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V. Sonstige Anfechtungstatbestände
Die Tatbestände der „besonderen Insolvenzanfechtung“195 (§§ 130 - 132 InsO) stellen zwar grundsätzlich durchaus wichtige Instrumente zum Schutz der insolvenzrechtlichen Haftungsordnung dar.196 Als Instrumente gegen existenzvernichtende
Eingriffe spielen sie aber, vor allem weil sie zeitlich nicht weiter als drei Monate vor
den Eröffnungsantrag zurückreichen, gegenüber den §§ 133, 134 InsO eine untergeordnete Rolle, weshalb auf ihre Darstellung, ebenso wie auf die des praktisch wenig
bedeutsamen §135 InsO, hier verzichtet werden kann.197
VI. Das Problem der masselosen Insolvenz
Die Insolvenzanfechtung ist nur im Insolvenzverfahren möglich. Wird die Eröffnung
des Insolvenzverfahrens nach § 26 InsO mangels Masse abgelehnt, weil das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht einmal zur Deckung der Verfahrenskosten
ausreicht, scheidet die Möglichkeit der Insolvenzanfechtung damit aus. Die Insolvenzanfechtung dient allerdings gerade dem Zweck, die Insolvenzmasse zu vergrö-
ßern. Mit ihr holt der Insolvenzverwalter Vermögenswerte, die vor Verfahrenseröffnung aus dem Schuldnervermögen ausgeschieden sind, in die Insolvenzmasse zurück. Die durch Anfechtung zurückzuerlangenden Vermögenswerte gehören zur in §
35 InsO definierten sog. „Sollmasse“, die den Insolvenzgläubigern als Haftungsvermögen zur Verfügung steht. Bei der Prüfung durch das Insolvenzgericht, ob eine
kostendeckende Masse vorhanden ist, muss es daher auch die Chancen eines entsprechenden Anfechtungsprozesses prüfen und die damit verbundenen Prozesskosten abschätzen.198 Das Kostenrisiko kann dabei durch Prozesskostenhilfe gemindert
werden. Idealerweise kann es also gar nicht dazu kommen, dass die Eröffnung des
Verfahrens mangels Masse abgelehnt wird, wenn kostendeckende Anfechtungsansprüche bestehen.
Rechtstatsächlich kam es unter Geltung der Konkursordnung allerdings in einer
Vielzahl von Fällen dazu, dass Anfechtungsansprüche bei der Ermittlung der Soll-
195 Die „besondere Insolvenzanfechtung“ wird deshalb so bezeichnet, weil nur sie keine
Parallele zur Gläubigeranfechtung außerhalb des Insolvenzverfahrens hat; zum AnfG
sogleich unten 1. Kapitel B VII.
196 Häsemeyer, Insolvenzrecht 3. A. (2003), Kap. 21. 37, S. 514.
197 Siehe zu diesen Vorschriften neben der umfangreichen Kommentarliteratur etwa Häsemeyer, Insolvenzrecht 3. A. (2003), Kap. 21. 37 ff, S. 514 ff; kurze Übersicht bei Jauernig,
Zwangsvollstreckungs- und Insolvenzrecht 21. A. (1999), § 52 IV, S. 248 ff.
198 Häsemeyer, Insolvenzrecht 3. A. (2003), Kap. 7. 28, S. 146.
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References
Zusammenfassung
Seit dem „Bremer Vulkan“-Urteil des BGH vom 17.09.2001 ist die Frage nach einer Gesellschafterhaftung für existenzvernichtende Eingriffe eines der meist diskutierten Probleme im GmbH-Recht. Während in den Stellungnahmen zu diesem Problemkreis zumeist ohne weiteres davon ausgegangen wird, dass das gesetzliche Schutzinstrumentarium zur Bewältigung der Folgen existenzvernichtender Eingriffe nicht ausreichend sei, setzt sich der Autor ausführlich mit diesen Instrumenten, insbesondere den Möglichkeiten des insolvenzrechtlichen Anfechtungsrechts, auseinander; er untersucht eingehend, ob die für die rechtsfortbildende Entwicklung einer solchen Haftung erforderliche planwidrige Gesetzeslücke vorliegt. Im Ergebnis hält er – ebenso wie die Rechtsprechung und die meisten Literaturstimmen – die Etablierung einer Existenzvernichtungshaftung für methodologisch zulässig und rechtspolitisch sinnvoll. Anders als der BGH, der die Existenzvernichtungshaftung zunächst als Durchgriffshaftung und später als besondere Fallgruppe des § 826 BGB eingeordnet hat, sieht der Verfasser die dogmatische Grundlage der Haftung aber in der mitgliedschaftlichen Sonderverbindung des Gesellschafters zur GmbH.