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C. Organisation des ESZB
Das ESZB ist zweifellos eine einzigartige Einrichtung.80 In seiner rechtlichen Ausgestaltung spiegeln sich nichtsdestoweniger Merkmale der erfolgreichsten Zentralbanken wider. Insbesondere kann im Federal Reserve System ein Vorbild für die Struktur
des ESZB gesehen werden.81 Dagegen wird im Hinblick auf die Zielsetzung sowie
Ausgestaltung des Verhältnisses zu politischen Organen das Modell der Deutschen
Bundesbank als prägend angesehen.82
I. ESZB und Eurosystem
Laut Art. 107 Abs. 1 EGV (Art. 1.2 ESZB-Satzung) besteht das ESZB aus der EZB
und den nationalen Zentralbanken. Aus Art. 1.2 S. 1 ESZB-Satzung ergibt sich dabei,
dass es sich bei den letzteren um „Zentralbanken der Mitgliedstaaten“ handelt.83
Gemeint sind in Art. 107 EGV alle nationalen Zentralbanken, folglich auch diejenigen der nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten.84 Der Vertrag und die Satzung verwenden durchgehend die Bezeichnung „ESZB“. Infolge der abgestuften Integration im
Bereich der WWU und der damit verbundenen Beibehaltung der währungspolitischen
Befugnisse durch die nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten, werden die Zuständigkeiten in der einheitlichen Geld- und Wechselkurspolitik, die der Vertrag dem „ESZB“
zuweist, allerdings lediglich durch die EZB und die nationalen Zentralbanken der teilnehmenden Mitgliedstaaten wahrgenommen. Demzufolge ist es notwendig geworden,
zwischen dem System, das als die EZB und alle nationalen Zentralbanken zu verstehen ist (wie insb. im grundlegenden Art. 107 EGV und Art. 1 ESZB-Satzung), einerseits und dem System, das als die EZB und die nationalen Zentralbanken der teilnehmenden Mitgliedstaaten zu verstehen ist (wie insb. in Art. 105 Abs. 2 EGV, der nur für
die teilnehmenden Mitgliedstaaten gilt), andererseits zu unterscheiden.85 Um dieser
Tatsache Rechnung zu tragen, und insbesondere um der Öffentlichkeit die Unterscheidung zwischen den beiden Konzepten verständlich zu machen, hat der EZB-Rat bereits Anfang 1999 den Begriff „Eurosystem“ entworfen. Darunter sind die EZB und
80 Vgl. z.B. Ch. Zilioli/ M. Selmayr, The Law of the European Central Bank, 2001, S. 53ff.
81 Vgl. D. Studt, Rechtsfragen einer europäischen Zentralbank, 1993, S. 244 m.w.N. Zum Vergleich des US-Notenbanksystems und des ESZB: E. Welteke, Aufgaben und Ziele von EZB
und FED im Vergleich, abgedruckt in: Deutsche Bundesbank, Auszüge aus Presseartikeln Nr.
24/ 2002, S. 2ff.
82 Vgl. E.-M. Laschat, in: Europablätter 2002, S. 2.
83 Vgl. auch Art. 101 Abs. 1 EGV.
84 Art. 107 EGV und Art. 1.2 ESZB-Satzung werden weder in Art. 122 Abs. 3 EGV bzw. Art. 43.1
ESZB-Satzung noch in Ziff. 5 bzw. Ziff. 8 VK-Protokoll erwähnt. Dazu noch infra (Kapitel 3
Abschn. D.).
85 S. z.B. R. Smits, The European Central Bank, 1997, S. 505; KPE Lasok/ D. Lasok, Law & Institutions of the EU, 2001, S. 583.
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die nationalen Zentralbanken der (- ab Januar 2009 – 16) Mitgliedstaaten, die den Euro
eingeführt haben, zu verstehen.86 Einige Jahre später hat die EZB das Leitbild des Eurosystems verabschiedet und veröffentlicht, das „die gemeinsamen Ziele der Zentralbanken des Eurosystems sowie deren Zusammenwirken und Kooperation auf der Basis gemeinsamer Werte“ festlegt.87 Das Eurosystem, verstanden als die EZB und die
nationalen Zentralbanken der teilnehmenden Mitgliedstaaten, wird dort aus funktioneller Sicht zutreffend als Währungsbehörde des Eurogebiets bezeichnet.88 Der Terminus „Eurosystem“89 wird mit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon zu einem
Rechtsbegriff werden.90
Erst wenn der letzte außerhalb des Euro-Währungsgebiets verbliebene Mitgliedstaat den Euro einführt, werden sich die beiden Konzepte, das ESZB und das Eurosystem, decken. Dies ist wegen der vor kurzem erfolgten und den noch bevorstehenden
EU-Erweiterungen sowie angesichts des Rechtes Dänemarks und des Vereinigten Königreichs, über die Beendigung ihrer Sonderstellung selber zu entscheiden, in einer
mittelfristigen Perspektive eher nicht zu erwarten. Daher dürfte eine Unterscheidung
zwischen den beiden Systemen über einen längeren Zeitraum notwendig sein. Vor diesem Hintergrund ist die erwähnte Verankerung des Begriffs „Eurosystem“ im Vertrag
von Lissabon und somit im Primärrecht zu begrüßen.
