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solvenzverwalter durch seine amtliche Stellung, die ihm nur durch das Gericht verliehen werden konnte, eine gewisse Unabhängigkeit haben sollte.49
Die im gemeinen Recht und im Partikularrecht nicht einheitlich beantwortete
Frage, ob Beschlüsse der Versammlung mit der Kopf- oder der Summenmehrheit
der Forderungen gefasst werden sollten, wurde zugunsten der Summenmehrheit entschieden.50 Dem Schutz der ausgebliebenen und majorisierten Gläubiger sollte dadurch Rechnung getragen werden, dass das Gericht die Ausführung des Mehrheitsbeschlusses untersagen konnte, wenn er dem gemeinsamen Interesse der Gläubiger
widersprach.51
Die Gläubigerversammlung konnte einen Gläubigerausschuss einsetzen. Dieser
hatte gegenüber dem Insolvenzverwalter kein Weisungsrecht, sondern sollte ihn lediglich kontrollieren und unterstützen.52 Dies äußerte sich etwa in dem Anspruch,
Berichterstattung von dem Verwalter zu verlangen, dem Antragsrecht auf Entlassung des Insolvenzverwalters und dem Genehmigungserfordernis für wichtige oder
ungewöhnliche Dispositionen.
Während der wilhelminischen Zeit und der Weimarer Republik zeigten sich verschiedene Probleme. Einerseits beklagte man, dass die Gläubiger in erster Linie ihre
Sonderinteressen verfolgten,53 und andererseits, dass sie die ihnen eingeräumten Beteiligungsrechte nicht wahrnähmen.54 In den dreißiger Jahren gab es zahlreiche Reformbestrebungen, den Einfluss der Gläubiger auf das Verfahren zu beschränken
und die Autorität des Gerichts zu stärken. Der Grund für solche Bestrebungen war
nicht allein die Identifikation von zu Tage getretenen Mängeln des Konkursrechts,
sondern auch der Zeitgeist.55 Die Reformen wurden aber (abgesehen von der 1935
entstandenen Vergleichsordnung) wegen der Gegenstimmen und dem Ausbruch des
zweiten Weltkriegs nicht umgesetzt.56
Mit der Insolvenzrechtsreform von 1994 sollte das Insolvenzrecht stärker auf ökonomische Prinzipien ausgerichtet und die Gläubigerautonomie gestärkt werden.57
B. Gläubigergruppen
Sieht man einmal von den so genannten Neugläubigern ab, deren Forderung erst
nach Insolvenzeröffnung gegen den Schuldner begründet wird und daher auch nicht
an der Masse beteiligt sind (arg e contrario zu § 38 InsO), unterscheidet man im
deutschen Recht vier Gläubigergruppen: Die Insolvenzgläubiger, die absonderungs-
49 Riedemann, Entwicklung des Konkursrechts, S. 18 ff.
50 Hahn, Materialien Konkursordnung, S. 316.
51 Hahn, Materialien Konkursordnung, S. 317.
52 Hahn, Materialien Konkursordnung, S. 311.
53 Riedemann, Entwicklung des Konkursrechts, S. 79.
54 Vgl. Riedemann, Entwicklung des Konkursrechts, S. 36 ff.
55 Im Einzelnen Riedemann, Entwicklung des Konkursrechts, S. 90 ff.
56 Riedemann, Entwicklung des Konkursrechts, S. 134.
57 Balz, Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, S. 1 ff.; Uhlenbruck, InsO, § 1 RN 4.
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berechtigten Gläubiger, die aussonderungsberechtigten Gläubiger und die Massegläubiger.
I. Insolvenzgläubiger
Insolvenzgläubiger sind nach § 38 InsO die persönlichen Gläubiger des Schuldners,
die einen zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch gegen den Schuldner haben.
II. Absonderungsberechtigte Gläubiger
Absonderungsberechtigte Gläubiger sind solche, denen eines der in den §§ 49 bis 51
InsO aufgeführten Rechte wie etwa ein Pfandrecht oder Sicherungseigentum zusteht.
Sie sind an der Mitwirkung in den Gläubigerorganen auch dann beteiligt, wenn sie
nach §§ 38, 52 InsO nicht zugleich persönliche Gläubiger sind.58 Der Gesetzgeber
hatte dabei insbesondere solche Konstellationen vor Augen, in denen der Schuldner
für eine fremde Schuld eine dingliche Sicherheit gewährt hatte.59
III. Aussonderungsberechtigte Gläubiger
Nach § 47 InsO sind aussonderungsberechtigte Gläubiger solche, die auf Grund eines dinglichen oder persönlichen Rechts einen Herausgabeanspruch eines bestimmten Gegenstandes haben. Dazu gehören etwa diejenigen, die einen Gegenstand unter
Eigentumsvorbehalt geliefert haben, oder der Leasinggeber. Die aussonderungsberechtigten Gläubiger können gemäß § 47 S. 2 InsO ihren Anspruch außerhalb des
Insolvenzverfahrens geltend machen. Daher haben sie auch keine Beteiligungsrechte
im Rahmen des Insolvenzverfahrens.
IV. Massegläubiger
Massegläubiger sind nach § 53 InsO aus der Insolvenzmasse vorweg zu befriedigen.
Sie werden im Regelinsolvenzverfahren ebenfalls nicht an den Organen der Gläubigerselbstverwaltung beteiligt.
58 Die Stellung der absonderungsberechtigten Gläubiger wird ausführlich unten auf S. 60 ff.
behandelt.
59 BT-Drucks. 12/2442, S. 133; Gerhardt, in: Henckel/Gerhardt (Hrsg.), Jaeger Insolvenzordnung, § 76 RN 13.
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References
Zusammenfassung
Die umfassende Gläubigerbeteiligung hat eine lange Tradition im deutschen Insolvenzrecht. In der Praxis beteiligen sich die Gläubiger jedoch häufig nicht. Dieser Umstand und unausgewogene Entscheidungen der Gläubiger können das Verfahrensziel, die bestmögliche Befriedigung der Gläubiger, gefährden. Die Untersuchung vergleicht die Gläubigerbeteiligung nach der deutschen Insolvenzordnung mit der durch das decreto legislativo 9 gennaio 2006, n. 5 und das decreto legislativo 12 Settembre 2007, n. 169 reformierten legge fallimentare. Die Arbeit erörtert umfassend aktuelle juristische Fragen. Der rechtsvergleichende Teil bezieht Ansätze der ökonomischen Analyse des Rechts und der Verhaltensökonomik ein, um konkrete Änderungsvorschläge zu erarbeiten.