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D. Regelung zum Status der neuen Mitgliedstaten im Hinblick
auf die WWU im Beitrittsvertrag
I. Möglicher Status nach dem EG-Vertrag
Aus dem dritten Kapitel ergibt es sich, dass die Stellung der Mitgliedstaaten im Bereich der währungspolitischen Integration de lege lata (und abgesehen von den besonderen und individuellen Sonderregelungen Dänemarks und des Vereinigten
Königreichs)1236 nur zweifach sein kann.1237 Zum einen sieht der EG-Vertrag vor, dass
die Mitgliedstaaten die notwendigen Voraussetzungen erfüllen und folglich den Euro
einführen (Art. 121 Abs. 4 i.V.m. Art. 123 Abs. 4 EGV). Zum anderen sind Mitgliedstaaten, die die Voraussetzungen nicht erfüllen, von einer Ausnahmeregelung betroffen
(Art. 122 Abs. 1 UAbs. 2 EGV).
II. Optionen für beitrittswillige Staaten
Die Ausgestaltung des Verfahrens und der Kriterien für die Einführung des Euro in
Art. 121 und 122 EGV hat zur Folge, dass ihre Anwendung auf Nicht-Mitgliedstaaten,
etwa Beitrittskandidaten, nicht denkbar ist.1238 Zu beachten ist insbesondere, dass eines der Konvergenzkriterien die Teilnahme an einem Wechselkursmechanismus ist
und diese vor dem Beitritt nicht möglich ist.1239 Dementsprechend waren weder die
Kommission noch die EZB verp? ichtet, den durch die Beitrittskandidaten erreichten
Konvergenzgrad zu prüfen.1240 Aus diesen Gründen wäre die Einführung des Euro
durch einen – am 1. Mai 2004 oder später – beitretenden Staat zum Zeitpunkt seines
EU-Beitritts nicht nur aus der ökonomischen, sondern auch aus der rechtlichen Perspektive als problematisch anzusehen.1241 Diese Feststellung kann nichtsdestoweniger
nicht darüber hinwegtäuschen, dass insbesondere die fehlende wirtschaftliche Fähigkeit zur Übernahme des Euro einen zeitgleichen Beitritt der MOEL zur EU und zum
Euro-Währungsgebiet unwahrscheinlich machte.1242 Im Dokument „Agenda 2000“
stellte die Kommission Folgendes fest: „Was die angestrebte Wirtschafts- und Wäh-
1236 Zur Situation Dänemarks und des Vereinigten Königreichs in der WWU supra (Kap. 3 Abschn.
A. III.).
1237 S. auch Commission (DG Economy and Finance), in: dies. (Hrsg.), Enlargement Paper, Nr. 1,
Mai 2000, S. 36.
1238 S. Commission (DG Economy and Finance), Enlargement argumentaire, Enlargement Paper
Nr. 5, September 2001, S. 28. Ähnlich J. Beutel, Differenzierte Integration in der Europäischen
Wirtschafts- und Währungsunion, 2006, S. 32.
1239 S. P. Backé/ I. Lindner, in: OeNB (Hrsg.), FoT 2/1996, S. 31; U. Häde, in: CR, Art. 122 EGV,
Rn. 36. Zur Teilnahme am Wechselkursmechanismus noch infra (Kap. 5 Abschn. C. V. 3.).
1240 In diesem Sinne Kommission, Gesamtdokument: Berichte über die von den einzelnen Ländern
Mittel- und Osteuropas erzielten Fortschritte auf dem Weg in die EU, 1998, S. 15.
1241 Vgl. Kommission, Auf dem Weg zur erweiterten Union. Strategiepapier und Bericht über die
Fortschritte jedes Bewerberlandes auf dem Weg zum Beitritt, 2002; J. Beutel, Differenzierte
Integration in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, 2006, S. 32f.
