297
protestantischen Sekten zu) paart eine ebenso hohe interne Formalisierung, die aber
in der Tendenz vor allem eine Verfasstheit hinsichtlich professioneller, arbeitsteiliger Strukturen meint, mit einem hohen Grad der Einbettung in übergeordnete Organisationszusammenhänge. Der calvinistische Sektor ist somit intern und extern hierarchisch organisiert. Die katholische und lutherische Vereinswelt bietet ein drittes
Organisationsmodell: hohe Informalität intern bei beinahe vollständiger Eingliederung in organisatorische Supra-Strukturen.
Somit stellen diese Ergebnisse viele der gängigen Annahmen auf den Kopf: Katholische Organisationen sind klein, ressourcenarm, intern kaum hierarchisch strukturiert
und weniger professionalisiert als angenommen. Wäre nicht das hohe Ausmaß organisatorischer Eingliederung in übergeordnete Organisationseinheiten, entspräche der
katholische (und der lutherische) Verein fast dem Idealbild des kleinen, flachen,
hierarchiefreien Vereins, der in der aktuellen Debatte so große Wertschätzung erfährt. Der calvinistische Verein dagegen ist groß, reich an Geld und Personal, hochgradig intern verfasst, arbeitsteilig und professionell strukturiert und zudem in hierarchische Organisationsbezüge eingebunden. Wie kann das sein? Natürlich ist die
katholische Kirche eine riesige, weltumspannende, hierarchische Organisation. Natürlich sind dem Protestantismus und vor allem dem Protestantismus calvinistischer
Provenienz solche Strukturen fremd. Der gängige Fehler liegt wohl darin, dass man
die Organisationsprinzipien der Globalkirche(n) auf den lokal aktiven Verein un-
überprüft überträgt. Warum sollten sich die an einer katholischen Kirchengemeinde
angesiedelten Krabbelgruppen, Frauengruppen oder Gesangs- und Sportvereine
organisatorisch nach dem Vorbild der Kurie modellieren? Oder, wie Boix und Posner zu recht meinen, ein hierarchischer Überbau muss nicht hierarchische Durchgliederung bis in die kleinsten lokalen Räume nach sich ziehen. „Organizations like
the Catholic Church may appear to be vertically organized and yet contain numerous
opportunities for horizontal engagement within their midst“ (Boix/Posner 1996: 3).
Was bedeuten solche Organisationsstrukturen für die Generierung sozialen Kapitals und die Mobilisierung von Aktiven und Ehrenamtlichen? Nimmt man die Ergebnisse dieses Kapitels ernst und interpretiert sie im Lichte der Organisationssoziologie, so muss man annehmen, dass katholische und lutherische Vereine bessere
Plattformen demokratischen Lernens zur Verfügung stellen als calvinistische Vereine und Organisationen aus dem Umfeld der protestantischen Sekten, vielleicht aber
auch – viele Indikatoren deuten darauf hin – als der nicht-religiöse Verein. Ist der
Katholik (und Lutheraner), der sich diesen Strukturen „aussetzt“, vielleicht doch
nicht nur ein guter Mensch, sondern auch ein guter Bürger?
9.3 Klein, flach, unabhängig: zum Zusammenhang zwischen unterschiedlichen
Organisationsmerkmalen
Organisationsmerkmale gelten als hochgradig verwoben: die kleine Organisation ist
geradezu zwangsläufig flach organisiert und mitgliederbasiert. Die große Gruppe
298
dagegen muss Hierarchien entwickeln, führt zu interner Arbeitsteilung und professioneller Requirierung der Ressourcen. Die obigen deskriptiven Analysen deuten
darauf hin, dass viele dieser Annahmen korrekt sind: calvinistische Vereine sind
groß und haben sich als reich, personalstark, hierarchisch und arbeitsteilig erwiesen.
Andere Ergebnisse mahnen zur Vorsicht. Die großen, reichen, professionellen calvinistischen Vereine sind gleichzeitig mitgliederfinanziert, während die eher kleinen,
armen katholischen Vereine viel stärker aus externen Quellen schöpfen. Beide Aspekte (Größe und Professionalität einerseits, finanzielle Abhängigkeit andererseits)
werden in der Literatur in Beziehung zu den demokratischen und Sozialkapital generierenden Leistungen gesetzt. Allerdings würden beide Eigenschaften in unterschiedliche Richtungen weisen: die Mitgliederabhängigkeit sollte die Vereinselite
dazu bewegen, „kundenorientiert“ zu arbeiten, während Größe und Professionalität
eher Mitgliederapathie und Desinteresse provozieren sollte. Diesen Zusammenhängen wird in Kapitel 11 nachgegangen. An dieser Stelle soll zunächst das Beziehungsgeflecht zwischen unterschiedlichen Organisationsmerkmalen systematischer
beleuchtet werden.
