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C. Die Gläubigerversammlung
I. Allgemeines
Die Gläubigerversammlung ist ein verfahrensinternes Organ. Sie ist, anders als der
Insolvenzverwalter oder der Gläubigerausschuss, nicht Sachwalterin fremder Interessen. Vielmehr nehmen die in ihr vertretenen Gläubiger allein eigene Interessen
wahr,60 die zuweilen sehr heterogen sein können.61
Soweit das Verfahren nicht früher beendet wird, sind obligatorisch der Berichtstermin, in dem der Insolvenzverwalter über die wirtschaftliche Lage berichtet, der
Prüfungstermin, in dem die angemeldeten und eingetragenen Forderungen geprüft
werden, und der Schlusstermin, in der dem Insolvenzverwalter seine Schlussrechnung erläutert.62 Im Durchschnitt finden nur drei Gläubigerversammlungen statt.63
II. Zusammensetzung
Zur Teilnahme an der nichtöffentlichen64 Gläubigerversammlung sind nach § 74
Abs. 1 S. 2 InsO alle absonderungsberechtigten Gläubiger, die Insolvenzgläubiger,
der Insolvenzverwalter, die Mitglieder des Gläubigerausschusses und der Schuldner
berechtigt.
Zu den teilnahmeberechtigten Insolvenzgläubigern gehören sowohl die nachrangigen Insolvenzgläubiger65 als auch – wie sich a maiore ad minus aus § 77 Abs. 2
InsO ergibt –66 die Inhaber bestrittener Forderungen.67 Letztere müssen ihre Forderungen zur Teilnahme nicht glaubhaft machen,68 da dies auch nicht für die Feststel-
60 Vgl. Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 74 RN 2.
61 Goebel, KTS 2002, 615 (618); Henckel, KTS 1989, 477 (484 f.); Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 74 RN 7; Neumann, Gläubigerautonomie, S. 56; siehe auch BGH, NJW-RR 2007, 1059 (1061 f.).
62 Voigt-Salus/Pape, in: Mohrbutter/Ringstmeier/Bähr (Hrsg.), Insolvenzverwaltung, § 21
RN 165 ff.
63 Vgl. Gessner et al., Die Praxis der Konkursabwicklung, S. 200.
64 Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 76 RN 5; Gerhardt, in:
Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, § 76 RN 3; Runkel, in: Runkel (Hrsg.),
Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht, § 6 RN 249.
65 Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 74 RN 27; Hess, in:
Hess/Weis/Wienberg, Insolvenzrecht, § 74 RN 17; Pape, Gläubigerbeteiligung, RN 192;
Voigt-Salus/Pape, in: Mohrbutter/Ringstmeier/Bähr (Hrsg.), Insolvenzverwaltung, § 21
RN 185.
66 Vgl. Pape, Gläubigerbeteiligung, RN 197; Voigt-Salus/Pape, in: Mohrbutter/Ringstmeier/Bähr (Hrsg.), Insolvenzverwaltung, § 21 RN 187.
67 Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 74 RN 27; Pape,
Gläubigerbeteiligung, RN 197; Voigt-Salus/Pape, in: Mohrbutter/Ringstmeier/Bähr (Hrsg.),
Insolvenzverwaltung, § 21 RN 187.
68 So aber AG Aurich, ZInsO 2006, 782.
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lung des Stimmrechts erforderlich ist.69 Vielmehr müssen sie allein die Angaben
machen, die zu einer Anmeldung der Forderung erforderlich sind.70
Die Massegläubiger sind gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 InsO nicht zur Teilnahme berechtigt.71
Die aussonderungsberechtigten Gläubiger sind gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 InsO ebenfalls nicht teilnahmeberechtigt.72 Die Ansicht, die aussonderungsberechtigten
Gläubiger dürften an der Versammlung teilnehmen, um Einfluss auf die ordnungsgemäße Verwaltung ihrer Gegenstände nehmen zu können,73 verkennt neben dem
Wortlaut auch den Sinngehalt des § 74 Abs. 1 S. 2 InsO. Die Teilnahmeberechtigung gemäß § 74 Abs. 1 S. 2 InsO soll sicherstellen, dass all die Personen durch die
Teilnahme Einfluss auf das Verfahren nehmen können, die durch die Verwertung
der Masse potentiell betroffen sind.74 Die Interessen der aussonderungsberechtigten
Gläubiger werden von der mehr oder weniger schlechten Verwertung jedoch nicht
berührt.
