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sichtsbezogenen Sonderstellung des Bundesausschusses nicht unproblematisch. Es
kann somit insgesamt nicht von einer idealtypischen demokratischen Legitimation
gesprochen werden610. Jedoch hat der Zweite Senat in der Wasserverbands-
Entscheidung aufgezeigt, dass möglicherweise andere Legitimationsmodelle als das
der ununterbrochenen pyramidalen Legitimationsketten fruchtbar gemacht werden
können611. Ob Legitimationsmuster, die dem entsprechen, hier vorliegen, ist im Folgenden zu prüfen.
II. Rechtscharakter der Entscheidung des Bundesausschusses über eine
Untersuchungs- oder Behandlungsmethode
Die verfassungsrechtliche Bewertung hängt wesentlich davon ab, wie die Anerkennung oder Nichtanerkennung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden
durch den Bundesausschuss rechtlich zu qualifizieren ist. Nur so ist gewährleistet,
dass sie in ihrer richtigen Bedeutung am Gebot demokratischer Legitimation gemessen werden612. Konkret geht es darum, ob es sich dabei um einen Akt der Rechtsetzung, worunter typischerweise abstrakt-generelle Regelungen verstanden werden,
oder um eine Einzelfallregelung handelt613.
In diesem Zusammenhang sollte nicht auf die Form, in der die Entscheidungen
ergehen, sondern auf den materiellen Inhalt abgestellt werden614. Zwar mag es bei
der Frage, ob bei einem Rechtsakt eine Rechtsverordnung im Sinn von Art. 80 GG
vorliegt, angezeigt sein, in erster Linie auf dessen Form abzustellen615. Ebenso
macht es Sinn, bei der Prüfung, ob eine Regelung im Einzelfall im Sinn von § 35
VwVfG, § 31 SGB X gegeben ist616 und damit der Anwendungsbereich des Verwal-
610 Vgl. Plantholz, Außenseiterwirkung, S. 549 <553>
611 BVerfGE 107, 59 <91 ff.>; zu weiteren Legitimationsarten vgl. Schmidt-Aßmann, Verwaltungslegitimation als Rechtsbegriff, AöR 116 (1991), S. 329 <368 ff.>
612 Vgl. BVerfGE 17, 155 <163 f.>; 33, 90 <100>; 44, 322 <339 f.>
613 Dem kam auch im Urteil des Senats vom 17. Dezember 2002 zu den Festbeträgen für Arzneiund Hilfsmittel ausschlaggebende Bedeutung zu, vgl. BVerfGE 106, 275 <305 ff.>.
614 Auch wenn das Vorliegen einer Rechtsnorm grundsätzlich sowohl anhand formeller als auch
materieller Merkmale geprüft wird (Hill, Rechtsdogmatische Probleme der Gesetzgebung, Jura 1986, S. 286; von Mutius, Rechtsnorm und Verwaltungsakt, in: Festschrift für Wolff zum
