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sozialen Bedürfnissen der Bevölkerung in einem bestimmten Sektor dies gebietet.988
Von besonderer Bedeutung ist Art. 86 Abs. 2 EG für die Beihilfenvorschriften. Der
EuGH hat in der Rechtssache „Altmark Trans“989 Kriterien aufgestellt, bei deren
Erfüllung eine gemeinschaftsrechtswidrige und damit grundsätzlich verbotene Beihilfe aufgrund von Art. 86 Abs. 2 EG vom Beihilfenverbot ausgenommen werden
kann.990
Begünstigt werden können öffentliche und private Unternehmen gleichermaßen,
sofern sie mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betraut sind, also marktbezogen tätig werden.991 Zu den umfassten Dienstleistungen
gehört auch die Versorgung mit Energie.992 Gerade dort scheint es angebracht, die
besonderen Interessen der Verbraucher stärker in den Vordergrund zu stellen.993
Dieses besteht insbesondere an der dauerhaften und sicheren Versorgung mit den so
genannten Universaldiensten, wie sich auch aus § 1 EnWG 2005 und den dort genannten Zielsetzungen ergibt.994
IV. Entwicklung der Rechtsprechung zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse
Der EuGH hatte insbesondere in den Rechtssachen Ferring995, GEMO SA996, Altmark Trans997 und Enirisorse998 öffentliche Finanzierungen für Dienstleistungen im
allgemeinen wirtschaftlichen Interesse zu beurteilen.999 Dabei wurden verschiedene
Ansätze vertreten. Nach einem so genannten „Beihilfensatz“ stellt die öffentliche
Finanzierung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse auf
988 Ehricke in Loewenheim/Meesen/Riesenkampff, Kartellrecht, Bd. 1, Art. 86, Rn. 76; ders.
EuZW 1993, 211, 215 f.; EuGH, Urt. v. 19.03.1991, Rs. C-202/88 – „Telekommunikations-
Endgeräte“, Slg. 1991, I-1223, Tz. 11 f.
989 EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. 280/00 – „Altmark Trans“, Slg. 2003, I-7747; zu den einzelnen
Voraussetzungen siehe den folgenden Abschnitt.
990 Zur Rechtsprechung des BVerwG vgl. Berschin/Fehling, EuZW 263, 266.
991 Koenig/Kühling in Streinz, EUV/EGV, 2003, Art. 86, Rn. 7.
992 EuGH, Urt. v. 23.10.1997, Rs. 157/94 – „Stromimporte“, Slg. 1997, I-5699; EuGH, Urt. v.
23.10.1997, Rs. 159/94 – “Monopole bei Strom und Gas”, Slg. 1997, I-5815.
993 Vgl. dazu Schweitzer, Daseinsvorsorge, „service public“, Universaldienst, 2001, S. 181;
Pernice/Wernicke in Grabitz/Hilf, EUV/EGV, Art. 86, Rn. 34.
994 Vgl. Bartosch, EuZW 2000, 333, 334.
995 EuGH, Urt. v. 22.11.2001, Rs. C-53/00 – „Ferring“, Slg. 2001, I-9067.
996 EuGH, Urt. v. 20.11.2003, Rs. C 126/01 – „GEMO SA”, Slg. 2003, I-13769.
997 EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. 280/00 – „Altmark Trans“, Slg. 2003, I-7747.
998 EuGH, Urt. v. 27.11.2003, verb. Rs. 34/01 bis C-38/01, „Enirisorse“, Slg. 2003, I-14243.
999 Auf die einzelnen Ausprägungen muss nicht im Detail eingegangen werden, dies ist in der
Literatur bereits hinreichend geschehen, vgl. z.B. Ehricke in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht EG, Teil 1, 4.A., 2007, Art. 87, Rn. 51 ff.; Britz, ZHR 169 (2005), 370, 381 ff.
m.w.N.