Tabelle 18 zeigt bivariate Zusammenhänge zwischen verschiedenen Merkmalen
organisatorischer Verfasstheit. Koeffizienten oberhalb der fettgedruckten Diagonalen (Autokorrelation) geben Zusammenhangsmaße für den säkularen Sektor an, die
Zahlen unterhalb der Diagonalen gelten für den religiösen Bereich. Gerahmte Maßzahlen zeigen an, dass Zusammenhänge der beiden Sektoren in unterschiedliche
Richtungen verlaufen. Ein Blick auf Tabelle 18 im Vergleich offenbart, dass es zwei
verschiedene Beziehungsmuster gibt. Hinsichtlich eines Blocks von Merkmalen sind
zwischen säkularem und religiösem Sektor keine Unterschiede auszumachen. Die
Organisationssoziologie hat Recht: Mit der Größe des Vereins steigt die Zahl der
Angestellten, das Einkommen wächst, und professionell requirierte Ressourcen
gewinnen an Bedeutung – dies gilt unabhängig davon, ob ein Verein religiös oder
nicht-religiös ist. Mit der Größe steigen zudem der Grad der Institutionalisierung,
sowie die Wahrscheinlichkeit, dass professionelle, arbeitsteilige Vereinsstrukturen
geschaffen werden. Auch dies gilt für beide Sektoren. Aber: mit der Größe steigt
auch die finanzielle Abhängigkeit von der Mitgliederbasis und die Bedeutung formell institutionalisierter Spielregeln demokratischen Entscheidens. Größe kann also
auch den Einfluss der Mitglieder stärken. Vereine, die viele Angestellten beschäftigen, sind dagegen eher über öffentliche Mittel und Marktaktivitäten finanziert, während die finanzielle Abhängigkeit vom Mitglied negativ mit der Größe des bezahlten
Personalbestands korreliert. Der mitgliederfinanzierte Verein – auch dies gilt für
beide Sektoren – mag zwar reich an Mitgliedern sein, ist aber ansonsten eher ressourcenarm: geringe finanzielle Mittel, wenig Personal. Wer reich sein möchte,
muss öffentliche Mittel anwerben oder Produkte und Dienstleistungen auf dem
Markt offerieren können. Offensichtlich ist auch, dass mit der Abhängigkeit von der
Mitgliederbasis die Zugänglichkeit zu alternativen Quellen sinkt. Hiermit ist allerdings der Bereich der Wesensgleichheit zwischen säkularem und religiösem Sektor
zu Ende.
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300
Größte Unterschiede bestehen hinsichtlich der Wirkung der Mitgliedschaft in einer
Dachorganisation und der finanziellen Abhängigkeit von solchen Supra-Strukturen.
Offensichtlich spielt die hierarchische Einbettung in übergeordnete Zusammenhänge
im religiösen Sektor eine ganz andere Rolle als im nicht-religiösen Sektor. Im säkularen Vereinswesen sind Mitglieder von Dachorganisationen eher große Vereine mit
gehobenem Formalisierungsgrad. Im religiösen Sektor dagegen ist der typische
Verein, der einer Dachorganisation angehört, klein, eher arm und mit starker Tendenz zur institutionellen Informalität. Man könnte daher sagen, dass das klassische
Organisationsmodell, das Torpe und Ferrer-Fons (2007) als eine Kombination aus
formalisiertem, demokratischen Innenleben mit einer Verknüpfung zu übergeordneten Dachverbänden beschrieben haben, nur im säkularen, nicht aber im religiösen
Sektor zu finden ist. Hier wirkt die Dachorganisation strukturdämpfend. Oder umgekehrt, die typische religiöse Dachorganisation – die Kirche – gibt vielen kleineren,
informellen Gruppen Raum (und finanzielle Mittel): den Bibellesegruppen, Friedensgruppen, Kinder- und Frauengruppen. Die typische Dachorganisation im säkularen Sektor – wenn man so viel aus einfachen bivariaten Zusammenhängen lesen
darf – ist eher der regionale oder nationale Dachverband, der die Interessen lokal
aktiver, institutionell verfasster Vereine bündelt – der klassische Fußballverein mit
Mitgliedschaft im regionalen und/oder nationalen Fußballverband.
Tabelle 19: Dimensionen organisatorischer Verfasstheit – Konfessionen im Vergleich
Säkulare
Vereine
Religiöse
Vereine
Katholische
Vereine
Lutherische
Vereine
Calvinist.
Vereine
Vereine
Protest.
