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doch im Völkerrecht1070 ebenso wie in nationalen Rechtsordnungen1071 überwiegend
mit Skepsis betrachtet.
5. Fazit
Das Institut der Nachsorgepflicht ist bisher nicht mehr als ein Konglomerat einzelner Pflichten aus unterschiedlichen Regimen.1072 Neben menschenrechtlichen Pflichten kommt insbesondere der im humanitären Völkerrecht verankerten Pflicht zur
Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung eminente Bedeutung zu. Hervorzuheben ist dabei, dass Art. 43 HLKO eine normative Basis
sowohl für die Rechte als auch für die Pflichten von Intervenienten bietet. Es besteht
somit ein enges Wechselspiel zwischen Rechten und Pflichten. In gewisser Weise
liegt dies in der Natur der Sache. Denn die Rechte werden den Intervenienten nicht
in deren Interesse, sondern zum Schutz der betroffenen Bevölkerung gewährt. Sie
müssen möglichst schonend und unter Achtung der betroffenen Autonomiesphären
ausgeübt werden. Dies erfordert, dass die Intervenienten auch Nachsorge tragen.
Praktische Folge der Anerkennung von Nachsorgepflichten ist es, dass Intervenienten dazu verpflichtet sein können, das Ende ihrer Intervention nicht nach eigenem Gutdünken zu bestimmen, sondern von den humanitären Bedingungen im besetzten Staat abhängig zu machen. Präzise völkerrechtliche Vorgaben existieren
insoweit nicht. Die zahlreichen Rufe nach einer exit strategy1073 offenbaren jedoch
das Bedürfnis, den Rückzug von Intervenienten rechtlichen Regeln zu unterwerfen.
D. Verhältnis von ius ad bellum und ius post bellum
Betrachtet man die Rechte und Pflichten, die das ius post bellum statuiert, so stellt
sich die Frage, ob diese von der Rechtmäßigkeit der vorherigen Intervention beeinflusst werden. Zu ihrer Beantwortung ist zunächst das Verhältnis von ius ad bellum1074 und ius in bello zu untersuchen, um hieraus in einem zweiten Schritt Schlüsse über das Verhältnis von ius ad bellum und ius post bellum zu ziehen.
1070 Zur Verantwortlichkeit für Konsequenzen aus völkerrechtsgemäßen Aktivitäten siehe Dahm /
Delbrück / Wolfrum (Anm. 631), S. 883 ff.
1071 Vgl. Wagner, in: Reimann / R. Zimmermann (Hrsg.), The Oxford Handbook of Comparative
Law, 2006, S. 1003 (1030 ff.).
1072 Hierbei handelt es sich freilich nicht nur um eine moralische Verpflichtung, wie von Reschke
(Anm. 776), S. 119, angenommen.
1073 Vgl. Perrit (Anm. 243), S. 469 ff.; Caplan, A new Trusteeship?, 2002, S. 63; Dens, International Governance of War-Torn Territories, 2005, S. 212 ff.; Fearon / Laitin (Anm. 368), S.
36; Feldman (Anm. 368), S. 129 ff.
1074 Da Gegenstand des ius ad bellum vorwiegend die Einschränkung von Gewalt ist, wird zum
Teil die Verwendung des Begriffes ius contra bellum befürwortet. Vgl. Bothe, in: Vitzthum
(Anm. 1), S. 642. Diese Terminologie hat sich in der Völkerrechtswissenschaft indes noch
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I. Verhältnis von ius ad bellum und ius in bello
Beim ius ad bellum und ius in bello handelt es sich um zwei separate Regime zur
Unterbindung und Eingrenzung von Gewalt. Prämisse des ius in bello ist es, dass
alle Konfliktparteien denselben Schutz genießen.1075 Seine Gewährleistungen knüpfen allein an die Schutzbedürftigkeit der Betroffenen an.1076 Aus der Perspektive des
ius in bello ist daher nach hergebrachter Auffassung unerheblich, ob der ursprüngliche Krieg rechtmäßig war oder nicht.1077
Dessen ungeachtet bestehen gute Gründe, Interdependenzen zwischen dem ius ad
bellum und dem ius in bello anzuerkennen. Dabei liegt es zunächst auf der Hand,
dass das ius in bello keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit eines Krieges unter dem
Gesichtspunkt des ius ad bellum nehmen kann.1078 Denn das ius in bello ist gegen-
über dem ius ad bellum ein zeitlich und logisch nachgeordnetes Regime. Somit
macht weder die Beachtung des ius in bello einen rechtswidrigen Krieg rechtmäßig,
noch die Missachtung des ius in bello einen rechtmäßigen Krieg rechtswidrig.
Anders zu beurteilen ist die umgekehrte Situation. Hier geht es um die Frage, ob
ein Verstoß gegen das ius ad bellum Auswirkungen auf das ius in bello haben kann.
Die tradierte Indifferenz des ius in bello gegenüber dem ius ad bellum ist insoweit
zum Teil in Zweifel gezogen worden. So ist zum einen im Zusammenhang mit den
Kriegsverbrechertribunalen nach dem Zweiten Weltkrieg vorgebracht worden, die
Initiatoren eines rechtswidrigen Krieges könnten keinen Schutz unter dem ius in
bello beanspruchen.1079 Eine ähnliche Argumentation hat sich auch die Bush Administration zur Rechtfertigung von Maßnahmen im Kampf gegen den Terror zu Eigen
gemacht.1080 Derartige Bestrebungen, den Schutzstandard von der Rechtmäßigkeit
des Krieges abhängig zu machen, haben sich jedoch nicht durchsetzen können. Sie
stehen in diametralem Widerspruch zum Ziel, den von einem Konflikt Betroffenen
nicht durchgesetzt. Zudem ist zu bemerken, dass zumindest im Zusammenhang mit humanitären Interventionen über die Existenz eines ius ad bellum gestritten wird.
1075 Vgl. Ratner, IDF L. Rev. 1 (2003), 7 (11); Dinstein, War, Aggression and Self-Defence, 3.
Aufl. (2001), S. 141; Pellet, in: Playfair (Anm. 298), S. 179. Zur Kritik aus moralphilophischer Sicht McMahan, Am. Soc´y Int´l L. Proc. 100 (2006), 112 (112 ff.).
1076 Vgl. Bouvier, Am. Soc´y Int´l L. Proc. 100 (2006), 109 (112).
1077 Vgl. Dinstein (Anm. 1075), S. 141 ff; Hobe / Kimminich (Anm. 560), S. 495; Bothe, in:
Vitzthum (Anm. 1), S. 685; Ratner (Anm. 1075), S. 11; Benounne U.C. Davis J. Int´l L. Pol´y
11 (2004), 211 (213 ff.). Eingehend hierzu auch Frostad, Jus in bello after September 11,
2001 – The relationship between jus ad bellum and jus in bello and the requirements for
status as prisoner of war, 2005, S. 107 ff.
1078 A.A.: Mégret, Am. Soc´y Int´l L. Proc. 100 (2006), 121 (122 f.), unter Anlehnung an Grundsätze der Lehre vom gerechten Krieg. Diese moralphilosophischen Wertungen sind mit den
rechtlichen Vorgaben nicht in Einklang zu bringen.
1079 Vgl. hierzu Frostad (Anm. 1077), S. 108 f.
1080 Vgl. hierzu Bouvier (Anm. 1076), S. 111; Mertus, Am. Soc´y Int´l L. Proc. 100 (2006), 114
(115).
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größtmöglichen Schutz zu gewähren.1081 Ihre Anerkennung würde dem ius in bello
seine Existenzberechtigung nehmen.
Zum anderen ist jedoch auch vorgebracht worden, eine Maßnahme müsse unter
dem ius in bello rechtswidrig sein, wenn der handelnde Akteur gegen das ius ad
bellum verstoßen habe.1082 Dieser Ansatz kommt besonders treffend in der Harvard
Draft Convention on Rights and Duties of States in Case of Aggression aus dem
Jahre 1939 zum Ausdruck.1083 In Artikel 3 des Entwurfes heißt es:
„(1) Subject to Article 14, an aggressor does not have any of the rights which it would have if
it were a belligerent. Titles to property are not affected by an aggressor´s purported exercise of
such rights.
