235
Je mehr vergleichbare lokale Märkte bestehen, die für diesen Vergleich hinsichtlich
Größe, Verbrauch, Struktur und regionaler Besonderheiten mit dem Markt, auf dem
ein Unternehmen besonders mit der Grundversorgung betraut werden soll, in Betracht kommen, desto genauer können die Effizienzvorgaben für ein durchschnittlich
gut geführtes Unternehmen ermittelt werden.
3. Vergleichsmärkte für integrierte Energieversorgungsunternehmen
Auch für Energieversorgungsunternehmen, die sowohl die Versorgung als auch den
Netzbetrieb in einem Netzgebiet übernommen haben, da auf Grund der de-minimis-
Klausel in § 7 Abs. 2 EnWG 2005 der Netzbetrieb nicht von der Versorgung getrennt wurde, bietet die Vergleichsmarktmethode ebenfalls einen Ansatz, um möglichst präzise die objektiven Kosten für die Versorgung des Netzgebietes zu errechnen. Zwar lassen sich die Kosten durch Quersubventionen möglicherweise in den
beiden Bereichen verzerren, in der Gesamtschau lässt sich jedoch ein annäherungsweise verlässlicher Maßstab finden. Gegebenenfalls ist ein Abschlag für vermutete
Ineffizienzen vorzunehmen.
VII. Pflicht zu einem Ausschreibungsverfahren?
Eine Kostenanalyse ist nach den vom EuGH aufgestellten Grundsätzen jedoch dann
nicht notwendig, wenn der Auftrag im Rahmen eines „hinreichend publizierten,
allgemeinen und bedingungsfreien Bietverfahrens“1058 vergeben wird, in dem dasjenige Unternehmen mit der Versorgung bzw. dem Netzbetrieb betraut wird, das das
wirtschaftlichste Angebot abgegeben hat.1059 Fraglich ist, ob für den Fall, dass nur
ein kommunales Energieversorgungsunternehmen auf einem Markt tätig ist und sich
in einer Krise befindet, oder im Übrigen die aktuellen Wettbewerber nicht in der
Lage wären, die Grundversorgung zu übernehmen, die öffentliche Hand verpflichtet
ist, die Betrauung mit der Grundversorgung nach vergaberechtlichen Grundsätzen1060 auszuschreiben. Diese Ausschreibung muss als Bedingung insbesondere das
Zielpentagon des § 1 EnWG 2005 enthalten. Sie erfolgt nach der Verordnung über
1058 Kommission, Entsch. v. 09.04.2001, Beihilfe N 610/01 – „Tourismusinfrastrukturprogramm
Baden-Württemberg“; EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. 280/00 – „Altmark Trans“, Slg. 2003, I-
7747, Rz. 92, 95.
1059 Vgl. § 97 Abs. 5 GWB. Dieses Kriterium ist eng mit dem Begriff des Preis-Leistungs-
Verhältnisses verbunden, vgl. Bechtold, GWB, 4.A., 2006, § 97, Rn. 36.
1060 Vgl. Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, 2.A., 2005, Rn. 92 mit dem Hinweis, dass die
„Beihilfenrechtliche Anforderungstrias der Diskriminierungsfreiheit, Transparenz und Wettbewerbsoffenheit mit den allgemeinen Steuerungsprinzipien des Vergaberechts korrespondiert“.
236
die Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabeverordnung VgV); unterhalb des
Schwellenwertes von € 422.000,- ist ein Vergabeverfahren nicht erforderlich, vgl. §
2 Nr. 1 VgV. Das Primat der Bedingungsfreiheit gilt für Dienstleistungen im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse nicht; Ziel der Ausschreibung ist gerade die Sicherstellung der Dienstleistung bzw. die Erreichung eines übergeordneten Ziels.1061
Bislang ungeklärt ist die Frage, welche Pflichten die öffentliche Hand bei der
Auswahl desjenigen Unternehmens trifft, das mit der Wahrnehmung der öffentlichen
Aufgabe betraut werden soll.1062 Die direkte Anwendung der In-House Vergabegrundsätze scheitert schon daran, dass die öffentliche Hand hier nicht Auftraggeber
ist und ein Unternehmen nicht damit betraut, ihr obliegende Leistungen zu erbringen. Vielmehr handelt die öffentliche Hand hier lediglich im Rahmen ihrer Gewährleistungsverantwortung. Es könnte jedoch eine vergleichbare Situation vorliegen, die
zu einer entsprechenden Anwendung der Grundsätze führen könnte. Im Bereich der
Endkundenversorgung bestehen hinsichtlich eines Betrauungsaktes des kommunalen
Energieversorgers ohne öffentliche Ausschreibung besondere Bedenken. Ziel der
Liberalisierung war die Schaffung eines Wettbewerbsmarktes. Sollte sich auf einem
lokalen Markt herausstellen, dass ein Marktversagen wahrscheinlicher ist als funktionierender Wettbewerb, so muss, ähnlich wie bei der Konzessionsvergabe im Netzbereich, zumindest sichergestellt werden, dass das effizienteste Unternehmen die
Energieversorgung in diesem Netzgebiet übernimmt. Damit ist zumindest ein Wettbewerb um den Markt gewährleistet.