75. Geburtstag, S. 167 <176 ff.>).
615 Vgl. Bryde in: von Münch/Kunig, Grundgesetzkommentar, Art. 80 RdNr. 8; Brenner in: von
Mangoldt/Klein/Starck, Das Bonner Grundgesetz, Art. 80 RdNr. 15; von Mutius, Rechtsnorm
und Verwaltungsakt, in: Festschrift für Wolff zum 75. Geburtstag, S. 167 <177>; zur formellen Rechtsverordnung Wilke, Bundesverfassungsgericht und Rechtsverordnungen, AöR 98
(1973), S. 196 <202 f.>; vgl. zum formalen Gesetzesbegriff Ossenbühl in: Isensee/Kirchhof,
Handbuch des Staatsrechts, Band V, § 100 RdNr. 13
616 Vgl. dazu allgemein Hill, Rechtsdogmatische Probleme der Gesetzgebung, Jura 1986, S. 286
<287>; Erichsen in: Ders./Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 12. Auflage 2002, § 12
RdNr. 45 ff.; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Band 2, § 45 RdNr. 76 ff.; Lübbe, Anwendungsverbote bei Grundwasserbelastungen durch Pflanzenschutzmittel, BayVBl 1995,
S. 97 <98 ff.>
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tungsverfahrensrechts eröffnet ist, auf die Form der Regelung abzustellen: Wird die
Form einer Rechtsverordnung gewählt, kann kein Verwaltungsakt vorliegen, auch
wenn es sich inhaltlich um eine Einzelfallregelung handeln sollte617. Wenn es aber
um die Beantwortung oben formulierter Fragen geht, muss der materielle Gehalt
des Rechtsaktes, sein „Wesen“618, den Ausschlag geben619. Denn insoweit ist von
Belang, mit welcher Breitenwirkung der zur Prüfung stehende Rechtsakt geeignet
ist, Grundrechte von Bürgern zu berühren. Abstrakt-generelle Rechtsakte weisen
diese Eignung grundsätzlich in höherem Maß als konkret-individuelle oder konkretgenerelle Regelungen auf. Es muss also eine Einordnung nach dem Inhalt des
Rechtsaktes gesucht werden. Von daher spielt es auch keine Rolle, ob die übrigen
Voraussetzungen, die das Verwaltungsverfahrensrecht für Verwaltungsakte vorsieht
(zum Beispiel die Behördeneigenschaft des Bundesausschusses), erfüllt sind620.
Die Prüfungs- und Bewertungstätigkeit des Bundesausschusses lässt sich gedanklich in zwei Schritte untergliedern. Zunächst muss der Bundesausschuss anhand der
in § 135 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V fixierten Kriterien prüfen, ob eine neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode überhaupt anerkannt werden kann. Lehnt er
dies ab, erschöpft sich seine Regelungstätigkeit darin. Kommt er jedoch zu einem
positiven Ergebnis, legt er in abstrakt-genereller Form die Modalitäten fest, wie
diese neue Methode in der vertragsärztlichen Versorgung anzuwenden ist621. Die
Versicherten sind von beiden Regelungsabschnitten unterschiedlich intensiv betroffen. Für sie ist primär von rechtlichem Interesse, ob eine neue Untersuchungs- oder
Behandlungsmethode überhaupt zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung gehört. Diese Entscheidung vollzieht sich bereits auf der ersten Regelungsstufe, die die nicht in der vertragsärztlichen Versorgung zu erbringenden Methoden aussondert (auch in den den September-Urteilen zugrunde liegenden Fällen
ist es um die Entscheidung gegangen, ob die in Streit stehende Behandlungsmethode
617 Vgl. Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 35 RdNr. 16, 70; Axer, Normsetzung,
S. 40, 42; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht, Band 2, § 45 RdNr. 80; Zimmer, Handlungsformen und Handlungsbefugnisse der öffentlichen Verwaltung, Jura 1980, S. 242 <248>;
a.A. Lübbe, Anwendungsverbote bei Grundwasserbelastungen durch Pflanzenschutzmittel,
BayVBl 1995, S. 97 <99>
618 Vgl. BVerfGE 8, 71 >75>; Wilke, Bundesverfassungsgericht und Rechtsverordnungen, AöR
98 (1973), S. 196 <203>
619 Allgemein für die Dominanz materieller Aspekte plädiert Lübbe, Anwendungsverbote bei
Grundwasserbelastungen durch Pflanzenschutzmittel, BayVBl 1995, S. 97 <98 ff.>; von Mutius, Rechtsnorm und Verwaltungsakt, in: Festschrift für Wolff zum 75. Geburtstag,
S. 167 <184 ff>.
620 Wobei insoweit keine Bedenken bestehen; insbesondere kommt dem Bundesausschuss Behördeneigenschaft zu; so auch Schnapp in: Schulin, Handbuch des Sozialversicherungsrechts,
Band 1, § 49 RdNr. 28; vgl. dazu die Kritik von Fahlbusch, Anmerkung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2002 - 1 BvL 28/95, 29/95, 30/95 -, SGb 2003,
S. 464 <466 f.> an der Festbetrags-Entscheidung des Senats.
621 Zur Bivalenz der Tätigkeit des Bundesausschusses vgl. BSG SozR 3-2500 § 135 SGB V
Nr. 21, S. 109; noch vertretbar erscheint auch, die Regelungen auf der zweiten Stufe nicht als
Normen zu qualifizieren, sondern in ihnen eine Art "Auflagen" zu sehen; dafür spräche die
Akzessorietät zur Entscheidung auf der ersten Stufe.
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dem Grunde nach von der gesetzlichen Krankenversicherung angeboten werden
muss).
Diese Entscheidung auf der ersten Stufe verkörpert keine abstrakt-generelle Regelung. Die normative622 Vorgabe ist vielmehr allein in § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V
enthalten623. In ihrer erweiternden Anwendung auch auf die Versicherten bestimmt
die Vorschrift, dass Versicherte nur dann einen Anspruch auf neue Untersuchungsund Behandlungsmethoden haben, wenn der Bundesausschuss sie anerkannt hat. Es
existiert damit ein gesetzliches Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Dem Bundesausschuss verbleibt die Aufgabe, für die einzelnen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden konkret festzustellen und zu entscheiden, ob sie in den Leistungskatalog
der gesetzlichen Krankenversicherung aufzunehmen sind. Die Kriterien für diese
Prüfung nennt das Gesetz: Der Bundesausschuss hat als Entscheidungsparameter
den diagnostischen oder therapeutischen Nutzen, die medizinische Notwendigkeit
sowie die Wirtschaftlichkeit der betreffenden Methode zu Grunde zu legen. Mit der
Entscheidung für oder gegen eine bestimmte Methode nimmt der Bundesausschuss
nicht Einfluss auf den medizinischen Fortschritt, geschweige denn betreibt er selbst
medizinische Forschung. Vielmehr sichtet und bewertet er im Wesentlichen das, was
an wissenschaftlichen Äußerungen zu einer bestimmten Methode weltweit veröffentlicht worden ist. Nur in Zweifelsfällen kann es vorkommen, dass der Bundesausschuss mittelbar im wissenschaftlichen Streit Stellung beziehen muss. Das Bundessozialgericht beurteilt die Tätigkeit des Bundesausschusses folgendermaßen: Der
Bundesausschuss habe nicht selbst über den medizinischen Nutzen der betreffenden
Methode zu urteilen. Seine Aufgabe sei es vielmehr, sich einen Überblick über die
veröffentlichte Literatur und die Meinung der einschlägigen Fachkreise zu verschaffen und danach festzustellen, ob ein durch wissenschaftliche Studien hinreichend
untermauerter Konsens über die Qualität und Wirksamkeit der in Rede stehenden
Behandlungsweise bestehe624.
Die Anerkennung oder Nichtanerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode ähnelt sehr stark einer verwaltungsreichlichen Typengenehmigung625. Eine Besonderheit von Typengenehmigungen besteht darin, dass sie eine
622 Der Begriff "Norm" soll im Sinn von "abstrakte und generelle Anordnung" verwendet werden,
vgl. Stober in: Wolff/Bachof/Stober/Kluth, Verwaltungsrecht I, § 24 RdNr. 10; wesentlich für
das Vorliegen einer Norm ist ihr Anspruch auf Verbindlichkeit gegenüber den Regelungsadressaten, vgl. Axer, Normsetzung, S. 47 ff.; das Bundesverfassungsgericht versteht unter einer
Norm einen für eine unbestimmte Vielzahl von Fällen geltenden generellen Rechtssatz, bei
dem sich wegen der abstrakten Fassung des Normentatbestandes nicht genau übersehen lässt,
auf wie viele und welche Fälle die Norm Anwendung findet, BVerfGE 25, 371 <396>; ein
Rechtssatz richtet sich an die Allgemeinheit, BVerfGE 11, 6 <17>.
623 Vgl. Steck, "Strittige" Behandlungsmethoden, S. 144, 147
624 BSG SozR 4-2500 § 135 SGB V Nr. 1 RdNr. 8; Engelhard, Rechtsschutz, S. 132 <133>
625 Bemerkenswert ist, dass Hill, Normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften, NVwZ 1989,
S. 401 <406>, eine Ähnlichkeit zwischen normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften
und Typengenehmigungen sieht.
