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Zusammenfassung und Schlussbetrachtung
1. Der Schutz, den die §§ 30, 31 GmbHG vor existenzvernichtenden Eingriffen
bieten, ist begrenzt. Wegen der rein rechnerischen Wertbindung des Gesellschaftsvermögens ist durch diese Vorschriften der Abzug von bestimmten Vermögensgegenständen, die die GmbH für ihr wirtschaftliches Überleben zwingend benötigt, als
solcher nicht verboten. Darüber hinaus hat die bilanzielle Betrachtungsweise zur
Folge, dass bestimmte vermögenswirksame Maßnahmen mangels bilanzwirksamer
Auszahlung überhaupt nicht erfasst werden. Schließlich sieht § 31 Abs. 1 GmbHG
als Rechtsfolge einer gegen § 30 GmbHG verstoßenden Auszahlung lediglich eine
Pflicht zur Rückerstattung vor und keine Pflicht zum Ersatz des gesamten durch die
Auszahlung verursachten Schadens.
2. Das Anfechtungsrecht der InsO und des AnfG bietet weitreichende Möglichkeiten, die Folgen existenzvernichtender Eingriffe rückgängig zu machen. Zeitlich
reichen die Anfechtungstatbestände nunmehr weit zurück. Darüber hinaus wurden
die Durchsetzungsmöglichkeiten der Anfechtungsansprüche wegen vorsätzlicher
Gläubigerbenachteiligung durch die neu geschaffenen Beweiserleichterungen in §
133 InsO wesentlich verbessert. Gleichwohl geht der durch eine Existenzvernichtungshaftung gewährleistete Gläubigerschutz in wichtigen Punkten über den Schutz
des Anfechtungsrechts hinaus. So richten sich die Anfechtungsansprüche immer
gegen den Empfänger der in anfechtbarer Weise erlangten Leistung, während die
Existenzvernichtungshaftung eine Haftung der Gesellschafter als Veranlasser der
Existenzvernichtung begründet. Darüber hinaus wird mit der Anfechtung lediglich
die haftungsrechtliche Unwirksamkeit bestimmter Vermögensverschiebungen geltend gemacht. Durch die Vermögensverschiebungen verursachte Folgeschäden, die
oftmals beträchtlich sind, können dagegen nur über die Existenzvernichtungshaftung
ersetzt verlangt werden. Darüber hinaus ist auch die Anwendbarkeit des § 826 BGB
in Bezug auf existenzvernichtende Eingriffe jenseits solcher „Skandalfälle“, wie er
dem „KBV“-Urteil zugrunde lag, zumindest dann problematisch, wenn man dessen
Anwendungsbereich nicht im Wege der Rechtsfortbildung erweitern will. Die Anwendungsschwierigkeiten liegen sowohl bei der Feststellung der Sittenwidrigkeit als
auch bei den subjektiven Voraussetzungen. Daher besteht Anlass zur Prüfung der
Frage, ob eine über das gesetzliche Gläubigerschutzinstrumentarium hinausgehende
Haftung für existenzvernichtende Eingriffe entwickelt werden kann.
3. Existenzvernichtende Eingriffe sind innerhalb wie auch außerhalb von Konzernlagen Teil der Rechtswirklichkeit. Die aus existenzvernichtenden Eingriffen für
die GmbH-Gläubiger resultierenden Gefahren sind keine konzernspezifischen, also
gerade aus der Abhängigkeit oder Konzernierung resultierenden Gefahren. Die
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dogmatische Grundlage einer Haftung für existenzvernichtende Eingriffe kann daher
allein im allgemeinen GmbH-Recht gefunden werden.
4. Eine Haftung der Gesellschafter für existenzvernichtende Eingriffe kann nicht
im Wege des „Durchgriffs“ begründet werden. Ein „Durchgriff“ auf die Gesellschafter ist weder als Nichtbeachtung der Selbständigkeit der juristischen Person im Einzelfall, noch als Aufhebung der Haftungsbeschränkung aus § 13 Abs. 2 GmbHG,
noch als teleologische Reduktion des § 13 Abs. 2 GmbHG bei gleichzeitiger Anwendung der haftungsüberleitenden Norm des § 128 HGB zulässig. Keiner dieser
Ansätze liefert eine überzeugende Methode, mit der die Haftung der Gesellschafter
für Schulden der GmbH rechtstechnisch begründet werden könnte. Das liegt insbesondere daran, dass es im GmbH-Recht schlicht an einer Norm fehlt, aus der sich
durch Auslegung oder im Wege der Analogie eine Haftung der GmbH-
Gesellschafter unmittelbar gegenüber den Gesellschaftsgläubigern ableiten ließe.
Der Haftungsverfassung der GmbH entspricht vielmehr das Prinzip der Haftungskanalisierung zugunsten des GmbH-Vermögens.
5. Obgleich das in der „Trihotel“- Entscheidung entwickelte Haftungskonzept des
BGH einer bei § 826 BGB angesiedelten Innenhaftung sich zu Recht am Prinzip des
mittelbaren Gläubigerschutzes orientiert, vermag es dogmatisch nicht zu überzeugen. Wenn die Gesellschafter einerseits verpflichtet werden sollen, bestimmte nachteilige Einwirkungen auf die Gesellschaft zu unterlassen und andererseits eine rechtliche Sonderverbindung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter allgemein
anerkannt ist, dann spricht alles dafür, diese Pflicht in der Sonderbeziehung zu verankern. Gerade wenn man - wie der BGH - eine Innenhaftung etablieren will, ist es
nicht nachvollziehbar, weshalb das durch die Mitgliedschaft gekennzeichnete Innenverhältnis faktisch ausgeblendet und stattdessen auf das Deliktsrecht zurückgegriffen werden soll. Es ist dogmatisch kaum begründbar, dass § 826 BGB als deliktische Generalklausel die speziellere Sonderverbindung als Haftungsgrundlage verdrängen können soll. Die Grundlage für ein Existenzvernichtungsverbot ist daher im
Innenverhältnis zwischen GmbH und Gesellschafter zu suchen.
6. Die beim Innenverhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter ansetzenden Haftungskonzepte von Wilhelm und Altmeppen sind letztlich abzulehnen. Entgegen ihrer Ansicht lassen sich allein aus der Fremdheit des Gesellschaftsvermögens
keine konkreten Pflichtenbindungen für die Gesellschafter herleiten. Denn die Gesellschafter stehen der Gesellschaft nicht wie beliebige Dritte gegenüber und sind
damit nicht bloße Verwalter eines fremden Vermögens. Als oberstes Willensbildungsorgan der Gesellschaft sind sie vielmehr diejenigen, die im Rahmen ihrer
Kompetenzen über das Gesellschaftsvermögen frei verfügen dürfen.
7. Die Pflicht, existenzvernichtende Eingriffe zu unterlassen, kann sich vielmehr
nur aus der mitgliedschaftlichen Sonderrechtsbeziehung der Gesellschafter zur
GmbH ergeben. Allerdings kann die Frage, welche Rechte und Pflichten in der Son-
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derverbindung bestehen, nicht mit dem Begriff der Sonderverbindung selbst erklärt
werden, sondern bedarf einer eigenständigen Begründung. Die Sonderverbindung
erzeugt nicht selbständig bestimmte Rechte und Pflichten, vielmehr begründen umgekehrt die kraft der Mitgliedschaft bestehenden Rechte und Pflichten erst die Sonderbeziehung. Auch mit der jedem Gesellschafter obliegenden Pflicht zur Beachtung
des Gesellschaftszwecks, der sogenannten Treuebindung gegenüber der Gesellschaft, kann ein (indisponibles) Existenzvernichtungsverbot nicht begründet werden.
Zwar sind sowohl der Alleingesellschafter als auch die Gesellschaftergesamtheit
grundsätzlich an den Gesellschaftszweck gebunden, sie können sich aber für jede
Missachtung des Gesellschaftszwecks im Einzelfall durch formlosen Beschluss ein
den Tatbestand der Pflichtverletzung ausschließendes Einverständnis erteilen.
8. Zur Begründung eines Existenzvernichtungsverbotes bedarf es einer indisponiblen Kompetenzbeschränkung für die Gesellschafter. Dem Begriff des „Eigeninteresses der Gesellschaft“ kommt hierfür kein eigenständiger Begründungswert zu.
Aus ihm können und dürfen nicht selbständig bestimmte Pflichten abgeleitet werden. Als Gegenstück bestimmter Kompetenzschranken und Pflichten ist ein „Eigeninteresse der Gesellschaft“ in genau der gleichen Weise begründungsbedürftig wie
die Schranken und Pflichten selbst. Es geht vielmehr darum, im GmbHG nach normativen Anhaltspunkten zu suchen, die die Entwicklung eines Existenzvernichtungsverbotes im Wege der Rechtsfortbildung gestatten. Einen solchen normativen
Anhaltspunkt liefern die Liquidationsvorschriften der §§ 65 ff GmbHG. Der Umstand, dass das Gesetz für eine zur Beendigung der Gesellschaft führende Desinvestition mit den §§ 65 ff GmbHG ein zwingendes Verfahren vorsieht, das die
vorrangige Befriedigung der Gläubiger gewährleisten soll, spricht eindeutig dafür,
dass der Gesetzgeber eine existenzvernichtende und damit zur faktischen
Beendigung der Gesellschaft führende Desinvestition des eingesetzten Kapitals
außerhalb des Verfahrens nach §§ 65 ff GmbHG gerade nicht zulassen wollte.
9. Die Entwicklung eines Existenzvernichtungsverbotes aus der Wertung der Liquidationsvorschriften im Wege der Rechtsfortbildung ist methodologisch zulässig.
Das Anfechtungsrecht nach der InsO und dem AnfG stellt im Ergebnis keine Regelung dar, die die Rechtsfolgen existenzvernichtender Eingriffe abschließend regelt.
Bei der Insolvenzanfechtung geht es um die nachträgliche Vergrößerung der Haftungsmasse, wenn der Insolvenzfall bereits eingetreten ist. Das Anfechtungsrecht
zielt anders als das Existenzvernichtungsverbot nicht darauf ab, solche Verhaltenspflichten (für den Schuldner oder Dritte) aufzustellen, die das Eintreten des Insolvenzfalles nach Möglichkeit verhindern sollen. Ob die Gesellschafter unter bestimmten Voraussetzungen für die Verursachung der Insolvenz des Schuldners haften sollen, liegt damit außerhalb des Regelungsbereichs des Anfechtungsrechts. Das
Anfechtungsrecht schließt damit die Entwicklung eines Existenzvernichtungsverbots
nicht aus.