1242 In diesem Sinne bereits P. Backé/ I. Lindner, in: OeNB (Hrsg.), FoT 2/1996, S. 31f.
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rungsunion anbelangt, so ist es unwahrscheinlich, dass die beitrittswilligen Länder in
der Lage sein werden, sich zeitgleich mit dem Beitritt dem Euro-Gebiet anzuschließen.“1243 Ähnliches ergab sich aus den Stellungnahmen der Kommission zu den
Beitrittsanträgen.1244 Insgesamt schien damals allerdings ein zeitgleicher Beitritt zur
EU und zum Euro-Währungsgebiet (noch) nicht ausgeschlossen zu sein.1245
Der Vertrag von Maastricht hat den Eintritt der der Union nach dem Beginn der
dritten Stufe beitretenden Staaten in die WWU nicht berücksichtigt. Ebenso wenig
haben sich die darauf folgenden Vertragsreformen (von Amsterdam, von Nizza, Verfassungsvertrag, von Lissabon) mit der möglichen Ausgestaltung eines Verfahrens zur
Übernahme der einheitlichen Währung durch neue Mitgliedstaaten beschäftigt. Mangels einer diesbezüglichen Vertragsregelung hätten sich die der EU 2004 beigetretenen
Staaten in einer Situation sui generis im Hinblick auf die WWU be? nden müssen.1246
Deswegen konnte man davon ausgehen, dass den neuen Mitgliedstaaten eine Ausnahmeregelung im Beitrittsvertrag zu gewähren sein wird.1247 Wenngleich sich auch die
Frage nach der Möglichkeit einer besonderen Regelung im Hinblick auf die WWU
(Stichwort „Opt-out“) hätte stellen können,1248 spielten etwaige politischen Überlegungen letztendlich keine Rolle bei den Beitrittsverhandlungen im Bereich der
WWU.1249 Bereits im Juni 1993, also noch vor dem Inkrafttreten des Maastrichter
Vertrags und noch in der ersten Stufe der WWU, hat der Europäische Rat die Anerkennung der Ziele der politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion als
eine der Beitrittsvoraussetzungen genannt.1250 Dies konnte als politisches Signal seitens der damaligen EWG angesehen werden, dass etwaige Opt-outs im WWU-Bereich
ausgeschlossen werden.1251 Dementsprechend wurden während der Beitrittsverhandlungen keine der „Freistellung“ Dänemarks oder der Sonderstellung des Vereinigten
Königreichs vergleichbaren Opt-out-Klauseln in Betracht gezogen.1252 Bemerkens-
1243 S. Kommission, Agenda 2000, S. 49 (Bd. I, Zweiter Teil, Abschn. I. 3. „Die Ziele der politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion“).
1244 Stellvertretend die Stellungnahme zum Beitrittsantrag Ungarns vom 15. Juli 1997, Brüssel,
DOC/97/13, Abschn. 3.3: „Noch lässt sich nicht beurteilen, ob Ungarn zum Zeitpunkt des Beitritts auch der Euro-Zone beitreten kann.“
1245 Das bemerken auch S. Dvorsky u.a., in: OeNB (Hrsg.), FoT 2/1998, S. 56f.
1246 Commission (DG Economy and Finance), in: dies. (Hrsg.), Enlargement Paper, Nr. 1, Mai
2000, S. 36. In diesem Sinne auch S. Brinster, Eintritt in die Europäische Wirtschafts- und
Währungsunion, 2006, S. 440, 495ff.
1247 Ebd.. Vgl. auch, zur Möglichkeit der Gewährung der Ausnahmeregelung an die der EU beitretenden Staaten auf der Grundlage des Art. 122 EGV: U. Häde, in: CR, Art. 122 EGV, Rn. 36.
1248 S. zur Möglichkeit der Gewährung eines Opt-outs von der WWU an einen Beitrittsstaat:
S. Mohamed, in: LIEI 1997, S. 12; T. Oppermann, Europarecht, 1999, Rn. 1846.
1249 In diesem Sinne K. Inglis, in: CML Rev. 2004, S. 939, 947.
1250 Supra (Abschn. B. I.).
1251 Ähnlich M. Cremona, in: W. Czapli?ski (Hrsg.), Poland’s Way to the EU, 2002, S. 263f. S. auch
F. Hoffmeister, in: A. Ott/ K. Inglis (Hrsg.), Handbook on European Enlargement, 2002, S. 98.
1252 S. Commission (DG Economy and Finance), Enlargement argumentaire, Enlargement Papers,
Nr. 5, September 2001, S. 28 („No candidate country will have an opt-out clause from
EMU“).