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"Vorgezogenheit" aufweisen626. Sie haben wie Rechtsnormen in gewisser Weise
eine programmierende Funktion627. Des Weiteren haben sie umfassende Wirkungen.
Die Rechtswirkungen einer Typengenehmigung treffen neben dem Antragsteller
auch alle Betreiber/Anwender/Verwender der Genehmigungsgegenstände628. Der
Sinn von Typengenehmigungen besteht häufig darin, die Genehmigung jeder einzelnen konkreten Anlage überflüssig zu machen. In der Literatur ist unbestritten, dass
Typengenehmigungen trotz ihrer Breitenwirkung Verwaltungsakte und keine
Rechtsnormen sind629. Von der Typengenehmigung unterscheidet sich die Entscheidung des Bundesausschusses über eine neue Untersuchungs- oder Behandlungsmethode dadurch, dass Letztere nicht vom Produzenten des Genehmigungsobjekts beantragt wird, der auch ein wirtschaftliches Interesse an der Zulassung hat; nichtsdestotrotz bezeichnet sie Engelhard als Methodenentscheidungen630. Zudem wird die
Entscheidung des Bundesausschusses nicht an den Antragsteller adressiert, sondern
einem Gesetz ähnlich im Bundesanzeiger veröffentlicht. Das führt aber nicht dazu,
dass die Entscheidung des Bundesausschusses in die Nähe einer abstrakt-generellen
Regelung gerückt werden müsste. Insoweit besteht vielmehr eine große Übereinstimmung mit Allgemeinverfügungen im Sinn von § 35 Satz 2 2. Alternative
VwVfG und § 31 Satz 2 2. Alternative SGB X. Diese sachbezogenen Allgemeinverfügungen - als typische sachbezogene Allgemeinverfügungen seien Widmung, Umstufung und Einziehung von Straßen nach § 2 des Bundesfernstraßengesetzes genannt - zeichnen sich ebenso wie die Entscheidungen des Bundesausschusses durch
ihre Intransitivität aus. Wegen ihrer Adressatenlosigkeit können sie - auch darin liegt
eine Parallele zu den Entscheidungen des Bundesausschusses - nur öffentlich bekannt gemacht werden631.
Ein weiteres Indiz, das den Charakter einer Einzelfallregelung unterstreicht, findet sich im Lebensmittelrecht. § 47 a des Lebensmittel- und Bedarfsgegenständegesetzes - LMBG - beschäftigt sich mit dem Verbringen von Lebensmitteln, die dem
Lebensmittelrecht eines anderen EU-Mitgliedstaates entsprechen, nicht aber dem
deutschen Lebensmittelrecht, aus dem EU-Ausland in die Bundesrepublik Deutschland. Das Verbringen solcher Lebensmittel in die Bundesrepublik Deutschland ist
nur dann möglich, wenn eine Genehmigung des Bundesamtes für Verbraucherschutz
und Lebensmittelsicherheit vorliegt, die das Gesetz ausdrücklich als "Allgemeinver-
626 Vgl. von Mutius, Rechtsnorm und Verwaltungsakt, in: Festschrift für Wolff zum 75. Geburtstag, S. 167 <208>, der für dingliche Verwaltungsakte deren intransitive Wirkung erläutert.
627 Vgl. Dörschuck, Typen- und Tarifgenehmigungen im Verwaltungsrecht, S. 3
628 Vgl. Dörschuck, Typen- und Tarifgenehmigungen im Verwaltungsrecht, S. 19
629 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 9 RdNr. 21; Dörschuck, Typen- und Tarifgenehmigungen im Verwaltungsrecht, S. 45, ordnet Typengenehmigungen als Allgemeinverfügungen analog § 35 Satz 2 2. Alternative VwVfG ein.
630 Engelhard, Rechtsschutz, S. 132 <133>
631 Vgl. § 41 Abs. 3 Satz 2 VwVfG, § 37 Abs. 3 Satz 2 SGB X, aber auch § 2 Abs. 6 Satz 4 und 5
FStrG; nach Kopp/Ramsauer, Verwaltungsverfahrensgesetz, § 41 RdNr. 48, ist eine individuelle Bekanntgabe beispielsweise bei adressenlosen Verwaltungsakten unmöglich.