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10. Schließlich lässt sich auch den §§ 30, 31 GmbHG nicht die Wertung entnehmen, dass der historische Gesetzgeber das Problem existenzvernichtender Eingriffe
allein mit den Kapitalerhaltungsvorschriften (und den übrigen gesetzlich positivierten Gläubigerschutzinstrumenten) bewältigt wissen wollte. Bei der Ermittlung des
gesetzgeberischen Willens spielt zunächst die Wertung der Liquidationsvorschriften
eine entscheidende Rolle, die eindeutiges Indiz dafür ist, dass Desinvestitionsmaßnahmen außerhalb des Verfahrens nach §§ 65 ff GmbHG gerade nicht zulässig sein
sollen. Eine planwidrige Gesetzeslücke wäre danach nur dann zu verneinen, wenn
der historische Gesetzgeber die Gefahr existenzvernichtender Desinvestitionsmaßnahmen erkannt und sich gleichwohl dafür entschieden hätte, den Gesellschafter ihre
Dispositionsfreiheit auch insoweit zu belassen. Insoweit spricht aber alles dafür,
dass er mit der Gefahr, die Gesellschafter könnten ihr Weisungsrecht in Geschäftsführungsangelegenheiten dazu nutzen, die Gesellschaft ihrer wirtschaftlichen Überlebensfähigkeit zu berauben, nicht gerechnet hat. Schon das von den Gesetzesverfassern zugrunde gelegte Bild einer pluralistischen Gesellschafterstruktur legt nahe,
dass der Gesetzgeber von einem Gleichlauf der Interessen von Gesellschaft und
GmbH ausging und gesellschaftsschädigende Maßnahmen der Gesellschafter außerhalb seiner Vorstellung lagen. Darüber hinaus boten die traditionellen Rechtsformen
für die Gefahr, dass die Gesellschafter außerhalb der Gesellschaft liegender Interessen der Gesellschaft existenznotwendiges Vermögen entziehen könnten, kein Anschauungsmaterial. Vielmehr trat das Problem von den Gesellschaftern veranlasster
Vermögensentziehungen zu Lasten der Gesellschaft erstmals mit der neu geschaffenen Rechtsform der GmbH in voller Schärfe auf. Wenn der Gesetzgeber dann aber
auf diese Gefahr in der Gesetzesbegründung nicht eingeht, muss davon ausgegangen
werden, dass er sie auch tatsächlich nicht erkannt hat. Somit wies das GmbHG von
1892 hinsichtlich der Behandlung von zur faktischen Beendigung der GmbH führende Desinvestitionsmaßnahmen von Anfang an eine planwidrige Gesetzeslücke
auf. Diese anfängliche Gesetzeslücke wurde durch die GmbH-Novelle von 1980
nicht geschlossen und wird auch durch das MoMiG nicht geschlossen werden.
11. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Existenzvernichtungshaftung ergeben sich in erster Linie aus der gesetzlichen Wertung, mit der sie begründet wurde
und damit aus der Wertung der Liquidationsvorschriften. Danach ist den Gesellschaftern eine zur faktischen Beendigung der Gesellschaft führende und damit existenzvernichtende Desinvestition des eingesetzten Kapitals (außerhalb eines geordneten Liquidationsverfahrens) verboten. Der Kreis der als existenzvernichtender Eingriff in Betracht kommender Maßnahmen ist dabei weit zu ziehen. In Betracht
kommt letztlich jedweder Entzug von in der Gesellschaft gebündelten Ressourcen,
also neben dem Vermögensentzug insbesondere der Entzug von Geschäftschancen,
aber auch der Abzug von Personal. Risikogeschäfte der Gesellschaft mit Dritten sind
dagegen aus dem Tatbestand auszuklammern.
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12. Die Existenzvernichtungshaftung setzt eine Pflichtverletzung des Gesellschafters voraus. Eine Pflichtverletzung liegt dann vor, wenn der Gesellschafter den existenzvernichtenden Eingriff vorgenommen hat, obwohl für ihn vorhersehbar war,
dass die GmbH dadurch einer erheblichen Gefahr des wirtschaftlichen Zusammenbruchs ausgesetzt wird. Die Haftung setzt weiter ein Verschulden des Gesellschafters voraus, das nach § 280 Abs. 1 BGB jedoch vermutet wird. Praktische Bedeutung kommt dem Verschuldenserfordernis vor allem in Bezug auf die Haftung derjenigen Gesellschafter zu, die den Eingriff nicht selbst vorgenommen haben. Die
Haftung dieser Gesellschafter bestimmt sich in erster Linie nach dem Kriterium der
Mitwirkung. Hierfür reicht die bloße Duldung nicht aus. Weiter kommt die Haftung
wegen Existenzvernichtung erst dann in Betracht, wenn die Gesellschaft bereits
insolvent ist. Dabei muss die zeitliche Grenze, ab der die Existenzvernichtungshaftung eingreift, einfach zu handhaben und für jedermann klar erkennbar sein, weswegen vorauszusetzen ist, dass bereits ein vergeblicher Vollstreckungsversuch bei der
GmbH unternommen oder das Insolvenzverfahren eröffnet bzw. die Eröffnung mangels Masse abgelehnt worden ist. Schließlich muss der existenzvernichtende Eingriff
die Insolvenz der Gesellschaft verursacht haben, also conditio sine qua non für den
Zusammenbruch sein, wofür aber auch Mitursächlichkeit ausreichend ist. Dabei
kann auch ein längerer Zeitraum zwischen Eingriff und Insolvenzeintritt liegen,
solange nur die (Mit-) Ursächlichkeit des Eingriffs belegt ist. Für die Geltendmachung des Anspruchs im eröffneten Insolvenzverfahren durch den Insolvenzverwalter sind Erleichterungen der Darlegungs- und Beweislast nicht in Betracht. Bei der
Geltendmachung des Anspruchs außerhalb eines Insolvenzverfahrens durch einen
Gesellschaftsgläubiger sind Beweiserleichterungen hinsichtlich des Nachweises des
Kausalzusammenhangs ebenfalls nicht angezeigt, wohl aber hinsichtlich des Nachweises des existenzvernichtenden Eingriffs. Insoweit trifft den Gesellschafter eine
„sekundäre Behauptungslast“. Trägt der klagende Gesellschaftsgläubiger danach
Indizien für einen existenzvernichtenden Eingriff vor, dann obliegt es dem Gesellschafter, substantiiert darzulegen, dass kein existenzvernichtender Eingriff vorlag.
13. Rechtsfolge eines existenzvernichtenden Eingriffs ist eine Schadensersatzverpflichtung der pflichtwidrig handelnden Gesellschafter gegenüber der GmbH. Zu
ersetzen sind alle Vermögensnachteile der Gesellschaft, die adäquat kausal aus dem
existenzvernichtenden Eingriff herrühren und damit auch diejenigen oft beträchtlichen Folgeschäden (wie etwa Zerschlagungsverluste oder die Kosten eines Sozialplans nach § 112 BetrVerfG), die gerade infolge der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Gesellschaft eingetreten sind. Allerdings ist die Ersatzpflicht der
Höhe nach auf den Gläubigerausfall zu begrenzen. Die Durchsetzung der Existenzvernichtungshaftung erfolgt im eröffneten Insolvenzverfahren durch den Insolvenzverwalter (§ 80 Abs. 1 InsO). Wird der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgelehnt, bleibt den Gesellschaftsgläubigern allein die Möglichkeit der Pfändung des Schadensersatzanspruchs. Ein unmittelbares Klagerecht der
Gesellschaftsgläubiger gegen die Gesellschafter analog §§ 62 Abs. 2, 93 Abs. 5, 309
Abs. 4, 310 Abs. 4, 317 Abs. 4, 318 Abs. 4 AktG ist abzulehnen.
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14. Die Existenzvernichtungshaftung ist gegenüber den Kapitalerhaltungsvorschriften nicht subsidiär. Existenzvernichtungshaftung und Kapitalerhaltungsvorschriften sind voneinander zu trennende Gläubigerschutzinstitute mit unterschiedlichen Voraussetzungen und verschiedenartigem Haftungsgrund. Die beiden Institute
sind nebeneinander anwendbar und ergänzen einander. Für das Verhältnis der Existenzvernichtungshaftung zur Insolvenzanfechtung nach den §§ 129 ff InsO gilt, dass
der Insolvenzverwalter gegenüber dem Gesellschafter nicht verpflichtet ist, zunächst
gegen etwaige Anfechtungsgegner vorzugehen. Der Insolvenzverwalter kann sich
vielmehr für die jeweils erfolgversprechendste Möglichkeit der Masseanreicherung
grundsätzlich frei entscheiden. Nimmt er dabei den Gesellschafter in Anspruch,
muss er diesem allerdings entsprechend § 255 BGB den Rückgewähranspruch gegen
den Anfechtungsgegner abtreten. Die Entscheidung zur Inanspruchnahme des Gesellschafters muss dabei allerdings zu einem Zeitpunkt erfolgen, in dem die Anfechtungsansprüche noch bestehen und nicht verjährt sind. Verzögert der Insolvenzverwalter schuldhaft die Inanspruchnahme des Gesellschafters, so mindert sich nach §§
254, 278 BGB die Schadensersatzpflicht des Gesellschafters gegenüber der Masse.
