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für die Prüfung der Vereinbarkeit der innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit dem Vertrag wurden in ihren Konvergenzberichten von 1996 und 1998 dargestellt.348
Die Ausarbeitung und Anwendung eines klaren Analyseschemas für die rechtliche
Konvergenz lässt sich als Umsetzung des Grundsatzes der Gleichheit der Mitgliedstaaten vor dem Gemeinschaftsrecht349 ansehen, da dadurch die Beurteilung der Konformität der Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten mit dem Vertrag anhand
gleicher Kriterien erfolgen kann. Dementsprechend basieren die nach dem Beginn der
dritten Stufe der WWU erstellten Konvergenzberichte auf dem gleichen Ansatz wie
diejenigen vom Jahre 1998.350 Auch die Tatsache, dass die rechtliche Konvergenz von
zwei Gemeinschaftsinstitutionen parallel zu examinieren ist, bevor der Rat nach Art.
121 Abs. 2-4 und 122 Abs. 2 EGV entscheidet, ist als zur Gründlichkeit und Fairness
der Konvergenzprüfung beitragend zu verstehen.351 Die Berichtsp? icht der Kommission nach Art. 121 Abs. 1 EGV lässt sich insbesondere auf deren Rolle als „Hüterin
der Verträge“ gem. Art. 226 EGV zurückführen.352 Die Einbeziehung sowohl der
Kommission als auch des EWI bzw. später der EZB in die Konvergenzprüfung spiegelt darüber hinaus nicht zuletzt die Präsenz und das Zusammenspiel beider Institutionen in der Ausgestaltung der WWU im EG-Vertrag wider.353
C. Umfang der Anpassungsp? icht aus Art. 109 EGV
I. Anpassungsmaßstab
Nach Art. 109 EGV und Art. 14.1 ESZB-Satzung sollen innerstaatliche Rechtsvorschriften in Einklang mit dem Vertrag und der Satzung gebracht werden. Der Umfang
der Anpassungsp? icht wird damit sehr allgemein formuliert. Der Wortlaut dieser Vorschriften könnte dabei darauf hinweisen, dass es sich um eine generelle P? icht der
Mitgliedstaaten handelt, nationales Recht in Einklang mit dem Vertrag zu bringen. Jedoch erwähnt Art. 109 EGV neben dem Vertrag ausdrücklich auch die Satzung des
348 Kommission, Konvergenzbericht 1996, S. 2ff.; Kommission, Konvergenzbericht 1998, S. 32ff.;
jeweils einschlägig ist Kapitel 2 „Vereinbarkeit der innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit
dem EG-Vertrag und der Satzung des ESZB“.
349 Auf diesen Grundsatz weist der EuGH insbesondere im Kontext der Klagen nach Art. 226 EGV
hin. S. u.a. EuGH Rs. 39/72 (Kommission/ Italienische Republik), Slg. 1973, 101ff., Rn. 24;
EuGH Rs. 128/78 (Kommission/ Vereinigtes Königreich), Slg. 1979, 419ff., Rn. 12.
350 S. Kommission, Konvergenzbericht 2000, S. 8 und 52. Vgl. auch EZB, Konvergenzbericht
2000, S. 2 und 68; EZB, Konvergenzbericht Dezember 2006, S. 26f. (Abschn. 2.1.1).
351 In diesem Sinne auch H. Kortz, Die Entscheidung über den Übergang in die Endstufe der Wirtschafts- und Währungsunion, 1996, S. 141; S. Brinster, Eintritt in die Europäische Wirtschaftsund Währungsunion, 2006, S. 417.
352 M. Selmayr, Das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion, 2002, S. 283f.
353 S. zur Kompetenzverteilung zwischen der Kommission und dem EWI in der zweiten WWW-
Stufe: U. Häde, in: EuZW 1994, S. 685ff. Zur Kompetenzverteilung zwischen der Kommission
und dem EWI/ der EZB im Kontext der Überwachung der rechtlichen Konvergenz: M. Selmayr, Das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion, 2002, S. 283ff.
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ESZB als Anpassungsmaßstab. Dies wäre strikt genommen nicht notwendig, da die
ESZB-Satzung in einem dem EG-Vertrag angehängten Protokoll enthalten und somit
gem. Art. 311 EGV Bestandteil des EG-Vertrags ist. Ähnlich wird in Bezug auf den
Anpassungsgegenstand die Satzung der jeweiligen nationalen Zentralbank in Art. 109
EGV besonders hervorgehoben. Darüber hinaus ist die systematische Stellung des Art.
109 EGV im Titel über die „Wirtschafts- und Währungspolitik“ zu berücksichtigen. In
Verbindung mit dem angegebenen Termin („spätestens zum Zeitpunkt der Errichtung
des ESZB“) ergibt sich, dass die Anpassung der nationalen Rechtsvorschriften im Zusammenhang mit dem Übergang in die Endstufe der WWU erfolgen soll.354 Nach alledem ist davon auszugehen, dass für den Umfang der Anpassungsp? icht die Vertragsregelungen maßgebend sind, die im Einzelnen das ESZB und die Einführung der gemeinsamen Währung betreffen.355 Zweifellos gilt dabei dem Notenbankrecht ein
besonderes Augenmerk.356 Auf diesem in der vorliegenden Arbeit besonders interessierenden Bereich konzentriert sich die folgende Analyse.
Eine ausdrückliche P? icht der Mitgliedstaaten zur Rechtsanpassung, so wie sie in
Art. 109 EGV verankert ist, ist ansonsten nirgendwo im Vertrag zu ? nden. Aus der
ständigen Rechtsprechung des EuGH ergibt sich, dass das Verhältnis zwischen dem
nationalen und dem Gemeinschaftsrecht durch die Prinzipien der unmittelbaren Geltung und des Vorrangs der Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts vor dem nationalen Recht geprägt ist.357 Dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts zufolge sind die innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, die dem Gemeinschaftsrecht entgegenstehen, unanwendbar.358 Dies gilt selbstverständlich auch im Hinblick auf das
nationale Notenbank- und Währungsrecht. Nichtsdestoweniger verlangt der Vertrag in
Art. 109 EGV ausdrücklich eine formelle Anpassung359 in dem erwähnten Bereich und
354 S. EWI, Konvergenzbericht 1998, S. 305; E. Gnan/ H. Wittelsberger, in: GS, Art. 109 EGV,
Rn. 18.
355 S. E. Gnan/ H. Wittelsberger, in: GS, Art. 109 EGV, Rn. 18; M. Selmayr, Das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion, 2002, S. 282. Vgl. auch B. Kempen, in: R. Streinz, EUV/EGV,
2003, Art. 109 EGV, Rn. 1; U. Häde, in: CR, 3. Au? ., Art. 109 EGV, Rn. 3-5.
356 In diesem Sinne wohl M. Potacs, in: J. Schwarze, EU-Kommentar, Art. 109 EGV, Rn. 1.
357 Die Prinzipien der unmittelbaren Geltung und des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts wurden
vom EuGH vor über vierzig Jahren entwickelt. Grundlegend waren folgende Entscheidungen
des EuGH: EuGH Rs. 26/62, van Gend&Loos, Slg. 1963, 1, 24 ff. und EuGH Rs. 6/64, Costa/
ENEL, Slg. 1964, 1251, 1269ff. Diese Prinzipien basieren auf der grundlegenden Erkenntnis,
dass das Gemeinschaftsrecht eine autonome Rechtsordnung darstellt und sind heute – obwohl
nicht ganz unumstritten in Bezug auf den Vorrang des Gemeinschaftsrechts gegenüber den nationalen Verfassungen – in der Judikatur und Doktrin der Mitgliedstaaten weitgehend anerkannt.
S. dazu z.B. T. Oppermann, Europarecht, 2005, §7, Rn. 2ff. Bemerkenswerterweise schrieb der
Vertrag über die Verfassung für Europa den Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts vor dem
Recht der Mitgliedstaaten in Art. I-6 VerfV ausdrücklich fest. Im Vertrag von Lissabon ? ndet
sich diese oder ähnliche Vorschrift nicht wieder; lediglich wird in einer dem Lissabonner Vertrag
angehängten Erklärung auf die Rechtsprechung des EuGH zum Vorrang verwiesen.