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fügung" bezeichnet. Genehmigungsobjekt ist ein bestimmtes Lebensmittel, worin
eine Parallele zum Bundesausschussverfahren liegt: Genehmigungsobjekt ist hier
eben eine bestimmte medizinische Methode. Zwar existiert bei der Allgemeinverfügung nach § 47 a LMBG - anders als bei den neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden - ein Antragsteller, der ein eigenes lebhaftes und unmittelbares Interesse an der Erteilung der Allgemeinverfügung hat; denn die Allgemeinverfügung ist
von demjenigen zu beantragen, der die Erzeugnisse in das Inland zu verbringen beabsichtigt (§ 47 a Abs. 2 Satz 2 LMBG). Ein intransitive Komponente - worin wieder eine Ähnlichkeit zum hier vorliegenden Fall festzustellen ist - besteht aber darin,
dass nach § 47 a Abs. 2 Satz 4 LMBG die Allgemeinverfügungen zugunsten aller
Einführer der betreffenden Erzeugnisse aus Mitgliedstaaten Wirkung entfalten.
Für die speziell hier in Frage stehende Regelungstätigkeit, über neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden zu entscheiden, vermag die Auffassung Häll-
ßigs nicht zu überzeugen632. Hällßig ordnet die Richtlinien den Rechtsnormen zu,
weil es sich um abstrakt-generelle Regelungen handele. Weil ihnen der konkretgenerelle Charakter fehle, könnten sie keine personalen Allgemeinverfügungen im
Sinn von § 31 Satz 2 1. Alternative SGB X sein. Sie seien aber auch, so der Autor
weiter, keine sachbezogenen Allgemeinverfügungen im Sinn von § 31 Satz 2
2. Alternative SGB X, denn sie regelten weder die öffentliche Eigenschaft einer
Sache, noch deren Benutzung durch die Allgemeinheit, sondern die Rechtsbeziehungen der am Recht der gesetzlichen Krankenversicherung Beteiligten633. Zunächst
einmal muss an dieser Stelle nochmals betont werden, dass die Ermittlung des
Rechtscharakters der Entscheidungen des Bundesausschusses notwendig ist, um
innerhalb einer virtuellen Skala entscheiden zu können, welche konkreten Anforderungen an die Rückbindung zum Staatsvolk zu stellen sind. Dafür existieren eigene
Maßstäbe; eine Subsumtion unter § 31 SGB X mag zwar in die gleiche Richtung
zielen, man darf aber das Ergebnis - nämlich wie konkret der Zurechnungszusammenhang auszusehen hat - nicht in einer Art Automatismus davon abhängig machen,
was eine Prüfung anhand von § 31 SGB X ergibt. Bereits das spricht dafür, Hällßigs
Einschätzung nicht als diametrale Gegenmeinung zu kategorisieren. Darüber hinaus
ist bereits der exzeptionelle Charakter der Entscheidungen über neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden unterstrichen worden. Man darf eine rechts-
632 Eine andere Auffassung als hier vertritt auch Tempel-Kromminga, Richtlinien, S. 6, 68, 83 f.;
sie klassifiziert die Richtlinien unterschiedslos als abstrakt-generelle Regelungen: Der Sachverhalt, auf den sich die Regelungen der Richtlinien bezögen - Tempel-Kromminga meint damit den Fall der Behandlung von Versicherten -, sei im Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinien
nicht konkret zu bestimmen, weder räumlich noch zeitlich; vielmehr sollten die Richtlinien
nach ihrer allgemeinen Formulierung für alle (möglichen) Fälle der Behandlungserheblichkeit
zur Anwendung kommen. Der betroffene Personenkreis sei daher weder bestimmt noch bestimmbar; ebenso Freudenberg, Leistungsanspruch, S. 96 f..
Butzer/Kaltenborn, Demokratische Legitimation, S. 333 <341>, sowie Hebeler, Verfassungsrechtliche Probleme „besonderer“ Rechtssetzungsformen, DÖV 2002, S. 936 <942>, sehen
einen „rechtsschöpferischen Prozess“.
