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Teil B
Verfassungsrechtliche Anforderungen an eine geräteunabhängige Medienabgabe
Nach Art. 20 Abs. 3 GG und den entsprechenden Normen der Landesverfassungen59 ist die Gesetzgebung an den Vorrang der Verfassung gebunden, mithin auch der (Landes-)Gesetzgeber, der eine Medienabgabe einführen will.
Neben den allgemeinen formellen und materiellen Anforderungen, die das
Verfassungsrecht generell an gesetzlich eingreifende Maßnahmen stellt, sind
dabei vor allem die Vorgaben zu beachten, die das Verfassungsrecht gerade in
Bezug auf den spezifischen Regelungsgegenstand des jeweiligen Gesetzes
vorsieht.
Die Umstellung der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von
der herkömmlichen Rundfunkgebühr auf eine geräteunabhängige Medienabgabe betrifft mit den Sachgebieten »Rundfunk« und »Finanzierung öffentlicher Aufgaben« zwei Regelungsgegenstände, die besonderen verfassungsrechtlichen Vorgaben unterliegen. Die Medienabgabe hat daher zunächst den
spezifisch rundfunkverfassungsrechtlichen Anforderungen Rechnung zu tragen, die die Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG an die Finanzierung
eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks stellt. Darüber hinaus erfordert der
Finanzierungszweck der Medienabgabe, dass auch die finanzverfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes beachtet werden. Schließlich hat die
Medienabgabe wegen ihrer Eingriffsqualität in individuelle Rechtspositionen
der Abgabepflichtigen auch die grundrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen, die vor allem der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG und
die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG aufstellen.
59 Z.B. Art. 25 Abs. 2 bad.-württ. Verf.
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I. Rundfunkverfassungsrechtliche Anforderungen an eine geräteunabhän gige Medienabgabe
Die rundfunkverfassungsrechtlichen Anforderungen an die Finanzierung des
öffentlich-rechtlichen Rundfunks werden im Wesentlichen vom Gedanken
der Programmakzessorietät und Programmneutralität der Finanzierung
bestimmt,60 bedingen also eine Finanzierungsform, die eine funktionsgerechte Finanzausstattung bei gleichzeitiger Wahrung weitgehender Staatsfreiheit sicherstellt.
1) Gebot einer funktionsgerechten Finanzierung des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks
Die grundrechtliche Rundfunkfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verpflichtet den Staat dazu, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk finanziell so auszustatten, dass er seinen verfassungsrechtlich gebotenen Aufgaben nachkommen kann.61
Zu den verfassungsrechtlich gebotenen Aufgaben des öffentlich-rechtlichen
Rundfunks zählt in der heutigen dualen Rundfunkordnung neben der
Gewährleistung des klassischen Grundversorgungsauftrags der gesamte
Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Demnach muss der
öffentlich-rechtliche Rundfunk insbesondere als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung wirken sowie in
seinen Angeboten und Programmen einen umfassenden Überblick über das
internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen
wesentlichen Lebensbereichen geben. Dabei sollen seine Darbietungen der
Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung dienen und insbesondere
auch Beiträge zur Kultur enthalten.62 Letztlich muss der öffentlich-rechtliche
Rundfunk ein Programm anbieten, das den verfassungsrechtlichen Anforderungen gegenständlicher und meinungsmäßiger Vielfalt in vollem Umfange
entspricht.63
60 BVerfGE 90, 60 (103).
61 St. Rspr. des BVerfG; vgl. BVerfGE 74, 297 (324 f., 342); 83, 238 (310); 87, 181 (198); 90,
60 (90); 119, 181 (214); zuletzt BVerfG, Urteil vom 12.3.2008, Az. 2 BvF 4/03, Rz. 88.
62 In diesem Sinne § 11 Abs. 1, 2 RStV in einfachgesetzlicher Fortschreibung des verfassungsrechtlich vorgegebenen Funktionsauftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
63 BVerfGE 87, 181 (198 f.); 90, 60 (90).
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Diesen verfassungsrechtlich vorgegebenen Zusammenhang von Funktionsauftrag und funktionsgerechter Finanzausstattung formuliert § 12 Abs. 1
RStV deklaratorisch dahingehend, dass die Finanzausstattung den öffentlichrechtlichen Rundfunk in die Lage zu versetzen hat, seine verfassungsmäßigen
und gesetzlichen Aufgaben zu erfüllen und überdies den Bestand und die Ent wicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu gewährleisten. Konsequenz dieses Junktims ist eine finanzielle Gewährleistungspflicht der (kompetenziell zuständigen) Länder für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. 64
2) Gebot der Staatsfreiheit des Rundfunks
Das Rundfunkverfassungsrecht ist neben dem Gebot einer funktionsgerechten Finanzierung geprägt vom Strukturprinzip der Staatsfreiheit des Rundfunks.65
Die verfassungsrechtlich gebotene Staatsfreiheit des Rundfunks ist auch für
die nähere Ausgestaltung der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks von Relevanz, da nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts
Finanzierungsentscheidungen des Staates ein besonders wirksames Mittel zur
indirekten Einflussnahme auf die Programmgestaltung der Rundfunkanstalten
und damit auch die Konkurrenzfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind. Folglich verlangt die Rundfunkfreiheit Sicherungsmechanismen,
die den öffentlich-rechtlichen Rundfunk effektiv davor schützen, dass Ent scheidungen der Länder über die Finanzausstattung zu politischen Einflussnahmen auf das Programm genutzt werden.66 Diesen verfassungsrechtlichen
Vorgaben einer strikten Trennung von medienpolitischen Entscheidungen
und solchen der Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
wird de lege lata durch das mehrstufige Gebührenfestsetzungsverfahren unter
maßgeblicher Einbindung der unabhängigen KEF Rechnung getragen,
wodurch dem Entscheidungsspielraum der Länder bei der staatlichen Gebührenfestsetzung enge Grenzen gesetzt werden.67
64 Zu dieser Gewährleistungspflicht BVerfGE 87, 181 (198).
65 Dazu näher T. Scheel, Zur Staatsfreiheit des Rundfunks – Grundlagen und Grenzen eines
Strukturprinzips am Beispiel der Aufsichtsgremienbesetzung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten, in: FS Dittmann, 2005, S. 29 ff.
66 BVerfGE 90, 60 (90 ff.); BVerfGE 119, 181 (221).
67 Hierzu näher F. Ossenbühl, Rechtsfragen zur Festsetzung der Rundfunkgebühr, Rechtsgutachten, 2003, S. 30 ff.; kritisch T. Scheel, Die staatliche Festsetzung der Rundfunkgebühr,
2007, S. 113 ff., S. 141 ff., S. 149 ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks durch die Rundfunkgebühr ist in die Kritik geraten und soll nach dem Willen der Länder ab 2013 durch eine andere Form der Finanzierung ersetzt werden. In der Diskussion ist dabei u. a. eine geräteunabhängige Haushalts- und Betriebsstättenabgabe (Medienabgabe), die die Abgabepflicht von jeglichem Geräte- und Gegenleistungsbezug löst und allein an die Innehabung eines Haushalts bzw. einer Betriebsstätte bindet.
Der Autor legt dar, dass es sich bei der Medienabgabe nicht um eine Sonderabgabe handelt, sondern um eine durch die Rundfunkhoheit der Länder sachkompetenziell legitimierte Abgabe, die den rundfunkverfassungsrechtlichen Anforderungen an die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ebenso genügt wie den finanzverfassungs- und grundrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes.
Der Autor ist ordentlicher Professor für Öffentliches Recht an der Universität Hohenheim und seit 1992 Vorstandsmitglied der Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg.