192
II. Transformation des Kosovo
Die Gewährung substantieller Autonomie sollte sich nach dem ursprünglich anvisierten Plan in fünf Phasen vollziehen.954 Zu Beginn musste die UN-Administration
etabliert werden. Darauf folgend sollten grundlegende Strukturen – insbesondere die
Verwaltung und das Rechtssystem des Kosovo – wiederhergestellt werden. Für die
dritte Phase war nach Vorbereitung und Durchführung von Wahlen die Schaffung
der Kosovo Transitional Authority geplant. Diese Übergangsregierung sollte in der
vierten Phase konsolidiert werden; es war vorgesehen, dass ihr schrittweise Kompetenzen übertragen werden. In der letzten Phase sollten nach Lösung der Statusfrage
unter Aufsicht der UNMIK die Kompetenzen der Übergangsregierung auf die endgültig zu errichtenden Institutionen übertragen werden.
Für den Übergang von einer Phase zur nächsten existierte kein vorher festgelegter
Zeitrahmen.955 Vielmehr galt die Prämisse „standards before status“.956 Hinter
diesem Titel verbirgt sich ein politisches Konzept, das im Jahre 2003 unter Federführung des damaligen SRSG Steiner erarbeitet wurde. Hiernach sollte das Kosovo
detailliert vorgegebene Standards erfüllen, bevor die Statusfrage gelöst werden
konnte.957 Schritte zur Implementierung dieses Konzeptes wurden im Kosovo Standards Implementation Plan niedergelegt.958 Seine Umsetzung wurde in einem vierteljährlich erscheinenden Bericht dokumentiert. In der Rechtswirklichkeit konnte
sich das Konzept „standards before status“ nicht vollends bewähren. Es wurde
spätestens durch die einseitige Unabhängigkeitserklärung des Kosovo vom 17. Februar 2008 konterkariert.959 Dessen ungeachtet hat die internationale Gemeinschaft
mit großem Eifer den Strukturwandel im Kosovo forciert. Im Folgenden soll die
Transformation des politischen Systems, des Justizwesens, der Verwaltung sowie
des Wirtschaftssystems skizziert werden.
954 Vgl. Bericht des Generalsekretärs, U.N. Doc. S/1999/779 (Anm. 942), Rn. 110 ff.
955 Vgl. Schleicher, Tul. J. Int´l & Comp. L. 14 (2005), 179 (225).
956 Vgl. Toschev / Cheikhameguyaz, Chi.-Kent L. Rev. 80 (2005), 273 (279).
957 Standards for Kosovo, 10. Dezember 2003, abrufbar unter:
http://www.unmikonline.org/standards/index.html. Vgl. auch die Presseerklärung UN-
MIK/PR/1078, 10. Dezember 2003, sowie Knoll, Eur. J. Int´l L. 16 (2005), 637 (641 f.).
958 Kosovo Standards Implementation Plan, 31. März 2004, abrufbar unter:
http://www.unmikonline.org/standards/index.html (Stand: 01. Oktober 2007).
959 Einige Defizite, die vor der Unabhängigkeitserklärung zu Tage getreten waren, werden bei
Kellermann, Das Kosovo zwischen Standards und Status, 2006, S. 143, ausführlich erörtert.
193
1. Politisches System
a. Situation vor Errichtung der UNMIK
Das Kosovo war bis zum Jahre 1989 eine autonome Provinz der Republik Serbien,
die damals noch Teil der Sozialistisch Föderativen Republik Jugoslawien war.960
Das System war stark von sozialistischen Zügen geprägt, es herrschte ein Einparteiensystem. Als autonome Provinz verfügte das Kosovo über eigene Rechtssetzungsund Vollzugsrechte. Dieser Autonomiestatus wurde am 28. März 1989 durch einen
Beschluss des serbischen Parlamentes aufgehoben. In der Folgezeit geriet das Kosovo zunehmend unter den Einfluss der Serben.
b. Transformative Maßnahmen
Nach Errichtung der UN-Übergangsregierung wurden zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um das vorgefundene politische System zu transformieren. Ziel der UNMIK war
es zum einen, demokratische Strukturen im Kosovo zu schaffen. Zum anderen sollten Schritte zur Dezentralisierung des Kosovo ergriffen werden.
aa. Demokratisierung
Resolution 1244 mandatierte die UNMIK zur Errichtung provisorischer, demokratischer Institutionen.961 Diese ergriff erste Maßnahmen im Jahre 2000. Mit der Schaffung der Central Election Commission wurde eine Kommission zur Vorbereitung
und Durchführung von Wahlen ins Leben gerufen.962 Kurz zuvor waren bereits in
Regulation 2000/16 die Voraussetzungen für die Registrierung von Parteien niedergelegt worden.963
Ein Meilenstein auf dem Weg zur Demokratisierung war die Errichtung von Übergangsinstitutionen durch das Constitutional Framework for Provisional Self-
Government aus dem Jahre 2001. Diese Rahmenverfassung legte mit der Schaffung
von Parlament, Regierung und Gerichten die Grundlage für ein von Grundsätzen der
960 Vgl. zur Verfassungsordnung des Kosovo unter jugoslawischer Verfassung eingehend Muharremi (Anm. 85), S. 27 ff.
961 S/RES/1244 (1999), 10. Juni 1999, Rn. 10.
962 UNMIK/REG/2000/21, 18. April 2000.
963 UNMIK/REG/2000/16, 21. März 2000.
194
Gewaltenteilung und Demokratie geprägtes Staatswesen.964 Oberstes Prinzip sollte
die nachhaltige Sicherung der Menschenrechte sein.965
Die 120 Vertreter des Parlamentes sollten für eine dreijährige Legislaturperiode
aus freien, unabhängigen Wahlen hervorgehen.966 Um die angemessene Repräsentation der verschiedenen ethnischen Gruppen zu gewährleisten, wurde festgelegt, dass
mindestens 10 Sitze auf Vertreter der Serben entfallen sollten. Weitere 10 Sitze
waren für Vertreter der Minderheiten Roma, Aschkali, Ägypter, Bosniaken, Türken
und Goranen vorgesehen.967 Das Ziel, auf diese Weise die gesamte Bevölkerung zu
repräsentieren, erwies sich in der Realität jedoch als schwer umsetzbar. Probleme
bereitete insbesondere die Beteiligung serbischer Repräsentanten am politischen
Prozess.968 Entsprechend seinem Charakter als Übergangsinstitution wurden dem
Parlament zunächst nur begrenzte Befugnisse eingeräumt. Section 5 des Constitutional Frameworks enthält einen Katalog von Aufgabenfeldern, in denen es politische
Verantwortung tragen sollte. In wichtigen Feldern wie der Außenpolitik blieben die
Befugnisse dem SRSG vorbehalten.969 Auch in Bereichen, in denen eine Aufgaben-
übertragung stattgefunden hatte, konnte das Parlament nicht unabhängig vom SRSG
agieren. Vielmehr setzte der Erlass eines jeglichen Gesetzes die Mitwirkung des
SRSG voraus.970 Faktisch wurde diesem damit ein Vetorecht eingeräumt.971 Dessen
ungeachtet bleibt hervorzuheben, dass eine demokratische Volksvertretung geschaffen wurde. Die Tätigkeiten des Parlaments nahmen im Laufe der Zeit zu. So wurden
Maßnahmen ergriffen, um die Zahl der öffentlichen Sitzungen zu erhöhen.972 Auch
wurden ihm nach und nach weitere Befugnisse eingeräumt.
Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass zumindest der Grundstein für ein demokratisches Staatswesen gelegt worden sind. Von einer Demokratisierung kann
gleichwohl nur unter Vorbehalt die Rede sein. Schließlich vermag es ein externer
Akteur nicht, von einem Moment auf den anderen wie ein deus ex machina eine
demokratische Kultur zu schaffen.973
964 UNMIK/REG/2001/9, 15. Mai 2001.
965 Vgl. Brand, Nordic J. Int´l L. 70 (2001), 461 (476 f.). Vgl. zu den einzelnen Maßnahmen zum
Schutz der Menschenrechte R. Hofmann, in: FS Bothe, 2008, S. 1 (7), sowie Dens., in: FS
Delbrück, 2005, S. 347 (347 ff.).