633 Hällßig, Normsetzung, S. 102
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dogmatische Einordnung eben nicht generell und pauschal für sämtliche Regelungsgegenstände treffen, die in Richtlinien des Bundesausschusses auftauchen. Denn „im
Allgemeinen“ kann der Auffassung Hällßigs durchaus zugestimmt werden634, aber
eben nicht speziell für die Entscheidungen über neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Und zum Dritten: Hällßig trifft zielsicher den Kern des Problems,
wenn er eine sachbezogene Allgemeinverfügung mit dem Argument ablehnt, Richtlinien würden die Rechtsbeziehungen der am Recht der gesetzlichen Krankenversicherung Beteiligten regeln, also den Schwerpunkt in den personalen Beziehungen
sieht635. Auf die primäre Objekts- oder aber Subjektsbezogenheit der Regelung
kommt es in der Tat entscheidend an. Nur: Beim speziell hier vorliegenden Regelungsgegenstand dominiert doch wohl - auch wenn sich darüber trefflich streiten
lässt - die Objektsbezogenheit: Es geht nach hiesiger Auffassung in erster Linie
darum, eine medizinische Methode zu bewerten und erst nachrangig darum, den
Leistungserbringern, Krankenkassen und Versicherten Verhaltensanweisungen zu
erteilen.
Somit bleibt festzuhalten, dass die Entscheidung des Bundesausschusses über die
Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode im Wesentlichen mit einer verwaltungsrechtlichen Typengenehmigung, aber auch mit sachbezogenen Allgemeinverfügungen vergleichbar ist. Es handelt sich damit um eine Regelungstätigkeit unterhalb der (abstrakt-generellen) Normsetzung; sie ist inhaltlichmateriell vielmehr als Normenvollzug zu klassifizieren636. Bestätigung findet dieses
- zugegebenermaßen eine Mindermeinung darstellende - Ergebnis durch das Festbetrags-Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Dezember 2002. Dort stellt der
Erste Senat fest, die Festbetragsfestsetzung sei eine Maßnahme des Verwaltungsvollzugs637.
Es sei an dieser Stelle nochmals betont, dass damit keine definitive Einordnung
als Verwaltungsakt im Sinn des Verwaltungsverfahrensrechts verbunden ist. Vielmehr wird lediglich festgestellt, dass der Inhalt der Regelung nicht abstraktgenereller Art ist638. Ob möglicherweise die NUB-/BUB-Richtlinien insoweit doch
634 So ist es sicher richtig, wenn die Beschlussempfehlung und Bericht des Gesundheitsausschusses des Bundestages zum 2. GKV-Neuordnungsgesetz im Rahmen von § 101 SGB V, wo es
um die vertragsärztliche Bedarfsplanung geht, von „Rechtsetzung in Form von Richtlinien“
spricht. Daraus darf indes nicht apodiktisch geschlossen werden, die Regelungen des Bundesausschusses seien stets der Rechtsetzung zuzuordnen.
635 Ähnlich Bredehorn, Die Rechtsnatur der Richtlinien im Kassenarztrecht, S. 76 f.
636 So auch Buchner/Krane, BUB-Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, NZS 2002, S. 65 <71>; Hase, Verfassungsrechtliche Bewertung der Normsetzung durch
den Gemeinsamen Bundesausschuss, MedR 2005, S. 391 <395>, sieht allgemein in den Richtlinien ein ausgeprägtes Element des Gesetzesvollzugs.
637 BVerfGE 106, 275 <305, 307>
Immerhin weist auch Hase, Verfassungsrechtliche Bewertung der Normsetzung durch den
Gemeinsamen Bundesausschuss, MedR 2005, S. 391 <395>, darauf hin, die Normsetzung
durch den Bundesausschuss enthalte selbst ein ausgeprägtes Element des Gesetzesvollzugs.
638 Zumindest für die Zulassung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden wäre es nach
der hier vertretenen Auffassung etwas ungenau, den Bundesausschuss als „kleinen Gesetzge-
140
als Norm einzustufen oder wie Normen zu behandeln sind (zum Beispiel wegen der
Form, des Verfahrens etc.)639, ist an dieser Stelle nicht von Belang640.