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dem Wege des öffentlichen Ausgleichsmodells grundsätzlich eine notifizierungsund genehmigungspflichtige Beihilfe dar.1000 Der so genannte „Ausgleichsansatz“
hingegen verneint eine staatliche Beihilfe für den Fall, dass lediglich die Kosten
kompensiert werden, die einem Unternehmen durch die Auferlegung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung entstehen.1001 Nach dem „modifizierten Ausgleichsansatz“ schließlich, den der EuGH in der Rechtssache „Altmark Trans“ aufstellte,
fallen staatliche Zuwendungen nicht unter Art. 87 EG-Vertrag, wenn sie einen Ausgleich für Leistungen darstellen, die zur Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen erbracht werden und die damit nicht zur Folge haben, dass die Empfänger
gegenüber ihren Wettbewerbern eine günstigere Wettbewerbsstellung erhalten.1002
Um dies ermitteln zu können, hat der EuGH vier Voraussetzungen genannt, die für
diese Privilegierung erfüllt sein müssen. Die Kommission hat auf die neuere Rechtsprechung des EuGH reagiert und eine Mitteilung für den „Gemeinschaftsrahmen
für staatliche Beihilfen, die als Ausgleich für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen gewährt werden“1003 erarbeitet. Dieser Gemeinschaftsrahmen soll klarstellen,
unter welchen Voraussetzungen staatliche Beihilfen in Hinblick auf Art. 86 Abs. 2
EG-Vertrag mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind und bereits tatbestandsmä-
ßig nicht von einer Beihilfe ausgegangen wird.1004
1. Betrauung mit der Erfüllung einer Dienstleistung in allgemeinem wirtschaftlichen Interesse
Nach Ansicht der Kommission1005 muss es sich um eine echte Dienstleistung von
allgemeinem wirtschaftlichen Interesse im Sinne von Art. 86 EG-Vertrag handeln,
wobei den Mitgliedsstaaten bei dieser Festlegung ein Ermessensspielraum zustehe.
Der Begriff der Dienstleistung ist weit zu verstehen, unter die Vorschrift fallen auch
1000 Vgl. zu diesem Ansatz EuG, Rs. T-106/95, Slg. 1997, II-229, Rz. 167 ff.; bestätigt in EuGH,
Rs. C-174/07 - „FFSA“, Slg. 1998, I-1303, Rz. 26 ff; EuGH, Rs. C-387/92 – „Banco Exterior
de Espana“, Slg. 1994, I-877, Rn. 12; Vgl. auch Schlussanträge GA Léger in der Rechtssache
„Altmark Trans“, v. 14.01.2003, Rs. 280/00, Rn. 75 ff.
1001 EuGH, Urt. v. 22.11.2001, Rs. C-53/00 – „Ferring“, Slg. 2001, I-9067; EuGH, Rs. 240/83 –
“ADBHU”, Slg. 1985, I-531, Rn. 18
1002 EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. 280/00 – „Altmark Trans“, Slg. 2003, I-7747, Rz. 87, 94; dazu
auch Britz, ZHR 169 (2005), 370, 385; Ehricke in Immenga/Mestmäcker, Wettbewerbsrecht
EG, Teil 1, 4.A., 2007, Art. 87, Rn. 53 ff.
1003 Kommission, 2005, C 297, S. 4
1004 Kommission, 2005, C 297, S. 4, Erwägungsgrund 2; Vgl. auch die Entscheidung der Kommission vom 28.11.2005 über die Anwendung von Artikel 86 Abs. 2 EG-Vertrag auf staatliche Beihilfen, die bestimmten mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem
wirtschaftlichen Interesse betrauten Unternehmen als Ausgleich gewährt, L 312/67, Rz. 5.
1005 Kommission, Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen, die als Ausgleich für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen gewährt werden, 2005, C 297, S. 4, Rz. 9 f.
