240
D. Einzelfragen zu gesetzlicher und gewillkürter Erbfolge
I. Rapport à la masse (Anrechnung und Ausgleichung)
1. Wirkung und Zweck
Schenkungen, die (i) unter Lebenden von einer Person an einen ihrer direkten (gesetzlichen) Erben (zum Beispiel von einem Elternteil an ein Kind) und (ii) während der
Ehe von einem Ehemann an seine Ehefrau1328 erfolgt sind1329, gelten als vorweggenommene Erbfolge (avancement de succession).
Zusammengefasst gilt grundsätzlich, dass mit dem Tod des Schenkers ein derart
Beschenkter von den Miterben in Anspruch genommen werden kann, das avancement,
den Vorempfang, (zu dem Wert im Zeitpunkt der Schenkung)1330 zurück in den Nachlass zu bringen, bevor dieser geteilt wird. Dies wird als rapport à la masse bezeichnet.1331 Allerdings kann der Erbe den Vorempfang behalten und dennoch an der Teilung des beweglichen Nachlasses teilnehmen, wenn der Vorempfang durch den Schenker ausdrücklich aus seinem disponiblen Drittel bewirkt wurde.1332
Zurückführen lässt sich das Rechtsinstitut des rapport à la masse auf das Prinzip
der strikten Gleichbehandlung der gesetzlichen Erben im normannischen Recht;
1328 Wohl auch umgekehrt. Dies ist seit der Geltung des Wills and Successions (Jersey) Law 1993
um so mehr der Fall, da danach der überlebende Ehegatte gesetzlicher Erbe des Verstorbenen
wird, vgl. Art. 7 (1) sowie oben 2. Teil Kapitel 1 B.IV.2.b.
1329 Ottley v. de Gruchy, veuve Ottley (1958) 251 Ex. 256: Die Witwe in diesem Fall unterlag dem
rapport à la masse in Bezug auf Aktien, die ihr Ehemann beabsichtigt hatte, ihr vor der Ehe zu
schenken, die er ihr tatsächlich aber erst nach der Eheschließung schenkte, da nicht nachgewiesen wurde, dass der Verstorbene mit ihr vor der Eheschließung eine formelle Vereinbarung
bezüglich dieser Aktien getroffen hatte.
Als Vorempfang gilt auch, wenn bewegliches Vermögen von den Eheleuten in joint tenancy
gehalten wurde und mit dem Tod des einen Ehegatten der andere Ehegatte Alleineigentum kraft
seines right of survivorship (jus accrescendi, Anwachsung) erhält, so dass das zur gesamten
Hand gehaltene Eigentum gerade nicht in den Nachlass fällt, vgl. ausführlich oben 2. Teil Kapitel 1 A.I.3. Somit unterliegt auch dieser Anteil dem rapport bei der Nachlassabwicklung des
zuerst Verstorbenen, vgl. Channing (née Journeaux) v. Harrison (née Thomas) (1967) 1 J.J.
845, siehe hierzu unten Anhang A Nr.1.
Selbst zu der Zeit, als das Eigentum am beweglichen Vermögen einer Frau mit der Eheschlie-
ßung auf ihren Ehemann überging (siehe hierzu oben 2. Teil Kapitel 1 C.I.2.b.), mussten diese
beweglichen Güter in den hotchpot (die Gütervereinigung zum Zweck gleicher Vererbung)
hinsichtlich des Nachlasses ihres Vaters eingebracht werden, wenn mit der Eheschließung eine
dahingehende Vereinbarung getroffen worden war, Le Gallais v. Renaut, Cour du Samedi, Urt.
v. 18.05.1706, zitiert bei Le Gros, Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 61.
1330 Amy v. Amy (1968) 1 J.J. 981.
1331 Matthews/Sowden, The Jersey Law of Trusts, Abschnitt 6.5.
1332 Gavey v. Gavey (1731) 1 OC 176; Le Gros, Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey,
S. 69.
2. Teil: Das Erbrecht der Bailiwicks Jersey und Guernsey
241
es fand sich bereits im Très Ancien Coutumier1333 und wurde im Grand Coutumier1334
fortgeführt. Das Gewohnheitsrecht verbot einer Person, einem der Erben einen größeren Vorteil zu gewähren als den anderen, und deshalb wurde eine Eigentumsübertragung unter Lebenden an eine Person, die Erbe des Übertragenden bei dessen Tod werden würde, als Vorwegnahme oder Beschleunigung der Erbfolge angesehen (avancement de succession).1335
Da der Grundsatz des rapport à la masse verhindern will, dass der Erblasser einem
der Erben zum Nachteil der anderen Vorteile zukommen lässt, erklärt sich auch, warum er keine Anwendung fi ndet, wenn ein Fremder ein inter vivos-Geschenk vom Erblasser erhält, da hier alle Erben in gleichem Ausmaß benachteiligt werden.1336
2. Anwendungsbereich
Heute fi ndet der Grundsatz des rapport à la masse nur bei beweglichem Vermögen
Anwendung, auf unbewegliche Nachlässe wird er seit der Loi (1960) Modifi ant le
Droit Coûtumier nicht mehr angewandt.1337
Weiterhin greift der Grundsatz nur bei einer direkten absteigenden Erbfolge ein,
nicht bei einer Erbfolge in der Seitenlinie.1338
1333 Tardif, Coutumiers de Normandie, Bd. 1.1, S. 10, Kap. 10 Ziff. 2.
1334 Tardif, Coutumiers de Normandie, Bd. 2, S. 114, Kap. 35 Ziff. 1; Terrien, Commentaires du
Droict Civil tant public que privé, observé au Pays et Duché de Normandie, S. 211 Rn. 1.
1335 Vgl. zum normannischen Recht ausführlich Yver, Égalité entre héritiers et exclusion des enfants
dotés, S. 91 – 110; vgl. auch Dicks-Mireaux, Les principes du droit successoral ab intestat dans
les Iles Anglo-Normandes et leur évolution, S. 21 – 22; Mautalent-Reboul, Le droit privé jersiais, S. 212 – 217; Ourliac/Gazzaniga, Histoire du droit privé français, S. 321; Timbal, Droit
Romain et Ancien Droit Français, Rn. 305; Yver, R. H. D. 1952, 18 (55); Yver, Caen, Ac. Mém.
1952, 307 (326 – 328); Warnkönig/Warnkönig, Französische Staats- und Rechtsgeschichte, Bd.
2, S. 467 (zur Coutume Réformée). Es erscheint möglich, dass die Grundsätze der Gleichbehandlung aller Erben und des rapport à la masse eines der wenigen Beispiele für einen Einfl uss
des skandinavischen Rechts (vgl. hierzu oben 1. Teil B.I.) bilden, siehe Yver, Caen, Ac. Mém.
1952, 307 (329 – 331).
1336 Le Gros, Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 71. Ein solches Geschenk konnte allerdings früher gegebenenfalls als Schenkung à cause de mort angegriffen werden, vgl. oben
2. Teil Kapitel 1 C.XI.1.
1337 Im Grand Coutumier waren ursprünglich nur Schenkungen von unbeweglichem Vermögen verboten, später erfolgte dann eine Ausdehnung auch auf bewegliches Vermögen, siehe Terrien,
Commentaires du Droict Civil tant public que privé, observé au Pays et Duché de Normandie, S.
211 Rn. 1, S. 213; vgl. auch Mautalent-Reboul, Le droit privé jersiais, S. 213 – 214. Vgl. zur Coutume Réformée Basnage, Les Œuvres de Maître Henri Basnage, Bd. 2, Art. 434, S. 268 – 283.
1338 Vgl. Le Gros, Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 58 – 60, 459; vgl. auch Poingdestre, Les Lois et Coutumes de l‘Ile de Jersey, S. 140. Der Grand Coutumier verbot auch Schenkungen in der Seitenlinie, allerdings nur hinsichtlich unbeweglichen Vermögens, nicht bezüglich beweglichen Vermögens, Terrien, Commentaires du Droict Civil tant public que privé,
observé au Pays et Duché de Normandie, S. 213 Rn. 4 Anm. g); Le Geyt, La Constitution, Bd.
4, S. 222; Yver, Égalité entre héritiers et exclusion des enfants dotés, S. 99 – 102. Vgl. zur Cou-
D. Einzelfragen zu gesetzlicher und gewillkürter Erbfolge
242
Er erstreckt sich weiterhin auf bewegliche Nachlässe, bei denen die Abkömmlinge
des Erblassers Anspruch auf den Pfl ichtteil (die légitime) unter Geltung eines Testaments haben (Anrechnung auf den Pfl ichtteil), wobei dies unter dem Vorbehalt steht,
dass der Beschenkte diesen Vorempfang behalten darf, falls das avancement rechnerisch aus dem disponiblen Teil gemacht wurde.1339 Das Recht Jerseys wendet den
Rechtsbegriff rapport à la masse somit unterschiedslos auf Fälle der Ausgleichung
und auf Fälle der Anrechnung auf den Pfl ichtteil an.
Nicht anrechnungsbedürftig sind allerdings Ausgaben, die im Hinblick auf die Erziehung, den Beruf, die Ernährung, die Hochzeitsfeier, die gewöhnliche Kleidung und
den Nießbrauch an unbeweglichem Vermögen getätigt wurden.1340
Keine Anwendung fi ndet der Grundsatz generell auf alle Legatare, d. h. diese müssen vorherige Schenkungen des Erblassers nicht zurück in den Nachlass bringen.1341
3. Möglichkeit, die Vorempfänge zu behalten (rester sur ses avances)
Ist der Nachlass solvent, muss ein rapport à la masse nicht zwingend durchgeführt
werden, vielmehr hat der Beschenkte ein Wahlrecht (vorausgesetzt, der Vorempfang
übersteigt nicht das disponible Drittel1342): Er kann entweder rapporter à la masse,
d.h. das Erlangte – wertmäßig1343 – in den hotchpot (die Gütervereinigung zum Zweck
gleicher Vererbung) einbringen und an der Teilung des beweglichen Vermögens teilhaben, oder rester sur ses avances, d.h. den Vorempfang behalten und auf sein Recht,
an der Erbnachfolge hinsichtlich des beweglichen Nachlasses teilzunehmen – einschließlich des Pfl ichtteils (der légitime) – 1344, verzichten.1345
tume Réformée Basnage, Les Œuvres de Maître Henri Basnage, Bd. 2, Art. 432, S. 263; Warnkönig/Warnkönig, Französische Staats- und Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 505.
1339 Gavey v. Gavey (1731) 1 OC 176; Matthews/Nicolle, The Jersey Law of Property, Abschnitt
8.40. Zur Berechnung des disponiblen Drittels siehe oben 2. Teil Kapitel 1 C.IV.2.a(4). Siehe
weiterhin unten 2. Teil Kapitel 1 D.I.3.
1340 Le Geyt, Code Le Geyt, S. 56 Art. 14.
1341 Joslin v. Cabot (1894) 216 Ex. 535; 8.39.
1342 Le Cornu v. Falle (1917) 229 Ex. 533; Matthews/Nicolle, The Jersey Law of Property, Abschnitt 8.39.
1343 Früher musste hier zwischen Vorempfängen beweglicher und Vorempfängen unbeweglicher Art
unterschieden werden: Vorempfänge aus dem unbeweglichen Vermögen mussten laut Le Gros,
Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 71 in Natur („en nature“) eingebracht werden.
In Amy v. Amy (1968) 1 J.J. 981 folgerte das Gericht aus der Formulierung bei Le Gros, dass
der logische Gegenschluss zu ziehen sei, dass bewegliche Vorempfänge nur wertmäßig („en
moins prenant“) eingebracht werden müssten. Da nach heutigem Recht der rapport nur noch
bei beweglichem Vermögen Anwendung fi ndet (siehe oben 2. Teil Kapitel 1 D.I.2.), kann nun
generell gesagt werden, dass der rapport à la masse auf Jersey wertmäßig durchzuführen ist.
1344 Amy v. Amy (1968) 1 J.J. 981.
1345 Valpy dit Janvrin v. Valpy dit Janvrin (1716) 1 C.R. 66; (1718) 86 Ex. 184, zitiert bei Le
Gros, Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 61. Diese Option bestand bzw. besteht in
der Coutume der Normandie und im modernen französischen Recht nicht,. Amy v. Amy (1968)
1 J.J. 981 (982).
2. Teil: Das Erbrecht der Bailiwicks Jersey und Guernsey
243
Wenn der Nachlass jedoch insolvent ist, schuldete ein Miterbe, der seine avance
behielt, nach der vor Geltung des Wills and Successions (Jersey) Law 1993 bestehenden Rechtslage den anderen Erben seinen Anteil am Defi zit ohne Höchstgrenze.1346
Unter heutigem Recht kappt aber Art. 18 Wills and Successions (Jersey) Law 1993 die
Haftung der Erben und Legatare (über bewegliches oder unbewegliches Vermögen)
für die Schulden des Erblassers auf den jeweils auf sie entfallenden Anteil. Da ein Vorempfang als vorweggenommene Erbfolge gilt, spricht viel dafür, auch denjenigen, der
einen Vorempfang erhalten hat, in den Anwendungsbereich des Art. 18 fallen zu lassen
mit der Rechtsfolge, dass er nicht über den erhaltenen Anteil hinaus für die Schulden
des Erblassers haftet.
Die Erben haben das Recht, einen Vorempfang an beweglichen Gegenständen zu
behalten, ohne dadurch ihre Ansprüche auf den unbeweglichen Nachlass zu beeinträchtigen.1347
4. Durchführung des rapport à la masse
Der Anspruch auf den rapport wird erst mit dem Erbfall fällig und verjährt innerhalb
von 10 Jahren ab diesem Zeitpunkt.1348 Berechtigt, eine Schenkung als vorweggenommene Erbfolge anzufechten und den rapport zu fordern,1349 sind nur die
Miterben, sofern sie nicht auf ihr Erbrecht verzichtet haben,1350 nicht aber die testamentarisch Bedachten und auch nicht der Nachlassverwalter oder Testamentsvollstrecker.1351
Hinsichtlich der Berechnung des Wertes der Anrechnung/Ausgleichung gilt, dass
ein Geschenk, das wieder in den Nachlass gebracht wird, mit dem Wert eingebracht
1346 Le Gallais v. Renaut, Cour du Samedi, Urt. v. 18.05.1706, zitiert bei Le Gros, Traité du Droit
Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 61; vgl. auch Tarr v. Laurens (veuve Jaquet) (1926), 234 Ex.
207; 1917–30 T.D. 50.
1347 Valpy dit Janvrin v. Valpy dit Janvrin (1716) 1 C.R. 66; (1718) 86 Ex. 184, zitiert bei Le
Gros, Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 61.
Weiterhin gibt es eine (zweifelhafte?) Aussage in Ottley v. de Gruchy, veuve Ottley (1958)
251 Ex. 256, wonach ein Kind, das aus einer früheren Ehe hervorgegangen war, eine avance,
die es von seinem verstorbenen Vater vor dessen Wiederheirat erhalten hatte, nicht in den
hotchpot einbringen muss.
1348 Le Gros, Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 71.
1349 Le Gros, Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 71.
1350 Amy v. Amy (1968) 1 J.J. 981 (982); Matthews/Sowden, The Jersey Law of Trusts, Abschnitt
6.5.
1351 Ahier v. Gruchy (1889) 213 Ex. 473. Auch in der Praxis berücksichtigt der Nachlassverwalter
/ Testamentsvollstrecker auf Jersey kein Geschenk an die Erben, es sei denn die Miterben weisen ihn dementsprechend an oder erheben entsprechend Klage.
D. Einzelfragen zu gesetzlicher und gewillkürter Erbfolge
244
werden muss, den es zum Zeitpunkt der Schenkung hatte.1352 Es ist nicht möglich, auf
Zahlung von Zinsen auf die avance zu klagen.1353
Soll der Umfang des Nachlasses ermittelt werden, ist weiterhin folgendes zu beachten: Um sich zu entscheiden, ob er den Vorempfang zurückgeben oder ihn behalten
und auf den Erbteil verzichten soll, kann der Erbe das Gericht um einen bénéfi ce
d’inventaire ersuchen, in Folge dessen der Viscount ein Inventar des beweglichen Vermögens aufstellt.1354 Im Übrigen kann jeder, der ein Interesse an dem beweglichen
Vermögen eines Erblassers hat, bei Gericht beantragen, dass der Nachlassverwalter/
Testamentsvollstecker vor Gericht unter Eid ein wahres und getreues Inventar sowie
eine entsprechende Rechnungslegung des beweglichen Nachlasses vorlegt.1355
II. Erb- und Vermächtnisausschlagung
1. Nul n’est héritier qui ne veut / nul n’est légataire qui ne veut
a. (Gesetzliche) Erben
Jeder (gesetzliche) Erbe, der die Erbfolge oder seine Rechtsstellung darin nicht akzeptieren möchte, ist zur Erbausschlagung berechtigt: „Nul n’est héritier qui ne
veut“.1356
1352 Amy v. Amy (1968) 1 J.J. 981. In diesem Fall verklagte eine Schwester ihren Bruder auf einen
rapport à la masse hinsichtlich der Aktien an dem Familienunternehmen, die er von seinem
Vater erhalten hatte. Das Gericht folgte einer Textstelle bei Le Gros (Le Gros, Traité du Droit
Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 69) und entschied, dass der Erbe „en moins prenant“ (wertmä-
ßig) und nicht „en nature“ Rechenschaft über die geschenkten Aktien mit dem Wert, den sie am
Tag der Schenkung hatten, geben müsse. Das bedeutet, der Sohn musste eine Summe zahlen,
die dem Wert der Aktien zum Zeitpunkt der Schenkung und nicht zum Zeitpunkt des Todes des
Erblassers oder der Klageerhebung entsprach. Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass der
Beschenkte bereits ab dem Zeitpunkt der Schenkung das Geschenk verwerten und damit den
Wert in diesem Zeitpunkt für sich realisieren konnte.
1353 Le Gros v. Le Gros, Causes Remises, Urt. v. 08.06.1815; Vincent v. Langlois, Cour du Samedi, Urt. v. 05.07.1869, jeweils zitiert bei Le Gros, Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey,
S. 62; siehe auch Le Gros, Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 70.
1354 Siehe hierzu unten 2. Teil Kapitel 1 D.II.2.
1355 Art. 24 Probate (Jersey) Law 1998.
1356 Le Gros, Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 460. Vgl. auch Timbal, Droit Romain
et Ancien Droit Français, Rn. 368; Warnkönig/Warnkönig, Französische Staats- und Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 469 – 470; vgl. auch Basnage, Les Œuvres de Maître Henri Basnage, Bd. 1,
Art. 235, S. 391 – 392.
