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Eine direkte Möglichkeit, auch an Zweckmäßigkeitsentscheidungen mitzuwirken,
hat er hingegen nicht.
G. Rechtspolitische Kritik und Verfassungskonformität
Die neue Rolle der Gläubiger, insbesondere der erhöhte Einfluss des Ausschusses,
und die Beschneidung der gerichtlichen Befugnisse, stoßen in der Literatur aus verschiedenen Gründen auf rechtspolitische Kritik.1093 Diese Regelungen sind jüngst
sogar Gegenstand eines verfassungsgerichtlichen Verfahrens geworden.
I. Rechtspolitische Kritik
1. Wahl des Insolvenzverwalters durch die Gläubigerversammlung
Anstoß nimmt man insbesondere an dem Umstand, dass der Insolvenzverwalter von
einer einfachen Summenmehrheit in der Gläubigerversammlung ersetzt werden
kann.1094 Demgegenüber wird es vielfach für sinnvoller erachtet, die Wahl von anderen Mehrheiten abhängig zu machen wie dies wiederholt vorgeschlagen worden
wurde.1095 Die derzeitigen Regelungen seien rückschrittlich1096 und verfassungsmä-
ßig bedenklich.1097 Hinter dieser Kritik steht die Befürchtung, Großgläubiger (insbesondere die Banken und Sozialversicherungsträger) könnten ihre Stimmmacht missbrauchen1098 und der Insolvenzverwalter könnte versucht sein, eine mildere Gangart
insbesondere bei der Zulassung von Forderungen gegenüber den stimmmächtigen
Gläubigern einzuschlagen.1099
Dem hält man entgegen, dass auch alternative Gestaltungsformen alles andere als
optimal seien. So würden andere Mehrheitserfordernisse die Gefahr in sich bergen,
dass es zu keiner Übereinstimmung komme.1100 Und das vor der Reform geltende
Recht habe gelehrt, dass durch die Zuweisung von Auswahlkompetenzen auch nicht
1093 Zu der Beschränkung der gerichtlichen Befugnisse Minutoli, NDS 2006, Nr. 4, 22 (29).
1094 Abate, in: Fabiano/Patti (Hrsg.), La tutela dei diritti nella riforma fallimentare, S. 73 (87 f.);
Forgillo, Il nuovo ruolo del curatore, S. 11 f. ; Minutoli, NDS 2006, Nr. 4, 22 (29); Spiotta, Il
curatore fallimentare, S. 21.
1095 Spiotta, Il curatore fallimentare, S. 21.
1096 Spiotta, Il curatore fallimentare, S. 20.
1097 Forgillo, Il nuovo ruolo del curatore, S. 11 f.
1098 Ianniello, Il nuovo diritto fallimentare, S. 86; Nardo, in: Santangeli (Hrsg.), Il nuovo fallimento, S. 192; Schiavon, Il comitato dei creditori, S. 4; Schiavon, Informazione prevedenziale 2005, 549 (571); Vitiello, in: Ambrosini, La riforma della legge fallimentare, S. 74.
1099 Forgillo, Il nuovo ruolo del curatore, S. 13.
1100 Cabras, La governance del fallimento, S. 9; Cabras, Il sistema di governance nelle imprese in
crisi, S. 17.
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zwingend die Kleingläubiger geschützt würden.1101 Die Orientierung an dem investierten bzw. auf dem Spiel stehenden Kapital – kombiniert mit dem Stimmrechtsausschluss für die sich in einem Interessenkonflikt befindlichen Gläubiger – sei sachgerecht.1102
2. Gläubigerausschuss
Auch die Kritik an den Regelungen zu dem Gläubigerausschuss ist groß.1103
a) Schlechte Erfahrungen in der Vergangenheit
Man bemängelt, dass der Gesetzgeber mit einer so umfassenden Änderung ein relativ großes Risiko eingegangen sei, weil sich der Gläubigerausschuss unter dem Regime des alten Rechts wenig effizient und von geringer Bedeutung für das Verfahren
gewesen sei.1104
b) Geringe Beteiligung
Auch sieht man die Gefahr, dass die Gläubiger für die Mitarbeit im Ausschuss insbesondere in kleinen Verfahren nur ein geringes Interesse aufbringen werden,1105 da
die Mitglieder des Ausschusses einerseits – wenn überhaupt – eine nur geringe Vergütung erhalten und andererseits auch einer persönlichen Haftung ausgesetzt
sind.1106
1101 Cabras, La governance del fallimento, S. 9; Cabras, Il sistema di governance nelle imprese in
crisi, S. 17.
1102 Cabras, La governance del fallimento, S. 9; Cabras, Il sistema di governance nelle imprese in
crisi, S. 17; D’Attorre, in: Nigro/Sandulli (Hrsg.), La riforma della legge fallimentare, I, S.
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1103 Allgemein kritisch etwa Schlesinger, Corriere giuridico 2006, 1189 (1190).
1104 Ghedini, NDS 2006, Nr. 4, 13 (14); Nardecchia, Informazione prevedenziale 2006, 1 (9); Vitiello, in: Ambrosini, La riforma della legge fallimentare, S. 81; vgl. auch Minutoli, Il fallimento 2005, 1460 (1464) .
1105 Nardecchia, Informazione prevedenziale 2006, 1 (4); Ianniello, Il nuovo diritto fallimentare,
S. 95; Panzani, Il fallimento 2006, 487 (491 f.); optimistisch aber Bersani, Impresa commerciale industriale 2006, 572 (576).
1106 Abate, in: Fabiano/Patti (Hrsg.), La tutela dei diritti nella riforma fallimentare, S. 73 (86);
Forgillo, Il nuovo ruolo del curatore, S. 13; Ianniello, Il nuovo diritto fallimentare, S. 97; Minutoli, NDS 2006, Nr. 4, 22 (29); Nardecchia, Informazione prevedenziale 2006, 1 (5); Panzani, Il fallimento 2006, 487 (491); Schiera, in: Ferro/Nappi (Hrsg.), Le insinuazioni al passivo, S. 252.
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Noch deutlicher werden diese Bedenken von Schiavon artikuliert, der meint, dass
es in einigen wenigen Verfahren zu einer Hyperaktivität der Gläubiger komme. In
den übrigen 80 % der Fälle, in denen keine signifikante Masse vorhanden sei, würde
es aber zu einer Immobilität kommen.1107 In der Konsequenz bedeutet dies, dass in
einigen Verfahren allein der Insolvenzverwalter und der beauftragte Richter die
maßgeblichen Verfahrensfragen entscheiden werden und es in den übrigen Fällen
tatsächlich zu einer Mitwirkung des Ausschusses kommt.1108 Darauf wird an späterer
Stelle zurückzukommen sein.
c) Missbrauch durch verfahrensbeherrschende Gläubiger
Die Regelungen zu dem Gläubigerausschuss stehen auch wegen eines befürchtet übermäßigen Einflusses von verfahrensbeherrschenden Gläubigern in der ubiquitären
Kritik.
Solche Gläubiger würden – bedingt dadurch, dass eine einfache Mehrheit bei der
Wahl der Ausschussmitglieder ausreicht – die Besetzung des Ausschusses dominieren.1109 Die Ausschussmitglieder würden nicht die Interessen von schwächeren
Gläubigern, sondern insbesondere ihre eigenen Partikularinteressen wahrnehmen.1110
Schließlich sei auch angesichts der umfangreichen Rechte des Ausschusses ein
Missbrauch durch die einflussreichsten Gläubiger möglich.1111
Daher sei es negativ zu beurteilen, dass keine Zweckmäßigkeitskontrolle der Ausschussentscheidungen durch das Gericht stattfinde.1112
d) Zu großer Aufwand
Ferner macht man geltend, dass die Beteiligung des Ausschusses gegenüber der
Kontrolle durch den beauftragten Richter mit einem allzu hohen Aufwand verbunden sei.1113 Insbesondere konterkarierten die vorprogrammierten Streitigkeiten zwi-
1107 Schiavon, in: Jorio/Fabiani (Hrsg.), Il nuovo diritto fallimentare, I, S. 674; vgl. auch Schiavon, a.a.O., S. 682.
1108 Nardecchia, Informazione prevedenziale 2006, 1 (5).
1109 Minutoli, NDS 2006, Nr. 4, 22 (28); Nardecchia, Informazione prevedenziale 2006, 1 (9);
Schiavon, in: Jorio/Fabiani (Hrsg.), Il nuovo diritto fallimentare, I, S. 674; Vitiello, in: Ambrosini, La riforma della legge fallimentare, S. 84.
