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3. Kapitel: Methodologische Zulässigkeit der Entwicklung einer Existenzvernichtungshaftung
Im Folgenden soll untersucht werden, ob § 826 BGB, das Anfechtungsrecht oder die
Kapitalerhaltungsvorschriften die rechtlichen Folgen existenzvernichtender Eingriffe
abschließend regeln.
A. Offenheit des § 826 BGB für die Rechtsfortbildung
Dabei fällt die Entscheidung dieser Frage im Hinblick auf § 826 BGB leicht. Denn §
826 BGB ist dafür offen, rechtsfortbildend spezielle Regelungen zu schaffen, die
den berechtigten Erwartungen der Verkehrsteilnehmer entsprechen und damit den
Maßstab der guten Sitten konkretisieren. Man kann sogar davon sprechen, dass §
826 BGB einen Rechtsfortbildungsauftrag enthält.516 So ist in der Vergangenheit
schon vielfach ein missbilligtes Verhalten zunächst § 826 BGB unterstellt worden,
ehe es im Wege der Stabilisierung der im Rahmen dieser Vorschrift sich ausprägenden Wertungen zum Gegenstand spezifischer gesetzlicher oder richterrechtlicher
Normen wurde. 517 Damit steht § 826 BGB der rechtsfortbildenden Entwicklung
eines Existenzvernichtungsverbots nicht entgegen.
B. Anfechtungsrecht keine abschließende Regelung
Wie gezeigt, stellt das Anfechtungsrecht (nach der InsO und dem AnfG) ein Instrument dar, mit dem die Folgen von Vermögensverschiebung im Vorfeld der Insolvenz in weitem Umfang rückgängig gemacht werden können.518 Es ist ein durchaus
effektives Mittel, die Auswirkungen existenzvernichtender Eingriffe rechtlich zu
bewältigen. Fraglich ist aber, ob dadurch die rechtsfortbildende Entwicklung einer
Gesellschafterhaftung für existenzvernichtende Eingriffe ausgeschlossen wird.
516 Staudinger- Oechsler, BGB 13. Bearb. (2003), § 826 Rn. 32 ff; Erman- Schiemann, BGB
10. A. (2000), § 826 Rn. 2; MünchKomm- Mertens, BGB 3. A. (1997), § 826 Rn. 3.
517 Beispiel hierfür ist etwa die Entstehung eines Teils der Normen des UWG und GWB;
siehe dazu Staudinger- Oechsler, BGB 13. Bearb. (2003), § 826 Rn. 32 ff.
518 Siehe ausführlich oben 1. Kapitel B.
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References
Zusammenfassung
Seit dem „Bremer Vulkan“-Urteil des BGH vom 17.09.2001 ist die Frage nach einer Gesellschafterhaftung für existenzvernichtende Eingriffe eines der meist diskutierten Probleme im GmbH-Recht. Während in den Stellungnahmen zu diesem Problemkreis zumeist ohne weiteres davon ausgegangen wird, dass das gesetzliche Schutzinstrumentarium zur Bewältigung der Folgen existenzvernichtender Eingriffe nicht ausreichend sei, setzt sich der Autor ausführlich mit diesen Instrumenten, insbesondere den Möglichkeiten des insolvenzrechtlichen Anfechtungsrechts, auseinander; er untersucht eingehend, ob die für die rechtsfortbildende Entwicklung einer solchen Haftung erforderliche planwidrige Gesetzeslücke vorliegt. Im Ergebnis hält er – ebenso wie die Rechtsprechung und die meisten Literaturstimmen – die Etablierung einer Existenzvernichtungshaftung für methodologisch zulässig und rechtspolitisch sinnvoll. Anders als der BGH, der die Existenzvernichtungshaftung zunächst als Durchgriffshaftung und später als besondere Fallgruppe des § 826 BGB eingeordnet hat, sieht der Verfasser die dogmatische Grundlage der Haftung aber in der mitgliedschaftlichen Sonderverbindung des Gesellschafters zur GmbH.