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werterweise hat darum auch keines der Beitrittsländer nachgesucht.1253 Im Gegenteil,
das Ziel der WWU wurde in den entsprechenden Verhandlungspositionen vorbehaltlos
akzeptiert.1254 Beitrittsverhandlungen im Rahmen des Verhandlungskapitels Nr. 11
betreffend „Wirtschafts- und Währungsunion“ verliefen unter der Annahme, dass den
Beitrittsstaaten eine Ausnahmeregelung gewährt wird.1255 Sie haben in der zweiten
Hälfte 1999 (mit Estland, Polen, Slowenien, Tschechien und Ungarn) bzw. in der
zweiten Hälfte 2000 (mit Lettland) bzw. in der ersten Hälfte 2001 (mit Litauen und der
Slowakei) begonnen und sind entsprechend Ende 1999 bzw. Ende 2000 bzw. in der
ersten Hälfte 2001 vorläu? g abgeschlossen worden.1256 Die Beitrittsverhandlungen
sind im Dezember 2002 abgeschlossen worden.1257
III. Einschlägige Regelung im Beitrittsvertrag 2003
Der Vertrag über den EU-Beitritt der hier interessierenden Staaten aus Mittel- und Osteuropa, also der „Vertrag zwischen dem Königreich Belgien, dem Königreich Dänemark, der Bundesrepublik Deutschland, der Hellenischen Republik, dem Königreich
Spanien, der Französischen Republik, Irland, der Italienischen Republik, dem Großherzogtum Luxemburg, dem Königreich der Niederlande, der Republik Österreich, der
Portugiesischen Republik, der Republik Finnland, dem Königreich Schweden, dem
Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland (Mitgliedstaaten der Europäischen Union) und der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik
Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien, der Slowakischen Republik über den Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik
Zypern, der Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur Europäischen Union“ (im Folgenden Beitrittsvertrag 2003) wurde am 16.
April 2003 in Athen unterzeichnet.1258 Entsprechend der Praxis der Beitritte ist dem
1253 U. Schröder, in: Integration 2001/2002, S. 195.
1254 Stellvertretend die Verhandlungsposition Polens im WWU-Bereich (angenommen vom Ministerrat der Republik Polen am 26. Januar 1999) und Anhang (angenommen vom Ministerrat der
Republik Polen am 6. Februar 2001), veröffentlicht in englischer Sprache in: Government Plenipotentiary for Poland‘s Accession Negotiations to the European Union. Chancellery of the
Prime Minister of the Republic of Poland (Hrsg.), Poland’s Position Papers for the Accession
Negotiations with the European Union, 2. Au? ., Mai 2001, S. 291ff.
1255 Um die Beitrittsverhandlungen zu erleichtern, wurde der Acquis im Jahre 1998 in 31 Sachbereiche (Verhandlungskapitel) eingeteilt. S. dazu W. Meng, in: GS, Art. 49 EUV, Rn. 50, 79.
Ausführliche Analyse der einzelnen Verhandlungskapitel ist zu ? nden in: Commission (DG
Enlargement), Enlargement of the European Union. Guide to the Negotiations Chapter by
Chapter, Dezember 2004 (im Folgenden: „Commission, Guide to the Negotiations, 2004”).
1256 S. Commission, Guide to the Negotiations, Dezember 2004, S. 41f.
1257 S. Europäischer Rat von Kopenhagen, 12.-13. Dezember 2002, Schlussfolgerungen des Vorsitzes, abgedruckt in: Bull. EG 12-2002, Ziff. I.3.