966 UNMIK/REG/2001/9, 15. Mai 2001, Section 9.
967 UNMIK/REG/2001/9 a. a. O.
968 Vgl. Bericht des Generalsekretärs, U.N. Doc. S/2006/45, 25. Januar 2006, Rn. 5.
969 Siehe hierzu UNMIK/REG/2001/9, 15. Mai 2001, Section 8.
970 UNMIK/REG/2001/9 a. a. O., Section 9.1.
971 Kritisch Jashari, Colum. J. E. Eur. L. 1 (2007), 76 (85).
972 Vgl. Bericht des Generalsekretärs, U.N. Doc. S/2006/707, 1. September 2006, Annex I, Rn.
2.
973 Vgl. auch Biermann, VN 55 (2007), 133 (137).
195
bb. Dezentralisierung
Neben der Demokratisierung hatte sich die Übergangsverwaltung die Dezentralisierung des Kosovo zum Ziel gesetzt. Die im Rahmen der Dezentralisierung neu geschaffenen Organisationseinheiten sollten insbesondere ethnischen Minderheiten
zum Vorteil gereichen. Man versprach sich, dass Minderheiten ihre kulturelle Identität wahren und politische Interessen einfacher bündeln können.974
Die Umsetzung dieser Vorgaben oblag der UNMIK, dem Kosovo Ministry of Local Government Administration sowie internationalen Partnerorganisationen.975 Der
Prozess der Dezentralisierung verlief schleppend.976 Grund war, dass keine Einigung
über Größe und Gebiet der zu schaffenden Organisationseinheiten erzielt werden
konnte. Diese Frage erwies sich insofern als besonders konfliktträchtig, als mit jeder
Entscheidung über die Schaffung einer neuen territorialen Organisationseinheit
zugleich implizit eine Entscheidung über die ethnische Zusammensetzung innerhalb
dieser Einheit getroffen wurde. Versuche der Übergangsregierung, die Schaffung
serbisch dominierter Einheiten zu unterbinden, stießen auf erheblichen Widerstand
seitens der serbischen Bevölkerung.977
2. Verwaltung
Anders als im Irak erfolgte im Kosovo kein vergleichbar umfassender Lustrationsprozess, in dem Sympathisanten des ehemaligen Regimes aus öffentlichen Ämtern
entfernt wurden. Die politische Realität war eine andere. So handelte es sich beim
Kosovo nicht um einen bestehenden (Unrechts-)Staat, dessen Spuren zu beseitigen
waren. Vielmehr mussten überhaupt erst Verwaltungsstrukturen aufgebaut werden.
Freilich wurde auch bei der Neubesetzung von öffentlichen Ämtern Acht gegeben,
dass keine Sympathisanten des ehemaligen serbischen Regimes eingestellt wurden.978 Überdies wurden Standards erlassen, an die die Inhaber öffentlicher Ämter
gebunden sein sollten. So verpflichtete Regulation 1999/1 zur Einhaltung internatio-
974 Vgl. Report of the Special Envoy Mr. Kai Eide, A comprehensive review of the situation in
Kosovo, S/2005/635, 7. Oktober 2005, Rn. 58.
975 Vgl. Report of the Secretary-General on the United Nations Interim Administration in
Kosovo, U.N. Doc. S/2006/361, 5. Juni 2006, Rn. 13. Vgl. auch Reform of Local Self-
Government and Public Administration in Kosovo – Final Recommendation, Council of
Europe, abrufbar unter: http://www.coe.int/T/E/Com/Files/Themes/kosovo/20031117-
Rec.asp (Stand: 01. Oktober 2007).
976 Vgl. Report of the Secretary-General on the United Nations Interim Administration in
Kosovo, U.N. Doc. S/2007/395, 29. Juni 2007, Rn. 22, aus dem hervorgeht, dass Dezentralisierungsmaßnahmen bis 2007 noch nicht erfolgreich abgeschlossen waren.
977 Vgl. Report of the Secretary-General on the United Nations Interim Administration in
Kosovo, U.N. Doc. S/2006/45, 25. Januar 2006, Rn. 10.
978 Ibid.
196
nal anerkannter Menschenrechtsstandards.979 Die zu beachtenden menschenrechtlichen Vorgaben sind in Regulation 1999/24 aufgelistet.980 Ihre Implementierung und
Einhaltung wurden von speziell geschaffenen Institutionen überwacht.981
Mit dem Aufbau des Kosovo Police Service (KPS) erfolgte eine weitere wichtige
Vorgabe für die Verwaltung des Kosovo. Während die Zuständigkeit für die öffentliche Ordnung und Sicherheit zunächst bei der KFOR lag, wurden nach und nach
Befugnisse auf die KPS übertragen.982 Neben der KPS existierte das Kosovo Protection Corps (KPC).983 Diese Organisation nahm Aufgaben im Zivil- und Katastrophenschutz wahr. Anders als eine Armee waren ihre Mitglieder überwiegend nicht
bewaffnet.984
3. Justizwesen
Die UNMIK stieß im Kosovo auf ein disaströses Justizsystem. Ethnische Säuberungen und Diskriminierung unter der Herrschaft der Serben hatten ebenso wie der
Krieg gravierende Konsequenzen nach sich gezogen. Viele der kosovo-albanischen
Juristen waren vor der serbischen Unterdrückung geflohen.985 Der verbleibende Rest
– ein verschwindend geringer Anteil der im Justizwesen beschäftigten Personen986 –
stand häufig im Verdacht der Kollaboration mit dem vorherigen Regime.987 Auch
die justizielle Infrastruktur war durch den Krieg schwer beeinträchtigt worden. So
waren viele Justizgebäude zerstört, in anderen drohte Minengefahr.988 Um diesen
Missständen Herr zu werden, ergriff die UNMIK zahlreiche Maßnahmen zur Transformation des Justizsystems. Ziel war es, das Justizsystem mit internationalen Standards, insbesondere menschenrechtlichen Vorgaben, in Einklang zu bringen.989 Dies
erforderte personelle, institutionelle und normative Reformen.
979 UNMIK/REG/1999/1, 25. Juli 1999.
980 UNMIK/REG/1999/24, 12. Dezember 1999.
981 Vgl. hierzu Brand (Anm. 965), S. 479 f.
982 International Crisis Group, Kosovo: The Challenge to Transition, Crisis Group Europe
Report No. 170, 17.
Februar 2006, S. 6. Vgl. auch Report of the Special Envoy Mr. Kai Eide (Anm. 974), Rn. 34.
983 UNMIK/REG/1999/8, 20. September 1999.
984 Vgl. Report of the Secretary-General on the United Nations Interim Administration Mission
in Kosovo, U.N. Doc. S/2004/71, 26. Januar 2004, Rn. 47 ff. Vgl. auch Forster, Nation Building durch die internationale Gemeinschaft, 2005, S. 75, sowie Independent International
Commission on Kosovo, The Kosovo Report, 2000, S. 42.
985 OSCE Mission in Kosovo, Review of the Criminal Justice System (April 2003 – October
2004), S. 10.
986 Vgl. Strohmeyer, Am. J. Int´l L. 95 (2001), 45 (50).
987 Vgl. Strohmeyer a. a. O., S. 53; A. Day, Wis. Int´l L. J. 23 (2005), 183 (186).
988 Vgl. OSCE Mission in Kosovo, Review of the Criminal Justice System, (September 2000 –
February 2001), S. 1; vgl. auch Friedrich (Anm. 839), S. 263; Kellermann (Anm. 959), S.
117.
989 OSCE Mission in Kosovo, Review of the Criminal Justice System, Report 2006, S. 6.
197
Professionalität, Unabhängigkeit, Unparteilichkeit und Multiethnizität waren die
Leitprinzipien, die die personelle Umstrukturierung prägten. Bereits in der frühen
Anfangsphase der UNMIK wurden Maßnahmen ergriffen, um qualifiziertes und
unabhängiges Fachpersonal zu rekrutieren. Nach zunächst lediglich provisorischer
Ernennung von Richtern im Rahmen des sogenannten Emergency Judicial System990
wurde die Advisory Judicial Commission geschaffen.991 Diese Beratungskommission, zusammengesetzt aus lokalen und internationalen Experten, stand dem SRSG in
personellen Fragen beratend zur Seite. Sie unterbreitete Vorschläge für die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten und war Anlaufstelle im Fall von Beschwerden. Vergleichbare Aufgaben wurden später vom Kosovo Judicial and Prosecutorial
Council992 und Kosovo Judicial Council993 übernommen. Bereits wenige Wochen
nach Errichtung der UNMIK wurden auf Anregung der Advisory Judicial Commission neue Juristen rekrutiert. Dessen ungeachtet blieb über eine sehr lange Zeitspanne
hinweg die Anwesenheit internationaler Richter und Staatsanwälte erforderlich.994
Auch für die institutionelle Reform des Justizwesens existierte ein Beratungsgremium. So wurde im Jahr 1999 die Technical Advisory Commission on Judiciary and
Prosecution Service etabliert.995 Diese Kommission unterbreitete dem SRSG Vorschläge hinsichtlich Art und Umfang der zu errichtenden justiziellen Organe. Angesichts des Ausmaßes des begangenen Unrechts bestand insbesondere auf dem Gebiet
der Strafrechtspflege Bedarf nach institutioneller Reform. Aus diesem Grund wurde
bereits am 4. September 1999 ad hoc ein neues Gericht geschaffen. Der Court of
Final Appeal fungierte als oberstes Berufungsgericht in strafrechtlichen Angelegenheiten.996
Neben diesen personellen und institutionellen Änderungen erfolgten ebenso normative Änderungen. Die wichtigste Vorgabe bestand darin, dass das geltende Recht
in Einklang mit menschenrechtlichen Vorgaben ausgelegt und angewendet werden
musste. Darüber hinaus erließ die UNMIK neue Strafgesetze. So wurde etwa die
Wegnahme von Gemeineigentum unter Strafe gestellt.997 Schließlich enthielt die
Rahmenverfassung aus dem Jahre 2001 detaillierte Vorgaben für die künftige Organisation des Justizsystems. Insbesondere wurden grundlegende justizielle Garantien
990 Vgl. hierzu OSCE Mission in Kosovo, Material Needs of the Emergency Judicial System,
Observations and Recommendations of the OSCE Legal System Monitoring Section, 7. November 1999.
991 UNMIK/REG/1999/7, 7. September 1999. Die Befugnisse wurden erweitert durch UN-
MIK/REG/1999/18, 10. November 1999.
992 UNMIK/REG/2001/8, 6. April 2001.
993 UNMIK/REG/2005/52, 20. Dezember 2005. Der Kosovo Judicial Council trat an die Stelle
des Kosovo Judicial and Prosecutorial Council.
994 Report of the Secretary-General on the United Nations Interim Administration in Kosovo,
U.N. Doc. S/2007/395 (Anm. 976), Rn.14.
995 UNMIK/REG/1999/6, 7. September 1999.
996 UNMIK/REG/1999/5, 4. September 1999.
997 UNMIK/REG/2004/19, 16. Juni 2004.
198
wie das Recht auf ein gerichtliches Verfahren oder der Grundsatz der Unabhängigkeit der Richter verankert.998
Die Fortschritte, die gemacht wurden, um das Justizsystem im Kosovo internationalen Vorgaben anzupassen, sind beträchtlich. Immerhin wurde binnen kurzer Zeit
ein weitestgehend funktionstüchtiges Justizsystem gleichsam aus dem Boden gestampft.999 Nichtsdestotrotz blieben anfangs erhebliche Missstände. Als problematisch erwies sich insbesondere die Fortexistenz eines parallelen Justizwesens unter
serbischem Einfluss.1000 Zudem barg die Anwendung des geltenden Rechts aufgrund
mangelnder Ausbildung und Erfahrung des Personals besondere Schwierigkeiten.1001
Ineffizienz, Korruption sowie fehlende rechtliche Garantien sind Beispiele für weitere Mangelerscheinungen des unter der Ägide der UNMIK geschaffenen Justizsystems.1002
4. Wirtschaftssystem
a. Wirtschaftssystem im Zeitpunkt der Errichtung der UNMIK
Schließlich erfolgten grundlegende Einwirkungen auf das Wirtschaftssystem des
Kosovo. Im Zeitpunkt der Errichtung der UNMIK erwies sich das kosovarische
Wirtschaftssystem als äußerst angeschlagen. Der Krieg hatte einen Großteil der
öffentlichen Infrastruktur schwer in Mitleidenschaft gezogen. Darüber hinaus war
das Bankensystem zusammengebrochen.1003 Jahrzehnte sozialistischer Wirtschaftspolitik hatten ihre Spuren hinterlassen: fehlende Investitionen und Misswirtschaft
hatten insbesondere seit Mitte der 90er Jahre zu einer Verschärfung der Missstände
beigetragen.1004 Infolge seiner enormen Unterentwicklung1005 verfügte das Kosovo
über eine der schwächsten Volkswirtschaften in einer ohnehin schon armen Region.1006 Die Arbeitslosigkeit lag bei ca. 50 – 60 %.1007
998 UNMIK/REG/2001/9, 15. Mai 2001, Section 9.
999 Jashari (Anm. 971), Rn. 98 f.
1000 Ausführlich hierzu Baylis, Yale J. Int´l L. 32 (2007), 1 (1 ff.). Vgl. auch Review of the Criminal Justice System (April 2003 – October 2004) (Anm. 985), S. 12.