III. Legitimation für die Wahrnehmung der konkreten Aufgabe durch den Bundesausschuss
Aus den bisherigen Ausführungen, welche ja die funktional dezentralisierte Verwaltung allgemein betreffen, lässt sich einerseits zwanglos entnehmen, dass das Gebot
demokratischer Legitimation nach Art. 20 Abs. 2 GG auch für den Bundesausschuss
gilt. Denn einerseits erstreckt es sich generell auch auf die funktional dezentralisierte
Verwaltung. Zum anderen stellen die Entscheidungen des Bundesausschusses nach
den oben genannten Kriterien641 eindeutig eine Ausübung von Staatsgewalt dar.
Angesichts dieser Evidenz erübrigt sich eine eingehende Subsumtion. Damit steht
also die Legitimationsbedürftigkeit fest. Die Frage ist nun, ob eine hinreichende
demokratische Legitimation festgestellt werden kann.
1. Zum Prüfungsaufbau: Gedankliche Gliederung nach Zulässigkeit der Aufgaben-
übertragung dem Grunde nach und der konkreten Struktur und Organisation des
Bundesausschusses
Die materiell-rechtliche Prüfung, ob eine ganz konkrete Ausübung von Staatsgewalt
dem Gebot demokratischer Legitimation entspricht, ist dadurch charakterisiert, dass
Prüfungsweg und Ergebnisfindung - gerade bei der dezentralisierten Verwaltung oft kaum transparent und objektivierbar sind. Das liegt aber nicht an der Unzulänglichkeit der Juristen, sondern in der Natur der Sache. Die Frage demokratischer Legitimation gehorcht keinem Subsumtionsautomatismus, sondern erfordert stets eine
Gesamtabwägung aller Umstände des Einzelfalls. Dennoch soll mit der im Folgenden dargestellten und praktizierten Gliederung erreicht werden, dass die Prüfung der
demokratischen Legitimation methodisch zumindest in beschränktem Maße objektiviert werden kann.
ber“ zu bezeichnen - so aber Butzer/Kaltenborn, Demokratische Legitimation, S. 333; vgl.
auch Axer, Selbstverwaltung in der gesetzlichen Krankenversicherung, Verw 35 (2002),
S. 377 <395>.
639 Vgl. nur Engelhard, Rechtsschutz, S. 132 <133>: Die Entscheidungen des Bundesausschusses
seien in Form von Richtlinien zu treffen, welche „nach herrschender und zutreffender Auffassung“ untergesetzliche Rechtsnormen darstellten; Seeringer, Gemeinsamer Bundesausschuss,
S. 135 f..
640 Angesichts dessen spielt keine Rolle, dass auch die Richtlinien über neue Untersuchungs- und
Behandlungsmethoden nach § 92 Abs. 8 SGB V Bestandteil des Bundesmantelverträge sind
(a.A. Seeringer, Gemeinsamer Bundesausschuss, S. 135).
641 Vgl. oben S. 53 ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Der Gemeinsame Bundesausschuss gestaltet wesentlich den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Seine demokratische Legitimation wurde in der Vergangenheit intensiv und kontrovers diskutiert.
Der Autor hat die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur demokratischen Legitimation eingehend ausgewertet und daraus ein neues, praxisgerechtes Legitimationsmodell für den Gemeinsamen Bundesausschuss nach dem SGB V entwickelt. Die bei dieser Betrachtung berücksichtigten, zahlreichen rechtlichen Parameter sind differenziert, objektivierbar und generalisierbar herausgearbeitet. Nicht zuletzt deshalb erweist sich die Arbeit auch für andere Verwaltungsformen außerhalb der klassischen, ministerial gesteuerten Verwaltung als aufschlussreich. Für diese „unkonventionellen“ Verwaltungstypen darf an der in ununterbrochenen Legitimationsketten verhafteten Dogmatik nicht mehr festgehalten werden. Die flexiblen verfassungsrechtlichen Vorgaben lassen es vielmehr zu, pragmatische Erwägungen in angemessener Weise zu berücksichtigen, wobei der Autor auf seine Erfahrungen als Sozialrichter zurückgreifen konnte.