II. Beschlussorgane
Das ESZB wird gem. Art. 107 Abs. 3 EGV und Art. 8 ESZB-Satzung von den Beschlussorganen der EZB geleitet. Diese sind gem. Art. 107 Abs. 3 EGV und Art. 9.3
ESZB-Satzung der EZB-Rat und das Direktorium. Der EZB-Rat und das Direktorium
leiten folglich sowohl die EZB als auch das ESZB (das Eurosystem).91
Zusätzlich und unbeschadet Art. 107 Abs. 3 EGV besteht gem. Art. 123 Abs. 3 EGV
der Erweiterte Rat der EZB als drittes Beschlussorgan der EZB, „sofern und solange
es Mitgliedstaaten gibt, für die eine Ausnahmeregelung gilt“. Aus systematischen
Gründen werden seine Stellung und Aufgaben im Zusammenhang mit der rechtlichen
86 S. EZB, Das Eurosystem und das Europäische System der Zentralbanken (ESZB), Monatsbericht, Januar 1999, S. 7.
87 Das Leitbild des Eurosystems wurde 2003 durch den EZB-Rat und das Direktorium verabschiedet und im Januar 2005 auf der EZB-Webseite veröffentlicht. Es ist auch im Jahresbericht
der EZB vom Jahre 2004 zu ? nden (S. 174f.).
88 EZB, Leitbild des Eurosystems, abgedruckt in: EZB, Jahresbericht 2004, S. 174f. Im ähnlichen
Sinne (ESZB als Zentralbank der EG): R. Smits, The position of the European Central Bank in
the European constitutional order, 4. Juni 2003, S. 24. Bemerkenswert ist hier auch der Wortlaut des Art. I-30 Abs. 2 S. 4 VerfV, wonach das ESZB „alle weiteren Aufgaben einer Zentralbank nach Maßgabe des Teils III und der Satzung des [ESZB]“ führt. Allerdings wurde diese
Norm in den Vertrag von Lissabon nicht übernommen.
89 S. Ch. Zilioli/ M. Selmayr, The Law of the European Central Bank, 2001, S. 166f.
90 Dazu noch infra (Kapitel 6 Abschn. C. III. 4.).
91 H.K. Scheller, The European Central Bank, 2006, S. 51.
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Situation der Zentralbanken der nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten im dritten Kapitel ausführlich behandelt.92
1. EZB-Rat
Der EZB-Rat setzt sich gem. Art. 112 Abs. 1 EGV und Art. 10.1 ESZB-Satzung aus
den Mitgliedern des Direktoriums der EZB und den Präsidenten der nationalen Zentralbanken zusammen. Es sind die Zentralbankpräsidenten aus den Mitgliedstaaten, die
den Euro eingeführt haben.93
Der EZB-Rat ist das oberste Beschlussorgan der EZB. Art. 12.1 ESZB-Satzung besagt allgemein, dass der EZB-Rat Leitlinien und Entscheidungen erlassen kann, um
die Erfüllung der dem ESZB durch den Vertrag und die Satzung übertragenen Aufgaben zu gewährleisten. Die wichtigste Aufgabe des EZB-Rates ist die Festlegung der
Geldpolitik des Euro-Währungsgebiets; das umfasst auch die Entscheidungen hinsichtlich der geldpolitischen Zwischenziele, Leitzinssätze und der Bereitstellung von
Zentralbankgeld im ESZB sowie der Berechnung und Bestimmung des Mindestreservesolls nach Art. 19.1 ESZB-Satzung (Art. 12.1 Abs. 1 S. 2 ESZB-Satzung) und der
Genehmigung der Ausgabe von Banknoten (Art. 106 Abs. 1 EGV und Art. 16 ESZB-
Satzung). Darüber hinaus nimmt der EZB-Rat die beratende Aufgabe der EZB nach
Art. 105 Abs. 4 EGV sowie Art. 4 ESZB-Satzung wahr (Art. 12.4 ESZB-Satzung) und
trifft die Entscheidungen hinsichtlich der internationalen Zusammenarbeit des ESZB
nach Art. 6 ESZB-Satzung (Art. 12.5 ESZB-Satzung). Auch die wesentlichen Kompetenzen im ? nanziellen Bereich des ESZB liegen bei dem EZB-Rat.94 Der EZB-Rat
ist des Weiteren in seiner Eigenschaft als oberstes Leitungsorgan der EZB für die Regelung ihrer internen Organisation zuständig. Dementsprechend beschließt er die Geschäftsordnung der EZB (Art. 12.3 ESZB-Satzung)95 und regelt die Beschäftigungsbedingungen für die Direktoriumsmitglieder (Art. 11.3 ESZB-Satzung) sowie das Personal der EZB (Art. 36 ESZB-Satzung).