1001 OSCE Mission in Kosovo, The Criminal Justice System in Kosovo (February – July 2000), S.
2; vgl. auch Betts / Carlson / Gisvold, Mich. J. Int´l L. 22 (2001), 371 (378).
1002 European Commission, Kosovo – 2005 Progress Report, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/
enlargement/archives/pdf/key_documents/2005/package/sec_1423_final_progressreport_ks_
en.pdf (Stand: 08. April 2008), S. 14 f.
1003 Independent International Commission on Kosovo, The Kosovo Report (Anm. 984), S. 44.
1004 World Bank, Kosovo, Public Expenditure and Institutional Review, Bd. I, World Bank Report
No. 32624-XK, 19. September 2006, S. 1.
1005 Independent International Commission on Kosovo, The Kosovo Report (Anm. 984). S. 46.
1006 Vgl. Report of the Secretary-General on the United Nations Interim Administration Mission
in Kosovo, U.N. Doc. S/2004/71, 26. Januar 2004, Rn. 36.
1007 Ibid., Rn. 37.
199
b. Transformation
Es wurden zahlreiche Schritte unternommen, um die Konsolidierung des kosovarischen Wirtschaftssystems zu forcieren. Besondere Erwähnung verdienen die Privatisierung verstaatlichter Unternehmen sowie die Schaffung eines Bankensystems.
Die Privatisierung gestaltete sich als äußerst problematisch. Zentrale Maßnahme
zur Privatisierung war die Schaffung der Kosovo Trust Agency.1008 Dieser Behörde
oblag die Verwaltung der im Gemeineigentum stehenden Unternehmen und Güter.
Zur Reduzierung von Haftungsrisiken war die Kosovo Trust Agency von der UNMIK
mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet worden. Dies schreckte Investoren
zunächst ab und behinderte den Privatisierungsprozess.1009 Gleichwohl konnten bis
April 2007 460 neue Unternehmen geschaffen werden.1010
Regelungen für den Bankensektor wurden bereits in der Frühphase der UNMIK
geschaffen. Erste Regulierungsmaßnahmen datieren aus dem Jahr 1999. So bestimmt Regulation 1999/21 vom 21. November 1999, dass Tätigkeiten auf dem
Finanzsektor nur dann ausgeübt werden dürfen, wenn zuvor eine Lizenz beantragt
wurde.1011 Im gleichen Monat wurde auch die Banking and Payments Authority
geschaffen.1012 Diese Behörde formulierte allgemeine Leitlinien für den wirtschaftlichen Wiederaufbau und verwaltete das Bankensystem des Kosovo. Ausgestattet mit
Kompetenzen einer Zentralbank konnte sie überdies maßgeblich die Geld- und Währungspolitik bestimmen.1013 Im Jahre 2006 wurde sie durch die Central Banking
Authority of Kosovo als Nachfolger ersetzt.1014
Im Rahmen der UN-Übergangsverwaltung wurde auch das Steuerwesen reformiert. Mit Regulation 1999/16 wurde die Central Fiscal Authority errichtet.1015
Vergleichbar einem Finanzministerium oblagen dieser Institution die Verwaltung
des Haushalts und die Festlegung der Steuerpolitik. Kurze Zeit später wurden neue
Steuern eingeführt. So wurden ab Januar 2000 Verbrauchs- und Umsatzsteuern
erhoben.1016
Als offizielles Zahlungsmittel wurde zunächst die Deutsche Mark, später der
EURO eingeführt. Hiervon versprach man sich zum einen eine Stabilisierung des
Währungssystems, zum anderen erhoffte man sich Vorteile für den Außenhandel.1017
1008 UNMIK/REG/2002/12, 13. Juni 2002.
1009 Vgl. Knoll (Anm. 957), S. 652. Vgl. zur Kritik an der Privatisierung auch Villmoare, Transnat´l Law. 18 (2004), 25 (36).
1010 Vgl. Report of the Secretary-General on the United Nations Interim Administration in
Kosovo, U.N. Doc. S/2007/395 (Anm. 976), Rn. 8.
1011 UNMIK/REG/21, 21. November 1999.
1012 UNMIK/REG/1999/20, 15. November 1999.
1013 Ibid., Section 6.
1014 UNMIK/REG/2006/47, 24. August 2006.
1015 UNMIK/REG/1999/16, 6. November 1999.
1016 UNMIK/REG/2, 22. Januar 2000, sowie UNMIK/REG/2000/3, 22. Januar 2000. In den folgenden Jahren wurden weitere Steuern eingeführt. So wurde etwa mit UNMIK/REG/2001/11,
31. Mai 2001, eine Mehrwertsteuer eingeführt.
1017 European Commission, Kosovo 2005 Progress Report (Anm. 1002), S. 30.
200
Im Einklang mit grundlegenden marktwirtschaftlichen Prinzipien wurde ein Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb erlassen.1018 Dieses statuierte ein Verbot von
Kartellen und untersagte den Missbrauch marktbeherrschender Stellungen.
Hervorzuheben ist auch die Liberalisierung des kosovarischen Wirtschaftssystems. Die UNMIK ebnete den Weg für eine Öffnung des Marktes. Mit Regulation
2001/3 vom 12. Januar 2001 wurden rechtliche Garantien zur Erleichterung von
Auslandsinvestitionen geschaffen.1019 So wurde Investoren die Gleichstellung vor
dem Gesetz zugesichert und Schutz vor Enteignung gewährt. Um weitere Anreize
zum Investment zu setzen, wurde im Jahre 2005 die Investment Promotion Agency
errichtet.1020 Aufgabe dieser Behörde war es, das Investitionsklima im Kosovo zu
verbessern.
Neben dem Investment wurde in gleicher Weise der Handel rechtlichen Regeln
unterworfen. Mit Regulation 2003/15 vom 12 Mai 2003 genehmigte der SRSG das
von den Übergangsinstitutionen erlassene Gesetz zum Außenhandel.1021 Hiernach
sollte der Handel im Grundsatz keinen Schranken unterliegen. Im Einzelnen finden
sich viele Ähnlichkeiten mit dem WTO-Recht. Abschnitt 4 des Gesetzes weist sogar
ausdrücklich darauf hin, dass Restriktionen nur in Einklang mit WTO-rechtlichen
Bestimmungen erlassen werden dürfen.1022 Kurze Zeit später wurde ein Abkommen
mit der Republik Albanien zur Errichtung einer Freihandelszone geschlossen.1023
Weitere Freihandelsabkommen mit Nachbarstaaten folgten.1024 Im Dezember 2006
unterzeichnete der SRSG schließlich das Central European Free Trade Agreement
(CEFTA).1025
Das kosovarische Wirtschaftssystem ist mithin grundlegend transformiert worden. Aus einer sozialistischen Volkswirtschaft ist eine westlich orientierte Marktwirtschaft geworden. Die Reformen blieben in ihren Auswirkungen nicht folgenlos.1026 So zeigte die Wirtschaft des Kosovo Anzeichen einer Erholung. Dank eines
anwachsenden Bruttoinlandsproduktes stiegen die Steuereinnahmen kontinuierlich
an.1027 Der Außenhandel nahm kontinuierlich zu; die Preise blieben stabil.1028
1018 UNMIK/REG/2004/44 approving Law No. 2004/36, 29. Oktober 2004.
1019 UNMIK/REG/2001/3, 12. Januar 2001.
1020 UNMIK/AD/2005/10, 10. Juli 2005.
1021 UNMIK/REG/2003/15, 12. Mai 2003.
1022 Law No. 2002/6, Law on External Trade Activity, Section 4.1 lit. f.
1023 Free Trade Agreement between the United Nations Interim Administration Mission in Kosovo
(UNMIK) on Behalf of the Provisional Institutions of Self-Government in Kosovo and the
Council of Ministers of the Republic of Albania, UNMIK/FTA/2003/1, 4. Juli 2003.
1024 Vgl. Key agreements driving Kosovo´s economic development, abrufbar unter: http://www.
euinkosovo.org/upload/Regional%20integration%20Key%20agreements%20driving%20 Kosovos %20economic%20development%20FINAL.pdf, (Stand: 07. März 2008), S. 3.
