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2. Rechtsentwicklung und Rechtslage
2.1 Die Rechtslage vor Inkrafttreten des SGB V
Bis Ende des Jahres 1988 galt für die Krankenversicherung das Zweite Buch der
Reichsversicherungsordnung (RVO) vom 19. Juli 1911 in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Dezember 192410. Seit jeher wurde als Krankenhilfe Krankenpflege gewährt (§ 182 Abs. 1 Nr. 1 RVO), die auch die ärztliche Behandlung
umfasste. Seit 1930 bestimmte § 182 Abs. 2 RVO, dass die Krankenpflege ausreichend und zweckmäßig sein musste. Sie durfte das Maß des Notwendigen nicht
überschreiten. Die Beziehungen zwischen den Krankenkassen und den im Rahmen
der Sozialversicherung tätigen Ärzten waren ursprünglich durch privatrechtliche
Verträge geregelt11. Mit der Verordnung über Ärzte und Krankenkassen vom
30. Oktober 192312 wurde erstmals per Gesetz13 ein Reichsausschuss für Ärzte und
Krankenkassen installiert14. Diese Verordnung sah vor, dass der Reichsausschuss zur
Sicherung gleichmäßiger und angemessener Vereinbarungen zwischen den Kassen
und Ärzten Richtlinien aufstellt. Die Rechtsnatur der Richtlinien war umstritten15.
Einerseits wurde der Reichsausschuss als rechtsetzendes Organ im Kassenarztrecht
bzw. als Wegbereiter der fortschreitenden Entwicklung eines kollektivrechtlich geprägten Kassenarztrechts angesehen, andererseits der Rechtssatzcharakter seiner
Richtlinien verneint16. Durch eine gesetzesvertretende Notverordnung des Reichspräsidenten vom 14. Januar 193217 wurde dem Reichsausschuss für Ärzte und Krankenkassen erstmals die Aufgabe zugewiesen, die erforderlichen verbindlichen Aus-
10 RGBl I S. 797
11 Vgl. Engelmann, Untergesetzliche Normsetzung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung durch Verträge und Richtlinien Teil 1, S. 1 <4>
12 RGBl S. 1051
13 Seiner Art nach hatte der Reichsausschuss aber bereits einen Vorgänger: Der Zentralausschuss, welcher durch das Berliner Abkommen ins Leben gerufen worden war, darf als Ursprung des heutigen Bundesausschusses gewürdigt werden (vgl. Hällßig, Normsetzung, S. 58;
Hänlein, Rechtsquellen, S. 454; Schellen, Die Bewertungsausschüsse der Ärzte (Zahnärzte)
und Krankenkassen nach dem Krankenversicherungs-Kosten-Dämpfungsgesetz, S. 21 f.). In
diesem Zentralausschuss, der für die Durchführung des Berliner Abkommens, also insbesondere für die Auslegung des Abkommens und seiner Ausführungsbestimmungen und für die
Entscheidung grundsätzlicher Streitigkeiten zuständig war, hatten die Ärzte ein gleichberechtigtes Mitspracherecht (Tempel-Kromminga, Richtlinien, S. 9 f.).
14 Vgl. Hänlein, Rechtsquellen, S. 454. Überhaupt wurden die Beziehungen zwischen Ärzten
und Krankenkassen erstmals durch Gesetz ausgestaltet (Hällßig, Normsetzung, S. 59).
15 Peters, Handbuch der Krankenversicherung Teil II, 15. Auflage 1954, S. 413; Schimmelpfeng-
Schütte in: Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, § 7 RdNr. 3; Tempel-
Kromminga, Richtlinien, S. 13 ff.; Tennstedt, Soziale Selbstverwaltung, S. 130; Spielhagen,
Die Rechtsstellung des Reichsausschusses für Ärzte und Krankenkassen, Ortskrankenkasse
1924, S. 385 <387 f.>
16 Vgl. dazu die Nachweise bei Hällßig, Normsetzung, S. 61 f.
17 RGBl I S. 19
18
führungsbestimmungen zu den Arztverträgen und zur ausreichenden, zweckmäßigen
und wirtschaftlichen Krankenversorgung zu erlassen18.
