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in aller Regel auch die gesamten durch den Zusammenbruch der Gesellschaft verursachten Schadensfolgen vom Vorsatz umfasst sein. Denn der Schädiger braucht den
genauen Kausalverlauf ebenso wenig vorherzusehen wie den genauen Schadensumfang.253 Erforderlich ist nur, dass er die Richtung und die Art des Schadens vorhergesehen und gebilligt hat. Auch in Bezug auf die Vorstellung über die Person des
Geschädigten muss sich der Vorsatz nicht auf die Schädigung einer bestimmten
Person beziehen. Auch hier reicht es aus, dass sich der Täter lediglich der Richtung
bewusst ist, in der sich sein Verhalten zum Schaden anderer auswirken kann.254
III. Zwischenergebnis
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Anwendbarkeit des § 826 BGB (ohne
dessen rechtsfortbildende Erweiterung) in Bezug auf existenzvernichtende Eingriffe
jenseits von Extremfällen, wie sie etwa dem „KBV“255- oder „Klinik“256-Urteil zu
Grunde lagen, zumindest problematisch ist. Die Schwierigkeiten liegen sowohl bei
der Feststellung der Sittenwidrigkeit als auch bei den subjektiven Voraussetzungen.
So ist beim Vermögensentzug die objektive Sittenwidrigkeit zu verneinen, wenn sie
das in den Anfechtungsvorschriften vorausgesetzte Maß nicht übersteigt. In Bezug
auf die subjektiven Voraussetzungen scheidet § 826 BGB von vornherein aus, wenn
die Gesellschafter hinsichtlich der Gläubigerschädigung nicht vorsätzlich, sondern
nur fahrlässig gehandelt haben. Bei vorsätzlicher Gläubigerschädigung schließlich
wird oft der Nachweis dieses Vorsatzes schwierig sein, wenn die Gesellschafter sich
darauf berufen, dass sie mit dem Zusammenbruch der Gesellschaft nicht gerechnet
hätten.
D. Ergebnis 1. Kapitel
Die Untersuchung der gesetzlichen Gläubigerschutzinstrumente hat gezeigt, dass
sich die Rechtsordnung gegenüber existenzvernichtenden Eingriffen auch ohne die
Entwicklung einer Existenzvernichtungshaftung keineswegs „blind“ stellt. Insbesondere das Anfechtungsrecht bietet weitreichende Möglichkeiten, die Folgen existenzvernichtender Eingriffe rückgängig zu machen. Allerdings ginge der durch eine
253 BGH Urt v. 20. 11. 1990 - VI ZR 6/90 - NJW 1991, 634, 636; Erman- Schiemann, BGB
10. A. (2000), § 826 Rn. 15; Staudinger- Oechsler, BGB 13. Bearb. (2003), § 826 Rn. 78.
254 BGH Urt. v. 26. 6. 1989 - II ZR 289/88 - BGHZ 108, 134, 143; BGH Urt v. 20. 11. 1990 -
VI ZR 6/90 - NJW 1991, 634, 636; Soergel- Hönn/ Dönneweg, BGB 12. A. (1999), § 826
Rn. 65.
255 BGH Urt. v. 24. 6. 2002 - II ZR 300/00 - BGHZ 151, 181, 181 ff.
256 BGH Urt. v. 20. 9. 2004 - II ZR 302/02 - NJW 2005, 145, 145 ff.
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Existenzvernichtungshaftung gewährleistete Gläubigerschutz in den in diesem Abschnitt aufgezeigten wichtigen Punkten deutlich über das Schutzniveau des gesetzlichen Gläubigerschutzinstrumentariums hinaus. Die Gläubigerschutzsituation würde
durch die Anerkennung einer Existenzvernichtungshaftung also nicht unerheblich
verbessert. Daher ist zu prüfen, ob in Ergänzung zu den gesetzlich positivierten
Gläubigerschutzinstrumenten rechtsfortbildend eine Gesellschafterhaftung für existenzvernichtende Eingriffe entwickelt werden kann. Dabei muss zunächst eine geeignete Haftungsgrundlage gesucht werden (2. Kapitel). Wird eine solche gefunden,
so bleibt zu klären, ob die Entwicklung einer Existenzvernichtungshaftung auf dieser dogmatischen Grundlage methodologisch zulässig ist (3. Kapitel).
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References
Zusammenfassung
Seit dem „Bremer Vulkan“-Urteil des BGH vom 17.09.2001 ist die Frage nach einer Gesellschafterhaftung für existenzvernichtende Eingriffe eines der meist diskutierten Probleme im GmbH-Recht. Während in den Stellungnahmen zu diesem Problemkreis zumeist ohne weiteres davon ausgegangen wird, dass das gesetzliche Schutzinstrumentarium zur Bewältigung der Folgen existenzvernichtender Eingriffe nicht ausreichend sei, setzt sich der Autor ausführlich mit diesen Instrumenten, insbesondere den Möglichkeiten des insolvenzrechtlichen Anfechtungsrechts, auseinander; er untersucht eingehend, ob die für die rechtsfortbildende Entwicklung einer solchen Haftung erforderliche planwidrige Gesetzeslücke vorliegt. Im Ergebnis hält er – ebenso wie die Rechtsprechung und die meisten Literaturstimmen – die Etablierung einer Existenzvernichtungshaftung für methodologisch zulässig und rechtspolitisch sinnvoll. Anders als der BGH, der die Existenzvernichtungshaftung zunächst als Durchgriffshaftung und später als besondere Fallgruppe des § 826 BGB eingeordnet hat, sieht der Verfasser die dogmatische Grundlage der Haftung aber in der mitgliedschaftlichen Sonderverbindung des Gesellschafters zur GmbH.