69
Auch wenn in derartigen Fällen eines defizitären Gesetzesvollzuges die
Grenze der Verfassungswidrigkeit des Gesetzes erst dann überschritten wird,
wenn die Gleichheit im Belastungserfolg durch die rechtliche Gestaltung des
Erhebungsverfahrens prinzipiell verfehlt wird – übliche Vollzugsmängel also
hinzunehmen sind294 – bleibt es Pflicht des Gesetzgebers, das materielle Steuergesetz in ein normatives Umfeld einzubetten, das die tatsächliche Lastengleichheit der Steuerpflichtigen gewährleistet. Selbst wenn die mit einer
Schwarzhörer- bzw. Schwarzseherquote von ca. 10% zu veranschlagende
Diskrepanz von derzeitiger gesetzlicher Rundfunkgebührenpflicht und tatsächlicher Rundfunkgebührenerhebung noch im verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen liegt, führt die geräteunabhängige Medienabgabe – verglichen
mit dem bisherigen Rechtszustand – doch zu einer deutlich größeren
Deckungsgleichheit von gesetzlichem Abgabentatbestand und behördlichem
Abgabenvollzug. Damit steht die Medienabgabe insoweit den verfassungsrechtlichen Vorgaben des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1
GG deutlich näher als das derzeitige Rundfunkgebührensystem und erscheint
auch von daher vorzugswürdig.
2) Vereinbarkeit mit der allgemeinen Handlungsfreiheit – Art. 2 Abs. 1 GG
a) Eingriff in den grundrechtlichen Schutzbereich
Neben dem Problem der bereits erörterten Belastungsgleichheit stellt sich aus
Sicht der zahlungspflichtigen Haushalts- und Betriebsstätteninhaber in grundrechtlicher Hinsicht auch die Frage, ob die Medienabgabe mit dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar
ist. Dieses Grundrecht schützt im Ansatz jedes menschliche Verhalten vor
staatlichen Eingriffen und garantiert deshalb die allgemeine Handlungsfreiheit einer jeden Person ohne Rücksicht darauf, welches Gewicht der Betätigung für die Persönlichkeitsentfaltung des Grundrechtsträgers zukommt.
Art. 2 Abs. 1 GG fungiert damit als Auffanggrundrecht für den Fall, dass der
Schutzbereich eines spezielleren Freiheitsgrundrechts durch eine bestimmte
staatliche Maßnahme nicht beeinträchtigt wird.295
Im Hinblick auf die Auferlegung staatlicher Abgaben ist umstritten, inwieweit
derartige Geldleistungspflichten möglicherweise eine Beeinträchtigung der
spezielleren Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG darstellen können,
wodurch die Anwendung des subsidiären Art. 2 Abs. 1 GG ausgeschlossen
294 Zuletzt BVerfGE 110, 94 (112 f.).
295 H.-D. Jarass, in: ders./Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, 9. Aufl. 2007, Art. 2 Rn. 2.
70
wäre. Besteht in der jüngeren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts
zwar eine gewisse Tendenz dahingehend, hoheitliche Abgaben unter
bestimmten Voraussetzungen als Eigentumsbeeinträchtigungen anzusehen,296
herrscht dennoch Einigkeit darüber, dass Art. 14 Abs. 1 GG jedenfalls dann
nur einzelne Rechtspositionen, nicht aber das Vermögen als solches
schützt,297 solange die Abgaben keine erdrosselnde Wirkung entfalten.298 Da
die Medienabgabe zweifelsfrei keine erdrosselnde Wirkung hat und sie überdies tatbestandlich nicht an das Innehaben einer bestimmten Eigentumsposition anknüpft, ist ihre verfassungsrechtliche Zulässigkeit somit nicht am
grundrechtlichen Maßstab des Art. 14 Abs. 1 GG sondern nur an Art. 2 Abs. 1
GG zu überprüfen. Hinsichtlich der Abgabepflicht von Betriebsstätteninha bern ist ergänzend anzumerken, dass die Medienabgabe weder rechtlich noch
faktisch eine berufsregelnde Tendenz aufweist und daher wegen ihrer berufsneutralen Zwecksetzung auch nicht an den Maßstäben des Art. 12 Abs. 1 GG
zu messen ist.299
Insofern stellt sich die gesetzliche Anordnung einer Zahlungspflicht für die
Inhaber eines Haushalts bzw. einer Betriebsstätte zur Finanzierung der
»Gesamtveranstaltung Rundfunk« lediglich als ein Eingriff in den Schutzbereich ihrer grundrechtlich verbürgten allgemeinen Handlungsfreiheit dar.