358 EuGH Rs. 106/77, Simmenthal II, Slg. 1978, 629, Rn. 17.
359 S. EWI, Konvergenzbericht 1996, S. 106ff.; EZB, Konvergenzbericht 2004, S. 27 (Abschn.
2.2.2.).
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macht diese Anpassung zudem zu einer der Voraussetzungen für die Einführung des
Euro (Art. 121 Abs. 3 und 4 sowie Art. 122 Abs. 2, jeweils i.V.m. Art. 121 Abs. 1
EGV). Das alles lässt erkennen, dass der Vertrag bei der Verwirklichung und bei dem
Bestehen der Währungsunion einen besonderen Wert auf die Schaffung und Gewährleistung klarer und sicherer Rechtsgrundlagen für das ESZB und die gemeinsame
Währung legt.360 Während Art. 121 Abs. 1 S. 2 EGV auf die Kompatibilität der nationalen Rechtsvorschriften zum Zeitpunkt des Eintritts in die Währungsunion abstellt,
sorgt Art. 109 EGV für ein kontinuierliches In-Einklang-Stehen der nationalen Rechtsvorschriften mit dem Vertrag und der Satzung. Zusätzlich schreibt der Vertrag vor,
dass die Mitgliedstaaten das EWI bzw. seit 1998 die EZB zu allen Entwürfen für
Rechtsvorschriften in Zuständigkeitsbereichen dieser Institutionen gem. Art. 117 Abs.
6 EGV bzw. Art. 105 Abs. 4 UAbs. 1, 2. Spstr. EGV anhören.361
II. Erfordernis der Vereinbarkeit
1. Im-Einklang-Stehen/ Vereinbarkeit
Interessanterweise verlangt der Vertrag nicht die Anpassung der nationalen Zentralbanksatzungen aneinander. Der Vertrag von Maastricht hat vielmehr Grundzüge einer
„idealen“ nationalen Zentralbank vorgegeben, auch wenn das ESZB insgesamt in einzelnen Gesichtspunkten bestimmten existierenden Zentralbanken ähnelt.362 In diesem
Lichte kann die P? icht aus Art. 109 EGV als Folge der Tatsache angesehen werden,
dass es letztendlich kein einheitliches Statut für die nationalen Zentralbanken gibt363.
Nichtsdestoweniger muss das für die gemeinsame Geldpolitik verantwortliche Eurosystem imstande sein, reibungslos und effektiv seine vertragsgemäßen Aufgaben
wahrzunehmen. Dies setzt voraus, dass die Rechtsgrundlagen der nationalen Zentralbanken zu einem notwendigen Grad homogen, ja konvergent, sind.364 Deswegen verp? ichten Art. 109 EGV und der ihm entsprechende Art. 14.1 ESZB-Satzung die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die innerstaatlichen Rechtsvorschriften, einschließlich der Zentralbank-Satzung mit dem EG-Vertrag und der ESZB-Satzung „im
Einklang stehen“. Und Art. 121 Abs. 1 S. 2 EGV, der an die Verp? ichtung aus Art. 109
EGV unmittelbar anknüpft, verlangt, dass die innerstaatlichen Rechtsvorschriften mit
Art. 108 und 109 EGV sowie mit der ESZB-Satzung „vereinbar“ sind. Im einschlägigen englischen und französischen authentischen Text ist die Terminologie in beiden
360 S. M. Selmayr, Das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion, 2002, S. 288ff.; E. Gnan/ H.
Wittelsberger, in: GS, Art. 109 EGV, Rn. 10 i.V.m. 2ff. Vgl. auch B. Kempen, in: R. Streinz
(Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 109 EGV, Rn. 2.
361 Zur Beratungsaufgabe der EZB bereits supra (Kapitel 1 Abschn. E. IV. 1. b.).
362 Dazu supra (Kapitel 1 Abschn. C).
363 S. z.B. R. Kobabe, Zentralbanken in Osteuropa, 1999, S. 71 m.w.N.
364 S. auch E. Gnan/ H. Wittelsberger, in: GS, Art. 109 EGV, Rn. 4; M. Selmayr, Das Recht der
Wirtschafts- und Währungsunion, 2002, S. 289.
