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bestimmte nachteilige Einwirkungen auf die Gesellschaft zu unterlassen und andererseits eine rechtliche Sonderverbindung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter
allgemein anerkannt ist, dann spricht alles dafür, diese Pflicht in der Sonderbeziehung zu verankern.372 Gesellschafter und GmbH stehen sich eben gerade nicht gegenüber wie beliebige Dritte, die lediglich die durch das Deliktsrecht gezogenen
Grenzen zu beachten hätten, sondern sind durch die Mitgliedschaft verbunden. Gerade wenn man - wie der BGH - eine Innenhaftung etablieren will, ist es nicht nachvollziehbar, wenn das durch die Mitgliedschaft gekennzeichnete Innenverhältnis
faktisch ausgeblendet und stattdessen auf das Deliktsrecht zurückgegriffen werden
soll. Es ist im Übrigen auch dogmatisch kaum begründbar, dass § 826 BGB als deliktische Generalklausel die speziellere Sonderverbindung als Haftungsgrundlage
verdrängen können soll.373 Hierdurch würde der Spezialitätsgrundsatz in sein
Gegenteil verkehrt.
C. Gesellschafterhaftung wegen sorgfaltswidriger Geschäftsleitung
Zu erörtern bleiben danach diejenigen Ansätze, die im Innenverhältnis zwischen
GmbH und Gesellschafter nach der Grundlage für ein Existenzvernichtungsverbot
suchen.
Ein im Innenverhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter ansetzendes
Haftungskonzept ist die von Wilhelm begründete Organhaftungslehre. Neben diesem
Haftungskonzept soll im Folgenden auch die hieran anknüpfende von Altmeppen
entwickelte Lehre von der unverzichtbaren Gesellschafterhaftung für gröblich sorgfaltswidriges Verhalten dargestellt und bewertet werden.
I. Organhaftungslehre (Wilhelm)
Als Gegenentwurf zur Durchgriffslehre will Wilhelm die juristische Person „ernst
nehmen“.374 Ausgangspunkt seiner Überlegungen ist die These, dass die juristische
Person zwar eine zweckhafte Einrichtung, aber eben nicht eine lediglich für fremde
Zwecke brauchbare Rechtseinrichtung, sondern eine sich in ihren Zwecken selbst
bestimmende Einheit sei.375 Probleme, die die Durchgriffslehre mit der Missachtung
der juristischen Person zu bewältigen versuche, seien allein über die Berücksichti-
372 Siehe bereits oben
373 So auch Weller, ZIP 2007, 1681, 1683; Dauner- Lieb, ZGR 2008, 34, 43.
374 Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person (1981), insbes. S. 330 ff.
375 Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person (1981), S. 12 f; in der
Auseinandersetzung mit der Lehre Wilhelms bleibt oft unberücksichtigt, dass auch Wilhelm davon ausgeht, dass die juristische Person eine zweckhafte Einrichtung ist.
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gung der Rechtsbeziehungen zwischen den Mitgliedern und der juristischen Person
zu lösen. Dabei gelte es, das Vermögen der juristischen Person nicht als eigentliches
Miteigentum der Gesellschafter zu begreifen, das der Gesellschaft nur aus rechtstechnischen Gründen zur Verwirklichung der Haftungsbeschränkung zugeordnet sei,
sondern als für die Gesellschafter (in jeder Beziehung) fremdes Vermögen.376
Bezüglich der Regeln für den Umgang mit diesem fremden Vermögen sei der allgemeine Rechtsgrundsatz der Pflichtgebundenheit jeder fremdbezogenen Machtaus-
übung maßgebend, wie er bei der GmbH in der organschaftlichen Sorgfaltshaftung
der Geschäftsführer zum Ausdruck komme.377 Aus diesem Rechtsgrundsatz der
Pflichtgebundenheit ergebe sich, dass jeder Gesellschafter dann, wenn er Organmacht für sich in Anspruch nehme und kraft dieser Organmacht die Geschicke der
juristischen Person bestimme, der Pflichtgebundenheit fremdbezogener Machtaus-
übung unterliege. Die Gesellschafter dürften hiernach mit dem Gesellschaftsvermögen also „nicht umspringen, wie mit ihrem eigenen“, sondern hätten in Bezug auf
das Gesellschaftsvermögen die Stellung bloßer Verwalter, weshalb sie sich auch
„benehmen und schließlich haften müssen wie jeder Verwalter fremden Vermögens“.378 Ohne eine Pflichtgebundenheit auch der Gesellschafter entstehe bei gesellschaftsschädigenden Maßnahmen insofern ein nicht hinnehmbares Haftungsdefizit,
als die Geschäftsführer (außer im Sonderfall der Einlagenrückgewähr § 43 Abs. 3
Satz 2 und 3 GmbHG) nicht hafteten, weil sie auf Weisung gehandelt hätten und
auch die Gesellschafter nicht hafteten, weil sie nicht Geschäftsführer seien. Daher
könne eine ausschließlich auf die Geschäftsführer begrenzte Organhaftung nur insoweit aufrechterhalten werden, als die Geschäftsführer wirklich selbständige Gewalt in der Gesellschaft hätten.