Sekten
Vereine
andere
Religionen
KMO .44 .56 .55 .50 .54 .58 .49
% Kum. Var. 70,5 67,1 69,5 66.1 63,7 81,0 70,0
Zahl Dim. 5 4 4 4 3 5 4
Institutional. 1 1 1 1 (1) 1 1
Inst. Demo. 1 1 1 1 (1) 1 1
Inst. Profess. 1 1 1 1 1 1 (1)
Größe (1) 1 1 1 1 (2) (1)
Angestellte 3 2 2 2 1 (2) 2
Budget 3 (2) 2 (2) 1 2 2
Qu: öffentl. 2 2 2 (3) 3 3 5
Qu: prof. 4 4 4 (2) 2 5 -2
Qu: privat (-2) (-4) (-4) (-3) -3 -2 (-4) (1)
Qu: Dach. 5 3 3 (4) (2) 4 -1
Dachorg. 5 3 - 4 -3 (-3) 2
Anmerkung: Hauptkomponentenanalyse mit Varimax-Rotation. Daten gewichtet (jeweils N=1000), ohne
kleinere ost- und westdeutsche Gemeinden. Negative Ladungen sind mit einem Minuszeichen versehen.
Zahlen in Klammern zeigen an, dass das Merkmal auch mit einer Ladung von über .30 mit einem anderen
Faktor verknüpft ist.
301
Auch wirken gewisse Merkmale der Professionalisierung im religiösen Sektor offensichtlich anders als im säkularen Bereich. So hat die Abhängigkeit von öffentlichen Geldgebern, von Marktaktivitäten, aber auch die Zahl der Angestellten auf den
religiösen Verein eine demokratisierende Wirkung in dem Sinne, dass die Wahrscheinlichkeit, mit der Prinzipien der repräsentativen Demokratie im Verein institutionalisiert werden, steigt. Im säkularen Sektor sind solche Zusammenhänge nicht
ersichtlich oder – wie im Fall der Angestellten – eher geringfügig negativer Natur.
Mit diesen bivariaten Analysen ist noch nicht geklärt, ob und in welchem Ausmaß es
im Vereinssektor zusammenhängende Strukturen institutioneller Merkmale gibt, die
sich zum institutionellen Syndrom verdichten. Es ist auch nicht geklärt, ob Dimensionen des organisatorischen Aufbaus für das Vereinswesen an sich gelten, oder ob
hier systematische Varianten für einzelne Konfessionen konstitutiv sind. Tabelle 19
zeigt die Ergebnisse von Hauptkomponentenanalysen, die für das säkulare Vereinswesen, den religiösen Sektor an sich, sowie die einzelnen konfessionellen Vereinslandschaften getrennt durchgeführt wurden.
Auch hier gibt es einige Konstanten. Vereinsgröße und Grad der Institutionalisierung (sowohl hinsichtlich demokratischer Verfasstheit als auch der Einführung professioneller Strukturen) sind in allen untersuchten Subgruppen mit der Ausnahme
der protestantischen Sekten strukturverwandt, d.h. bilden eine gemeinsame Dimension organisatorischer Verfasstheit. Ressourcenreichtum – Geld und Personal –
bildet eine zweite, über alle Gruppen stabile, Dimension. Die Ausnahme sind hier
die Calvinisten: hier – und nur hier – zeigt sich die von der Organisationssoziologie
behauptete Verflechtung von Größe, Formalisierung, Hierarchisierung, Wohlstand
und Professionalisierung. All diese Aspekte bilden im Calvinismus eine Dimension
organisatorischer Professionalität, während für alle anderen Konfessionen, aber auch
für den säkularen Sektor gilt, dass die Dimension der organisatorischen Institutionalisierung von einer Dimension organisatorischem Wohlstands und Professionalisierung getrennt werden muss.
Die Faktorenanalysen bestätigen weiterhin ein Ergebnis, das bereits in den deskriptiven Analysen durchschien. Die Frage, ob eine Gruppe in hierarchische Supra-
Strukturen eingegliedert ist, also Mitglied einer Dachorganisation ist, ist weder
systematisch mit Institutionalisierungsaspekten noch mit Aspekten des Wohlstands
bzw. der Professionalisierung verknüpft. Im säkularen (und lutherischen) Sektor
bilden die beiden Aspekte hierarchischer Einbettung (Mitglied einer Dachorganisation und Finanzierung durch selbige) eine eigenständige Dimension. Im katholischen
Sektor lässt sich eine Dimensionszugehörigkeit überhaupt nicht feststellen, während
im calvinistischen Milieu und im Milieu der protestantischen Sekten die hierarchische Einbettung mit der Finanzierung über öffentliche Haushalte eine gemeinsame
Dimension bilden – allerdings mit negativer Verknüpfung. Mit anderen Worten, hier
ist die Mitgliedschaft in einer Dachorganisation stark negativ mit der Fähigkeit verknüpft, staatliche Mittel zu requirieren. Erwähnenswert ist schließlich, dass die fi-
302
nanzielle Abhängigkeit von der Mitgliederbasis in einem deutlichen Negativzusammenhang mit der Finanzierung über professionelle Kanäle oder öffentliche
Haushalte steht.228
Es gibt also in der Tat gewisse eng verknüpfte Aspekte organisatorischen Designs. Das calvinistische Vereinswesen entspricht den Glaubenssätzen der Organisationstheorie am besten: hier findet sich ein Syndrom aus Größe, Institutionalisierung, Wohlstand und Professionalisierung. In allen anderen konfessionellen Milieus,
aber auch im säkularen Sektor treten zwei voneinander klar zu unterscheidende
Dimensionen auf: Größe und Institutionalisierung auf der einen Seite, Wohlstand
und Professionalisierung auf der anderen.
9.4 Beeinflusst das Verhältnis zwischen Staat und Kirche die Struktur konfessioneller Vereine?
Die bisherigen Analysen haben nicht nur ergeben, dass es in der Organisationsstruktur große Unterschiede zwischen katholischen und lutherischen Vereinen einerseits
und calvinistischen Vereinen und Gruppen aus dem Umfeld der protestantischen
Sekten andererseits gibt. Es zeigte sich auch, dass große Unterschiede existieren
zwischen dem im säkularen Sektor noch immer dominanten Modell der klassischen
sekundären Assoziation und der loseren informellen Struktur, die weite Teile des
religiösen Sektors auszeichnen. Die Analysen haben aber auch eklatante Unterschiede zwischen den lokalen Zivilgesellschaften offengelegt. Gerade die schweizerischen Städte mit ihrem außergewöhnlich hohen Professionalisierungsgrad fielen
regelmäßig aus dem Rahmen. Die rational choice Theorie der Religion würde manche dieser regionalen Differenzen mit Unterschieden im Verhältnis zwischen Staat
und Kirche bzw. dem Freiheitsgrad des religiösen Marktes und dem sich dort entwickelnden Wettstreit der Konfessionen erklären. Dort, wo Religionen und Kirchen
frei von staatlichen Zwängen operieren, dort, wo religiöse Vereinigungen keine
Zuwendungen aus staatlichen Haushalten erhalten, dort entsteht ein freier, kompetitiver Wettstreit der Konfessionen. Religiöse Organisationen sind in ihrem Überleben
von ihrer Marktfähigkeit abhängig, entwickeln daher ein kundenorientiertes, responsives Profil, das den Laien großen Entscheidungsspielraum einräumt. Kurz gesagt:
religiöse Organisationen im freien Markt sind zwangsläufig demokratisch organisiert, Organisationen im regulierten Markt dagegen, kennen solche Zwänge nicht
und orientieren ihr Profil und ihre Struktur an den Wünschen des staatlichen Geldgebers. Das Laienelement bleibt unterentwickelt. Ob und inwieweit solche Makrofaktoren tatsächlich einen Einfluss auf die organisatorische Verfasstheit des konfessionellen Vereinswesens ausüben, soll im Folgenden geklärt werden.
228 Dieses Ergebnis ist aufgrund der Fragestellung zu erwarten. Unsere Befragten sollten angeben, wie viel Prozentanteile ihres Einkommens auf unterschiedliche Quellen entfällt. Je höher
der Anteilswert privater Mitgliederfinanzierung ausfällt, desto weniger Spielraum bleibt folglich für alternative Einkommensquellen.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Sind protestantische Vereine und Netzwerke ein besserer Nährboden für die Demokratie als katholische Organisationen? Brauchen auch Religionen den Wettbewerb des freien Marktes ohne staatliche Einmischung, um sich kraftvoll und lebendig zu entfalten? Das Buch untersucht die demokratische und sozial integrative Wirkung katholischer, lutherischer, calvinistischer und säkularer Organisationsformen in Deutschland, der Schweiz, den Niederlanden, Dänemark, Spanien und Schottland. Dargestellt wird die gesellschaftliche und demokratische Rolle von Religion und Kirche seit den Zeiten der Reformation bis heute. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die demokratieförderliche oder aber hemmende Wirkung von Religion und Konfession als Bestandteil europäischer Zivilgesellschaften am Beginn des 21. Jahrhunderts. Auf der Basis einer international vergleichenden Organisationsstudie kontrastiert das Buch ökonomische Theorien der Religion mit dem klassischen Säkularisierungsparadigma, sowie Sozialkapitalansätze mit Organisationstheorien, die behaupten dass die kleine, dezentral organisierte Organisationsform des Protestantismus der großen, zentralistischen und hierarchischen Organisationsstruktur des Katholizismus überlegen sei.