Die Abstimmungsmodalitäten im EZB-Rat regelt Art. 10.2 ESZB-Satzung. Diese
Vorschrift wurde mit Wirkung vom 1. Juni 2004 auf der Grundlage des Art. 10.6 ES-
ZB-Satzung durch den Beschluss (2003/223/EG) des Rates in der Zusammensetzung
der Staats- und Regierungschefs vom 21. März 2003 geändert.96 Solange es weniger
als 16 Präsidenten der nationalen Zentralbanken im EZB-Rat gibt – also in der heuti-
92 Infra (Kapitel 4 Abschn. C. II.).
93 Das ergibt sich aus Art. 43.4 i.V.m. Art. 10.1 ESZB-Satzung. Dazu infra (Kapitel 3 Abschn. D.
II. 1.).
94 Vgl. die Entscheidungskompetenzen des EZB-Rates im Hinblick auf den Jahresabschluss der
EZB (Art. 26.2 ESZB-Satzung), das Kapital der EZB (Art. 28.3, 28.5, 29.4 ESZB-Satzung),
Währungsreserven (Art. 30.3, 30.4, 30.6, 31.3 ESZB-Satzung) und die Gewinnverteilung im
ESZB (Art. 32.2, 32.3, 32.4, 32.7, 33.1 lit. a ESZB-Satzung).
95 Derzeit gilt der Beschluss der EZB (EZB/2004/2) vom 19. Februar 2004 zur Verabschiedung der
Geschäftsordnung der EZB (ABl. 2004 Nr. L 80/33). Im Folgenden: EZB-Geschäftsordnung.
96 Beschluss 2003/223/EG (ABl. 2003 Nr. L 83/66).
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gen Lage97 –, ändert Art. 10.2 n.F. ESZB-Satzung die rechtliche Situation, die sich aus
Art. 10.2 a.F. ESZB-Satzung ergab, allerdings nicht. So hat jedes Mitglied des EZB-
Rates eine Stimme (Art. 10.2 Abs. 1 S. 1 ESZB-Satzung). Das bedeutet, dass – im
Gegensatz zu den Beschlüssen mit quali? zierter Mehrheit im Rat der EU nach Art. 205
Abs. 2 EGV – die (etwa wirtschaftliche) Bedeutung der einzelnen Mitgliedstaaten
nicht berücksichtigt wird und daher alle Stimmen gleichwertig sind.98 Hierin kommt
die Vergemeinschaftung der Geldpolitik wohl am deutlichsten zum Ausdruck.99 Der
in Art. 10.2 Abs. 1 S. 1 verankerte Grundsatz „Eine Person, eine Stimme“ verdeutlicht
konsequenterweise, dass die im EZB-Rat zusammenkommenden Präsidenten der nationalen Zentralbanken nicht als Vertreter ihrer Herkunftsländer fungieren.100 Sie bringen zwar ihre länderspezi? schen Kenntnisse in den EZB-Rat ein, sollen sich aber bei
der Gestaltung der einheitlichen Geldpolitik von den Interessen des Euro-Währungsgebiets als Ganzem leiten lassen.101 Ab dem Zeitpunkt, zu dem es mehr als 15 teilnehmende Mitgliedstaaten gibt, werden neue Abstimmungsregeln im EZB-Rat gelten. Die
Stimmrechte werden unter den Zentralbankpräsidenten rotieren und die Häu? gkeit der
Ausübung des Stimmrechts durch die einzelnen Zentralbankpräsidenten im EZB-Rat
wird von bestimmten Faktoren abhängen. Diese Reform wird ausführlich später im
Zusammenhang mit den Änderungen der Rechtsgrundlagen des ESZB analysiert.102
Aufgrund der heutigen rechtlichen Lage bestehen Ausnahmen vom Grundsatz „Ein
Mitglied, eine Stimme“ nur bei den Entscheidungen im ? nanziellen Bereich: in Bezug
auf das EZB-Kapital (Art. 28, 29 ESZB-Satzung), die Übertragung der Währungsreserven (Art. 30 ESZB-Satzung) sowie die Gewinnverteilung im ESZB (Art. 32 i.V.m.
Art. 51 sowie 33 ESZB-Satzung). In diesen Fällen werden die Stimmen im EZB-Rat
gem. Art. 10.3 ESZB-Satzung nach den Anteilen der nationalen Zentralbanken am gezeichneten Kapital der EZB gewogen. Die Stimmen der Direktoriumsmitglieder werden dabei mit Null gewogen (Art. 10.3 S. 2 ESZB-Satzung).
Der EZB-Rat ist beschlussfähig, wenn mindestens zwei Drittel seiner Mitglieder an
der Abstimmung teilnehmen (Art. 10.2 Abs. 5 S. 1 ESZB-Satzung). Stimmberechtigt
sind die persönlich anwesenden Mitglieder (Art.10.2 Abs. 2 S. 1 ESZB-Satzung).103
Der EZB-Rat beschließt grundsätzlich104 mit einfacher Mehrheit der abgegebenen
Stimmen (Art.10.2 Abs. 4 S. 1 ESZB-Satzung).
97 Ab 1. Januar 2008 gibt es im EZB-Rat 15 Mitglieder.
98 M. Potacs, in: EuR 1993, S. 32; Ch. Zilioli, in: GS, Art. 10 ESZB-Satzung, Rn. 5.
99 Vgl. T. Oppermann, Europarecht, 2005, §5, Rn. 144.
100 J.-V. Louis, Commentaire Mégret, S. 66; Ch. Zilioli/ M. Selmayr, The Law of the European
Central Bank, 2001, S. 88.