III. Einberufung und Verfahren
1. Form und Anlass der Einberufung
Nach § 74 Abs. 1 S. 1 InsO wird die Gläubigerversammlung durch das Insolvenzgericht einberufen.
Die Einberufung erfolgt gemäß § 75 InsO auf Antrag oder zu den im Gesetz bestimmten Terminen wie dem Berichtstermin gemäß §§ 29 Abs. 1 Nr. 1, 156 f. InsO,
dem Prüfungstermin gemäß §§ 29 Abs. 1 Nr. 2, 176 InsO oder dem Schlusstermin
gemäß § 197 InsO.75
69 Gerhardt, in: Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, § 74 RN 16; Hanken, ZInsO 2006, 783 (784).
70 Gerhardt, in: Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, § 74 RN 13; Hanken, ZInsO 2006, 783 (784).
71 So auch die h.M. Andres, in: Andres/Leithaus/Dahl, Insolvenzordnung, §§ 74, 75 RN 8; Pape,
Gläubigerbeteiligung, RN 191; Runkel, in: Runkel (Hrsg.), Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht, § 6 RN 253; Voigt-Salus/Pape, in: Mohrbutter/Ringstmeier/Bähr (Hrsg.), Insolvenzverwaltung, § 21 RN 186; a.A.: Smid, in: Smid (Hrsg.), Insolvenzordnung, § 74 RN 5.
72 Andres, in: Andres/Leithaus/Dahl, Insolvenzordnung, §§ 74, 75 RN 8; Ehricke, in: Kirchhof/Lwowski/Stürner (Hrsg.), MünchKomm-InsO, § 74 RN 30; Pape, Gläubigerbeteiligung,
RN 194; Runkel, in: Runkel (Hrsg.), Anwalts-Handbuch Insolvenzrecht, § 6 RN 253; Voigt-
Salus/Pape, in: Mohrbutter/Ringstmeier/Bähr (Hrsg.), Insolvenzverwaltung, § 21 RN 186.
73 Smid, in: Smid (Hrsg.), Insolvenzordnung, § 74 RN 5.
74 Das Teilnahmerecht des Insolvenzverwalters rechtfertigt sich aus seiner Stellung gegenüber
der Gläubigerversammlung.
75 Zu weiteren Fällen der Einberufung vgl. Gerhardt, in: Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, § 74 RN 13; Hess, in: Hess/Weis/Wienberg, Insolvenzrecht, § 74 RN 4;
Heukamp, Verfahrensrechtliche Aspekte der Gläubigerautonomie, S. 45; Oelrichs, Gläubigermitwirkung und Stimmverbote,S. 31.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die umfassende Gläubigerbeteiligung hat eine lange Tradition im deutschen Insolvenzrecht. In der Praxis beteiligen sich die Gläubiger jedoch häufig nicht. Dieser Umstand und unausgewogene Entscheidungen der Gläubiger können das Verfahrensziel, die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger, gefährden. Die Untersuchung vergleicht die Gläubigerbeteiligung nach der deutschen Insolvenzordnung mit der durch das decreto legislativo 9 gennaio 2006, n. 5 und das decreto legislativo 12 Settembre 2007, n. 169 reformierten legge fallimentare. Die Arbeit erörtert umfassend aktuelle juristische Fragen. Der rechtsvergleichende Teil bezieht Ansätze der ökonomischen Analyse des Rechts und der Verhaltensökonomik ein, um konkrete Änderungsvorschläge zu erarbeiten.