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Vertragsvorschriften dagegen einheitlich,365 was die Verbindung zwischen den beiden
Vorschriften auch in grammatikalischer Hinsicht unterstreicht. In jedem Fall weisen
die in den erwähnten Sprachen verwendeten Formulierungen darauf hin, dass keine
„totale“ Harmonisierung i.S. der Rechtsvereinheitlichung notwendig ist.366 Vielmehr
geben sie zu verstehen, dass es darum geht, dass die betreffenden Vorschriften auf der
Gemeinschafts- und der nationalen Ebene parallel und kon? iktlos koexistieren können.367 Art. 109 EGV stellt nach alledem auf eine entsprechende Anpassung der nationalen Rechtsvorschriften an die Vertrags- und Satzungsvorgaben ab. Auf dieser Annahme basieren die Konvergenzberichte des EWI, der EZB und der Kommission.368
2. Unvereinbarkeiten und Unvollkommenheiten
Umgekehrt folgt es aus dem Wortlaut der Art. 109 und 121 Abs. 1 EGV, dass es keine
Bestimmungen in den nationalen Zentralbanksatzungen geben darf, die zum Vertrag
und zur Satzung eindeutig in Widerspruch stehen würden. Zwischen einer eindeutigen
Anpassung und einem eindeutigen Widerspruch erstreckt sich allerdings eine Grauzone. Es handelt sich um Fälle, wo die nationalen Bestimmungen z.B. eine andere Auslegung als die der einschlägigen Vertragsregelung zulassen. Dies lässt sich aber nur
durch eine Prüfung im Einzelfall ermitteln.369 In diesem Zusammenhang unterscheidet
die Kommission in ihren Konvergenzberichten zwischen den (eindeutigen) Unvereinbarkeiten und „Unvollkommenheiten“.370 Bei den letzteren handelt es sich um Fälle,
bei denen eher eine unklare Regelung als eine eindeutig fehlende Vereinbarkeit festgestellt wird und bei denen eine entsprechende Vervollständigung oder Präzisierung
im Sinne der Rechtsklarheit und -sicherheit empfohlen wird, um etwaige mögliche
365 Engl. „compatible“ (Art. 109 EGV) bzw. „compatibility“ (Art. 121 Abs. 1 EGV); franz. „compatibilité“ (Art. 109 EGV) bzw. „compatible“ (Art. 121 Abs. 1 EGV).
366 In diesem Sinne Committee of Governors, Introductory Report, 1990, S. 14.
367 Vgl. DUDEN, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, CD-ROM Ausgabe 2000, wonach die Phrase „etwas in Einklang bringen“ als „aufeinander abzustimmen“ zu verstehen ist
(unter dem Stichwort „Einklang“). Im Concise Oxford English Dictionary (Au? . 2002), ist unter dem Stichwort „compatible“ das Folgende zu lesen: „able to exist or to be used together
without problems or con? ict“ (S. 291). Ähnliches ergibt sich aus dem französischen Wörterbuch Le Petit Robert (Au? . 2002), wo das Stichwort „compatible“ als „qui peut s‘accorder avec
autre chose, exister en même temps“ de? niert wird (S. 488).
368 S. EWI, Konvergenzbericht 1996, S. 106; EWI, Konvergenzbericht 1998, S. 305; EZB, Konvergenzbericht 2000, S. 70; EZB, Konvergenzbericht 2004, S. 26f. Implizit Kommission, die
in ihren Berichten von der „Anpassung“ (engl. „adaptation“) spricht. S. z.B. Kommission, Konvergenzbericht 1998, S. 32 (Abschn. 2.2.); Commission, Convergence report 2004 – Technical
annex, S. 25 (Abschn. 2.1.).
369 Vgl. EWI, Konvergenzbericht 1996, S. 108 („Während einige Bestimmungen in den Satzungen
der nationalen Zentralbanken eindeutig mit dem Vertrag und der Satzung unvereinbar sind, erfordern andere eine zusätzliche Untersuchung, bevor eine abschließende Beurteilung getroffen
werden kann“).
370 S. Kommission, Konvergenzbericht 1998, S. 36 (Abschn. 2.4); Commission, Convergence report 2004 – Technical annex, S. 26 (Abschn. 2.2.1).