101 Von einer „Entnationalisierung“ der Geldpolitik sprechen daher R. Stadler, Der rechtliche
Handlungsspielraum des ESZB, 1996, S. 133 und M. Selmayr, in: AöR 1999, S. 367.
102 Infra (Kapitel 6 Abschn. B.).
103 Ausnahmen vom Grundsatz der persönlichen Teilnahme sind in Art. 10.2 Abs. 2 ESZB-Satzung
und Art. 10.3 S. 3 ESZB-Satzung vorgesehen.
104 Besondere Mehrheiten werden in Art. 14.4 ESZB-Satzung (Zweidrittelmehrheit), Art. 20 Abs.
1 ESZB-Satzung (Zweidrittelmehrheit) und Art. 41.2 ESZB-Satzung (Einstimmigkeit) vorgesehen.
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2. Direktorium
Das Direktorium besteht gem. Art. 112 Abs. 2 lit. a EGV und Art. 11.1 Abs. 1 ESZB-
Satzung aus dem Präsidenten, dem Vizepräsidenten und vier weiteren Mitgliedern.
Direktoriumsmitglieder werden nach Art. 112 Abs. 2 lit. b EGV (Art. 11.2 ESZB-Satzung) von den Regierungen der teilnehmenden Mitgliedstaaten105 auf der Ebene der
Staats- und Regierungschefs auf Empfehlung des (Eco? n-)Rates, der hierzu das Europäische Parlament und den EZB-Rat anhört, einvernehmlich ernannt. In Frage kommen nur die „in Währungs- oder Bankfragen anerkannten und erfahrenen Persönlichkeiten“, die auch Staatsangehörige der teilnehmenden Mitgliedstaaten sein müssen.106
Die Amtszeit der Direktoriumsmitglieder beträgt acht Jahre.107 Die Mitglieder des
Direktoriums erfüllen ihre P? ichten hauptamtlich und können einer anderen Beschäftigung nur ausnahmsweise, mit Zustimmung des EZB-Rates, nachgehen (Art. 11.1
Abs. 2 ESZB-Satzung). Die Wiederernennung ist ausgeschlossen (Art. 112 Abs. 2 lit.
b EGV und Art. 11.2 ESZB-Satzung). Die Abberufung der Direktoriumsmitglieder
wird in Art. 11.4 ESZB-Satzung auf bestimmte Fälle (Nicht-Mehr-Erfüllung der Voraussetzungen für die Amtsausübung oder eine schwere Verfehlung) beschränkt und
der Entscheidung des Gerichtshofes überlassen.
Das Direktorium ist das ausführende Organ der EZB und des ESZB. Nach Art. 12.1
Abs. 2 S. 1 ESZB-Satzung führt es die Geldpolitik gemäß den Leitlinien und Entscheidungen des EZB-Rates aus. Um dieser Aufgabe nachzugehen, erteilt das Direktorium
laut Art. 12.1 Abs. 2 S. 2 ESZB-Satzung den nationalen Zentralbanken die erforderlichen Weisungen. Das Direktorium bereitet auch die Sitzungen des EZB-Rates vor
(Art. 12.2 ESZB-Satzung) und führt die laufenden Geschäfte der EZB (Art. 11.6 ES-
ZB-Satzung). Darüber hinaus erstellt das Direktorium den Jahresabschluss der EZB
(Art. 26.2 ESZB-Satzung) sowie die konsolidierte Bilanz des ESZB (Art. 26.3 ESZB-
Satzung). Schließlich kann das Direktorium bestimmte Befugnisse ausüben, die ihm
durch Beschluss des EZB-Rates nach Art. 12.1 Abs. 2 S. 2 ESZB-Satzung übertragen
werden.108
Auch wenn die Beschlussorgane der EZB als Kollegialorgane ausgestaltet sind,109
genießt der Präsident der EZB eine herausgehobene Position innerhalb der EZB-Organisationsstruktur.110 Insbesondere führt er den Vorsitz in allen drei Organen der EZB
105 Das ergibt sich aus Art. 112 Abs. 2 letzter Satz i.V.m. Art. 122 Abs. 4 EGV (Art. 11.2 S. 3 i.V.m.
Art. 43.3 ESZB-Satzung).
106 Art. 112 Abs. 2 lit. b EGV und Art. 11.2 ESZB-Satzung bzw. Art. 112 Abs. 2 lit. b UAbs. 3
i.V.m. Art. 122 Abs. 4 EGV (Art. 11.2 UAbs. 3 i.V.m. Art. 43.3 ESZB-Satzung).
107 Eine Sonderregelung im Hinblick auf die Amtsdauer war lediglich für die erste Ernennung in
Art. 123 Abs. 1, 2. Spstr. EGV und Art. 50 ESZB-Satzung vorgesehen.
108 Die Einzelheiten regelt die EZB-Geschäftsordnung. S. Art. 14 und 17.3 EZB-Geschäftsordnung
(ABl. 2004 Nr. L 80/33).
109 S. U. Palm, in: GH [April 2003], Art. 112 EGV, Rn 10 und 21.
110 S. im Einzelnen R. Stadler, Der rechtliche Handlungsspielraum des ESZB, 1996, S. 127; F.
Amtenbrink, The Democratic Accountability of Central Banks, 1999, S. 122.