1025 Vgl. die Presseerklärung UNMIK/PR/1623, 19. Dezember 2006.
1026 Zur wirtschaftlichen Situation im Jahre 2007 vgl. International Crisis Group, Kosovo Countdown: A Blueprint for Transition, Crisis Group Europe Report No. 188, 6. Dezember 2007, S.
19 ff.
1027 Vgl. Report of the Secretary-General on the United Nations Interim Administration Mission
in Kosovo, U.N. Doc. S/2007/395 (Anm. 976), Rn. 8.
201
Gleichwohl kann die Wirtschaft im Kosovo bei weitem nicht als prosperierend bezeichnet werden. Es bleiben gravierende Missstände wie eine enorm hohe Arbeitslosigkeit, eine große Abhängigkeit von Geberländern bei steigenden Staatsausgaben
sowie eine negative Außenhandelsbilanz.1029
5. Zwischenergebnis
Die Reformen in den Bereichen Politik, Justiz, Verwaltung und Wirtschaftssystem
sind lediglich Beispiele für die umfassende Transformation, die das Kosovo erfahren
hat. Kennzeichen sind ihre Nachhaltigkeit und Unumkehrbarkeit. Dies wird besonders deutlich, wenn man das Wirtschaftssystem ins Visier nimmt, das geradezu
diametral entgegengesetzt zum vorherigen Wirtschaftssystem steht.
III. Rechtliche Beurteilung
Bei der Errichtung der UNMIK und dem von ihr angestoßenen Transformationsprozess1030 handelt es sich nicht um Maßnahmen, die von Konsens gedeckt waren.1031
Mit Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates existiert indes eine rechtliche Grundlage. Ihre Rechtmäßigkeit setzt voraus, dass der Sicherheitsrat ordnungsgemäß eine
Bedrohung des Friedens festgestellt und die kollidierenden rechtlichen Interessen in
angemessenen Ausgleich gebracht hat. Im Fall des Kosovo stellt sich dabei das
Sonderproblem, dass die Bundesrepublik Jugoslawien (BRJ) erst im Jahre 2000 und
damit nach Erlass der Resolution 1244 förmlich als Mitglied der Vereinten Nationen
aufgenommen wurde.1032 Maßnahmen nach Kapitel VII dürfen jedoch lediglich
gegenüber Mitgliedern der Vereinten Nationen erlassen werden. Die Passivlegitimation der BRJ ist daher fraglich.
1. Passivlegitimation der BRJ
Es existieren verschiedene Ansätze, die Passivlegitimation der BRJ zu begründen.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass jedenfalls ihr Vorgänger, die Sozialistische
1028 UNMIK European Union Pillar, From Consolidation to Sustainability: Maintaining and
Improving Achievements – Kosovo Economic Outlook 2007, Report September 2007, S. 3 f.
1029 European Commission, Kosovo 2005 Progress Report (Anm. 1002), S. 29 f.; vgl. auch Kellermann (Anm. 959), S. 276, sowie Biermann (Anm. 973), S. 137.
1030 Vgl. hierzu v. Carlowitz (Anm. 844), S. 344, der zutreffend darauf hinweist, dass sowohl die
Errichtung der UNMIK als solche, als auch die einzelnen transformativen Maßnahmen auf ihre Rechtmäßigkeit überprüft werden müssen.
1031 Vgl. zur Problematik einer Rechtfertigung durch Konsens bereits oben S. 170 ff.
1032 Vgl. Forster (Anm. 984), S. 122.
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References
Zusammenfassung
Für den Zeitraum nach der Beendigung bewaffneter Konflikte existieren bislang nur wenige völkerrechtliche Regeln. Zu den ungelösten Problemen des ius post bellum gehört die Frage, ob externe Akteure zum Wohle der Bevölkerung regimeändernde Maßnahmen in Post-Konflikt-Staaten ergreifen dürfen.
Im vorliegenden Band wird untersucht, inwieweit die Konstitutionalisierung des Völkerrechts zur Herausbildung von Vorgaben für die Organisation von Staaten geführt hat. Am Beispiel der jüngsten Transformationsprozesse im Irak und im Kosovo werden die Kompetenzen einzelner Staaten und der Vereinten Nationen zur zwangsweisen Implementierung dieser Vorgaben einer kritischen Analyse unterzogen.