Im Fall eines Minderjährigen oder einer Person, für die ein Pfl eger bestellt wurde, kann der
Vormund oder Pfl eger annehmen oder ausschlagen.
2. Teil: Das Erbrecht der Bailiwicks Jersey und Guernsey
245
Voraussetzung für eine Ausschlagung ist allerdings, dass der Erbe noch keinen acte
d’héritier1357 begangen hat. Eine zeitliche Beschränkung für die Ausschlagung gibt es
hingegen nicht.1358
Gibt es eine Erbfolge hinsichtlich beweglichen und eine hinsichtlich unbeweglichen Vermögens, kann der Erbe die eine annehmen und die andere ausschlagen.1359
Da die Erben bis zum Inkrafttreten des Wills and Successions (Jersey) Law 1993
für die Schulden des Nachlasses persönlich und unbegrenzt haftbar gemacht werden
konnten, war es wichtig, dass sie die Möglichkeit hatten, die Erbfolge auszuschlagen,
um diese Haftung zu verhindern. Art. 18 Wills and Successions (Jersey) Law 1993
sieht jetzt aber vor, dass die Haftung eines Erben (oder Legatars) hinsichtlich beweglichen oder unbeweglichen Vermögens für Schulden des Erblassers in keinem Fall den
Wert des Nachlasses oder des Teils des Nachlasses, der auf den Erben (oder Legatar)
entfällt, übersteigen darf. Folglich hat die Möglichkeit der Erbausschlagung deutlich
an Bedeutung verloren.
b. Legatar
Auch ein (durch Testament berufener) Legatar ist berechtigt, das Vermächtnis auszuschlagen, vorausgesetzt, dass er sich noch nicht in den Nachlass eingemischt hat
(„s’être immiscé“)1360: „Nul n’est légataire qui ne veut“.1361
Ist der gesetzliche Erbe in einem Testament auch als Legatar eingesetzt, ist dies zulässig, solange das Vermächtnis den disponiblen Teil nicht übersteigt (als eine Art Vorausvermächtnis). Geht das Vermächtnis aber darüber hinaus, wird das Vermächtnis
nicht ad legitimum modum reduziert, sondern der Begünstigte muss sich zwischen den
beiden Rechtsstellungen als gesetzlicher Erbe oder Legatar entscheiden: „Si l’héritier
choisit la position d’heritier, il doit renoncer en entier à celle de légataire.“1362 Dies
gilt selbst, wenn er nur Begünstigter eines testamentarisch errichteten trust ist.1363
Da ein Testament mit Verfügungen über bewegliches und unbewegliches Vermögen
nach dem Recht Jerseys aus einem Testament über das bewegliche Vermögen und einem Testament über das unbewegliche Vermögen besteht, kann ein gesetzlicher Erbe,
der auch hinsichtlich beider Vermögensmassen testamentarisch bedacht wurde, das
unbewegliche Vermächtnis annehmen und das bewegliche Vermächtnis ausschlagen
1357 Vgl. hierzu unten 2. Teil Kapitel 1 D.II.3.
1358 Die Nouvelle Coutume (Art. 235 und 394 Coutume Réformée) hingegen schrieb ein Zeitlimit
von 40 Tagen seit dem Tod des Erblassers vor, vgl. hierzu Basnage, Les Œuvres de Maître Henri Basnage, Bd. 1, Art. 235, S. 340; ders., Les Œuvres de Maître Henri Basnage, Bd. 2, Art. 394,
S. 100 – 101.
1359 Matthews/Nicolle, The Jersey Law of Property, Abschnitt 8.56.
1360 Vgl. Bertram v. Bree et aus. (1894) 216 Ex. 446 für den Fall eines Vermächtnisses über bewegliches Vermögen.
1361 Re Susanne Blampied, Cour du Samedi, Urt. v. 27.06.1925, zitiert bei Le Gros, Traité du Droit
Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 460.
1362 West v. West (1942) 13 C.R. 46.
1363 Matthews/Sowden, The Jersey Law of Trusts, Abschnitt 6.8.
D. Einzelfragen zu gesetzlicher und gewillkürter Erbfolge
246
(und daraufhin gegen das bewegliche Testament vorgehen und im Erfolgsfall von den
Vorschriften über die gesetzliche Erbfolge in bewegliche Sachen profi tieren).1364
Zwar könnte man aufgrund der Haftungsbegrenzung durch Art. 18 Wills and Successions (Jersey) Law 1993 auch für Legatare dem Recht zur Ausschlagung von Vermächtnissen ebenfalls eine gewisse Bedeutung absprechen. Allerdings besteht hier
insofern ein Unterschied zur Erbausschlagung als – wie soeben ausgeführt – in den
oben genannten Fällen, in denen einem (gesetzlichen) Erben ein Vermächtnis ausgesetzt wurde, dieser zwischen den beiden Positionen wählen muss, und deshalb die
Ausschlagung des Vermächtnisses für ihn noch immer von Interesse sein kann, um zu
dem (gegebenenfalls höherwertigen) gesetzlichen Erbe zu kommen.
2. Bénéfi ce d’inventaire (Haftungsbeschränkung durch Inventarerrichtung)
Möchte der (gesetzliche) Erbe1365, bevor er eine Entscheidung hinsichtlich der Annahme der Erbschaft1366 trifft, wissen, ob die Erbschaft onéreuse (überschuldet) ist,
kann er innerhalb von 40 Tagen, beginnend mit dem Tod des Erblassers, das Gericht
um einen bénéfi ce d’inventaire ersuchen.1367
Der bénéfi ce kann als ein Privileg des Erben beschrieben werden, das es ihm ermöglicht, festzustellen, ob der Nachlass solvent ist oder nicht, indem ein Inventar des
beweglichen Nachlasses erstellt wird und so bestimmt werden kann, ob die Verbindlichkeiten den Wert der Nachlassgegenstände übersteigen oder umgekehrt. Ursprünglich bestand dieses Recht, da der Erbe persönlich für die Schulden des Nachlasses
haftbar war, wenn er einen Nachlass annahm, bei dem sich später herausstellte, dass
er insolvent war. Im Lichte von Art. 18 Wills and Successions (Jersey) Law 1993, der
bestimmt, dass die Haftung eines Erben bezüglich des beweglichen oder unbeweglichen Nachlasses für Verbindlichkeiten des Nachlasses den Wert seines Nachlassanteils
nicht übersteigt, hat auch dieses Recht deutlich an Bedeutung verloren. Nunmehr wird
es vermutlich nur noch in Anspruch genommen werden, um zu entscheiden, ob es
wirtschaftlich sinnvoller ist, einen Vorempfang zurückzugeben oder ihn zu behalten
und auf den Erbteil zu verzichten (rester sur ses avances).1368
Entspricht das Gericht dem Antrag auf Inventarerrichtung, erstellt der Viscount ein
Inventar des beweglichen Vermögens. Er ruft auch zur Geltendmachung von Forderungen auf und erstellt ein Register der Ansprüche, die angemeldet wurden. Forderungen, die nicht beim Viscount angemeldet wurden, können später nicht mehr gegen den
1364 Re Testament Lycett (1950) 1 P.D. 41. Vgl. auch Matthews/Sowden, The Jersey Law of Trusts,
Abschnitt 6.8.
1365 Nicht aber der Legatar, vgl. Re Philips (1897) 218 Ex. 551.
1366 Ex parte Nicolle, Valpy intervenant (1885) 210 Ex. 219 spricht dafür, dass nur der Haupterbe
des beweglichen Vermögens und der acquêts einen bénéfi ce beantragen kann.
1367 Le Gros, Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 1; Matthews/Nicolle, The Jersey Law
of Property, Abschnitt 8.57.
1368 Vgl. hierzu oben 2. Teil Kapitel 1 D.I.3.
2. Teil: Das Erbrecht der Bailiwicks Jersey und Guernsey
247
Nachlass oder gegen den Erben in eigenem Namen geltend gemacht werden.1369 Wenn
der Viscount das Inventar und das Forderungsregister fertig gestellt hat, muss der Erbe/
müssen die Erben die Erbschaft annehmen oder ausschlagen. Wenn sie sie annehmen,
werden sie für die beim Viscount registrierten Schulden haftbar, allerdings, wie bereits
erwähnt, nur in den Grenzen des Art. 18 Wills and Successions (Jersey) Law
1993.1370
Hat der Erbe einen acte d’héritier1371 begangen, kann er die Erbschaft nicht länger
ausschlagen oder einen bénéfi ce d’inventaire beantragen.
Das Erhalten eines bénéfi ce d’inventaire verlängert im Gegenzug die Zeitspanne,
innerhalb derer ungesicherte Gläubiger Schritte einleiten können, um ihre Forderungen gegen den unbeweglichen Nachlass zu sichern, von einem Jahr ab dem Tod des
Erblassers auf 18 Monate ab dem Ausstellungsdatum der Urkunde, in der das Gericht
den bénéfi ce d’inventaire gewährt.1372
Die Kosten des bénéfi ce d’inventaire werden vom beweglichen Nachlass getragen,
da es allen an diesem Nachlass Beteiligten zu Gute kommt.1373
3. Acte d’héritier
Ein Erbe oder Legatar, der eine Erbschaft/ein Vermächtnis annimmt oder einen acte
d’héritier begeht, ist ab diesem Zeitpunkt nicht mehr zur Ausschlagung berechtigt1374
und der Erbe verliert im Falle von beweglichem Nachlass auch das Recht, einen bénéfi ce d’inventaire zu beantragen.1375
Unter einem acte d’héritier versteht man irgendein Verhalten, das zwangsläufi g
eine Annahme der Stellung eines Erben bedeutet,1376 d.h. eine Handlung, die keine
Person begehen könnte, es sei denn, diese Person hat die Rolle, den Charakter und die
1369 Le Geyt v. Lemprière, Cour du Billet, Urt. v. 10.06.1692 sowie Gallie v. Payne, Cour du Samedi, Urt. v. 23.05.1761, jeweils zitiert bei Le Gros, Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 2.
1370 Vgl. noch zum früheren Recht Matthews/Nicolle, The Jersey Law of Property, Abschnitt
8.57.
1371 Siehe hierzu unten 2. Teil Kapitel 1 D.II.3.
1372 Art. 11 Loi (1880) sur la propriété foncière und Art. 3 iVm 5 Loi (1862) relative au partage
d’héritages (L.6/1862, Recueil des lois, Bd. II, 1851 – 1871, S. 181 – 183); Matthews/Nicolle,
The Jersey Law of Property, Abschnitt 8.58. Siehe weiterhin unten 2. Teil Kapitel 1 E.II.2. Für
eine tiefergehende Abhandlung des bénéfi ce d’inventaire siehe Le Gros, Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 1 – 9.
1373 Succession Philippe Vivian, Cour du Samedi, Urt. v. 08.06.1878, zitiert bei Le Gros, Traité du
Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 8.
1374 So auch Art. 235 Coutume Réformée, Art. 43 Placités du Parlement de Normandie de l’an
1666, abgedruckt bei Hoüard, Dictionnaire analytique, historique, étymologique, critique et
interprétatif de la Coutume de Normandie, Bd. 4, S. 229.
1375 Le Geyt, Code Le Geyt, S. 50 Art. 1; Le Gros, Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S.
266; Matthews/Nicolle, The Jersey Law of Property, Abschnitt 8.59.
1376 Matthews/Nicolle, The Jersey Law of Property, Abschnitt 8.59.
D. Einzelfragen zu gesetzlicher und gewillkürter Erbfolge
248
Qualität eines Erben übernommen.1377 Die Beantragung eines bénéfi ce d’inventaire ist
demnach kein acte d’héritier, denn sie dient dem Erbberechtigten ja gerade zur Entscheidungsfi ndung, ob er die Erbschaft annehmen soll.
Im alten französischen Recht wurde gemäß Pothier1378 folgender Maßstab angelegt:
Zunächst wurde gefragt, welches subjektive Element dem Verhalten zugrunde lag, d.h.
ob es ein freiwilliges Verhalten war. Anschließend wurde geprüft, ob Zweck des Verhaltens lediglich war, das Eigentum zu erhalten. Bejahendenfalls lag kein acte
d’héritier vor.
Das Recht Jerseys dagegen ist in diesem Fall rigoroser, so dass auch rein erhaltende Maßnahmen als acte d’héritier ausgelegt werden können. Die Strenge des Rechts
kann damit gerechtfertigt werden, dass der Erbberechtigte einen bénéfi ce d’inventaire
beantragen und so eine Auslegung seines Verhaltens als acte d’héritier vermeiden
könnte.1379
1377 Falle v. Godfray (1889), 14 App. Cas. 70; 60 L.T. 120; 58 L.J.P.C. 61; Le Geyt, Code Le Geyt,
S. 50 Art. 1. Liegt folglich ein mehrdeutiges Verhalten vor, d.h. eine Handlung, die auch eine
Person, die nicht Erbe ist, wirksam vornehmen könnte, begeht der Erbe keinen acte d’héritier.
Wenn somit ein Erbe den tatsächlichen Besitz an dem Grundbesitz seines Vaters hat, folgt nicht
zwangsnotwendig, dass er durch das Inbesitzhaben einen acte d’héritier begeht, da er auch ein
Mieter/Pächter des Erblassers gewesen sein kann oder der Erblasser ihm den Grundbesitz als
vorweggenommene Erbfolge überlassen haben kann.
Die folgenden Beispiele wurden als actes d’héritier, die dem Erben die Möglichkeit der Erbschaftsausschlagung nahmen, anerkannt:
– Das Schalten einer Anzeige in der Zeitung, in der sich der Antragsteller selbst als Haupterbe
bezeichnete, Ex parte Asplet, Cour du Samedi, Urt. v. 05.07.1875, zitiert bei Le Gros, Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 268.
– Das Führen eines Prozesses in der Verteidigungsposition, wenn die Erbschaft nicht bei der
ersten sich bietenden Gelegenheit ausgeschlagen wurde, Pipon and Le Geyt (exécuteurs)
v. Grandin (Succession Shoosmith), Cour du Billet, Urt. v. 08.06.1750, zitiert bei Le Gros,
Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 268.
– Säumnis als Beklagter in einer Klage gegen den Erben: Wird eine Person als Haupterbe verklagt und ist sie säumig, kann sie die Erbschaft nicht länger ausschlagen, Touzel v. Le Hardy, Cour du Samedi, Urt. v. 12.11.1743, zitiert bei Le Gros, Traité du Droit Coutumier de
l‘Ile de Jersey, S. 268. – Ist eine Person vor dem Greffi er (Gerichtssekretär) säumig, gilt sie,
als habe sie zugestimmt, an der Teilung des beweglichen Nachlasses teilzunehmen und muss
alles Vorwegerhaltene in den hotchpot einbringen.
Ist der Erbe verklagt worden, um seine Zustimmung zu dem Nachlass zu erklären, bevor er
einen bénéfi ce d’inventaire beantragt hat, und war er säumig, gilt er, als habe er die Erbschaft
angenommen, Succession George Blampied, Cour du Samedi, Urt. v. 27.11.1886, zitiert bei
Le Gros, Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 4, und kann die Erteilung eines bénéfi ce d’inventaire nicht mehr beantragen, Succession Jean Le Rués, Cour du Samedi, Urt.
v. 22.04.1727, zitiert bei Le Gros, Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 5.
– Ein Legatar, der in einer Klage auf Testamentsänderung in seiner Eigenschaft als Legatar
eines Stückvermächtnisses verhandelt hat, kann nicht später auf Ausschlagung des Vermächtnisses klagen, Bertram v. Bree et aus. (1894) 216 Ex. 446.
1378 Pothier, Œuvres complètes, Traité des successions, Ch. 3, Sec. 3, Art. 1, abgedruckt bei Le
Gros, Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 266 – 267.
1379 Le Gros, Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 267. Vgl. auch Le Geyt, La Constitution, Bd. 2, S. 357.
2. Teil: Das Erbrecht der Bailiwicks Jersey und Guernsey
249
III. Todesvermutung und gleichzeitiges Versterben
1. Vermutung des Todes bei Verschollenen
Haben die Personen, die dem Verschollenen am nächsten standen, sieben Jahre lang
nichts von diesem gehört, greift nach dem Recht Jerseys eine Todesvermutung ein.1380
Der Todeszeitpunkt wird bestimmt anhand von sieben Jahren seit dem letzten Zeitpunkt, an dem Nachricht von dem Verschollenen erhalten wurde.1381,1382
Das gewohnheitsrechtliche Verfahren für die Todesvermutung ist eine Erklärung
durch den Prévôt an die Chefs Plaids der Assize d’Heritage. Dieses Verfahren ist jedoch, obgleich üblich, nicht zwingend, da die Vermutung auch ohne eine solche Erklärung eingreift.1383 Stattdessen kann im Zusammenhang mit beweglichem Vermögen ein Antrag gemäß Art. 7 Probate (Jersey) Law 1998 (an den Judicial Greffi er zur
Weiterleitung an den Bailiff und die Inferior Number) gestellt werden.
2. Kommorienten (commorientes)
Sterben zwei oder mehrere Personen „gleichzeitig“ und ist einer von ihnen gegebenenfalls der Erbe des anderen, greifen die folgenden Grundsätze ein.
a. Vorrang einer testamentarischen Anordnung
Der Erblasser hat das Recht, eine ausdrückliche Klausel für den Fall in sein Testament
aufzunehmen, dass zwei oder mehrere in dem Testament benannte Personen unter
Umständen sterben, die es ungewiss erscheinen lassen, wer von ihnen den oder die
anderen überlebt hat, eine oder mehrere dieser Personen als Überlebende des oder der
anderen gelten sollen. In solch einem Fall wird das Testament insoweit ohne Rücksicht
auf die anders lautenden gesetzlichen Bestimmungen ausgelegt.1384
b. Gerichtliche Klärung
Existiert in einer solchen Situation keine testamentarische Anordnung, kann jede Person, die ein berechtigtes Interesse hieran hat, bei Gericht die Erteilung einer Erklärung
1380 Godfray v. West et aus. (1888) 212 Ex. 411.
1381 Le Gresley v. Le Masurier (1905) 224 Ex. 10.
1382 Soll das Gericht eine Person, die Erbe eines anderen wäre, für tot erklären, bedarf es eines commencement de preuve d.h. einer Glaubhaftmachung seines Todes, sowie des Nachweises der
Notwendigkeit einer solchen Erklärung, Re Connor, ex parte Connor (1897) 218 Ex. 553.
Existiert eine Geldforderung gegen eine Person, die für tot gehalten wird, kann eine Order of
Justice gegen den Inhaber des Vermögens erhoben werden, mit dem Antrag an das Gericht, den
Schuldner für tot zu erklären und die Zahlung der Verbindlichkeit anzuordnen, Connor v. Trésorier de la „Jersey Savings’ Bank“ (1897) 219 Ex. 11.
1383 Le Maistre v. Le Maistre (1906) 224 Ex. 413.
1384 Art. 11 Wills and Successions (Jersey) Law 1993.
D. Einzelfragen zu gesetzlicher und gewillkürter Erbfolge
250
beantragen, dass die Personen, die unter solchen Umstanden verstorben zu sein scheinen, (i) als gleichzeitig verstorben gelten sollen oder dass (ii) eine oder mehrere der
Personen den oder die anderen überlebt hat.1385
c. Beweislast
In dem sich an den Antrag anschließenden Verfahren ist der Beweis des Überlebens/
Vorversterbens von der Partei zu erbringen, die sich darauf beruft.1386 Das Gericht ist
nicht an die Feststellung eines Todeszeitpunktes gebunden, die in einem von einer offi ziellen Stelle ausgestellten Zertifi kat oder in einem von einer solchen Stelle geführten Todesregister oder in irgendeinem Bericht einer amtlichen Leichenschau oder einer anderen offi ziellen Untersuchung enthalten ist.1387
d. Entscheidung des Gerichts
Ist das Gericht der Auffassung, dass die Reihenfolge, in der einige oder alle der in dem
Antrag benannten Personen verstorben sind, nicht ohne jeden berechtigten Zweifel
bewiesen wurde, muss das Gericht gemäß Art. 9 (5) Wills and Successions (Jersey)
Law 1993 den Beschluss erlassen, dass diese Personen als gleichzeitig verstorben gelten sollen.
Ist das Gericht ohne jeden berechtigten Zweifel überzeugt, dass ein in dem Antrag
benannter Verstorbener einen anderen dort benannten Verstorbenen für eine gewisse
Zeitspanne (unabhängig von deren Dauer) überlebt hat, kann das Gericht gemäß Art.
9 (6) Wills and Successions (Jersey) Law 1993 einen Beschluss erlassen, dass diese
Person die andere überlebt hat.
e. Wirkung des Beschlusses
Ein Beschluss gemäß Art. 9 (5) oder (6) Wills and Successions (Jersey) Law 1993 bindet alle Personen (i) bezüglich unbeweglichen auf Jersey belegenen Vermögens unab-
1385 Art. 9 (1) Wills and Successions (Jersey) Law 1993. Das Wills and Successions (Jersey) Law
1993 kodifi zierte insofern die bis dahin bestehende Rechtlage aufgrund Gewohnheitsrechts,
vgl. zu letzterer Le Gros, Traité du Droit Coutumier de l‘Ile de Jersey, S. 429.
Gemäß Art. 9 (4) Wills and Successions (Jersey) Law 1993 darf das Gericht einen Beschluss
über den Tod einer verstorbenen Person nur fassen, sofern wenigstens eine der folgenden Voraussetzungen erfüllt ist:
(a) Der Verstorbene hatte zum Zeitpunkt des Todes sein domicile auf Jersey oder
(b) der Verstorbene hatte zum Zeitpunkt des Todes Eigentum oder ein Recht an beweglichem oder
unbeweglichem Vermögen, das auf Jersey belegen war, oder
(c) das Recht des Verstorbenen auf einen beweglichen oder unbeweglichen Gegenstand oder irgendein Interesse hieran wurde möglicherweise durch den Tod einer anderen Person, bezüglich
der das Gericht nach diesem Artikel zuständig zum Erlass eines Beschlusses ist, berührt.
1386 Art. 9 (3) (a) Wills and Successions (Jersey) Law 1993.
1387 Art. 9 (3) (b) Wills and Successions (Jersey) Law 1993. Hinsichtlich des gerichtlichen Ermessens bezüglich der Zulassung zusätzlicher Beweismittel etc. vgl. Art. 9 (2) Wills and Successions (Jersey) Law 1993.
2. Teil: Das Erbrecht der Bailiwicks Jersey und Guernsey
251
hängig davon, wo der Erblasser sein letztes domicile hatte, (ii) bezüglich beweglichen
Vermögens, wenn der Erblasser sein letztes domicile auf Jersey hatte, (iii) bezüglich
beweglichen auf Jersey belegenen Vermögens, wenn der Erblasser sein letztes domicile außerhalb Jerseys hatte und nicht das Recht eines anderen Staates eingreift oder dieses auf das Recht Jerseys verweist (aufgrund eines renvoi oder in sonstiger Weise).1388
Im Falle eines Beschlusses bei gleichzeitigem Tod gemäß Art. 9 (5) Wills and Successions (Jersey) Law 1993 wird der Nachlass einer in dem Beschluss genannten Person so verteilt, als habe keine andere, in dem Beschluss genannte, verstorbene Person
den Erblasser überlebt.1389
Besaßen mehrere in dem Beschluss gemäß Art. 9 (5) Wills and Successions (Jersey)
Law 1993 genannte Verstorbene joint ownership (Gesamthandseigentum)1390, gilt das
Eigentum seit ihrem Todeszeitpunkt als Eigentum zu gleichen Bruchteilen (ownership
in common in equal shares)1391, es sei denn, es gab einen Gesamthandseigentümer, der
überlebte; allerdings soll diese Regelung zu keiner Abweichung von den Regeln des
avancement de succession1392 führen.1393
Enthält ein Testament eine Verfügung zugunsten einer Person, die vor dem Erblasser
verstorben war, geht die Verfügung nicht deshalb ins Leere, weil das Gericht den Beschluss gefasst hat, dass der Erblasser und die Person gleichzeitig verstarben; vielmehr
wird die Verfügung behandelt, als sei die Person vor dem Erblasser verstorben.1394
Hinsichtlich der gesetzlichen Erbfolge schließlich gilt, dass ein Beschluss, der einen Erblasser, der nicht letztwillig verfügt hatte, und seinen gesetzlichen Erben für
gleichzeitig verstorben erklärt, einem Abkömmling des Erben nicht das Recht nimmt,
den Erben in der Verteilung des Nachlasses zu vertreten (représentation), wenn er dies
getan hätte, wenn der Erbe vor dem Erblasser verstorben wäre. Dies gilt allerdings nur
vorbehaltlich der folgenden Regelung: Hinterlässt der Erbe einen Ehegatten, soll der
Ehegatte dieselben Rechte hinsichtlich des unbeweglichen Vermögens des Erben haben, die er gehabt hätte, wenn der Erbe nach dem Erblasser verstorben wäre.1395
Tauchen später neue entgegenstehende Tatsachen hinsichtlich der Reihenfolge des
Versterbens auf, kann das Gericht, je nach den Umständen des Einzelfalles, eine Art
Wiederaufnahme des Verfahrens zulassen. Das Gericht würde allerdings bei einer Ab-
änderung des Beschlusses besonders darauf achten, dass ein Erbe oder ein Dritter in
seinem Vertrauen auf den Bestand des ursprünglichen Beschlusses nicht in unangemessener Weise beschädigt würde.
1388 Art. 9 (7) Wills and Successions (Jersey) Law 1993.
1389 Art. 10 (1) Wills and Successions (Jersey) Law 1993.
1390 Vgl. hierzu oben 2. Teil Kapitel 1 A.I.3.
1391 Dito.
1392 Nach diesen Regeln führt eine Anwachsung bei joint tenancy/ownership zu einem Vorempfang,
der dem rapport à la masse unterliegt, siehe hierzu oben Fn. 1329..
1393 Art. 10 (2) Wills and Successions (Jersey) Law 1993.
1394 Art. 10 (3) Wills and Successions (Jersey) Law 1993.
1395 Art. 10 (4) Wills and Successions (Jersey) Law 1993.
D. Einzelfragen zu gesetzlicher und gewillkürter Erbfolge
252
E. Behandlung des Nachlasses
I. Erbanfall und Aufteilung des Nachlasses (le mort saisit le vif / saisine)
Zum besseren Verständnis der Rechtslage hinsichtlich des Erbanfalls unter dem Wills
and Successions (Jersey) Law 1993 sind zunächst einige Ausführungen zum vor Inkrafttreten dieses Gesetzes geltenden Recht erforderlich. Hierdurch zeigt sich auch,
inwieweit die Grundsätze des normannischen Rechts auf diesem Gebiet weiter fortwirken.
1. Altes Recht
Der Grundsatz „Le mort saisit le vif, l’hoir le plus proche, habile à succéder sans aucun ministère de Justice“, der besagt, dass der Tote seinem Haupterben seine Herrschaftsposition überträgt („der Tote erbt den Lebendigen“), ohne dass es hierfür eines
amtlichen Aktes bedürfe,1396 ist eines der ältesten, noch aus der Feudalzeit stammenden Prinzipien des Rechts Jerseys. Die saisine, die der deutschen gewere entspricht,
bezeichnete dabei die Erlangung nicht nur des faktischen Besitzes, sondern der verfestigten dinglichen Rechtsposition des Erblassers zur Sache.1397 Ziel des Grundsatzes
war die Vermeidung einer Lücke in der Eigentümerkette eines als Lehen gegebenen
Grundstücks, denn in der Feudalzeit war es notwendig, dass stets eine Person vorhanden war, die die Lehnsdienste verrichten und dem Lehnsherrn huldigen konnte.1398
Auf dieser Grundlage galt bis zum Inkrafttreten des Wills and Successions (Jersey)
Law 1993 diese Technik der Rechtsnachfolge folgendermaßen fort: Das Eigentum sowie der Besitz an dem unbeweglichen und beweglichen Nachlass fi elen automatisch
an den Haupterben, vorbehaltlich seines Rechts auf Erbausschlagung und vorbehaltlich der Rechte der Miterben beziehungsweise Legatare, ihr Erbe beziehungsweise
Vermächtnis einzufordern, entweder durch Einleitung eines clameur de partage1399
oder in gewillkürter Erbfolge durch Registrierung des Testaments. Die Rechtsstellung
der Miterben/Legatare beinhaltete aber keinen rein schuldrechtlichen Anspruch, son-
1396 Terrien, Commentaires du Droict Civil tant public que privé, observé au Pays et Duché de Normandie, S. 196 Anm. b), S. 164 Rn. 6. Zu Belegen in älteren normannischen Texten (dem frühesten von 1166) vgl. Lepointe, Les Successions dans l‘ancien Droit, S. 135.
1397 Bloch, La société féodale, S. 118; Carabie, R. H. D. 1953, 329 – 330; Lepointe, Les Successions dans l‘ancien Droit, S. 133 – 134; Timbal, Droit Romain et Ancien Droit Français, Rn. 367;
Warnkönig/Warnkönig, Französische Staats- und Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 463 – 464; Yver,
Ius Romanum Medii Aevi V, 4, a (1976), 1 (16 – 18). Vgl. auch Gordley/Mattei, Am.J.Comp.L.
1996, 293 (307). Zu dieser Zeit gab es keine klare Unterscheidung von Eigentum und Besitz.
1398 Vor dem 12./13. Jahrhundert fi elen die Lehen mit dem Tod des Lehnsmanns an den Lehnsherren
zurück und mussten neu verliehen werden. Durch den Grundsatz le mort saisit le vif wurden
die Lehen mit der Zeit erblich, vgl. Olivier-Martin, Histoire du droit français, S. 263 – 265;
Warnkönig/Warnkönig, Französische Staats- und Rechtsgeschichte, Bd. 2, S. 464 – 465.
1399 Vgl. zum partage sogleich 2. Teil Kapitel 1 E.I.1.a.
2. Teil: Das Erbrecht der Bailiwicks Jersey und Guernsey
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Wer sich für fremde Rechte und ihre Wurzeln interessiert, wird hier genauso auf seine Kosten kommen wie der Praktiker, der als Richter, Rechtsanwalt oder Notar Antworten auf konkrete Fragen über die Erbrechte der Kanalinseln sucht, für die es in Deutschland bislang noch keine systematische Darstellung gab.
Die Arbeit behandelt nach einem historischen Abriss das Erbrecht Jerseys und die Unterschiede in den Rechten des Bailiwick Guernsey (inklusive Alderney und Sark). Mit der systematischen Darstellung erschließen sich die inhaltlichen Regelungen, die sich oftmals von dem im deutschen Recht Gewohnten unterscheiden, von einem ganz anderen Rechtsverständnis ausgehen und bei denen auch die Termini andere sind. Dabei wird auch untersucht, inwieweit normannische Grundzüge heute noch fortwirken und sich in modernen Zeiten bewähren. Für den Rechtsanwender hilfreich sind der Abdruck einer Auswahl grundlegender Gerichtsentscheidungen der Kanalinseln sowie eine Aufzählung der wichtigsten einschlägigen Gesetze.