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(Art. 13.1 und Art. 46.1 ESZB-Satzung), wobei bei Stimmengleichheit im EZB-Rat
oder im Direktorium seine Stimme den Ausschlag gibt (Art. 10.2 Abs. 4 S. 2 bzw. Art.
11.5 S. 3 ESZB-Satzung), und vertritt die EZB nach außen (Art. 13.2 ESZB-Satzung).
III. Die EZB und die nationalen Zentralbanken als Bestandteile des
Eurosystems
1. Rechtspersönlichkeit
Die EZB besitzt gem. Art. 107 Abs. 2 EGV Rechtspersönlichkeit. Die Rechtspersönlichkeit der EZB umfasst nach Art. 9.1 ESZB-Satzung die weitestgehende Rechts- und
Geschäftsfähigkeit in jedem Mitgliedstaat, die juristischen Personen nach den jeweiligen nationalen Vorschriften zuerkannt ist. Dagegen wird das ESZB als Ganzes nicht
mit Rechtspersönlichkeit ausgestattet.111 Was die nationalen Zentralbanken anbetrifft,
gründet ihre Rechtspersönlichkeit im innerstaatlichen Recht.112 Wenngleich der Vertrag Aufgaben explizit (auch) dem ESZB zuweist, können in der Tat nur seine rechtsfähigen Bestandteile, d.h. die EZB und die nationalen Zentralbanken Träger von Rechten und P? ichten sein und somit als geldpolitische Akteure auftreten.113
2. Entscheidungs? ndung im ESZB
Die geldpolitischen Entscheidungen werden im Eurosystem im Einklang mit Art. 12.1
Abs. 1 ESZB-Satzung zentral durch den EZB-Rat getroffen.114 Mit der Übertragung
der geldpolitischen Kompetenzen auf die Gemeinschaft ist zweifellos ein Verlust von
essenziellen Befugnissen der nationalen Zentralbanken verbunden.115 Dieser Verlust
wird nur indirekt dadurch kompensiert, dass die Präsidenten der nationalen Zentralbanken Mitglieder des EZB-Rates sind, der die Geldpolitik der Gemeinschaft festlegt.116 Der Ein? uss der einzelnen Präsidenten auf die Entscheidungen des EZB-Rates
111 S. H.J. Hahn, Der Vertrag von Maastricht als völkerrechtliche Übereinkunft und Verfassung,
1992, S. 69.
112 S. Committee of Governors, Commentary, 1990, S. 19; U. Häde, in: CR, 3. Au? ., Art. 107 EGV,
Rn. 29; J. Beutel, Differenzierte Integration in der Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, 2006, S. 41.
113 S. Committee of Governors, Commentary, 1990, S. 19; J.-V. Louis, Commentaire Mégret,
S. 57; U. Häde, in: WM 2006, S. 1605.
114 Grundlegend zur Notwendigkeit einer zentralisierten Gestaltung der Geldpolitik der Gemeinschaft: Delors-Bericht, abgedruckt in: H. Krägenau/W. Wetter, Europäische Wirtschafts- und
Währungsunion, 1993, S. 146-157 (Dokument 28), unter Ziff. 32.
115 Dazu ausführlich D. Studt, Rechtsfragen einer europäischen Zentralbank, 1993, S. 247; B. Zimmermann, Die nationalen Zentralbanken als Bestandteile des ESZB, 2000, S. 42ff.
116 S. auch H. Goetze, Die Tätigkeit der nationalen Zentralbanken in der Wirtschafts- und Währungsunion, 1999, S. 168f.
48
wird zum einen durch die Abstimmung mit der einfachen Mehrheit relativiert.117 Zum
anderen sind die Präsidenten der nationalen Zentralbanken Mitglieder des EZB-Rates
in persönlicher Eigenschaft. Sie vertreten weder ihre Mitgliedstaaten noch ihre Zentralbanken.118 Allerdings können – und sogar sollen – die Präsidenten der nationalen
Zentralbanken von ihren Zentralbanken im Hinblick auf die im EZB-Rat zu erörternden Fragen beraten werden.119 Darüber hinaus können die nationalen Zentralbanken
am Entscheidungsprozess im EZB-Rat indirekt durch die Beteiligung an verschiedenen ESZB-Ausschüssen mitwirken. In den ESZB-Ausschüssen, die durch den EZB-
Rat auf der Grundlage der EZB-Geschäftsordnung eingesetzt und aufgelöst werden,
kommen Experten aus der EZB und den nationalen Zentralbanken zusammen.120 Ihre
Aufgabe besteht darin, die Arbeiten des ESZB durch vom EZB-Rat oder dem Direktorium zu bestellenden Expertisen zu bestimmten Fragen zu unterstützen.121
3. Durchführung der Aufgaben des ESZB
Über die Erfüllung der Aufgaben des ESZB wacht die EZB: Sie hat nach Art. 9.2 ES-
ZB-Satzung zu gewährleisten, dass die dem ESZB übertragenen Aufgaben entweder
durch sie selbst oder durch die nationalen Zentralbanken erfüllt werden. Somit verzichtet der EG-Vertrag auf eine konkrete Teilung der ESZB-Aufgaben zwischen der EZB
und den nationalen Zentralbanken.122 Wegweisend für entsprechende Entscheidungen
innerhalb des ESZB ist der in Art. 9.2 ESZB-Satzung erwähnte Art. 12.1 ESZB-Satzung. Nach Art. 12.1 ESZB-Satzung sind unbeschadet der diesbezüglichen Festlegungs- und Ausführungsbefugnisse der EZB-Beschlussorgane die nationalen Zentralbanken zur Durchführung der Aufgaben des ESZB heranzuziehen, soweit es „möglich
und sachgerecht“ erscheint. Daraus ergibt sich, dass die Umsetzung grundsätzlich auf
eine dezentrale Weise erfolgen soll.123 Dabei ist eine Parallele zum Subsidiaritätsprinzip, das dank dem Vertrag von Maastricht in Art. 5 Abs. 2 EGV kodi? ziert ist, nicht zu
übersehen.124 Da allerdings die Geld- und Währungspolitik der teilnehmenden Mitgliedstaaten in der Endstufe der WWU in die ausschließliche Zuständigkeit der Ge-