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Zweifel an ihrer Vereinbarkeit mit dem Vertrag auszuräumen.371 Im Unterschied zu
den Unvereinbarkeiten führen die Unvollkommenheiten daher nicht zu einer negativen Beurteilung durch die Kommission.372
Dagegen ist keine ähnliche Unterscheidung in den Berichten des EWI und der EZB
zu ? nden. Dies könnte dem bewussten Verzicht beider Einrichtungen entsprechen,
sich zur (Nicht-)Erfüllung der Konvergenzkriterien durch die betreffenden Mitgliedstaaten in ihren Konvergenzberichten ausdrücklich zu äußern.373 Andererseits unterstreichen das EWI und die EZB in ihren Konvergenzberichten, dass die Unvereinbarkeiten unabhängig von ihrer Art zu beseitigen sind,374 was auf ein restriktiveres Verständnis des Begriffs „Vereinbarkeit“ durch beide Institutionen hindeuten kann.375
3. Nationale Besonderheiten
Aus den vorstehenden Abschnitten ergibt sich, dass die Ausgestaltung der Zentralbankgesetze der Mitgliedstaaten nicht identisch sein muss. Die Anpassung der nationalen Zentralbanksatzungen an den EG-Vertrag und die ESZB-Satzung führt allerdings indirekt dazu, dass sich diese auch aneinander annähern.376 Dies gilt im Hinblick
auf die Bereiche, die für die Tätigkeit im ESZB von Bedeutung sind. Denn Art. 109
EGV fordert, dass die nationalen Rechtsvorschriften im Einklang mit dem Vertrag und
der Satzung stehen. Daraus folgt a contrario, dass keine gemeinschaftsrechtliche Anforderungen an die im Vertrag und der Satzung nicht geregelten Bereiche gestellt werden. Hier ist insbesondere Art. 14.4 ESZB-Satzung zu erwähnen, der Bezug auf andere als in der ESZB-Satzung geregelten Aufgaben der nationalen Zentralbanken nimmt.
Es bleibt daher Platz für nationale Traditionen; schließlich haben viele Zentralbanken
in Europa eine längere Geschichte.377 Nationale Besonderheiten kann es schlussfol-
371 Kommission, Konvergenzbericht 1998, S. 36 (Abschn. 2.4); Commission, Convergence report
2004 – Technical annex, S. 26 (Abschn. 2.2.1).
372 S. Kommission, Konvergenzbericht 1998, S. 36 (Abschn. 2.4).
373 Das EWI und die EZB, die im Unterschied zu der Kommission in den Konvergenzverfahren
nach Art. 121 und 122 EGV kein Empfehlungs- oder Vorschlagsrecht haben, konzentrieren sich
in ihren Konvergenzberichten vielmehr auf einer Darstellung der für die Konvergenz einschlägigen ökonomischen und rechtlichen Lage in dem jeweiligen betreffenden Mitgliedstaat.
S. dazu S. Brinster, Eintritt in die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, 2006, S. 70ff.
m.w.N.; B. Angel, in: RMC 2006, S. 453.
374 EWI, Konvergenzbericht 1998, S. 305f.; EZB, Konvergenzbericht Dezember 2006, S. 27
(Abschn. 2.2.2).
375 S. auch S. Brinster, Eintritt in die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, 2006,
S. 234f.
376 Vgl. in diesem Zusammenhang die Rede Willem Duisenbergs: „The euro as a catalyst for legal
convergence in Europe“ (Speech on the occasion of the Annual Conference of the International
Bar Association, Amsterdam) am 17. September 2000, abrufbar unter: http://www.ecb.int/
press/key/date/2000/html/sp000917.en.html.
377 S. z.B. Ch. Goodhart, The Evolution of Central Banks, 1988, S. 105ff. (Appendix: Central
Banks in Europe and Japan at the End of the Nineteenth Century).