1110 Bersani, Impresa commerciale industriale 2006, 572 (577); Ghedini, NDS 2006, Nr. 4, 13 (14
und 17 f.); Minutoli, NDS 2006, Nr. 4, 22 (27).
1111 Vgl. Rocco di Torrepadula, in: Nigro/Sandulli (Hrsg.), La riforma della legge fallimentare, I,
S. 269 m.w.N.
1112 Minutoli, NDS 2006, Nr. 4, 22 (28).
1113 Minutoli, Il fallimento 2005, 1460 (1464).
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schen den Gläubigern und im Verhältnis zum Insolvenzverwalter das erklärte Ziel
der Reform, das Verfahren zu beschleunigen.1114
Effizient seien die Verfahren in Italien in erster Linie unter der Leitung und Organisation des beauftragten Richters geführt worden.1115
II. Verfassungskonformität
1. Verfassungsmäßigkeit der Art. 35 und 41 LF
Mit Entscheidung vom 13. Dezember 2007 hat das Tribunale di Firenze ein Verfahren ausgesetzt bis die Verfassungsmäßigkeit der Art. 35 und 41 LF geklärt ist.1116
Zur Begründung führte das Gericht unter anderem aus, dass der durch das Parlament
ermächtigte Gesetzgeber (legislatore delegato) die vom Parlament erteilte Ermächtigung überschritten habe, indem er die Kompetenzen des Gläubigerausschusses
stärkte und dem beauftragten Richter eine passive Rolle zuwies.1117 Dem hält man
entgegen, dass die Ermächtigung durch das Parlament ausdrücklich eine Stärkung
des Gläubigerausschusses vorsehe und die Regelungen daher nicht gegen die Verfassung verstießen.1118
2. Verfassungsmäßigkeit von Art. 104 LF
Aus ähnlichen Gründen wird die Verfassungsmäßigkeit von Art. 104 LF bezweifelt.
Der ermächtigte Gesetzgeber habe seine Kompetenzen überschritten, als er die Regelungen zu dem Liquidationsprogramm durch den das Decreto legislativo 12 settembre 2007, n. 169 derart geändert habe, dass der beauftragte Richter bei der Entstehung des Planes nicht mehr mitwirken müsse.1119
1114 Minutoli, NDS 2006, Nr. 4, 22 (28 f.).
1115 Ghedini, NDS 2006, Nr. 4, 13 (14 f.).
1116 Tribunale di Firenze, Il fallimento 2008, 194 ff.
1117 Tribunale di Firenze, Il fallimento 2008, 194 ff.
1118 Esposito, Il fallimento 2008, 200 ff.
1119 Fimmanò, Il diritto fallimentare e delle società commerciali 2008, 845 (847 ff.).
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die umfassende Gläubigerbeteiligung hat eine lange Tradition im deutschen Insolvenzrecht. In der Praxis beteiligen sich die Gläubiger jedoch häufig nicht. Dieser Umstand und unausgewogene Entscheidungen der Gläubiger können das Verfahrensziel, die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger, gefährden. Die Untersuchung vergleicht die Gläubigerbeteiligung nach der deutschen Insolvenzordnung mit der durch das decreto legislativo 9 gennaio 2006, n. 5 und das decreto legislativo 12 Settembre 2007, n. 169 reformierten legge fallimentare. Die Arbeit erörtert umfassend aktuelle juristische Fragen. Der rechtsvergleichende Teil bezieht Ansätze der ökonomischen Analyse des Rechts und der Verhaltensökonomik ein, um konkrete Änderungsvorschläge zu erarbeiten.