Erster Teil. Die Rechtslage vor der Zivilprozeßrechtsreform im Jahr 2001
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§ 3 Die Parteivernehmung
Die Parteivernehmung wird als Beweismittel zur Feststellung streitigen Sachverhaltes herangezogen, wenn andere Beweismittel nicht zur Verfügung stehen oder diese
nicht ausreichen, um den vollständigen Beweis der bestrittenen Tatsachenbehauptung zu erbringen. Sie wird deshalb auch als subsidiäres Beweismittel bezeichnet75.
Die gesetzlichen Regeln über die Parteivernehmung wurden durch das Zivilprozeßreformgesetz von 2001 nicht geändert. Erwähnung verdienen sie in diesem Zusammenhang deshalb, weil auch dieses Beweismittel vom Gericht von Amts wegen
erhoben werden kann und sich die entsprechenden Regeln zum Vergleich mit den
§§ 142, 144 ZPO a.F. anbieten.
A. Der Beweisantritt durch eine Partei
I. Die Vernehmung der nicht beweisbelasteten Partei
Der Beweisantritt auf Antrag einer Partei folgt den Regeln der §§ 445 ff. ZPO. Der
Beweisführer kann den Beweis durch den Antrag antreten, seinen Gegner über die
streitige Tatsachenbehauptung vom Gericht vernehmen zu lassen, soweit ihr der
Beweis mit den sonst vorhandenen Beweismitteln bisher nicht vollständig gelungen
ist bzw. andere Beweismittel nicht zur Verfügung stehen, § 445 Abs. 1 ZPO. Eine
Vernehmung der nicht beweisbelasteten Partei auf ausschließlich eigenen Wunsch
ist von der ZPO dagegen nicht vorgesehen.
Der Beweisgegner kann gegen seinen Willen nicht zur Aussage gezwungen werden. Weigert er sich jedoch, sich vernehmen zu lassen, so steht es dem Gericht
gem. § 446 ZPO a.F. frei, im Wege der Beweiswürdigung die vom Beweisführer
behauptete Tatsache als erwiesen anzusehen. Dasselbe gilt gem. § 453 Abs. 2 ZPO,
wenn die zu vernehmende Partei es ablehnt, sich beeiden zu lassen. Im Gegensatz
zu den Regeln des Augenscheinsbeweises vor der Reform 2001 enthielt die gesetzliche Regelung über die Parteivernehmung bereits seit ihrer Einführung im Jahr
193376 eine Sanktionsnorm für den Fall der Weigerung der nicht beweisbelasteten
Partei, an der Beweisführung mitzuwirken.
II. Die Vernehmung des Beweisführers
Auch die Aussage des Beweisführers selbst kann auf eigenen oder auf Antrag des
Gegners zum Beweismittel gemacht werden. Seine Vernehmung ist jedoch nur
dann möglich, wenn er selbst und der Prozeßgegner damit einverstanden sind,
§ 447 ZPO. Die beweisführende Partei kann demnach auf Antrag ihres Gegners
nicht gegen ihren Willen vernommen werden.
75 Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozeßrecht, 15. Aufl., S. 729; Thomas/Putzo-Reichold, 28. Aufl.,
§ 445, Rn. 2.
76 Vgl. hierzu unten Zweiter Teil.§ 2A.III.4.
§ 4 Der Zeugenbeweis
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B. Die Vernehmung von Amts wegen gem. § 448 ZPO
Das Gericht kann gem. § 448 ZPO grundsätzlich ohne Rücksicht auf die Beweislast
jede der Parteien oder auch die Vernehmung beider Parteien von Amts wegen
anordnen. Im Gegensatz zu den Anordnungen nach § 142 ZPO und § 144 ZPO
dient die Parteivernehmung von Amts wegen jedoch ausschließlich dem Beweis
streitiger Tatsachen. Will das Gericht die Parteien hören, um undeutlichen oder
lückenhaften Sachvortrag zu klären, so hat es gem. § 141 ZPO vorzugehen.
Voraussetzung für die Vernehmung von Amts wegen ist gem. § 448 ZPO, daß
das Ergebnis der Verhandlungen und einer etwaigen Beweisaufnahme für das Gericht noch nicht ausreicht, um seine Überzeugung von der Wahrheit oder Unwahrheit einer zu erweisenden Tatsache zu begründen. Über den Wortlaut des Gesetzes
hinaus hält die ganz herrschende Meinung in Rechtsprechung und Literatur zum
Zeitpunkt der Vernehmung eine gewisse Anfangswahrscheinlichkeit77 für die Richtigkeit der streitigen Behauptung für erforderlich. § 448 ZPO dürfe die beweisbelastete Partei nicht von den Folgen der Beweisfälligkeit befreien78. Mit anderen Worten: Wenn der Beweisführer seine Behauptung nicht mit den ihm zur Verfügung
stehenden Beweismitteln zu beweisen vermag, dann soll das Gericht ihm nicht
dadurch helfen können, daß er sich zum Beweis selbst vernehmen läßt, obwohl
seine Vernehmung gem. § 447 ZPO auf eigenen Antrag hin nur mit Einverständnis
des Gegners möglich wäre79. Stehen sich die Behauptungen der Parteien demnach
gänzlich beweislos gegenüber, kommt eine Vernehmung des Beweisführers von
Amts wegen nach § 448 ZPO nicht in Betracht80.
§ 4 Der Zeugenbeweis
Der Zeugenbeweis bot den Prozeßparteien bis zur Reform im Jahr 2001 die einzige
Möglichkeit, Dritte - unabhängig vom Bestehen materiell-rechtlicher Beziehungen an der Aufklärung streitigen Sachverhaltes zu beteiligen. Die Zivilprozeßordnung
statuiert für den Zeugen eine durch die Reform unverändert gebliebene öffentlichrechtliche Pflicht, am Prozeßtermin zu erscheinen und über seine Wahrnehmungen
betreffend den streitigen Sachverhalt auszusagen. Die Erfüllung dieser Zeugenpflicht kann gem. § 390 ZPO zwangsweise durchgesetzt werden. Der Wahrheitspflicht wird seitens des Gesetzgebers mittels Strafandrohung für den Fall der
Falschaussage Nachdruck verliehen. Mit dem durch diese Pflichten des Zeugen
verbundenen Eingriffen in seine Handlungsfreiheit korreliert eine Reihe von Zeugnisverweigerungsrechten, §§ 383 ff. ZPO, die seine Pflicht zu Aussage entfallen
77 Vgl. BGH NJW 1997, 3230 (3231); Zöller-Greger, 26. Aufl., § 448, Rn. 2; Thomas/Putzo-Reichold, 28.
Aufl., § 448, Rn. 2.
78 Zöller-Greger, 26. Aufl., § 448, Rn. 2.
79 Lange, NJW 2002, 476 (477), weist auf die Tendenz der Gerichte hin, den Beweisführer zunehmend und in verstärktem Maße im Wege der Parteivernehmung an der Sachverhaltsaufklärung
zu beteiligen.
80 Musielak-Huber, 5. Aufl., § 448, Rn. 3; Zöller-Greger, 26. Aufl., § 448, Rn. 4.
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References
Zusammenfassung
Die Modifikation der Vorlagepflichten für Urkunden und Augenscheinsgegenstände im Rahmen der Reform des Zivilprozessrechts im Jahr 2002 hat die Frage aufgeworfen, ob das Discovery-Verfahren nach US-amerikanischem Vorbild Einzug in den deutschen Zivilprozess gehalten hat.
Die Untersuchung zeigt auf, unter welchen Voraussetzungen die Prozessparteien und prozessfremde Dritte aufgrund der novellierten §§ 142 und 144 ZPO zur Vorlage der in ihrem Besitz befindlichen Gegenstände verpflichtet werden können. Die neuen Vorschriften werden auf der Grundlage des überkommenen Systems der Informationsbeschaffung im deutschen Zivilprozess, der bisherigen Novellierungstendenzen sowie vor dem Hintergrund internationaler Entwicklungen eingehend untersucht, um Inhalt, Reichweite und Grenzen der Mitwirkungspflichten zu bestimmen.