Seien die Geschäftsführer dagegen als bloße Figuren der eigentlich bestimmungsmächtigen Gesellschafter zu qualifizieren, dann müssten diese bestimmungsmächtigen Gesellschafter die Ausübung ihrer Macht an den Regeln kaufmännischer
Sorgfaltsanforderungen entsprechend § 43 Abs. 1 GmbHG ausrichten.379 Auch ein
Unterlassen sei dabei als sorgfaltswidrig anzusehen, wenn ein Gesellschafter trotz
einflussstarker Position und ausreichender Übersicht nachteilige Maßnahmen geschehen lasse. Bei Verletzung dieser Sorgfaltspflicht hafteten sie der GmbH gegen-
über auf Schadensersatz. Als positivrechtliche Bestätigung dieses Organhaftungs-
376 Wilhelm, DB 1986, 2113, 2113 f.
377 Als Ausdruck dieses allgemeinen Rechtgrundsatzes verweist Wilhelm, Rechtsform und
Haftung bei der juristischen Person (1981), S. 337 auf das Recht der Stellvertretung, der
gesetzlichen Vertretung und der Geschäftsführung für andere; weitgehend zustimmend
Flume, Die Juristische Person (1983), S. 85 ff, insbes. 88 f, der die Haftung des geschäftsführenden Gesellschafters dann, wenn eine vertragliche Grundlage für die Geschäftsführung fehlt, als eine Haftung wegen negotiorum gestio ([Fremd]-Geschäftsführung ohne
Auftrag) einordnet.
378 Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person (1981), S. 337 f.
379 Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person (1981), S. 355.
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konzepts führt Wilhelm die Schadensersatzhaftung des herrschenden Unternehmens-
Gesellschafters in §§ 311, 317 AktG an.380
In einem jüngeren Beitrag zum „KBV“-Urteil des BGH spricht er von einer Sorgfaltshaftung des die Leitung der GmbH bestimmenden GmbH-Gesellschafters.381
Dabei sei es lediglich eine „Geschmacksfrage“, ob man von einer Haftung aus mitgliedschaftlichem Sonderrechtsverhältnis, Treuepflicht oder negotiorum gestio
spreche.382 Wichtig sei allein, zu erkennen, dass sich der in die Geschäftsführung
eingreifende Gesellschafter in ein Sonderrechtsverhältnis zur Gesellschaft begebe
und damit sein Verhalten an den für die Verwaltung fremden Vermögens geltenden
Regeln auszurichten habe.383 Es ist nicht mehr vom Sorgfaltsmaßstab eines ordentlichen Geschäftsmanns entsprechend § 43 GmbHG die Rede, sondern davon, dass für
die Organhaftung der allgemeine Maßstab des § 276 BGB gelte, nach dem die Überschreitung des unternehmerischen Ermessens für die Haftung maßgeblich sei.384
Eine ausdrückliche Abgrenzung zu seinen bisher vertretenen Thesen erfolgt in diesem Beitrag jedoch nicht.
II. Unverzichtbare Gesellschafterhaftung für gröblich sorgfaltswidriges Verhalten
(§ 93 Abs. 5 Satz 2 und 3 AktG analog)
Das Haftungskonzept von Altmeppen385 stimmt mit der Organhaftungslehre Wilhelms im Ausgangspunkt überein. Beide suchen den Haftungsgrund in der rechtlichen Beziehung zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern und beiden geht es letztlich darum, eine Haftung des Gesellschafters wegen sorgfaltswidriger Geschäftsleitung zu begründen. So geht auch Altmeppen davon aus, dass der Gesellschafter
fremde Geschäfte führe, wenn er, auf welche Weise auch immer, mit dem zur Gläubigerbefriedigung benötigten Gesellschaftsvermögen umgehe.386 Die Pflichtgebundenheit des Gesellschafters beim Umgang mit diesem Vermögen wird dabei ebenfalls auf den Grundsatz der Pflichtgebundenheit jeder fremdbezogenen Geschäftsführung gestützt.
Nach Altmeppen greift die Organhaftungslehre jedoch insoweit zu kurz, als sie
eine Haftung des geschäftsleitenden Gesellschafters allein mit der analogen Anwen-
380 Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person (1981), S. 349 ff.
381 Wilhelm, NJW 2003, 175, 178 f.
382 Wilhelm, NJW 2003, 175, 179; in diese Richtung auch schon ders., DB 1986, 2113, 2118
ff.
383 Wilhelm, NJW 2003, 175, 179, insbes. auch Fußn. 51 und 55.
384 Wilhelm, NJW 2003, 175, 179.
385 Siehe insbes.ZIP 2001, 1837, 1842 ff.
386 Altmeppen, ZIP 2001, 1837, 1843; ders., ZIP 2002, 1553, 1562 Fußn. 99.
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References
Zusammenfassung
Seit dem „Bremer Vulkan“-Urteil des BGH vom 17.09.2001 ist die Frage nach einer Gesellschafterhaftung für existenzvernichtende Eingriffe eines der meist diskutierten Probleme im GmbH-Recht. Während in den Stellungnahmen zu diesem Problemkreis zumeist ohne weiteres davon ausgegangen wird, dass das gesetzliche Schutzinstrumentarium zur Bewältigung der Folgen existenzvernichtender Eingriffe nicht ausreichend sei, setzt sich der Autor ausführlich mit diesen Instrumenten, insbesondere den Möglichkeiten des insolvenzrechtlichen Anfechtungsrechts, auseinander; er untersucht eingehend, ob die für die rechtsfortbildende Entwicklung einer solchen Haftung erforderliche planwidrige Gesetzeslücke vorliegt. Im Ergebnis hält er – ebenso wie die Rechtsprechung und die meisten Literaturstimmen – die Etablierung einer Existenzvernichtungshaftung für methodologisch zulässig und rechtspolitisch sinnvoll. Anders als der BGH, der die Existenzvernichtungshaftung zunächst als Durchgriffshaftung und später als besondere Fallgruppe des § 826 BGB eingeordnet hat, sieht der Verfasser die dogmatische Grundlage der Haftung aber in der mitgliedschaftlichen Sonderverbindung des Gesellschafters zur GmbH.