Mit dem Neuregelungsgesetz über das Kassenarztrecht vom 17. August 195519
wurden der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen und der Bundesausschuss der Zahnärzte und Krankenkassen geschaffen. Das Gesetz sah den Erlass
autonomer Normen durch die Bundesausschüsse vor20; der neue § 368 p RVO bestimmte, dass die Bundesausschüsse die zur Sicherung der kassenärztlichen Versorgung erforderlichen Richtlinien für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung der Kranken zu beschließen hätten, unter anderem über die Einführung neuer Untersuchungs- und Heilmethoden. In ihrer Rechtsqualität wurden
die Richtlinien als nicht rechtsverbindlich eingestuft. Dagegen hatte noch der Regierungsentwurf zu diesem Gesetz eine verbindliche Rechtsetzung intendiert. Der
Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages erhob jedoch verfassungsrechtliche
Bedenken wegen Art. 80 Abs. 1 GG, da die Entscheidungen der Bundesausschüsse
auch außen stehende Dritte betreffen würden. Er hielt es nicht für angängig, den
Bundesausschüssen die Konkretisierung der in § 182 RVO normierten Leistungspflicht der Krankenkassen gegenüber den Versicherten mittels „Bestimmungen“ zu
übertragen21. Zudem erhob der Rechtsausschuss Bedenken, Art. 87 Abs. 3
Satz 1 GG könnte dadurch verletzt werden, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen den Bundesausschüssen untergeordnet würden. Daraufhin wurde die Rechtsform der "Richtlinie" vorgeschlagen und entsprechend in der Reichsversicherungsordnung verankert22. Konkret wurden die Richtlinien als Festschreibung von Erfahrungssätzen gewertet und entfalteten somit für den einzelnen Kassenarzt keine
strikte Bindung. Jedoch musste dieser, um keinem Regress ausgesetzt zu sein,
nachweisen, dass der zugrunde liegende Erfahrungssatz nicht dem aktuellen Erkenntnisstand entsprach23.
Das Bundessozialgericht ging davon aus, dass die Richtlinien des Bundesausschusses als rein verwaltungsinterne Durchführungsbestimmungen ohne Wirkung
im Verhältnis Krankenkasse-Versicherter zu klassifizieren seien24. Derartige Durch-
18 Vgl. BSGE 78, 70 <78 f.>; Roters, Kontrolldichte, S. 46, insbesondere dort Fn. 221; Hällßig,
Normsetzung, S. 64; Tempel-Kromminga, Richtlinien, S. 18; Hänlein, Rechtsquellen, S. 454
19 BGBl I S. 513
20 Hällßig, Normsetzung, S. 67 mit Verweis auf BTDrucks 1/3904, S. 23
21 Vgl. Schimmelpfeng-Schütte in: Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, § 7
RdNr. 12; Hällßig, Normsetzung, S. 68; Hänlein, Rechtsquellen, S. 455 f.
22 Von Zezschwitz, Richtlinienkompetenz, S. 645 <645 f.>
23 Vgl. Engelmann, Untergesetzliche Normsetzung im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung durch Verträge und Richtlinien Teil 2, NZS 2000, S. 76 <81>
24 Vgl. BSGE 63, 102 <105>; 63, 163 <165 ff.>; 73, 271 <287>; vgl. dazu auch Bredehorn, Die
Rechtsnatur der Richtlinien im Kassenarztrecht, S. 23 ff.; Wigge, Das Entscheidungsmonopol
des Bundesausschusses Ärzte/Krankenkassen für Arzneimittel und neue medizinische Verfahren, in: Schnapp, Probleme der Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht Teil III, S. 163
<166>; differenzierte Darstellungen finden sich bei Ossenbühl, Die Richtlinien im Vertragsarztrecht, in: Schnapp, Probleme der Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht Teil I, S. 65
<69>, sowie Wahl, Kooperationsstrukturen im Vertragsarztrecht, S. 358 ff..
19
führungsbestimmungen seien den Grundsätzen des Leistungs- und Leistungserbringungsrechts untergeordnet. Die gesetzlichen Grundsätze sollten durch sie konkretisiert und verwirklicht, keinesfalls aber verdrängt werden. Soweit sie den gesetzlichen Anspruchsrahmen nicht ausfüllten, komme ihnen keine, den Leistungsanspruch
des Versicherten einschränkende Bedeutung zu25. Allerdings sah die frühere Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Richtlinien, wie oben ausgeführt, als medizinische Erfahrungssätze26 an, so dass diesen im sozialgerichtlichen Verfahren dennoch eine gewisse Bedeutung zukam27: Wegen des medizinischen Sachverstandes
der Bundesausschüsse und deren ausgewogenen Entscheidungen wurde den Richtlinien eine Vorrangstellung gegenüber ärztlichen Gutachten eingeräumt, mit der Folge
einer Verschärfung der Beweislast, der Einschränkung der richterlichen Nachprüfung und der Harmonisierung von Leistungsrecht und Leistungserbringungsrecht28.
2.2 Die Rechtslage nach Einführung des SGB V nach dem Gesetz
Mit dem Gesundheits-Reformgesetz vom 20. Dezember 198829 wurde das einschlägige Leistungsrecht in das SGB V übernommen. Die Basisnorm des Leistungsrechts
verkörpert § 2 SGB V. Neu gegenüber den Regelungen der Reichsversicherungsordnung ist dabei die Bindung des Leistungskatalogs an den allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse in § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V30. Die Einrichtung von Bundesausschüssen regelt § 91 SGB V. Soweit hier von Bedeutung,
hat die Norm in der aktuellen Fassung des Gesetzes zur Stärkung des Wettbewerbs
in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz -
GKV-WSG) vom 26. März 200731 folgenden Wortlaut:
25 Vgl. BSGE 63, 102 <105>
26 Vgl. BSGE 63, 163 <166>; Plantholz, Richtlinien, Rahmenverträge, Rahmenempfehlungen:
Der Gesetzgeber im Dickicht untergesetzlicher Teilhabe, NZS 2001, S. 177 <178>
27 Jörg in: Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, § 11 RdNr. 80; vgl. auch Schimmelpfeng-Schütte, Richtliniengebung durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen und demokratische Legitimation, NZS 1999, S. 530 <531>: „Beweislastregel“; dies.,
Richtliniengebung durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen und demokratische Legitimation, in: Schnapp, Probleme der Rechtsquellen im Sozialversicherungsrecht
Teil III, S. 73 <75>
28 Jörg in: Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, § 11 RdNr. 17; vgl. auch Neumann in: Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, § 13 RdNr. 9; Tempel-
Kromminga, Richtlinien, S. 21 f., 44 ff.
29 BGBl I S. 2477
30 Vgl. dazu Biehl/Ortwein, Sind Außenseitermethoden Maßnahmen außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)?, SGb 1991, S. 529 <536 f.>
31 BGBl I S. 370
20
§ 91
Gemeinsamer Bundesausschuss
(1) Die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft, die
Bundesverbände der Krankenkassen, die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See
und die Verbände der Ersatzkassen bilden einen Gemeinsamen Bundesausschuss. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist rechtsfähig.
(2) Der Gemeinsame Bundesausschuss besteht aus einem unparteiischen Vorsitzenden, zwei
weiteren unparteiischen Mitgliedern, vier Vertretern der Kassenärztlichen Bundesvereinigung,
einem Vertreter der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung, vier Vertretern der Deutschen
Krankenhausgesellschaft, drei Vertretern der Ortskrankenkassen, zwei Vertretern der Ersatzkassen, je einem Vertreter der Betriebskrankenkassen, der Innungskrankenkassen, der landwirtschaftlichen Krankenkassen und der Knappschaftlichen Krankenversicherung. Über den
Vorsitzenden und die weiteren unparteiischen Mitglieder sowie über deren Stellvertreter sollen
sich die Verbände nach Absatz 1 einigen. Kommt eine Einigung nicht zu Stande, erfolgt eine
Berufung durch das Bundesministerium für Gesundheit im Benehmen mit den Verbänden nach
Satz 1. Die Vertreter der Ärzte und ihre Stellvertreter werden von den Kassenärztlichen Bundesvereinigungen, die Vertreter der Krankenhäuser und ihre Stellvertreter von der Deutschen
Krankenhausgesellschaft sowie die Vertreter der Krankenkassen und ihre Stellvertreter von
den in Absatz 1 genannten Verbänden der Krankenkassen bestellt. .... Der Gemeinsame Bundesausschuss fasst seine Beschlüsse mit der Mehrheit seiner Mitglieder, sofern die Geschäftsordnung nichts anderes bestimmt.
...
(5) Bei Beschlüssen zu Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 .... wirken anstelle des Vertreters
der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung und der vier Vertreter der Deutschen Krankenhausgesellschaft fünf weitere Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung mit. ...
...
(8) Die Vertreter der Vereinigungen und Verbände nach Absatz 1, die an den jeweiligen Beschlüssen und Entscheidungen nach den Absätzen 4 bis 7 nicht mitwirken, haben ein Mitberatungsrecht.
...