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gernd aus Art. 109 EGV wie auch aus Art. 14.4 ESZB-Satzung allerdings nur geben,
solange die nationalen Zentralbanksatzungen dem EG-Vertrag und der ESZB-Satzung
nicht entgegenstehen.378
III. Anpassung an das Sekundärrecht?
Bei der Analyse des Inhalts der Anpassungsp? icht nach Art. 109 und Art. 121 Abs. 1
EGV kann sich die Frage nach der Notwendigkeit der Anpassung des innerstaatlichen
Rechtes an das einschlägige Sekundärrecht der Gemeinschaft stellen. Denn der (Eco-
? n-)Rat und die EZB haben bestimmte Rechtsetzungsbefugnisse im Bereich des Währungs- und Zentralbankrechts.379 Hier ist einerseits zu bemerken, dass die Mitgliedstaaten in Erfüllung der Loyalitätsp? icht aus Art. 10 EGV alle geeigneten Maßnahmen zu
treffen haben, um die Geltung und die Wirksamkeit (auch) des sekundären Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten.380 Sollte das nationale Recht dem sekundären Gemeinschaftsrecht widersprechen, sind die betreffenden nationalen Rechtsvorschriften mit
dem einschlägigen Sekundärrecht in Einklang zu bringen, um die erforderliche Rechtssicherheit und -klarheit zu schaffen.381 Andererseits nennen Art. 109 und Art. 121 Abs.
1 EGV lediglich den EG-Vertrag sowie die ESZB-Satzung und damit nur das Primärrecht als Maßstab für die Anpassung.382 Strikt genommen ist daher die Anpassung des
nationalen Zentralbankrechts an das einschlägige Sekundärrecht aufgrund des ausdrücklichen Wortlauts durch die Anpassungsp? icht aus Art. 109 EGV nicht gedeckt. Folglich
wird es auch nicht als Voraussetzung für die Einführung des Euro nach Art. 121 Abs. 1
EGV geprüft.383 Zu berücksichtigen ist zusätzlich, dass im Falle der ersten Teilnehmer
die Anpassung an das Sekundärrecht auch faktisch nicht geprüft werden konnte, denn
die einschlägigen Sekundärrechtsakte waren zum damaligen Zeitpunkt der Konvergenzprüfung noch nicht verabschiedet bzw. sind noch nicht in Kraft getreten.384
378 Vgl. EWI, Konvergenzbericht 1998, S. 305; EZB, Konvergenzbericht 2000, S. 70; EZB, Konvergenzbericht 2004, S. 26f.; Deutsche Bundesbank, Zur rechtlichen Konvergenz in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, Informationsbrief zur WWU Nr. 10, Februar
1998, S. 4f.
379 Dazu ausführlich supra, in Kapitel 1.
380 Das bestätigt die Rechtsprechung des EuGH. S. z.B. EuGH Rs. C-36/94 Siesse, Slg. 1995,
S. I-3573, Rn. 20.
381 S. z.B. EuGH, Rs. C-307/89 (Kommission/ Frankreich), Slg. 1991, S. I-2903, insb. Rn. 13f.
Dazu auch EZB, Konvergenzbericht 2004, S. 27.
382 S. EMI, Legal convergence in the Member States of the European Union as at August 1997,
Oktober 1997 S. 2; Deutsche Bundesbank, Zur rechtlichen Konvergenz in den Mitgliedstaaten
der Europäischen Gemeinschaft, Informationsbrief zur WWU Nr. 10, Februar 1998, S. 4.
383 S. Kommission, Konvergenzbericht 1998, S. 35; Commission, Convergence report 2004 –
Technical annex, S. 29; EZB, Konvergenzbericht 2004, S. 27. Die Kommission und die EZB
weisen dabei nichtsdestoweniger auf die Notwendigkeit der Anpassung des nationalen Rechts
an die Sekundärrechtsakte im WWU-Bereich ausdrücklich hin.
384 Vgl. Deutsche Bundesbank, Zur rechtlichen Konvergenz in den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft, in: ders., Informationsbrief zur WWU, Nr. 10, Februar 1998, S. 4; J.-V.
Louis, in: CML Rev. 1998, S. 48.
