckbestimmung und damit zunächst einmal nur als äußerlich wahrnehmbares Phänomen betrachtet.
Einen ersten Anhaltspunkt zur Lösung dieser Problematik liefern Stratenwerth/Kuhlen selbst, indem sie auf die Verbindung der Strafe mit staatlicher Organisation in der Geschichte aufmerksam machen.329 Denn unabhängig davon, ob Sanktionen auch in anderen Bezugsgruppen als der des Staates denkbar sind (etwa in der
Familie oder in Betrieben) bedeutet letztlich der technische Begriff Strafe in dem
hier interessierenden Bereich, dass diese Sanktion durch den Staat und nicht durch
eine andere Bezugsgruppe verhängt wurde. Dass sie vom Staat verhängt wird,
drückt sich dabei durch den Akt der Strafzumessung aus, der durch den Richter als
ein staatliches Organ vollzogen wird. Eine Ehrenstrafe muss also eine Sanktion sein,
die durch den Staat verhängt wird.
327 Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I, § 1, Rn. 3.
328 Meier, Strafrechtliche Sanktionen, Seite 15.
329 Stratenwerth/Kuhlen, Strafrecht AT I, § 1, Rn. 1.
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References
Zusammenfassung
Die statusmindernden Nebenfolgen stellen die Ehrenstrafen des heutigen StGB dar. Dieses Ergebnis steht am Ende einer Untersuchung, in der der Autor sich mit den Nebenfolgen, aber auch mit den Begriffen Ehre und Strafe auseinandersetzt. Dabei gelingt es ihm, die Verbindung von Ehrverständnissen und Ehrenstrafen durch die Geschichte nachzuweisen und zu zeigen, dass die Geschichte der Ehrenstrafe in Deutschland mit der Strafrechtsreform von 1969 keinen Abbruch gefunden hat. Gleichzeitig stellt er sich die Frage nach der Notwendigkeit von Ehrenstrafen in heutiger Zeit, die er in begrenztem Umfang für notwendig erachtet.