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Warenlieferungen und die Erbringung von Leistungen im Bereich der Elektrizitätsversorgung.1006
Das begünstigte Unternehmen muss tatsächlich mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut worden sein.1007 Während der Begriff der
Dienstleistung weit auszulegen ist, stellt der EuGH an den Akt der Betrauung strenge Anforderungen.1008 Es genügt den gesetzlichen Anforderungen nicht, wenn das
Unternehmen zwar Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse
erbringt, nicht einmal wenn es dabei von staatlich überwacht wird, sofern es an
einem staatlichen Betrauungsakt fehlt.1009
2. Ex ante Berechnung der Ausgleichsleistungen
Die Ausgleichsparameter müssen objektiv und transparent festgelegt werden, bevor
es zur staatlichen Unterstützungshandlung kommt.1010 Ziel dieses Merkmals ist es zu
verhindern, dass der Ausgleich einen wirtschaftlichen Vorteil mit sich bringt, der
dem begünstigten Unternehmen einen nicht zu rechtfertigenden Vorsprung vor seinen Konkurrenten verschafft. Ein nachträglicher Verlustausgleich ohne vorherige
Festsetzung der Ausgleichsparameter stellt damit eine staatliche Beihilfe dar.1011
Dies gilt auch, wenn sich erst im Nachhinein herausstellen sollte, dass eine bestimmte Aufgabe ohne staatliche Unterstützung sich nicht kostendeckend betreiben
lässt.1012
3. Ausgleich der tatsächlichen Mehrkosten
Der Ausgleich für die tatsächlichen entstehenden Mehrkosten ist nach der Rechtsprechung des EuGH nur in der Höhe erforderlich, die die Kosten der Erfüllung der
gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der erzielten Ein-
1006 EuGH, Urt. v. 23.10.1997, Rs. C-157/94 – “Kommission/Niederlande”. Slg. 1997, I-5768 ff.;
Hochbaum/Klotz in von der Groeben/Schwarze, EUV/EGV, 6.A., 2003, Art. 86, Rn. 58; Vygen, Öffentliche Unternehmen im Wettbewerbsrecht der EWG, 1967, S. 99 f.; zum Ganzen
siehe auch Emmerich, Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen, 1969, S. 440 ff.;
1007 EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. 280/00 – „Altmark Trans“, Slg. 2003, I-7747, Rz. 89.
1008 EuGH, Urt. v. 14.07.1981, Rs. 172/80 – “Gerhard Züchner/Bayrische Vereinsbank AG”, Slg.
I-2021. 2030, Tz. 7: Durch Hoheitsakt.
1009 Mestmäcker/Schweitzer in Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, 4.A., 2007, Art. 31,
86, Rn. 45; Scharpf, EuR 2005, 605, 613; Hochbaum/Klotz in von der Groeben/Schwarze,
EUV/EGV, 6.A., 2003, Art. 86, Rn. 63 m.w.N.
1010 EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. 280/00 – „Altmark Trans“, Slg. 2003, I-7747, Rz. 90.
1011 Kommission, 2005, C 297, S. 4, Erwägungsgrund 6; vgl. auch EuGH, Rs. C-280/00, Rz. 91
„Altmark-Trans“.
1012 EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. 280/00 – „Altmark Trans“, Slg. 2003, I-7747, Rz. 91.
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nahmen und eines angemessenen Gewinns ganz oder teilweise deckt.1013 Folglich ist
eine Ausgleichszahlung selbst dann unproblematisch, wenn das begünstigte Unternehmen einen Gewinn aus der Erfüllung der gemeinwohlorientierten Leistung erhält. Übermäßige Gewinne hingegen führen nach Ansicht des EuGH zu einer Wettbewerbsverfälschung und sind von der Ausnahmeregelung des Art. 86 Abs. 2 EG-
Vertrag nicht mehr gedeckt.
4. Verobjektivierter Kostenmaßstab eines durchschnittlich gut geführten Unternehmens
Der öffentlichen Hand obliegt grundsätzlich die Wahl, ob ein Unternehmen im
Rahmen eines öffentlichen Vergabeverfahrens mit der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung betraut wird oder ohne ein solches Vergabeverfahren.
Wird nicht durch ein Vergabeverfahren dasjenige Unternehmen ermittelt, das die
Dienste zu den geringsten Kosten anbieten kann, so ist die Höhe des erforderlichen
Ausgleichs auf der Grundlage einer Analyse der Kosten zu bestimmen, die ein
durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen hätte, das so angemessen mit Produktionsmitteln ausgestattet ist, dass es den gestellten gemeinwirtschaftlichen Anforderungen genügen kann.1014 Auch hier ist ein angemessener Gewinn zu berücksichtigen. Diese Methode ist für die öffentliche Hand damit kostenintensiver, da ein
durchschnittlich gut geführtes Unternehmen gerade nicht zu den Konditionen arbeiten kann, wie beispielsweise das effizienteste Unternehmen auf einem Markt.
C. Anwendbarkeit der Grundsätze auf die Energiewirtschaft
Die Besonderheit in der Energiewirtschaft ist, dass sich die ursprüngliche staatliche
Gewährleistungsverantwortung im Moment des vollständigen Marktversagens und
des drohenden Versorgungsausfalls in eine eigene Leistungsverantwortung der öffentlichen Hand wandelt.1015 Zu klären ist, ob es sich bei der finanziellen Unterstützung kommunaler Energieversorgungsunternehmen um eine Beihilfe im Sinne der
europäischen Vorschriften handelt oder aber um eine Form der Aufgabenübertragung auf einen Dritten, die von der öffentlichen Hand finanziert wird, wobei in
dieser Situation die Auswahl, wem diese Aufgabe übertragen werden soll und welche Mittel zur Verfügung gestellt werden sollen, der öffentlichen Hand obliegt, ohne
dass eine Ausschreibung erforderlich wäre. Dies lässt sich möglicherweise mit der
Sondersituation begründen, dass es sich bei der Versorgung um eine eigene Leis-
1013 EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. 280/00 – „Altmark Trans“, Slg. 2003, I-7747, Rz. 92.
1014 EuGH, Urt. v. 24.07.2003, Rs. 280/00 – „Altmark Trans“, Slg. 2003, I-7747, Rz. 93.
1015 Vgl. oben S.171.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die herausfordernde Aufgabe, den Energiemarkt zu liberalisieren und dem Wettbewerb zu öffnen, hat die kommunalen Energieversorger in Deutschland, die historisch bedingt über Jahrzehnte gewachsen sind, kaum berücksichtigt. Viele Stadtwerke bewegen sich mit Ihren Mitteln, wettbewerbsfähig zu bleiben, in einer juristischen Grauzone zwischen Wettbewerbspostulat und kommunalrechtlichen Beschränkungen. Hier besteht politischer Handlungsbedarf, wobei u.a. die Bedeutung der Stadtwerke für die lokale soziale Infrastruktur mit dem Erreichen eines unverfälschten Energiemarktes abgewogen werden muss. Geraten kommunale EVU neben oder sogar aufgrund dieser „Legitimationskrise“ in eine wirtschaftliche Schieflage, so ist fraglich, ob und wie eine staatliche Rettung in Betracht kommt.
Die Verantwortung des Staates ist in der Zeit einer der schwersten Finanzkrisen der Weltwirtschaft ein hoch umstrittenes Thema. Zu berücksichtigen ist, dass es der Staat ist, der eine sichere Energieversorgung garantieren muss, wobei Grundversorgung und sozialstaatliche Verantwortung mit dem europäischen Beihilfenrecht zu vereinbaren sind. Die Arbeit regt an, die Entwicklungen in der kommunalen Energiewirtschaft zu überdenken.