117 M. Potacs, in: S. Griller (Hrsg.), Auf dem Weg zur Europäischen Wirtschafts- und Währungsunion, 1993, S. 35f.
118 S. R.v. Borries, in: ZEuS 1999, S. 297f.
119 Vgl. Deutsche Bundesbank, Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, 2002, S. 59.
120 S. Art. 9 EZB-Geschäftsordnung (ABl. 2004 Nr. L 80/33).
121 Vgl. Art. 9.2 S. 3 EZB-Geschäftsordnung (ABl. EU 2004 Nr. L 80/33).
122 S. D. Haferkamp, in: Deutsche Bundesbank (Hrsg.), Auszüge aus Presseartikeln Nr. 47/2001,
S. 14.
123 S. I. Pernice, in: G/H [Okt. 1996], Art. 105 EGV, Rn. 11; R. Smits, The European Central Bank,
1997, S. 112; J. Stark, in: Deutsche Bundesbank (Hrsg.), Auszüge aus Presseartikeln Nr. 7/
2003, S. 5.
124 Vgl. K. Liebscher, in: A. Moser, Österreichs Weg zum Euro, 1998, S. 162. Vgl. auch R. Stadler,
Der rechtliche Handlungsspielraum des ESZB, 1996, S. 158f., der die Regelung der Art. 12.1
Abs. 3 und 14.3 ESZB-Satzung als eine besondere Ausprägung des Subsidiaritätsgrundsatzes
im Bereich der Geld- und Währungspolitik ansieht.
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meinschaft fällt, ist bei der Aufgabenverteilung im ESZB das Subsidiaritätsprinzip nach
Art. 5 EGV nicht anwendbar.125 In Art. 12.1 Abs. 3 ESZB-Satzung kommt daher vielmehr der für die Arbeitsteilung im ESZB maßgebende Grundsatz der Dezentralisierung
zum Ausdruck.126 Die Entscheidung darüber, ob der Einsatz der nationalen Zentralbanken zur Durchführung von ESZB-Aufgaben jeweils „möglich und sachgerecht“ ist,
liegt bei der EZB.127 Eine ausgeglichene Arbeitsteilung im ESZB ist dementsprechend
in der täglichen Praxis stets zu ? nden.128 Dafür, dass die nationalen Zentralbanken die
einheitliche Geldpolitik im jeweiligen Mitgliedstaat durchführen, sprechen nicht zuletzt
praktisch-technische Gründe. Denn die nationalen Zentralbanken verfügen über entsprechende organisatorische und technische Infrastruktur, Kenntnisse der regionalen
Finanzmärkte sowie langjährige operationale Erfahrung.129
Für die Durchführung der ESZB-bezogenen Aufgaben ist außer Art. 12.1 ESZB-
Satzung der in Art. 9.2 EZB-Satzung ebenfalls erwähnte Art. 14 ESZB-Satzung von
Bedeutung. Nach Art. 14.3 ESZB-Satzung haben die nationalen Zentralbanken gemäß
den Leitlinien und Weisungen der EZB zu handeln. Es sind zusätzliche Rechtsinstrumente, die die ESZB-Satzung der EZB zur Verfügung stellt.130 Diese (Euro)systeminternen Instrumente131 sind an die nationalen Zentralbanken gerichtet. Nach Art. 12.1
Abs. 1 S. 1 ESZB-Satzung werden die Leitlinien vom EZB-Rat erlassen, um die Erfüllung der dem ESZB übertragenen Aufgaben zu gewährleisten. Sie stellen einen
Rahmen her, in dem die Geldpolitik des Eurosystems durch das Direktorium und die
nationalen Zentralbanken auszuführen ist.132 Soweit also die nationalen Zentralbanken
zur Ausführung der ESZB-Aufgaben in Anspruch genommen werden, haben sie die
einschlägigen Leitlinien des EZB-Rates auf der nationalen Ebene mittels eigenen
Rechtsinstrumentariums – sei es öffentlich-rechtlicher, sei es privatrechtlicher Natur
– umzusetzen.133 Weisungen werden dagegen vom Direktorium gem. Art. 12.1 UAbs.