(2) An aggressor has the duties which it would have if it were a belligerent.“
Es werden somit nicht die Pflichten, sondern allein die Rechte1084 eingeschränkt.
Dies erscheint äußerst einleuchtend. Denn durch die Aufrechterhaltung des Pflichtenprogramms ist sichergestellt, dass das Schutzniveau des ius in bello keinerlei
Einschränkungen erfährt.1085 Gleichzeitig wird jedoch zum Ausdruck gebracht, dass
derjenige, der rechtswidrig einen Krieg begonnen hat, dieses Unrecht durch die
weitere Kriegführung vertieft. Es wäre unangemessen, einzelne Maßnahmen seiner
Kriegsführung durch das ius in bello gleichsam gutzuheißen. Ex iniuria ius non
oritur.1086
Als Argument gegen die Anerkennung dieser Interdependenzen könnte auf den
Wortlaut des ersten Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen verwiesen werden. Ausweislich dessen Präambel sollen die Bestimmungen der Genfer Abkommen
vom 12. August 1949 sowie des ersten Zusatzprotokolls unter allen Umständen und
ohne jede nachteilige Unterscheidung, die auf Art oder Ursprung des bewaffneten
Konflikts beruht, Anwendung finden. Dem ist jedoch zu entgegnen, dass dem Kon-
1081 Vgl. International Criminal Tribunal for the Former Yugoslavia (ICTY): Final Report to the
Prosecutor by the Committee Established to Review the NATO Bombing Campaign Against
the Federal Republic of Yugoslavia, I.L.M. 39 (2000), 1257 (1266). Vgl. auch Dinstein
(Anm. 1075), S. 145 f., mit Kritik am Gutachten des IGH zur Rechtmäßigkeit des Einsatzes
von Atomwaffen. Der IGH hatte in diesem Gutachten offengelassen, ob der Gebrauch von
Atomwaffen ausnahmsweise im Fall von Selbstverteidigung gerechtfertigt sein kann. Da es
sich um ein non liquet handelt, das zudem in tatsächlicher Hinsicht außergewöhnliche Umstände betrifft, kann diesem Gutachten jedoch nicht zu viel Bedeutung beigemessen werden.
1082 Vgl. Benounne (Anm. 1077), S. 214 f.; E. Lauterpacht, Am. Soc´y Int´l Proc. 62 (1968), 58
(63); Wright, Am. J. Int´l L. 47 (1953), 365 (370 f.); Orakhelashvili, J. Conflict & Security L.
12 (2007), 157 (195 f.). Vgl. auch McMahan (Anm. 1075), S. 112 ff., der die Trennung von
ius ad bellum und ius in bello lediglich aus pragmatischen Gründen für gerechtfertigt hält.
1083 Harvard Draft Convention on Rights and Duties of States in Case of Aggression, abgedruckt
in Am. J. Int´l L. Sup. 33 (1939), 819 (819 ff.).
1084 Zur Natur und Qualität der Rechte unter dem ius in bello vgl. Greenwood, Rev. Int´l Stud. 9
(2003), 221 (227 ff.) sowie Orakhelashvili (Anm. 1082), S. 165 ff.
1085 Wenig überzeugend daher H. Lauterpacht, Brit. Y.B. Int´l L. 30 (1953), 206 (211).
1086 Vgl. H. Lauterpacht a. a. O., S. 212, der die Interdependenzen zwischen ius ad bellum und ius
in bello gleichwohl kritisch betrachtet.