1258 ABl. 2003 Nr. L 236/1.
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eigentlichen Beitrittsvertrag (Beitrittsvertrag sensu stricto) eine Akte über die Bedingungen des Beitritts der beitretenden Staaten und die aufgrund des Beitritts notwendigen Anpassungen der die Europäische Union begründenden Verträge (im Folgenden:
Beitrittsakte 2003) beigefügt.1259 Die Bestimmungen der Beitrittsakte sind Bestandteil
des Beitrittsvertrags sensu largo.1260 Beitrittsverträge haben einen primärrechtlichen
Status.1261
In Bezug auf die WWU besagt die Beitrittsakte 2003 in Art. 4, dass „jeder neue
Mitgliedstaat ab dem Tag seines Beitritts als Mitgliedstaat, für den eine Ausnahmeregelung im Sinne des Artikels 122 des EG-Vertrags gilt, an der Wirtschafts- und Währungsunion teil[nimmt]“. Der Beitrittsvertrag 2003 fügt folglich keine neue Kategorie
zu den oben erwähnten möglichen Stellungen im Hinblick auf die WWU1262 hinzu,
sondern gewährt den Beitrittsstaaten eine Ausnahmeregelung und zwar so wie sie im
EG-Vertrag ausgestaltet ist.1263 Während für die alten Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung Art. 122 Abs. 1 UAbs. 2 EGV Grundlage für die Gewährung der Ausnahmeregelung darstellte,1264 ist es im Falle der neuen Mitgliedstaaten die betreffende Regelung des Beitrittsvertrags.
Bemerkenswert ist am Wortlaut des Art. 4 der Beitrittsakte 2003, dass danach die
neuen Mitgliedstaaten an der WWU teilnehmen. Somit wird implizit die Notwendigkeit der Unterscheidung zwischen den einzelnen WWU-Stufen aufgegeben. Auch die
Beitrittsstaaten be? nden sich ab dem Zeitpunkt des EU-Beitritts in der Endstufe der
WWU.1265
E. Implikationen der Gewährung der Ausnahmeregelung im
Beitrittsvertrag
Gem. Art. 4 der Beitrittsakte 2003 nehmen die neuen Mitgliedstaaten ab dem Tag des
Beitritts als Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung i.S.v. Art. 122 EGV an der WWU
teil. Der Status der Mitgliedstaaten mit Ausnahmeregelung wurde im Einzelnen im
dritten Kapitel dargestellt. Es bedeutet im Allgemeinen, dass diese Staaten ihre währungspolitische Souveränität behalten, die einheitliche Währung nicht einführen und
1259 Allgemein zur Struktur und zum Inhalt der Beitrittsverträge: M. Pechstein/ Ph. Kubicki, in: W.
Czapli?ski (Hrsg.), Poland’s Way to the European Union, 2002, S. 241. Zur Struktur des Beitrittsvertrags 2003: M. Niedobitek, in: JZ 8/2004, S. 370f.; J. Barcz, in: ders. (Hrsg.), Prawo
Unii Europejskiej [EU-Recht], 2004, S. 465ff.
1260 Art. 1 Abs. 2 Beitrittsvertrag 2003 (ABl. 2003 Nr. L 236/1).
1261 S. EuGH, verbundene Rechtssachen C-63/90 und C-67/90 (Portugal und Spanien/ Rat) Slg.
1992, I-5073, Rn. 49.
1262 Supra (Kapitel 3 Abschn. A. I.).
1263 Dieselbe Lösung wurde auch bei der EU-Erweiterung um Rumänien und Bulgarien angewandt.
S. Art. 5 der Beitrittsakte 2005 (ABl. 2005 Nr. L 157/204).
1264 Supra (Kapitel 3 Abschn. A. II. 1.).
1265 So auch Ch. Zilioli/ M. Selmayr, The Law of the European Central Bank, 2001, S. 144; E. Lannon, in: Cahiers de droit européen, 2004, S. 45f.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im Zuge der EU-Osterweiterung 2004 wurde die Gemeinschaftswährung noch nicht in den neuen Mitgliedstaaten eingeführt. Die EU ist daher gespalten in Mitgliedstaaten, die bereits am Euro teilnehmen, und Länder, die noch nicht zur Eurozone gehören.
Der EG-Vertrag verpflichtet aber alle Mitgliedstaaten, unabhängig von der Einführung des Euro, die jeweilige nationale Zentralbanksatzung an das Gemeinschaftsrecht anzupassen. Diese Pflicht und die daraus resultierende rechtliche Integration der nationalen Zentralbanken in ein europäisches System stehen im Zentrum der Arbeit. Was ist der konkrete Umfang der Anpassungspflicht? Zu welchem Zeitpunkt ist sie zu erfüllen? Welche Rolle spielt sie im Kontext des Beitrittsprozesses? Welche Rolle spielt sie im Kontext der Konvergenzkriterien? Welche Neuerungen wird der Vertrag von Lissabon bringen? Diese Fragestellungen bieten einen Einblick in den facettenreichen Gegenstand der Untersuchung.