(9) Die Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses ... sind für die Versicherten, die
Krankenkassen und für die an der ambulanten ärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer ... verbindlich.
(10) Die Aufsicht über den Gemeinsamen Bundesausschuss führt das Bundesministerium für
Gesundheit; die §§ 67, 88 und 89 des Vierten Buches gelten entsprechend.
Über eine Verweisungsnorm findet § 90 Abs. 3 Satz 2 SGB V auch für den Bundesausschuss Anwendung; danach sind die Mitglieder der Bundesausschüsse an
Weisungen nicht gebunden. Nach § 92 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB V beschließt
der Gemeinsame Bundesausschuss die zur Sicherung der ärztlichen Versorgung
21
erforderlichen Richtlinien über die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und
wirtschaftliche Versorgung der Versicherten32. Nach Satz 2 Nr. 5 soll er insbesondere Richtlinien beschließen über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Die Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses sind Bestandteil der Bundesmantelverträge (§ 92 Abs. 8 SGB V), die wiederum nach § 82
Abs. 1 Satz 2 SGB V Bestandteil der Gesamtverträge sind; die Gesamtverträge
schließlich sind für die einzelnen Krankenkassen und Vertragsärzte verbindlich
(§ 83 Abs. 1 Satz 1, § 95 Abs. 3 Satz 2 SGB V)33. Die Satzungen der Kassenärztlichen Vereinigungen und der Landesverbände der Krankenkassen müssen die Verbindlichkeit der Richtlinien nach § 92 SGB V für sie selbst und ihre Mitglieder anordnen (§ 81 Abs. 3 Nr. 2, § 210 Abs. 2 SGB V)34.
Zum Wirksamwerden der Richtlinien trifft § 94 SGB V in der Fassung des GKV-
Wettbewerbsstärkungsgesetzes folgende Regelungen:
§ 94
Wirksamwerden der Richtlinien
(1) Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss beschlossenen Richtlinien sind dem Bundesministerium für Gesundheit vorzulegen. Es kann sie innerhalb von zwei Monaten beanstanden.
Das Bundesministerium für Gesundheit kann im Rahmen der Richtlinienprüfung vom Gemeinsamen Bundesausschuss zusätzliche Informationen und ergänzende Stellungnahmen anfordern; bis zum Eingang der Auskünfte ist der Lauf der Frist nach Satz 2 unterbrochen. Die
Nichtbeanstandung einer Richtlinie kann vom Bundesministerium für Gesundheit mit Auflagen verbunden werden; das Bundesministerium für Gesundheit kann zur Erfüllung einer Auflage eine angemessene Frist setzen. Kommen die für die Sicherstellung der ärztlichen Versorgung erforderlichen Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht oder nicht innerhalb einer vom Bundesministerium für Gesundheit gesetzten Frist zustande oder werden die
Beanstandungen des Bundesministeriums für Gesundheit nicht innerhalb der von ihm gesetzten Frist behoben, erlässt das Bundesministerium für Gesundheit die Richtlinien; ... .
(2) Die Richtlinien sind im Bundesanzeiger bekanntzumachen. ...
Im Neunten Abschnitt des Vierten Kapitels "Sicherung der Qualität der Leistungserbringung" - das ist der Dreh- und Angelpunkt des hier behandelten Problems - sieht § 135 Abs. 1 SGB V ein besonderes Verfahren für die Anwendung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden vor. Die Norm lautet in der Fassung
des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes wie folgt:
Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen in der vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der
Gemeinsame Bundesausschuss auf Antrag eines Unparteiischen nach § 91 Abs. 2 Satz 1, einer
32 Zum Beschlussverfahren Roters, Kontrolldichte, S. 50 f.
33 Vgl. Roters, Kontrolldichte, S. 56 m.w.N.; Axer, Normsetzung, S. 118
34 Die Redundanz der gesetzlichen Verbindlichkeitsanordnungen nimmt Axer, Zur demokratischen Legitimation in der gemeinsamen Selbstverwaltung - dargestellt am Beispiel des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen, in: Schnapp, Funktionale Selbstverwaltung und
Demokratieprinzip - am Beispiel der Sozialversicherung, S. 115 <121 ff.>, an.
22
Kassenärztlichen Bundesvereinigung, einer Kassenärztlichen Vereinigung oder eines Spitzenverbandes der Krankenkassen in Richtlinien nach § 92 Abs.1 Satz 2 Nr. 5 Empfehlungen abgegeben hat über
1. die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neuen Methode sowie
deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit - auch im Vergleich zu bereits zu
Lasten der Krankenkassen erbrachten Methoden - nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse in der jeweiligen Therapierichtung,
2. die notwendige Qualifikation der Ärzte, die apparativen Anforderungen sowie Anforderungen an Maßnahmen der Qualitätssicherung, um eine sachgerechte Anwendung der neuen Methode zu sichern, und
3. die erforderlichen Aufzeichnungen über die ärztliche Behandlung.
Der Gemeinsame Bundesausschuss überprüft die zu Lasten der Krankenkassen erbrachten vertragsärztlichen und vertragszahnärztlichen Leistungen daraufhin, ob sie den Kriterien nach
Satz 1 Nr. 1 entsprechen. Falls die Überprüfung ergibt, daß diese Kriterien nicht erfüllt werden, dürfen die Leistungen nicht mehr als vertragsärztliche oder vertragszahnärztliche Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden. Hat der Gemeinsame Bundesausschuss
in einem Verfahren zur Bewertung einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode
nach sechs Monaten seit Vorliegen der für die Entscheidung erforderlichen Auswertung der
wissenschaftlichen Erkenntnisse noch keinen Beschluss gefasst, können die Antragsberechtigten nach Satz 1 sowie das Bundesministerium für Gesundheit vom Gemeinsamen Bundesausschuss die Beschlussfassung innerhalb eines Zeitraums von weiteren sechs Monaten verlangen. Kommt innerhalb dieser Frist kein Beschluss zustande, darf die Untersuchungs- und Behandlungsmethode in der vertragsärztlichen oder vertragszahnärztlichen Versorgung zu Lasten
der Krankenkassen erbracht werden.
An dieser Stelle verdienen die Änderungen gegenüber dem vorherigen Rechtszustand besonderer Hervorhebung, die zum 1. Januar 2004 in Kraft getreten sind: Ein
einziger Gemeinsamer Bundesausschuss ersetzt seitdem die bisherigen Normsetzungsgremien der gemeinsamen Selbstverwaltung. Die Besetzung des Gemeinsamen
Bundesausschusses variiert gemäß § 91 Abs. 4 bis 7 SGB V je nach Entscheidungsgegenstand. De facto bleiben damit trotz der Vereinigung der vormaligen Bundesausschüsse "unter einem Dach" mehrere verschiedene Ausschüsse erhalten. Für die
hier relevante Aufgabe des Bundesausschusses, die Entscheidung über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach § 92 Abs. 1 Satz 2
Nr. 5 SGB V, ergibt sich aus § 91 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 SGB V folgende Besetzung: ein unparteiischer Vorsitzender, zwei weitere unparteiische Mitglieder, neun
Vertreter der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, drei Vertreter der Ortskrankenkassen, zwei Vertreter der Ersatzkassen, je ein Vertreter der Betriebskrankenkassen,
der Innungskrankenkassen, der landwirtschaftlichen Krankenkassen und der Knappschaftlichen Krankenversicherung. Aus § 91 Abs. 8 in Verbindung mit Abs. 1
SGB V geht hervor, dass die Vertreter der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung
sowie der Deutschen Krankenhausgesellschaft ein Mitberatungsrecht haben. Für die
vorliegende Untersuchung ist ganz entscheidend: Die Verbindlichkeit der Beschlüsse des Gemeinsamen Bundesausschusses auch für die Versicherten wird
23
nun durch § 91 Abs. 9 SGB V ausdrücklich angeordnet; bis dato beruhte die Annahme der unmittelbaren Wirkung auch für die Versicherten auf den "September-
Urteilen" des Bundessozialgerichts. Im Vergleich zum bisherigen § 91 Abs. 4
SGB V, wonach die Aufsicht über die Geschäftsführung der Bundesausschüsse das
Bundesministerium für Gesundheit führt, trifft der seit 1. Januar 2004 geltende § 91
Abs. 10 SGB V eine erweiterte Regelung. Danach führt das Bundesministerium für
Gesundheit die Aufsicht über den Bundesausschuss; zudem wird die entsprechende
Geltung der §§ 67, 88 und 89 SGB IV angeordnet. Damit ist aber keine Klärung der
Streitfrage verbunden, ob dem Ministerium hinsichtlich der Richtlinien nur die
Rechtsaufsicht oder aber eine Fachaufsicht obliegt. Denn § 94 Abs. 1 SGB V ist
gegenüber § 91 Abs. 10 SGB V als lex specialis zu sehen35.
Mit den neuen §§ 140 f bis 140 h SGB V ist eine unmittelbare Beteiligung der
Versicherten am Bundesausschussverfahren eingeführt worden. Das Nähere zur Versichertenbeteiligung hat das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung in der Verordnung zur Beteiligung von Patientinnen und Patienten in der Gesetzlichen Krankenversicherung (Patientenbeteiligungsverordnung - PatBeteiligungsV) vom 19. Dezember 200336 geregelt. Zum 1. Januar 2004 sind des Weiteren
§§ 139 a bis 139 c neu in das SGB V eingefügt worden. Danach muss der Bundesausschuss ein Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen
gründen, das fachlich unabhängig und rechtsfähig ist.
2.3 Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zum Recht des SGB V
2.3.1 Die Rechtsprechung vor den "September-Urteilen"
Für das Recht des SGB V geht das Bundessozialgericht zunächst davon aus, die
Richtlinien des Bundesausschusses zur Sicherung der ärztlichen Versorgung seien
im Streit um Leistungen zur Krankenbehandlung für die Gerichte maßgeblich, es sei
denn, sie würden auf einer unrichtigen Auslegung höherrangigen Rechts beruhen
oder ihr Inhalt sei sachlich unvertretbar37. Zu diesem Ergebnis kommt das Bundessozialgericht, obwohl es zunächst nach wie vor die Meinung vertreten hat, bei den
Richtlinien handle es sich um Verwaltungsbinnenrecht38. Von der bisherigen Rechtsprechung, wonach unter bestimmten Voraussetzungen auch solche Behandlungsmaßnahmen zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung gehören
könnten, deren Wirksamkeit (noch) nicht gesichert sei, aber nach dem Stand der
medizinischen Wissenschaft für möglich gehalten werden müsste, ist das Bundesso-
35 Vgl. BTDrucks 15/1525, S. 107, linke Spalte unten
36 BGBl I S. 2753
37 BSGE 73, 271 <288>; vgl. Hinz, Verfassungsrecht und Leistungsrecht in der gesetzlichen
Krankenversicherung, ZfS 2006, S. 141 <143>
38 BSGE 73, 271 <287>
24
zialgericht komplett abgerückt39. Für die Anwendung noch nicht anerkannter Heilmethoden, so das Bundessozialgericht, gälten nach dem Recht des SGB V strengere
Anforderungen als bisher. Der "allgemein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse" schließe Leistungen aus, die mit wissenschaftlich nicht anerkannten
Methoden erbracht würden. Neuverfahren, die nicht ausreichend erprobt seien oder
Außenseitermethoden, die zwar bekannt seien, sich aber nicht bewährt hätten, lösten
keine Leistungspflicht der Krankenkassen aus. Das gelte auch dann, wenn neue Methoden im Einzelfall zu einer Heilung der Krankheit oder Linderung der Krankheitsbeschwerden führen würden40. Eine Behandlungsmethode würde erst dann zum
Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung gehören, wenn die Erprobung abgeschlossen sei und über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden könnten. Das
setze einen Erfolg der Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung
ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen (die aus wissenschaftlich einwandfrei
geführten Statistiken hervorgehen müsse) voraus41.
Später hat sich das Bundessozialgericht von der Sichtweise distanziert, bei den
Richtlinien handle es sich um Verwaltungsbinnenrecht. Das Gesetz inkorporiere die
Richtlinien unmittelbar in den Bundesmantelvertrag und die Gesamtverträge. Sie
seien auch für den einzelnen Vertragsarzt verbindlich. Durch diese Einbeziehung
komme ihnen die gleiche rechtliche Wirkung zu wie den normativen Teilen der
vertragsärztlichen Kollektivverträge, deren Rechtsnormqualität unbestritten sei42.
Die Richtlinien würden auch Rechtswirkung gegenüber den Versicherten entfalten43.
Denn § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V und die leistungsrechtliche Vorschrift des § 12
Abs. 1 SGB V stünden in einem unmittelbaren sachlogischen Zusammenhang. Die
Richtlinien würden den Umfang der Leistungspflicht der Krankenkassen gegenüber
den Versicherten präzisieren. Dabei könne der Umfang der zu gewährenden Krankenversorgung im Verhältnis von Versicherten zu Krankenkassen kein anderer sein
als im Verhältnis der ärztlichen Leistungserbringer zu den Kassenärztlichen Vereinigungen und wiederum zu den Krankenkassen. Gegenüber Versicherten habe es
entsprechender Regelungen nicht bedurft, weil diese nicht selbst aktiv in die Leistungserbringung einbezogen seien, sondern die Leistungen entgegen nehmen würden. Das führe dazu, dass eine weiter gehende generelle und ausdrückliche Erklärung der Verbindlichkeit der Richtlinien im Verhältnis zu den Versicherten rechtstechnisch nicht erforderlich sei44. Vor den September-Urteilen wurde noch kein
39 Vgl. dazu Schlenker, Das Entscheidungsmonopol des Bundesausschusses für neue medizinische Verfahren und Außenseitermethoden, NZS 1998, S. 411 <415>; Hinz, Verfassungsrecht
und Leistungsrecht in der gesetzlichen Krankenversicherung, ZfS 2006, S. 141 <143>
40 BSGE 76, 194 <198 f.>
41 BSGE 76, 194 <199>
42 BSGE 78, 70 <75>; so auch Schebb, Rechtsnatur von Richtlinien am Beispiel des § 92
SGB V, DVP 1998, S. 151 <152>
43 So schon vor dem Methadon-Urteil des Bundessozialgerichts (= BSGE 78, 70) Tempel-
Kromminga, Richtlinien, S. 58 ff.
44 Vgl. BSGE 78, 70 <76 f.>
25
Vorrang des Leistungserbringungsrechts vor dem Leistungsrecht proklamiert. Zwar
bestehe auch kein qualitativer Vorrang des Leistungsrechts vor dem Leistungserbringungsrecht. Jedoch müssten beide Teilgebiete als notwendiger Beitrag zu dem
einheitlichen und widerspruchsfrei konzipierten Naturalleistungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung betrachtet werden. Den Regelungen des Leistungserbringungsrechts ist die Funktion zugebilligt worden, das Leistungsrecht konkretisierend
auszugestalten. Es bestehe eine Einheit von Leistungsrecht und Leistungserbringungsrecht. Das untergesetzliche Leistungserbringungsrecht müsse sich auch am
Leistungsrecht des SGB V messen lassen45. Das Bundessozialgericht ist in dieser
judikativen Phase offenbar nicht davon ausgegangen, die Prüfungskompetenz der
Sozialgerichte bezüglich der Richtlinien des Bundesausschusses sei ungewöhnlich
eingeschränkt46.
2.3.2 Die so genannten September-Urteile
2.3.2.1 Urteil vom 16. September 1997 - 1 RK 28/95 (BSGE 81, 54)
Dass die in Streit stehende immunbiologische Therapie, so das Bundessozialgericht,
nicht zum Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversicherung gehörten, ergebe sich aus § 135 Abs. 1 SGB V in Verbindung mit den Richtlinien des Bundesausschusses über die Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Für
neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden sehe § 135 Abs. 1 SGB V "eine
Art Verbot mit Erlaubnisvorbehalt" vor: Bei der streitgegenständlichen Therapie
handle es sich um eine neue Behandlungsmethode. Eine vorherige Anerkennung
durch den Bundesausschuss liege nicht vor. Dem damit festzustellenden Leistungsausschluss stehe nicht entgegen, dass sich § 135 Abs. 1 SGB V vordergründig nicht
mit dem Verhältnis zwischen Versicherten und Krankenkassen befassen würde. Das
Leistungsrecht werde vom Gesetz im Dritten Kapitel nur in Umrissen beschrieben.
Der systematische Zusammenhang zwischen Leistungs- und Leistungserbringungsrecht führe dazu, dass das Leistungsrecht nicht gegenüber dem Leistungserbringungsrecht vorrangig sei47. Die Vorschriften des Vertragsarztrechts einschließlich
der Richtlinien des Bundesausschusses würden für Krankenkassen, Leistungserbringer und Versicherte gleichermaßen verbindlich den Leistungsanspruch bestimmen.
45 BSGE 78, 70 <85>
46 So finden sich in der Entscheidung BSGE 78, 70 keine Hinweise, der Bundesausschuss könne
einen besonders weiten rechtsetzerischen Gestaltungsspielraum für sich beanspruchen; das
Bundessozialgericht dürfte vielmehr von einem Freiraum des Rechtsetzers ausgegangen sein,
der das übliche Maß nicht überschritten hat. Mit der September-Rechtsprechung hat sich das
geändert: Ein Eingreifen war den Sozialgerichten von da an nur in Fällen von Systemmängeln
zugestanden.