125 U. Häde, in: CR, Art. 105 EGV, Rn. 23; Ch. Zilioli, in: GS, Art. 12 ESZB-Satzung, Rn. 30; R.
Smits, The European Central Bank, 1997, S. 111; S. Weinbörner, Die Stellung der EZB und der
nationalen Zentralbanken in der Wirtschafts- und Währungsunion nach dem Vertrag von Maastricht, 1998, S. 395f. Anders: G. Galahn, Die Deutsche Bundesbank im Prozess der europäischen Währungsintegration, 1996, S. 226f.; A. Nowak-Far, Unia Gospodarcza i Walutowa w
Europie [Wirtschafts- und Währungsunion in Europa], 2001, S. 212.
126 S. dazu Ch. Zilioli, in: GS, Art. 12 ESZB-Satzung, Rn. 29ff.; Ch. Seiler, in: EuR 2004, S.
62ff.
127 S. R. Stadler, Der rechtliche Handlungsspielraum des ESZB, 1996, S. 158; B. Dutzler, The European System of Central Banks: An Autonomous Actor?, 2003, S. 12.
128 S. Deutsche Bundesbank, Die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion, 2002, S. 51.
129 S. M. Weber, Die Kompetenzverteilung im ESZB, 1995, S. 130; EWI, Die einheitliche Geldpolitik in Stufe 3, 1997, S. 15.
130 Insoweit ist die Liste in Art. 110 EGV (Art. 34 ESZB-Satzung) nicht erschöpfend.
131 Gem. Art. 43.1 ESZB-Satzung, Ziff. 2 Dänemark-Protokoll und Ziff. 8 VK-Protokoll ? ndet Art.
14.3 ESZB-Satzung auf die nicht teilnehmenden Mitgliedstaaten keine Anwendung.
132 S. EZB, Die Rechtsinstrumente der Europäischen Zentralbank, in: Monatsbericht, November
1999, S. 65.
133 S. Ch. Zilioli, in: GS, Art. 110 EGV, Rn. 29; D. Haferkamp, in: Deutsche Bundesbank (Hrsg.),
Auszüge aus Presseartikeln Nr. 47/ 2001, S. 12.
50
2 S. 2 ESZB-Satzung im Rahmen und zum Zwecke der Ausführung der Geldpolitik
als genaue Anweisungen an die nationalen Zentralbanken erlassen.134 Die Einhaltung
der Leitlinien und Weisungen durch die nationalen Zentralbanken wird vom EZB-Rat
sichergestellt. Er trifft gem. Art. 14.3 S. 2 ESZB-Satzung die dazu erforderlichen Maßnahmen und kann insbesondere verlangen, dass ihm die erforderlichen Informationen
zur Verfügung gestellt werden.
4. Nationale Zentralbanken als integraler Bestandteil des Systems
Es ist bemerkenswert, dass die nationalen Zentralbanken in Art. 14.3 ESZB-Satzung
als „integraler“, d.h. unabdingbarer135 Bestandteil des ESZB bezeichnet werden. Dies
könnte auf den ersten Blick überraschen. Denn es ist zu bedenken, dass ein System
als „aus mehreren Teilen zusammengesetztes und gegliedertes Ganzes“ zu verstehen
ist136 und deswegen de? nitionsgemäß aus Teilen besteht. Die nationalen Zentralbanken sind daher bereits aufgrund von Art. 107 Abs. 1 EGV und Art. 1.2 ESZB-Satzung
Bestandteil des ESZB. Demgegenüber wird mit der Bezeichnung „integral“ in Art.
14.3 ESZB-Satzung noch stärker das Besondere der Integration in das ESZB zum
Ausdruck gebracht; nämlich, dass die nationalen Zentralbanken, die ihre Rechtspersönlichkeit nach dem jeweiligen nationalen Recht behalten, gleichzeitig in eine europäische Struktur integriert werden, in der sie gemäß den Leitlinien und Weisungen der
EZB handeln müssen.137 In dieser Struktur handeln sie folglich als „operative Arme“
der EZB.138
5. EZB als integraler Bestandteil des Systems
Art. 14.3 ESZB-Satzung bezeichnet die nationalen Zentralbanken als integraler Bestandteil des ESZB. Eine ähnliche Betonung war im Hinblick auf die EZB natürlich
nicht notwendig. Nichtsdestoweniger bildet sie genauso wie die nationalen Zentral-
134 S. M. Weber, Die Kompetenzverteilung im Europäischen System der Zentralbanken, 1995, S.
183f.; EZB, Die Rechtsinstrumente der Europäischen Zentralbank, in: Monatsbericht, November 1999, S. 66.
135 DUDEN, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 5, 1999, S. 1959, unter dem Stichwort „integral“.
136 DUDEN, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 8, 1999, S. 3834, unter dem Stichwort „System“.
137 In diesem Sinne bereits der Ausschuss der Zentralbankpräsidenten in seiner Kommentierung
zu Art. 14 des Entwurfs der ESZB-Satzung: Committee of Governors, Commentary, 1990, S.
23. Vgl. auch C. Manger-Nestler, Par(s) inter pares?, 2008, S. 27 und 188f., die die Bundesbank
im Eurosystem als „Gleiche unter Gleichen und Teil des Ganzes“ („par(s) inter pares“) charakterisiert.
138 So Committee of Governors, Introductory Report, 1990, S. 14.
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banken einen integralen Bestandteil des Systems.139 Dabei ist die EZB nicht einfach
eine weitere – neben den nationalen Zentralbanken – Zentralbank im System.140 Wie
es sich insbesondere aus Art. 8 (wonach das ESZB von den EZB-Beschlussorganen
geleitet wird)141, Art. 9.2 (wonach die EZB die Erfüllung der ESZB-Aufgaben
sicherstellt)142 und Art. 14.3 ESZB-Satzung (wonach die nationalen Zentralbanken der
Leitlinien und Weisungen der EZB unterliegen)143 ergibt, hat die EZB eine herausgehobene Stellung im ESZB.144 In prozessualer Hinsicht drückt sich diese besondere
Stellung darin aus, dass die EZB145 laut Art. 237 lit. d EGV i.V.m. Art. 35.6 ESZB-
Satzung – ähnlich wie die Kommission gegen die Mitgliedstaaten gem. Art. 226 EGV
– gegen eine nationale Zentralbank wegen der Nicht-Erfüllung der sich aus dem EG-
Vertrag und der ESZB-Satzung ergebenden Verp? ichtungen klagen kann.146
D. Zielsetzung des ESZB
I. Regelung im Vertrag
Aus Art. 4 Abs. 2 EGV, der im Ersten Teil des EG-Vertrags („Grundsätze“) zu ? nden
ist, ergibt sich die prioritäre Bedeutung des Preisstabilitätsziels im Bereich der Geldund Wechselkurspolitik der Gemeinschaft. Hinter der grundlegenden Entscheidung
der Urheber des Maastrichter Vertrags, die Währungsunion als eine „Stabilitätsgemeinschaft“ (so das Bundesverfassungsgericht im sog. „Maastricht-Urteil“ vom 12.
Oktober 1993147) zu gestalten, steht die theoretisch fundierte und empirisch nachweisbare Erkenntnis, dass die Preisstabilität den Ausgangspunkt für die Verwirklichung
gesamtwirtschaftlicher Ziele, insbesondere des beständigen Wachstums, bildet.148
Die hervorgehobene Stellung der Preisstabilität wird im Anfangsartikel des Kapitels 2 („Währungspolitik“) des Titels VII des EG-Vertrags bekräftigt. Nach Art. 105
Abs. 1 S. 1 EGV (Art. 2 S. 1 ESZB-Satzung) ist die Gewährleistung der Preisstabilität
das vorrangige Ziel des ESZB und somit sowohl der EZB als auch der nationalen Zentralbanken. Mit der Formulierung „Preisstabilität“ – und nicht etwa „Währungsstabilität“ – entscheidet sich der Vertrag eindeutig für das Primat der inneren Kaufkraft der
139 In diesem Sinne auch U. Häde, in: H.J. Hahn, Die europäische Währung, 1999, S. 107.
140 J.-V. Louis, in: Commentaire Mégret, S. 69.
141 Supra (Abschn. C.II.).
142 Supra (Abschn. C.III.3.).
143 Supra (Abschn. C.III.3.).
144 S. J.-V. Louis, in: Commentaire Mégret, S. 69; U. Häde, in: WM 2006, S. 1605. Bemerkenswerterweise bezeichnet der EuGH die EZB als „Herzstück“ des ESZB: Rs. C-11/00 (Kommission/EZB), Slg. 2003, S. 7147, Rn. 92.
145 Der EZB-Rat (Art. 35.5 ESZB-Satzung).
146 S. im Einzelnen z.B.: A.S. Geiser, in: EuR 2002, S. 520ff.
147 BVerfGE 89, 155 (200, 204).
148 S. M. Emerson u.a., Ein Markt, eine Währung, 1991, S. 97ff.; O. Issing, in: A.G. Herrero u.a.
(Hrsg.), Why Price Stability?, 2000, S. 179ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Im Zuge der EU-Osterweiterung 2004 wurde die Gemeinschaftswährung noch nicht in den neuen Mitgliedstaaten eingeführt. Die EU ist daher gespalten in Mitgliedstaaten, die bereits am Euro teilnehmen, und Länder, die noch nicht zur Eurozone gehören.
Der EG-Vertrag verpflichtet aber alle Mitgliedstaaten, unabhängig von der Einführung des Euro, die jeweilige nationale Zentralbanksatzung an das Gemeinschaftsrecht anzupassen. Diese Pflicht und die daraus resultierende rechtliche Integration der nationalen Zentralbanken in ein europäisches System stehen im Zentrum der Arbeit. Was ist der konkrete Umfang der Anpassungspflicht? Zu welchem Zeitpunkt ist sie zu erfüllen? Welche Rolle spielt sie im Kontext des Beitrittsprozesses? Welche Rolle spielt sie im Kontext der Konvergenzkriterien? Welche Neuerungen wird der Vertrag von Lissabon bringen? Diese Fragestellungen bieten einen Einblick in den facettenreichen Gegenstand der Untersuchung.