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eigenen Interessen zu handeln, genießen Organisationen die Vermutung, im Interesse der internationalen Gemeinschaft tätig zu werden. Dies beruht darauf, dass im
Vergleich zu einzelnen Staaten eine relativ geringe Gefahr individueller Nutzenmaximierung besteht. Denn internationale Organisationen vereinen eine Vielzahl staatlicher Akteure und sind damit in hohem Maße repräsentativ für die internationale
Gemeinschaft.840 Hinzu kommt, dass die Früchte bei derartigen Formen kooperativen Zusammenwirkens unter den Beteiligten geteilt werden müssen.
Die normative und institutionelle Vorrangstellung, die die Vereinten Nationen im
Bereich der Friedenssicherung einnehmen, kommt in ihren weit reichenden Befugnissen zum Ausdruck. Während Staaten eingeschränkte Kompetenzen unter dem
humanitären Völkerrecht eingeräumt werden, können die Vereinten Nationen auf
andere Kompetenztitel zurückgreifen. An prominenter Stelle rankt dabei das Kapitel
VII der UN-Charta. Jedoch unterliegen auch die Vereinten Nationen rechtlichen
Bindungen.841 So wie der Gesellschaftsvertrag einzelner Bürger die Entstehung von
Staaten bedingt, so verdanken auch die Vereinten Nationen ihre Existenz einem
Vertrag; seine Parteien sind souveräne Staaten. Das Produkt der Charta ist kein
ungebändigter Leviathan, sondern eine Organisation, der konkrete Aufgaben, namentlich die Sicherung des Weltfriedens, zugewiesen sind. Im Folgenden soll untersucht werden, in wie weit die Vereinten Nationen durch das Handlungsinstrument
einer Territorialverwaltung Vorgaben für die Organisation eines Staates machen
können.
C. Rechtliche Grundlage
Die Errichtung von UN-Verwaltungen kann auf zweierlei Weise gerechtfertigt werden. Zum einen kann sie vom Konsens des betroffenen Staates getragen sein. Zum
anderen kann der Sicherheitsrat von seinen Kompetenzen aus Kapitel VII der UN-
Charta Gebrauch machen.
I. Konsens
Die Anwesenheit eines externen Akteurs durch Konsens zu rechtfertigen, ist ein
bekanntes Konzept aus dem Bereich des Peacekeeping.842 In Truppenstatuten wird
traditionell geregelt, in welchem Umfang Truppen entsendet werden dürfen. Die
840 Vgl. Stahn (Anm. 788), S. 320; Friedrich, Max Planck UNYB 9 (2005), 225 (290). Kritisch
Talmon, Am. J. Int´l L. 99 (2005), 175 (179); Wilde a. a. O., S. 40; Mohamed, Colum. L. Rev.
105 (2005), 809 (824 f.).
841 Vgl. Herdegen, Die Befugnisse des UN Sicherheitsrates, 1998, S. 9; Martenczuk, Eur. J. Int´l
L. 10 (1999), 517 (534); Bianchi, Eur. J. Int´l L. 17 (2006), 881 (885).
842 Vgl. hierzu Saura, Hastings L. J. 58 (2007), 479 (482); Tittemore, Stan. J. Int´l L. 33 (1997),
61 (78).
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Errichtung von Territorialverwaltungen mit umfassenden Kompetenzen erweist sich
gleichwohl als problematisch. Zwar haben sowohl bei der Errichtung von UNTAET
in Osttimor als auch bei der Schaffung der UNMIK die betroffenen Staaten ihre
Zustimmung hierzu erteilt.843 Es ist jedoch nicht von ungefähr, dass der Sicherheitsrat in beiden Fällen zusätzlich eine auf Kapitel VII der UN-Charta gestützte Resolution erlassen hat.
Kritische Gesichtspunkte sind zum einen die Einwilligungsfähigkeit, zum anderen
die Wirksamkeit einer Einwilligung. An der Einwilligungsfähigkeit ratione personae
kann in solchen Fällen Zweifel gehegt werden, in denen ein Staat das Selbstbestimmungsrecht eines in ihm ansässigen Volkes missachtet. Wie noch näher zu erläutern
sein wird, lag eine solche Konstellation im Kosovo vor. Hier erscheint es fraglich,
ob der Staat dieses Volk noch länger repräsentieren und die Einwilligung in die
Errichtung einer UN-Verwaltung erteilen kann. Die besseren Gründe sprechen dafür,
dass das betroffene Volk sein Einverständnis erteilen muss.844 Es liegt auf der Hand,
dass dies in der Rechtspraxis kaum möglich sein wird. Zweifel an der Wirksamkeit
einer Einwilligung ergeben sich unter dem Gesichtspunkt von Art. 52 WVK.845
Hiernach ist ein Vertrag nichtig, wenn sein Abschluss durch Androhung oder Anwendung von Gewalt unter Verletzung der in der Charta der Vereinten Nationen
niedergelegten Grundsätze des Völkerrechts herbeigeführt wurde. Rechtsakte in
Post-Konflikt-Situationen stehen häufig unter dem fortwirkenden Einfluss kriegerischer Auseinandersetzungen. In einer derartigen Zwangslage kann ein Staat nicht
wirksam Hoheitsrechte an einen externen Akteur übertragen.
II. Mandat des Sicherheitsrats
Die Frage einer wirksamen Einwilligung wird obsolet, wenn der Sicherheitsrat die
Errichtung einer UN-Verwaltung mandatiert hat. Ein solches Mandat kann auf den
Kompetenztitel aus Kapitel VII UN-Charter gestützt werden.
843 Vgl. Matheson, Am. J. Int´l L. 95 (2001), 76 (83), der Gleiches in Bezug auf das Kosovo
behauptet.
844 Vgl. Wollenberg, Die Regierung von Konfliktsgebieten durch die Vereinten Nationen, 2007,
S. 178; v. Carlowitz, AVR 41 (2003), 336 (366).
845 Vgl. hierzu Saura (Anm. 842), S. 507; Shraga, in: FS Caflisch (Anm. 833), S. 494 f., Dickerson, Denv. J. Int´l L. & Pol´y 34 (2006), 161 (178 f.); Fox (Anm. 5), S. 182. Vgl. auch die
Zweifel von Milano, Eur. J. Int´l L. 14 (2003), 999 (1000), an der Wirksamkeit des jugoslawischen Einverständnisses in Zusammenhang mit der Errichtung der UNMIK. Ähnlich v.
Carlowitz a. a. O., S. 343, sowie Cerone (Anm. 498), S. 484. A.A. wohl Matheson (Anm.
843), S. 83.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Für den Zeitraum nach der Beendigung bewaffneter Konflikte existieren bislang nur wenige völkerrechtliche Regeln. Zu den ungelösten Problemen des ius post bellum gehört die Frage, ob externe Akteure zum Wohle der Bevölkerung regimeändernde Maßnahmen in Post-Konflikt-Staaten ergreifen dürfen.
Im vorliegenden Band wird untersucht, inwieweit die Konstitutionalisierung des Völkerrechts zur Herausbildung von Vorgaben für die Organisation von Staaten geführt hat. Am Beispiel der jüngsten Transformationsprozesse im Irak und im Kosovo werden die Kompetenzen einzelner Staaten und der Vereinten Nationen zur zwangsweisen Implementierung dieser Vorgaben einer kritischen Analyse unterzogen.