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ren. Diese greift in den potentiellen Wettbewerb ein, da sie nicht einmalig, sondern
fortwährend geleistet werden muss, um die Sicherheit der Energieversorgung auf
diesem lokalen Markt auch für die Zukunft sicherzustellen. In diesem Fall ist es
erforderlich, dass ein Unternehmen entsprechend den aufgestellten Kriterien für eine
zulässige Beihilfe mit der Übernahme der Energieversorgung in dem betroffenen
Netzgebiet betraut wird.
III. Betrauung mit der Energieversorgung
1. Betrauung durch Betätigung als Grundversorger?
Eine Freistellung von der Notifizierungspflicht kommt nach den in der „Altmark
Trans“ – Entscheidung aufgestellten Grundsätzen nur in Betracht, wenn das begünstigte Unternehmen mit der Wahrnehmung der bestimmten öffentlichen Aufgabe
betraut wurde. Unklar ist, ob die Regelungen des EnWG in den §§ 18 und 36 EnWG
2005 zu einer Betrauung des Unternehmens, das aufgrund der erbrachten Versorgungsleistungen Grundversorger in einem Netzgebiet ist, mit der Erfüllung einer
öffentlichen Aufgabe führen und damit die Ausnahmeregelung des Art. 86 Abs. 2
EG-Vertrag zur Geltung kommen kann.1027 Folge dieser Ansicht wäre, dass stets der
Grundversorger das betraute Unternehmen in seinem Netzgebiet ist mit der Konsequenz, dass Begünstigungen diesen Unternehmen einfacher gewährt werden könnten, da ein zusätzlicher hoheitlicher Betrauungsakt und damit auch die Diskussion
über die Verpflichtung der öffentlichen Hand, ein Vergabeverfahren durchführen zu
müssen, entfallen würden.
Grundsätzlich bestehen keine Zweifel, dass die flächendeckende Versorgung
sämtlicher Haushalte mit Energie in den Anwendungsbereich des Art. 86 Abs. 2 EG-
Vertrag fallen kann.1028 Für die Art und Weise der Betrauung wird angeführt, dass
ein förmlicher Hoheitsakt nicht erforderlich sei.1029 Entscheidend sei vielmehr, dass
1027 Vgl. zu dieser Frage siehe auch Kreße, DÖV 2007, 922.
1028 Vgl. EuGH, Urt. v. 27.4.1994, Rs. C-393/92 - „Almelo“, Slg. 1994, I-1477, 1520 f, Tz. 47 ff;
EuGH, Urt. v. 23.10.1997, Rs. C-159/94 – “Energieversorgungsmonopole Frankreich”, Slg.
1997, I-5815, Tz. 57 f.; Die Rechtsprechung des EuGH, nach der Energieversorgungsunternehmen stets unter Art. 86 Abs. 2 EG zu fassen sind, ist aus der Zeit vor der Marktliberalisierung; Ehricke in Loewenheim/Meesen/Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 1, Art. 86, Rn. 108;
Mestmäcker/Schweitzer in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG, Teil 1, 4.A., 2007,
Art. 31, 86 Abs. 2 EGV, Rn. 54; Emmerich, Die deutsche Versorgungswirtschaft in der Wettbewerbsordnung der Europäischen Gemeinschaft, in FS von Gamm, 1990, 581, 588 ff.; ausführlich Kreße, Gemeinwirtschaftliche Dienste im europäischen Beihilferecht, 2006, S. 78 ff;
Rapp-Jung, EuZW 1994, 464, 465.
1029 Scholz/Langer, Europäischer Binnenmarkt und Energiepolitik, 1992, S. .162; Rapp/Jung,
RdE 1994, 165, 168 f.; Baur in ders. (Hrsg.), Aktuelle Probleme des Energierechts, 1995,
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ein Unternehmen für ein staatliches Lenkungsziel in Dienst genommen werde. Dies
sei gegeben, wenn in der Substanz die staatliche Daseinsvorsorge auf privatrechtlich
organisierte Unternehmen ausgegliedert werde. Herangezogen wird das EnWG, das
die auf dem jeweiligen Markt tätigen Unternehmen zu einer sicheren Energieversorgung verpflichtet. Die Ansicht stützt sich weiter auf eine Entscheidung der Kommission1030, in der diese zur Verpflichtung der Energieversorgungsunternehmen, deutsche Steinkohle abzunehmen, feststellte, dass der Anwendungsbereich des Art. 86
EG-Vertrag eröffnet sei, soweit die Unternehmen die Grundversorgung der Bevölkerung gewährleisten würden.1031
Unter Geltung der neuen Rechtslage kann diese Ansicht nicht mehr aufrechterhalten werden.1032 Der deutsche Gesetzgeber hat bereits in seiner Begründung zum
EnWG 1998 ausdrücklich klargestellt, dass eine „Betrauung mit Dienstleistungen
von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse“ im Sinne von Art. 86 Abs. 2 EG-
Vertrag nicht gewollt sei.1033 Damit verleihen die energierechtlichen Regelungen der
Grundversorgung nicht den Charakter einer öffentlichen Aufgabe.1034 Soweit die
Energieversorgung betroffen ist, bedarf deren Aufnahme anders als unter Geltung
des EnWG 1998 nicht mehr einer Genehmigung.1035 Auch der von der Kommission
gesetzte Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen lässt eine solche Auslegung
nicht zu. Dort wird verlangt, dass der öffentliche Auftrag für die Erbringung der
Dienstleistung im öffentlichen Interesse auf dem Wege eines oder mehrerer Verwaltungs- oder Rechtsakte erteilt werden muss.1036 Aus diesem müssen die genaue Art
und Dauer der Gemeinwohlverpflichtung hervorgehen, sowie die beauftragten Unternehmen und der geographische Geltungsbereich, Art und Dauer der dem Unternehmen gegebenenfalls gewährten ausschließlichen oder besonderen Rechte, sowie
die Parameter für die Berechnung, Überwachung und etwaige Änderungen der Aus-
S. 77, 90; Riechmann in Harms, Atomstrom aus Frankreich?, 1987, S. 29, 41; Hermann in
Tettinger, Strukturen der Versorgungswirtschaft in Europa, 1996, S. 105, 113.
1030 Kommission, Entsch. v. 22.12.1992, WuW/E EV 1887 - „Jahrhundertvertrag“.
1031 Kommission, Entsch. v. 22.12.1992, WuW/E EV 1887, 1897 - „Jahrhundertvertrag“; vgl.
auch Kommission, Entsch. v. 16.1.1991, ABl. EG 1991, Nr. L 28/32, S. 43 - „Ijsselcentrale“.
1032 Vgl. Ehricke in Loewenheim/Meesen/Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 1, Art. 86, Rn. 109;
Kreße, DÖV 2007, 922, 923; kritisch schon Mestmäcker in Immenga/Mestmäcker, EG-
Wettbewerbsrecht, 1997, Bd. 2, Art. 37, 90 Abs. 2, Rn. 34.
1033 BT-Drucks. 13/7274, S. 37; siehe dazu auch Markert, EuZW 2000, 427, 433 f.
1034 BT-Drucks. 13/7274, S. 10. Diese Formulierung ist unglücklich. Tatsächlich handelt es sich
bei der Versorgung der Bevölkerung mit Energie stets um eine öffentliche Aufgabe. Es besteht jedoch ein erheblicher Unterschied, ob diese Aufgabe freiwillig wahrgenommen wird
oder ob eine Betrauung und damit die Pflicht der Erfüllung dieser Aufgabe vorliegt.
1035 Kreße, DÖV 2007, 922, 923.
1036 Dazu Ehricke in Loewenheim/Meesen/Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 1, Art. 86, Rn. 108
m.w.N.; Kreße, DÖV 2007, 922.
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gleichszahlungen.1037 Im deutschen Recht lässt sich dies mit einem abstrakt generellen Gesetz nicht erreichen, die Voraussetzungen von Art. 19 Abs. 1 GG wären dar-
über hinaus nicht erfüllt. Die gesetzlichen Regelungen im EnWG 2005 sind nicht
geeignet, derart weit reichende und genaue Verpflichtungen festzulegen. Das EnWG
unterstellt darüber hinaus die Grundversorgungsverpflichtung in § 36 Abs. 1 S. 2
EnWG 2005 und die Anschlusspflicht in § 18 Abs. 1 S. 2 EnWG 2005 jeweils dem
Vorbehalt der Wirtschaftlichkeit. Daher kann keine unbedingte Pflicht zur Erbringung von Dienstleistungen ausgemacht werden, gerade wenn diese unwirtschaftlich
sind. Erforderlich ist daher eine Einzelverfügung, z.B. durch Verwaltungsakt. Folglich sind die kommunalen Energieversorgungsunternehmen nicht betraute Unternehmen im Sinne von Art. 86 Abs. 2 EG-Vertrag.1038
2. Betrauung eines kommunalen Energieversorgungsunternehmens im Rahmen der
Gewährleistungsverantwortung?
Während es im Rahmen der eigenen staatlichen Leistungsverantwortung möglich ist,
einen kommunalen Energieversorger direkt mit staatlichen Begünstigungen vor
einem Marktaustritt zu bewahren und so die Fortdauer der Versorgung zu gewährleisten, ist es fraglich, ob dies auch gilt, wenn der Staat lediglich seiner Gewährleistungsverantwortung nachkommt. Voraussetzung für eine Betrauung ist, dass die
genaue Art und Dauer der Gemeinwohlverpflichtung und ein konkretes Unternehmen benannt werden.1039 Der Rechtsakt muss daher die zu übernehmenden Gemeinwohlverpflichtungen eindeutig beschreiben; sonst ist eine Berechnung der angemessenen Ausgleichszahlung nicht möglich.1040
Ist es auf dem lokalen Markt bereits zu einem Marktversagen und zum drohenden
Ausfall der Energieversorgung gekommen, können für die Zukunft die oben genannten Kriterien festgelegt werden. Das in die Krise geratene kommunale Energiever-
1037 Kommission, Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen, die als Ausgleich für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen gewährt werden, 2005, C 297, S. 4, Tz. 12. So auch schon
EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. 280/00 – „Altmark Trans“, Slg. 2003, I-7747, Rz. 89.
1038 So auch die h.M. Ehricke in Loewenheim/Meesen/Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 1, Art. 86,
Rn. 108. Markert, EuZW 2000, 427, 433 f.; Dohms in Wiedemann, Hdb. Kartellrecht, 1999, §
35, Rn. 301; Säcker, Langfristige Energielieferverträge und Werberecht, 2002, S. 21; BKartA
WuW/E BKartA 2859, 2867 „Stadt Nordhorn“; WuW/E BKartA 2648, 2654 „Thyssengas/Ruhrgas“; LG Köln, ZNER 2000, 132, 133, bestätigt durch OLG Düsseldorf, ZNER
2001, 255, 258.
1039 Ehricke in Loewenheim/Meesen/Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 1, Art. 86, Rn. 107 ff.; Jung
in Callies/Ruffert, EUV/EGV, 3.A., 2007, Art. 86, Rn. 39; EuGH, Rs. 127/73 – „BRT/SABAM
II“, Slg. 1974, 313, Tz. 19, 22.
1040 Ehricke in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG, Teil 1, 4.A., 2007, Art. 87, Abs. 1,
Rn. 56; Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, 2.A., 2005, Rn. 86; Koenig/Haratsch,
ZUM 2003, 804, 807.
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sorgungsunternehmen bedarf jedoch nicht nur einer zukünftigen Festlegung der
staatlichen Unterstützung, sondern möglicherweise gerade auch eines Verlustausgleichs für die in der Vergangenheit erwirtschafteten Verluste. Es bleibt in dieser
Situation der öffentlichen Hand unbenommen, die in der „Altmark Trans“-
Entscheidung festgelegten Grundsätze zu erfüllen, das kommunale Energieversorgungsunternehmen also mit der Aufgabe der Energieversorgung zu betrauen und
objektiv und ex ante Parameter festzulegen, nach denen sich der staatliche Ausgleich
berechnet. Keinesfalls jedoch darf ein Ausgleich gewährt werden, der die in der
Vergangenheit erwirtschafteten Verluste kompensiert. Die Begünstigung ist ausschließlich zukunftsbezogen.
Grundsätzlich bleibt es der öffentlichen Hand möglich, ein kommunales Energieversorgungsunternehmen mit der Versorgung zu betrauen, einer besonderen Verpflichtung zur objektiven Auswahl bzw. zur Bevorzugung privater Unternehmen
unterliegt die öffentliche Hand nicht. Weiter besteht bei der Betrauung eines kommunalen Unternehmens der Vorteil, dass der Betrauung nicht ein möglicherweise
vorliegender Eingriff in privates Eigentum oder Art. 12 GG entgegensteht, der besonders gerechtfertigt werden müsste.
IV. Ex ante Berechnung der Ausgleichsleistungen für den kommunalen Energieversorger
Bereits zum Zeitpunkt der Betrauung müssen die Parameter für die Berechnung der
Ausgleichsleistung objektiv und transparent festgelegt sein.1041 Nur so kann vermieden werden, dass die staatlichen Ausgleichszahlungen zu einem wirtschaftlichen
Vorteil des begünstigten Unternehmens gegenüber seinen (potentiellen) Wettbewerbern führen und so eine Überkompensation stattfindet.1042
Für einen kommunalen Energieversorger bestehen in diesem Punkt keine Besonderheiten. Entscheidend ist jedoch, dass die in der Vergangenheit erwirtschafteten
Verluste nicht ausgeglichen werden dürfen, da sonst eine notifizierungspflichtige
Beihilfe gegeben wäre.1043 Sollte sich daher herausstellen, dass das kommunale
Unternehmen ohne eine einmalige Zahlung vor der Übernahme der Energieversorgung als betrautes Unternehmen nicht in der Lage ist, wirtschaftlich zu überleben,
kommt eine Betrauung mit dieser Aufgabe nicht mehr in Betracht. Sollte dennoch
eine staatliche Betrauung erfolgen, würde die öffentliche Hand die ihr obliegende
1041 EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. 280/00 – „Altmark Trans“, Slg. 2003, I-7747, Rz. 90.
1042 Ehricke in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG, Teil 1, 4.A., 2007, Art. 87, Abs. 1,
Rn. 58; Koenig/Kühling/Ritter, EG-Beihilfenrecht, 2.A., 2005, Rn. 87; Koenig, BB 2003,
2185, 2186; zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten
vgl. Koenig/Haratsch, ZUM 2003, 804, 808 f.
1043 EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. 280/00 – „Altmark Trans“, Slg. 2003, I-7747, Rz. 91; Ehricke
in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG, Teil 1, 4.A., 2007, Art. 87, Abs. 1, Rn. 58.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die herausfordernde Aufgabe, den Energiemarkt zu liberalisieren und dem Wettbewerb zu öffnen, hat die kommunalen Energieversorger in Deutschland, die historisch bedingt über Jahrzehnte gewachsen sind, kaum berücksichtigt. Viele Stadtwerke bewegen sich mit Ihren Mitteln, wettbewerbsfähig zu bleiben, in einer juristischen Grauzone zwischen Wettbewerbspostulat und kommunalrechtlichen Beschränkungen. Hier besteht politischer Handlungsbedarf, wobei u.a. die Bedeutung der Stadtwerke für die lokale soziale Infrastruktur mit dem Erreichen eines unverfälschten Energiemarktes abgewogen werden muss. Geraten kommunale EVU neben oder sogar aufgrund dieser „Legitimationskrise“ in eine wirtschaftliche Schieflage, so ist fraglich, ob und wie eine staatliche Rettung in Betracht kommt.
Die Verantwortung des Staates ist in der Zeit einer der schwersten Finanzkrisen der Weltwirtschaft ein hoch umstrittenes Thema. Zu berücksichtigen ist, dass es der Staat ist, der eine sichere Energieversorgung garantieren muss, wobei Grundversorgung und sozialstaatliche Verantwortung mit dem europäischen Beihilfenrecht zu vereinbaren sind. Die Arbeit regt an, die Entwicklungen in der kommunalen Energiewirtschaft zu überdenken.