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D. Einzelne Anpassungsbereiche
I. Vorbemerkung
Art. 121 Abs. 1 EGV, der an die Anpassungsp? icht aus Art. 109 EGV anknüpft, hebt
auch Art. 108 EGV besonders hervor. Danach ist im Rahmen der Konvergenzprüfung
– auch – zu untersuchen, „inwieweit die innerstaatlichen Rechtsvorschriften der einzelnen Mitgliedstaaten (…) mit Artikel 108 und Artikel 109 dieses Vertrags sowie der
Satzung des ESZB vereinbar sind“. Da die Anpassung an Art. 108 EGV bereits durch
Art. 109 EGV gedeckt wird, ist die ausdrückliche Erwähnung in Art. 121 Abs. 1 EGV
strikt genommen nicht notwendig. Sie bringt nichtsdestoweniger die Bedeutung der
Anpassung des nationalen Rechtes im Bereich der Zentralbankunabhängigkeit zum
Ausdruck. Dementsprechend ist bei der Herstellung der rechtlichen Konvergenz besondere Aufmerksamkeit der Anpassung an Art. 108 EGV zu schenken. Dabei ergibt
sich das Unabhängigkeitskonzept nicht nur aus Art. 108 EGV und Art. 7 ESZB-Satzung, sondern aus mehreren Vertrags- und Satzungsvorschriften. Dies wird u.a. in Art.
14.2 ESZB-Satzung bestätigt, der konkrete Anforderungen an die Unabhängigkeit der
Präsidenten der nationalen Zentralbanken enthält. Ansonsten gibt doch der Vertrag an
keiner anderen Stelle ausdrücklich an, was in den Zentralbanksatzungen „vorzusehen“
ist. Nichtsdestoweniger gibt der Wortlaut des Art. 109 EGV („mit diesem Vertrag sowie mit der Satzung des ESZB“) und seine Ratio legis, die die Ermöglichung des reibungslosen Funktionierens des ESZB durch Sicherstellung klarer Rechtsgrundlagen
für die nationalen Zentralbanken auf der nationalen Ebene einschließt,385 gewisse Ansätze. Daraus ergibt sich, dass die Anpassung in allen Bereichen zu erfolgen hat, die
nicht durch die Prüfung der Unabhängigkeit gedeckt werden und die für das reibungslose Funktionieren des ESZB als solches sowie der nationalen Zentralbanken im Rahmen des ESZB maßgebend sind. Eine besondere Bedeutung müsste dabei der Zielsetzung der nationalen Zentralbanken gelten, denn die Preisstabilität lässt sich doch als
ein Daseinszweck, eine „Raison d’être“ des ESZB386 verstehen. In der Konsequenz
können folgende Bereiche grob unterschieden werden, in denen die Anpassung notwendig ist:
Unabhängigkeit der nationalen Zentralbanken,
Zielsetzung der nationalen Zentralbanken und
andere ESZB-relevante Bereiche.
Diese bzw. ähnliche Einteilung liegt den Konvergenzberichten der Kommission, des
EWI und der EZB zugrunde. Dabei wird dort weitgehend übereinstimmend387 die Anpassung in folgenden Hauptsachbereichen der rechtlichen Konvergenz geprüft: in Bezug auf die Unabhängigkeit der nationalen Zentralbanken und in Bezug auf die Inte-
385 Supra (Abschn. C. I.).
386 R. Smits, The European Central Bank, 1997, S. 184.
387 Dazu E. Gnan/ H. Wittelsberger, in: GS, Art. 109 EGV, Rn. 19; M. Selmayr, Das Recht der
Wirtschafts- und Währungsunion, 2002, S. 287.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im Zuge der EU-Osterweiterung 2004 wurde die Gemeinschaftswährung noch nicht in den neuen Mitgliedstaaten eingeführt. Die EU ist daher gespalten in Mitgliedstaaten, die bereits am Euro teilnehmen, und Länder, die noch nicht zur Eurozone gehören.
Der EG-Vertrag verpflichtet aber alle Mitgliedstaaten, unabhängig von der Einführung des Euro, die jeweilige nationale Zentralbanksatzung an das Gemeinschaftsrecht anzupassen. Diese Pflicht und die daraus resultierende rechtliche Integration der nationalen Zentralbanken in ein europäisches System stehen im Zentrum der Arbeit. Was ist der konkrete Umfang der Anpassungspflicht? Zu welchem Zeitpunkt ist sie zu erfüllen? Welche Rolle spielt sie im Kontext des Beitrittsprozesses? Welche Rolle spielt sie im Kontext der Konvergenzkriterien? Welche Neuerungen wird der Vertrag von Lissabon bringen? Diese Fragestellungen bieten einen Einblick in den facettenreichen Gegenstand der Untersuchung.