Gegen die unmittelbare Betrauung des kommunalen Energieversorgers spricht
auch, dass diesem Unternehmen ohne Ausschreibung nur diejenigen Mittel gewährt
werden dürfen, die ein durchschnittlich gut geführtes Unternehmen für die Übernahme der Energieversorgung benötigen würde. Zu berücksichtigen ist, dass die
Betrauung deshalb erfolgt, weil das Unternehmen nicht in der Lage war, die Aufgabe kostendeckend zu erfüllen. Es bestehen daher erhebliche Zweifel, ob die so errechneten Mittel die Differenz zwischen Kosten und Ertrag decken können. Möglicherweise verletzt dadurch die öffentliche Hand jedoch ihre Gewährleistungsverantwortung, da letztlich ein Unternehmen betraut wird, das mit den bereitgestellten
Mitteln nicht in der Lage ist, die übernommene Aufgabe unter den vereinbarten
Bedingungen – also entsprechend den Zielen des EnWG 2005 – zu erfüllen. Es sprechen daher die besseren Argumente dafür, dass die öffentliche Hand die Betrauung
mit der Grundversorgung ausschreiben muss.
1061 Vgl. Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, 2.A., 2005, Rn. 96.
1062 Vgl. Mestmäcker/Schweitzer in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG, Teil 1, 4.A.,
2007, Art. 31, 86 Abs. 2, Rn. 58.
237
D. Zusammenfassung
Die Überprüfung der Problemstellung an den Regelungen des Beihilfenrechts bestätigt die gefundenen Ergebnisse. Zu unterscheiden ist zwischen der Notsituation, in
der ein Ausfall der Versorgung - sei es durch den Ausfall des Versorgungsunternehmens, sei es durch Störungen im Netzbetrieb - konkret droht oder es bereits zu
einem Versorgungsausfall gekommen ist, und Begünstigungen, die im Rahmen der
Gewährleistungsverantwortung vergeben werden. In der Notsituation wandelt sich
die Gewährleistungsverantwortung des Staates in eine eigene Leistungsverantwortung. Das Beihilfenrecht findet in dieser Situation keine Anwendung. Der Staat darf
sich aller Mittel bedienen, die geeignet sind, diese Notsituation zu überbrücken, ist
aber gleichzeitig insoweit beschränkt, als er diese Situation nicht nutzen darf, um
eine Begünstigung zu vergeben, die mehr als diejenigen Mittel gewährt, die erforderlich sind, um die Notlage zu überbrücken.
Im Rahmen seiner Gewährleistungsfunktion ist die öffentliche Hand an die Beschränkungen des europäischen Beihilfenrechts gebunden. Bei der Energieversorgung handelt es sich um eine Dienstleistung im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse, so dass Art. 86 Abs. 2 EG-Vertrag grundsätzlich Anwendung findet. Eine
Ausnahme kommt nur in Betracht, wenn die vom EuGH in der Entscheidung „Altmark Trans“ aufgestellten Grundsätze erfüllt sind, die auch für den Bereich der
Energieversorgung gelten. Für die Betrauung mit der Energieversorgung genügt
allein die Feststellung als Grundversorger nicht, es ist ein besonderer Rechtsakt
erforderlich. Auch in diesem Rahmen der Vergabe von Begünstigungen ist es der
öffentlichen Hand nicht gestattet, Verluste, die in der Vergangenheit liegen, auszugleichen; die Beihilfe ist ausschließlich zukunftsbezogen. Wird die Begünstigung
einem kommunalen Unternehmen zuteil, so ist in dessen Kosten, ebenso wie bei
jedem Privaten, ein angemessener Gewinn einzurechnen; dies erfordert der Grundsatz der Gleichbehandlung privater und öffentlicher Unternehmen und ist notwendig, um Wettbewerbsverzerrungen zu Lasten der Privaten zu vermeiden. Schwierigkeiten bereitet zuletzt das Postulat des verobjektivierten Kostenmaßstabs eines
durchschnittlich gut geführten Unternehmens. Einerseits besteht auch auf den Vergleichsmärkten nicht zwingend funktionierender Wettbewerb, so dass in jedem Einzelfall zu überprüfen ist, ob ein Sicherheitszuschlag vorzunehmen ist. Andererseits
sollte vor der Betrauung eines kommunalen Energieversorgers eine Ausschreibung
und ein Vergabeverfahren durchgeführt werden. Zwar ist die öffentliche Hand in der
Auswahl des zu betrauenden Unternehmens grundsätzlich frei. Bedenken bleiben
jedoch hinsichtlich der Frage, ob die öffentliche Hand nicht ihre Gewährleistungsverantwortung verletzt, wenn sie ein Unternehmen betraut, das in der Vergangenheit
bereits nicht in der Lage war, kostendeckend einen Markt zu versorgen.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die herausfordernde Aufgabe, den Energiemarkt zu liberalisieren und dem Wettbewerb zu öffnen, hat die kommunalen Energieversorger in Deutschland, die historisch bedingt über Jahrzehnte gewachsen sind, kaum berücksichtigt. Viele Stadtwerke bewegen sich mit Ihren Mitteln, wettbewerbsfähig zu bleiben, in einer juristischen Grauzone zwischen Wettbewerbspostulat und kommunalrechtlichen Beschränkungen. Hier besteht politischer Handlungsbedarf, wobei u.a. die Bedeutung der Stadtwerke für die lokale soziale Infrastruktur mit dem Erreichen eines unverfälschten Energiemarktes abgewogen werden muss. Geraten kommunale EVU neben oder sogar aufgrund dieser „Legitimationskrise“ in eine wirtschaftliche Schieflage, so ist fraglich, ob und wie eine staatliche Rettung in Betracht kommt.
Die Verantwortung des Staates ist in der Zeit einer der schwersten Finanzkrisen der Weltwirtschaft ein hoch umstrittenes Thema. Zu berücksichtigen ist, dass es der Staat ist, der eine sichere Energieversorgung garantieren muss, wobei Grundversorgung und sozialstaatliche Verantwortung mit dem europäischen Beihilfenrecht zu vereinbaren sind. Die Arbeit regt an, die Entwicklungen in der kommunalen Energiewirtschaft zu überdenken.