47 Vgl. dazu die Interpretation von Wartensleben, Erstaunliche obiter dicta, Der Arzt und sein
Recht 1998, S. 1
26
Die im Schrifttum geäußerten verfassungsrechtlichen Einwände teilt das Bundessozialgericht nicht. Bei den untergesetzlichen Normen im Leistungserbringungsrecht
handle es sich um ein umfassendes Gefüge, das sich auf eine lange zurückreichende,
schon im vorkonstitutionellen Recht wurzelnde Tradition berufen könne. Zwar sehe
das Grundgesetz die Schaffung materiellen Rechts durch Normenverträge nicht vor.
Auch könne diese Art der Rechtserzeugung ungeachtet der Bezeichnung des Regelungskonzepts als "gemeinsame Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen"
nicht dem Bereich der autonomen Rechtsetzung zugeordnet werden, die im Wesentlichen mitgliedschaftlich strukturierten Körperschaften zu eigenverantwortlicher
Regelung der sie selbst betreffenden Angelegenheiten vorbehalten sei. Indessen
könne dem Grundgesetz kein numerus clausus zulässiger Rechtsetzungsformen in
dem Sinn entnommen werden, dass neben den ausdrücklich genannten Instrumenten
des formellen Gesetzes und der Rechtsverordnung sowie den vom Bundesverfassungsgericht anerkannten Regelungstypen der autonomen Satzung und der Tarifvertragsnormen weitere Formen der Rechtsetzung schlechthin ausgeschlossen wären.
2.3.2.2 Urteil vom 16. September 1997 - 1 RK 32/95 (BSGE 81, 73)
Wie in der Entscheidung zur immunbiologischen Therapie begründete das Bundessozialgericht zunächst ausführlich, wieso nach seiner Ansicht die NUB-Richtlinien
unmittelbare Wirkung auch für die Versicherten entfalten. Das Bundessozialgericht
erläuterte in diesem Urteil ausführlicher als in der Entscheidung 1 RK 28/95, warum
das System kollektivvertraglicher Normsetzung nicht dem Bereich der autonomen
Rechtsetzung zugeordnet werden könne: Beim Abschluss der Vereinbarungen und
im Rahmen der ergänzenden Beschlüsse des Bundesausschusses über die vertrags-
ärztliche Versorgung seien die Kassenärztlichen Vereinigungen und die Verbände
der Krankenkassen gezwungen, einen Interessenausgleich mit der jeweils anderen
Seite zu finden; sie könnten somit gerade nicht autonom über die eigenen Belange
entscheiden. Die Normsetzungsverträge des Vertragsarztrechts könnten hinsichtlich
der verfassungsrechtlichen Bewertung auch nicht den Tarifverträgen des Arbeitsrechts gleichgestellt werden.
II. Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung und Verfassungsrecht:
Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Dezember 2005 - 1 BvR
347/98, BVerfG SozR 4-2500 § 27 SGB V Nr. 5 = BVerfGE 115, 25
Am 6. Dezember 2005 hat der Erste Senats des Bundesverfassungsgerichts über die
Verfassungsbeschwerde des Klägers, dessen Begehren vom Bundessozialgericht mit
Urteil vom 16. September 1997 - 1 RK 28/95 zurückgewiesen worden war, entschieden. Es handelt sich dabei um die erste Senatsentscheidung, die sich zur grund-
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Der Gemeinsame Bundesausschuss gestaltet wesentlich den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Seine demokratische Legitimation wurde in der Vergangenheit intensiv und kontrovers diskutiert.
Der Autor hat die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur demokratischen Legitimation eingehend ausgewertet und daraus ein neues, praxisgerechtes Legitimationsmodell für den Gemeinsamen Bundesausschuss nach dem SGB V entwickelt. Die bei dieser Betrachtung berücksichtigten, zahlreichen rechtlichen Parameter sind differenziert, objektivierbar und generalisierbar herausgearbeitet. Nicht zuletzt deshalb erweist sich die Arbeit auch für andere Verwaltungsformen außerhalb der klassischen, ministerial gesteuerten Verwaltung als aufschlussreich. Für diese „unkonventionellen“ Verwaltungstypen darf an der in ununterbrochenen Legitimationsketten verhafteten Dogmatik nicht mehr festgehalten werden. Die flexiblen verfassungsrechtlichen Vorgaben lassen es vielmehr zu, pragmatische Erwägungen in angemessener Weise zu berücksichtigen, wobei der Autor auf seine Erfahrungen als Sozialrichter zurückgreifen konnte.