Beruht die Masseminderung auf einer schuldhaften Pflichtverletzung des Insolvenzverwalters, steht der Masse insoweit ein Schadensersatzanspruch gegen den Insolvenzverwalter aus § 60 InsO zu.
15. Vergleicht man die Ergebnisse der hier vertretenen Innenhaftungslösung mit
denen einer Durchgriffshaftung, so zeigt sich, dass sich der hier vertretene Vorschlag besser in das Gläubigerschutzsystem des GmbHG einfügt. So sah sich der
BGH für das in der „KBV“-Entscheidung entwickelte und mit dem „Trihotel“-Urteil
aufgegebene Durchgriffskonzept dann auch veranlasst (oder hätte sich in Bezug auf
noch nicht ausdrücklich entschiedene Fragen veranlasst sehen müssen), die von
seinem Konzept gleichsam im ersten Anlauf gelieferten praktischen Ergebnisse an
vielen Stellen zu korrigieren, um zu angemessen Lösungen zu gelangen. Das durch
die „Trihotel“-Entscheidung begründete Haftungsmodell stimmt dagegen hinsichtlich der Rechtsfolgen und der Durchsetzung der Existenzvernichtungshaftung mit
dem hier vertretenen, beim Mitgliedschaftsverhältnis zwischen Gesellschaft und
Gesellschafter ansetzenden Haftungskonzept weitgehend überein. Wichtige Unterschiede bestehen aber auf der Tatbestandebene, insbesondere ist nach dem BGH
nicht bereits (wie nach hier vertretener Auffassung) fahrlässiges, sondern erst vorsätzliches Handeln haftungsbegründend.
16. Ausgeklammert geblieben ist bei der vorliegenden Untersuchung die Frage,
inwieweit die Existenzvernichtungshaftung auf Kapitalgesellschaften Anwendung
finden kann, die im EU-Ausland gegründet worden sind, ihren Tätigkeitsschwerpunkt jedoch in Deutschland haben. Diesbezüglich wird auf die hierzu erschienene
Spezialliteratur verwiesen (siehe etwa ausführlich Weller, Europäische Rechtsformwahlfreiheit und Gesellschafterhaftung (2004); ferner etwa Altmeppen, NJW 2004,
97 ff; Ulmer, KTS 2004, 291 ff; Schön, ZHR 168 (2004), 268, 290 ff).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Seit dem „Bremer Vulkan“-Urteil des BGH vom 17.09.2001 ist die Frage nach einer Gesellschafterhaftung für existenzvernichtende Eingriffe eines der meist diskutierten Probleme im GmbH-Recht. Während in den Stellungnahmen zu diesem Problemkreis zumeist ohne weiteres davon ausgegangen wird, dass das gesetzliche Schutzinstrumentarium zur Bewältigung der Folgen existenzvernichtender Eingriffe nicht ausreichend sei, setzt sich der Autor ausführlich mit diesen Instrumenten, insbesondere den Möglichkeiten des insolvenzrechtlichen Anfechtungsrechts, auseinander; er untersucht eingehend, ob die für die rechtsfortbildende Entwicklung einer solchen Haftung erforderliche planwidrige Gesetzeslücke vorliegt. Im Ergebnis hält er – ebenso wie die Rechtsprechung und die meisten Literaturstimmen – die Etablierung einer Existenzvernichtungshaftung für methodologisch zulässig und rechtspolitisch sinnvoll. Anders als der BGH, der die Existenzvernichtungshaftung zunächst als Durchgriffshaftung und später als besondere Fallgruppe des § 826 BGB eingeordnet hat, sieht der Verfasser die dogmatische Grundlage der Haftung aber in der mitgliedschaftlichen Sonderverbindung des Gesellschafters zur GmbH.