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zept der militärischen Notwendigkeit ein Bezug zum ius ad bellum immanent ist.1087
Denn hiernach hängt die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme davon ab, ob sie zur
Verfolgung eines legitimen Ziels verhältnismäßig ist. Mit dem legitimen Ziel ist ein
Kriterium angesprochen, das eher dem ius ad bellum als dem ius in bello zuzuordnen ist. Diese Wertung findet Rückhalt in menschenrechtlichen Vorgaben.1088 So ist
in der Judikatur des EGMR eine Beeinträchtigung des Rechts auf Leben unter der
Voraussetzung für rechtmäßig erachtet worden, dass sie sich im Hinblick auf die
Verfolgung eines rechtmäßigen Ziels als verhältnismäßig erweist.1089 Um die
Rechtmäßigkeit des Ziels zu beurteilen, müssen auch Erwägungen des ius ad bellum
berücksichtigt werden.
Schließlich vermag es auch nicht zu überzeugen, wenn die Interdependenzen zwischen ius in bello und ius ad bellum unter Hinweis darauf in Abrede gestellt werden,
es bestehe keine Möglichkeit, die Rechtmäßigkeit eines Krieges verbindlich feststellen zu lassen, solange die Auseinandersetzungen noch fortdauern.1090 Diesem Einwand kann entgegengehalten werden, dass es angesichts des umfassenden Gewaltverbotes in vielen Fällen hinreichend klar sein dürfte, wann ein Verstoß gegen das
ius ad bellum vorliegt.1091 Jedenfalls liegt das Risiko, eine Situation falsch zu beurteilen, beim Aggressor.
II. Verhältnis von ius ad bellum und ius post bellum
Was das Verhältnis von ius ad bellum und ius post bellum anbelangt, so können
ähnliche Erwägungen gemacht werden. Zunächst besteht auch insoweit kein Zweifel, dass das ius post bellum keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit eines Krieges
unter dem Gesichtspunkt des ius ad bellum nehmen kann.1092 Selbst wenn das Engagement eines Akteurs in der Post-Konflikt-Phase bilanziell betrachtet der Umsetzung zwingender Vorgaben zum Vorteil gereicht, so vermag dies nicht posthum
einen Krieg zu rechtfertigen.
Anders zu beurteilen ist die Frage, ob umgekehrt das ius post bellum durch die
Einhaltung des ius ad bellum beeinflusst wird. Prima facie lassen sich hierfür einige
Argumente vorbringen. So kann auch insoweit geltend gemacht werden, dass das
Unrecht eines Krieges durch das Engagement in der Post-Konflikt-Phase vertieft
wird. Dies wäre mit dem Grundsatz ex iniuria ius non oritur nicht vereinbar. Hinzu
1087 Vgl. Orakhelashvili (Anm. 1082), S. 164.
1088 Vgl. Benounne (Anm. 1077), S. 214 f.; Nowak (Anm. 102), S. 108.
1089 EGMR, Urt. v. 4. Mai 2001 – Application no. 28883/95 – McKerr v. The United Kingdom,
Rn. 180. Vgl. auch EGMR, Urt. v. 06. Juli 2005 – Application no. 5790/00 – Isayeva v. Russia, Rn. 191. Vgl. auch Abresch (Anm. 472), S. 764 ff.
1090 H. Lauterpacht (Anm. 1085), S. 220; Greenwood (Anm. 1084), S. 226.
1091 Vgl. auch Orakhelashvili (Anm. 1082), S. 172.
1092 Vgl. Walzer (Anm. 1067), S. 163; Roberts (Anm. 705), S. 581.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Für den Zeitraum nach der Beendigung bewaffneter Konflikte existieren bislang nur wenige völkerrechtliche Regeln. Zu den ungelösten Problemen des ius post bellum gehört die Frage, ob externe Akteure zum Wohle der Bevölkerung regimeändernde Maßnahmen in Post-Konflikt-Staaten ergreifen dürfen.
Im vorliegenden Band wird untersucht, inwieweit die Konstitutionalisierung des Völkerrechts zur Herausbildung von Vorgaben für die Organisation von Staaten geführt hat. Am Beispiel der jüngsten Transformationsprozesse im Irak und im Kosovo werden die Kompetenzen einzelner Staaten und der Vereinten Nationen zur zwangsweisen Implementierung dieser Vorgaben einer kritischen Analyse unterzogen.