b) Rechtfertigung des Eingriffs
Die allgemeine Handlungsfreiheit reicht nur soweit, wie ihre Nutzung nicht
gegen die verfassungsmäßige Ordnung verstößt. Der Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung wird aufgrund der Entstehungsgeschichte des Grundrechts
aus Art. 2 Abs. 1 GG als verfassungsmäßige Rechtsordnung interpretiert, zu
der alle formell und materiell verfassungsmäßigen Gesetze gehören.300 Die
allgemeine Handlungsfreiheit unterliegt demnach einem einfachen Gesetzesvorbehalt.301 Die Normierung der Medienabgabe in landesgesetzlichen Regelungen, die ihre Grundlagen gegebenenfalls in staatsvertraglichen Vereinba-
296 BVerfG, NJW 2006, S. 1191 ff (1192 ff.).
297 BVerfGE 75, 108 (154); 91, 207 (220).
298 BVerfGE 63, 312 (327); 95, 267 (301).
299 Zum Spektrum relevanter Grundrechtsbeeinträchtigungen bei Art. 12 Abs. 1 GG siehe Tettinger/Mann, in: Sachs (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 4. Aufl. 2007, Art. 12
Rn. 71 ff. Die von S. Jutzi, Informationsfreiheit und Rundfunkgebührenpflicht,
NVwZ 2008, S. 603 ff. neuerdings vertretene Auffassung, dass die derzeitige Rundfunkgebührenpflicht gegen das Grundrecht der Informationsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 Satz 1, 2. Var.
GG) verstoße, wird von Jutzi ausdrücklich auf eine Haushalts- und Unternehmensabgabe
nicht übertragen (608).
300 BVerGE 90, 145 (172); 96, 10 (21); 103, 197 (215).
301 H.-D. Jarass, in: ders./Pieroth, Kommentar zum Grundgesetz, 9. Aufl. 2007, Art. 2 Rn. 17.
71
rungen haben, genügt damit den formalen Anforderungen an den grundrechtlichen Gesetzesvorbehalt.
Zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der Medienabgabe im Hinblick
auf die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG muss die Zahlungspflicht allerdings auch den Voraussetzungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips Rechnung tragen, da dieser Grundsatz auch bei staatlichen Abgabenbelastungen volle Anwendung findet.302 Die Medienabgabe muss demnach
geeignet sein, also in einem sachlichen Zusammenhang zu dem mit ihr verfolgten legitimen Zweck stehen und diesen fördern. Überdies muss sich der
Abgabentatbestand als erforderlich erweisen, d.h., es dürfen keine milderen,
gleich geeigneten Mittel als die vom Gesetzgeber gewählte Medienabgabe zur
Förderung des legitimen Zwecks vorhanden sein. Schließlich muss die Zahlungspflicht aus Sicht der Abgabenbelasteten auch angemessen sein. Die
Medienabgabe darf folglich nach Abwägung der widerstreitenden Individualund Öffentlichkeitsinteressen nicht außer Verhältnis zu dem mit ihr verfolgten
Zweck stehen.303
Wie gezeigt,304 wird mit der Medienabgabe das Ziel verfolgt, die »Gesamtveranstaltung Rundfunk« nach den Vorgaben der grundrechtlichen Rundfunkfreiheit und im Rahmen des rundfunkspezifischen Ausgestaltungsauftrages des Gesetzgebers zu finanzieren. Damit steht die Medienabgabe in sachlichem Zusammenhang zu einem legitimen, im gesamtgesellschaftlichen Interesse liegenden Zweck und fördert diesen. Das KEF-Verfahren zur Ermittlung
der Abgabenhöhe gewährleistet dabei, dass die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nur die funktionsnotwendigen Gelder erhalten, wodurch dem
verhältnismäßigkeitsspezifischen Erforderlichkeitskriterium bereits in prozeduraler Hinsicht Rechnung getragen wird. Durch die den Ländern verfassungsrechtlich eröffnete Möglichkeit, von einem Abgabenvorschlag der KEF
aus Gründen einer unangemessenen Belastung der Abgabepflichtigen abweichen zu können,305 wird überdies gewährleistet, dass die mit der Medienabgabe belasteten Haushalts- und Betriebsstätteninhaber keiner unzumutbar
Zahlungspflicht ausgesetzt werden.
Dieser Aspekt einer nur angemessenen Belastung der Zahlungspflichtigen
setzt freilich im Hinblick auf eine derzeitige Höhe der Rundfunkgebühr von
17,03 monatlich voraus, dass die Anzahl der Haushalts- und Betriebsstätteninhaber nicht wesentlich unter die der bisher gebührenpflichtigen »Bereit-
302 BVerfGE 75, 108 (155 f.); BFHE 141, 369 (384).
303 H.-D. Jarass, in: ders./Pieroth Kommentar zum Grundgesetz, 9. Aufl. 2007, Art. 2 Rn. 21
m.w.N.
304 Siehe oben Teil B. I.
305 Hierzu näher T. Scheel, Die staatliche Festsetzung der Rundfunkgebühr, 2007, S. 104 ff.
72
halter« eines Rundfunkempfangsgeräts sinken darf. Dies wiederum hat auch
Folgen für die an dieser Stelle nicht näher zu erörternde Reichweite der tatbestandlichen Ausgestaltung von »Haushalt« und »Betriebsstätte« als Anknüpfungspunkt der Abgabepflicht. All das ändert aber nichts daran, dass die
Medienabgabe in verfassungsrechtlicher Hinsicht auch mit der grundrechtlichen allgemeinen Handlungsfreiheit der Haushalts- und Betriebsstätteninhaber nach Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar ist.
3) Zwischenergebnis
Die Einführung einer geräteunabhängigen Medienabgabe verletzt keine
grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Abgabepflichtigen. Die
finanzielle Belastung allein der Haushalts- und Betriebsstätteninhaber ist
sachlich durch die Intention einer effizienten und gleichmäßigen Durchsetzung der Abgabepflicht gerechtfertigt und hält sich im Rahmen des dem
Gesetzgeber durch Art. 3 Abs. 1 GG eingeräumten Gestaltungsspielraums.
Die einer individuellen Abgabenbelastung durch Art. 12 Abs. 1, Art. 14
Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG gezogenen Grenzen werden von der Medienabgabe ebenfalls nicht überschritten.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch die Rundfunkgebühr ist in die Kritik geraten und soll nach dem Willen der Länder ab 2013 durch eine andere Form der Finanzierung ersetzt werden. In der Diskussion ist dabei u. a. eine geräteunabhängige Haushalts- und Betriebsstättenabgabe (Medienabgabe), die die Abgabepflicht von jeglichem Geräte- und Gegenleistungsbezug löst und allein an die Innehabung eines Haushalts bzw. einer Betriebsstätte bindet.
Der Autor legt dar, dass es sich bei der Medienabgabe nicht um eine Sonderabgabe handelt, sondern um eine durch die Rundfunkhoheit der Länder sachkompetenziell legitimierte Abgabe, die den rundfunkverfassungsrechtlichen Anforderungen an die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ebenso genügt wie den finanzverfassungs- und grundrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes.
Der Autor ist ordentlicher Professor für Öffentliches Recht an der Universität Hohenheim und seit 1992 Vorstandsmitglied der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg.