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V. Rechtsgrundlagen für eine Rettungspflicht zugunsten der Netzinfrastruktur
Zu unterscheiden ist bei den Netzen zwischen einer möglichen Rettungspflicht aufgrund der Gesellschafterstellung der Gemeinde und der energierechtlichen Garantenstellung der öffentlichen Hand für eine sichere Versorgung mit Energie. Soweit
die Argumentation für die bereits oben gefundenen Lösungsansätze auf der Liberalisierung beruht, sind die Ergebnisse nicht ohne weiteres auf die Netze übertragbar.
Ziel der Liberalisierung war die Schaffung von Wettbewerbsmärkten. Auf dem
Transportmarkt herrscht jedoch kein Wettbewerb in den Netzen928, und dieser ist
aufgrund der Struktur der Netze als natürliche Monopole, anders als im Versorgungsbereich, wegen der erheblichen Investitionskosten für ein Parallelnetz auch in
Zukunft nicht wahrscheinlich.929 Es ist aber auf den potentiellen bzw. tatsächlichen
Wettbewerb um die Netze abzustellen, der durch die befristete Konzessionsdauer
erreicht werden soll.930 Die für die Versorgungsunternehmen gefundenen Ansätze
für eine Rettungspflicht müssen für die Netzinfrastruktur neu bewertet werden. Dar-
über hinaus stellt sich die Frage, ob gegebenenfalls die Kommunen aufgrund von §
94 BGB unmittelbar931 Eigentümer des Niederspannungs- bzw. Niederdrucknetzes
auf ihrem Gemeindegebiet sind und sich aus der Eigentümerstellung eine besondere
Rettungspflicht ergeben kann.
1. Rettungspflicht aufgrund der Eigentümerstellung der öffentlichen Hand?
Voraussetzung für eine Rettungspflicht aufgrund der Eigentümerstellung der öffentlichen Hand ist, dass die Netze wesentlicher Bestandteil der Grundstücke sind, durch
die sie verlaufen und dass diese Grundstücke im Eigentum der öffentlichen Hand
stehen.
Zunächst muss das Netz gemäß § 94 Abs. 1 S. 1 BGB wesentlicher Bestandteil
des Grundstücks sein und darf nicht nur nach § 95 Abs. 1 BGB zu einem vorübergehenden Zweck mit dem Grund und Boden verbunden sein. Nach herrschender Ansicht932 ist bei Energienetzen § 95 Abs. 1 S. 2 BGB einschlägig, wonach diese nicht
928 Säcker/Jaeks, BB 2001, 997, 1000.
929 Reimann/Decker, RdE 2000, 16, 18; Säcker/Jaeks, BB 2001, 997, 1000; BT-Drucks. 13/7274,
S. 21.
930 Säcker/Jaeks, BB 2001, 997, 1000; Vgl. dazu allgemein I. Schmidt, Wettbewerbspolitik und
Kartellrecht, 8.A., 2005, S. 69 ff.
931 Steht das Netz hingegen im Eigentum einer privatrechtlich organisierten Gesellschaft, deren
einzige Gesellschafterin die Kommune ist, so finden ausschließlich die oben erläuterten Ansätze Anwendung.
932 Salje, Energiewirtschaftsgesetz, 2006, § 46, Rn. 74, 158; Holch in Münchener Kommentar
zum BGB, 5.A., 2006, § 95, Rn. 25; Heinrichs in Palandt, 66. A, 2007, § 95, Rn. 6; Schröer,
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wesentliche Bestandteile des Grundstücks werden. Begründet wird dies mit dem
praktischen Argument, dass nur so vermieden werden könne, dass die Netze im
Eigentum von vielen verschiedenen Grundstückseigentümern stehen. Rechtlich
begründet sich die Ansicht damit, dass derjenige, der aufgrund eines Rechts das
Netz im Grund und Boden eines anderen verlege, nicht dessen Grundstück verbessern, sondern nur von seinem Recht Gebrauch machen wolle.933 Hingegen vermag
das Argument934, die Leitungen würden nur zu einem vorübergehenden Zweck mit
dem Boden verbunden, da sie regelmäßig verbessert und ausgetauscht werden, nicht
zu überzeugen. Damit würde die Regelung des § 95 BGB leer laufen, denn die meisten fest mit dem Erdboden verbundenen Gegenstände bedürfen der Reparatur oder
auch des Austausches, um ihren Bestand zu sichern.
Mit der allgemeinen Meinung ist jedoch schon aus Praktikabilitätsgründen nicht
von einer unmittelbaren Eigentümerstellung der Gemeinde auszugehen. Die Netze
stehen damit im Eigentum des jeweiligen (häufig kommunalen) Netzbetreiberunternehmens. Sofern es sich dabei um ein privatrechtlich ausgestaltetes Unternehmen in
Form einer GmbH oder AG handelt, trifft die Kommune unmittelbar keine besonderen Pflichten aus der mittelbaren Eigentümerstellung, wie sich aus der Haftungsbeschränkung des § 13 Abs. 2 GmbHG ergibt. In Betracht kommt daher, wie bei den
bereits dargestellten Versorgungsunternehmen, lediglich eine besondere Rettungspflicht.
2. Rettungspflicht aufgrund der Gesellschafterstellung der öffentlichen Hand?
Die Ausgangslage bei den Netzen ist im Vergleich zum Versorgungsmarkt935 überschaubarer. Mangels Parallelnetzen ist nur die Situation denkbar, dass der einzige
Netzbetreiber in einem Netzgebiet seine Leistungen einstellt. Unerheblich ist, ob es
sich dabei um eine Insolvenz handelt und der Insolvenzverwalter den Konzessionsvertrag kündigt, oder ob der Netzbetreiber den mit der Gemeinde üblicherweise auf
mehrere Jahre geschlossenen Konzessionsvertrag nicht erfüllt. Zuletzt kommt in
Betracht, dass sich nach Auslaufen des Konzessionsvertrages kein neues Versorgungsunternehmen um die Konzession bewirbt, und der ehemalige Betreiber z.B.
mangels Aussicht auf Gewinne kein neues Angebot für die Fortführung abgibt.936
Für kommunale Energieversorger wird das Einstellen der Netzdienstleistungen auf-
NJW 1964, 186 f.; Brüning, VIZ 1997, 398, 399 f.; Schulze, RPfleger 1999, 167; RGZ 87, 43
ff.; BGH NJW 1962, 1817 f.; 1980, 771 f; 1994, 999.
933 Holch in Münchener Kommentar zum BGB, 5. A, 2006, § 95, Rn. 20; RGZ 106, 49, 51.
934 Brüning, VIZ 1997, 398, 401.
935 Vgl. dazu oben S. 106 ff.
936 Diese Konstellation ist denkbar, wenn vor der Liberalisierung z.B. entlegene Wohnviertel mit
Gas versorgt wurden, obgleich bereits beim Bau der Leitungen bekannt war, dass diese Leitung nicht kostendeckend betrieben werden kann.
205
grund der engen Verknüpfung mit der öffentlichen Hand nur in Betracht kommen,
wenn das Unternehmen zahlungsunfähig ist.
Anders als bei der Grundversorgung bieten die Regelungen zu den Netzen keinen
besonderen Ansatzpunkt zu einer Auslegung im Lichte des Sozialstaatsgebotes.
Insbesondere die Regelungen zur Vergabe der Konzession sehen nicht vor, dass ein
Unternehmen zum Betrieb des Netzes verpflichtet werden soll, wenn sich nicht
freiwillig ein solches Unternehmen findet. Dieses Problem wird in den Jahren
2010/2011 von besonderer Bedeutung sein. Viele Konzessionsverträge wurden in
den Jahren 1990 und 1991 für eine Dauer von 20 Jahren abgeschlossen. Gemäß § 46
Abs. 2 EnWG 2005 sind die Gemeinden verpflichtet, die Konzessionen für die
nächste Periode spätestens zwei Jahre vor deren Beginn öffentlich auszuschreiben.
In dieser neuen Periode wird sich zeigen, inwieweit die Anreizregulierung zu einem
Rückzug der Energieversorgungsunternehmen aus den Niederspannungsnetzen
führt. Probleme werden sich ergeben, wenn sich kein Interessent zeigt.
Wie die Regelung des § 46 EnWG 2005 zeigt, muss auch auf dem Transportmarkt grundsätzlich Wettbewerb möglich sein. Zwar mag es tatsächlich aufgrund
der beschriebenen besonderen Gegebenheiten in den Netzen dazu nicht kommen.
Gleichwohl schreibt der Gesetzgeber in § 46 Abs. 2 S. 1 EnWG 2005 vor, dass Konzessionsverträge über bereits bestehende Netze in einem Netzgebiet nicht über einen
Zeitraum von länger als 20 Jahren geschlossen werden dürfen. Sollte ein neuer
Netzbetreiber die Ausschreibung nach Ablauf der Konzessionszeit für sich entscheiden, so muss der ehemalige Netzbetreiber dem neuen Nutzungsberechtigten die
Netze gemäß § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG 2005 „überlassen“. Ob damit eine Eigentums-
übertragung oder lediglich eine Besitzüberlassung gemeint ist, kann in diesem Zusammenhang dahinstehen.937 Jedenfalls hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass den Netzbetreibern nicht „für alle Ewigkeit“ der Betrieb der Netze zugeordnet ist. Es herrscht damit auf kommunaler Ebene zwar kein Wettbewerb in den
Niederspannungsnetzen, wohl aber - zumindest potentieller - Wettbewerb um diese
Netze.938 Auch hier kommt daher der unmittelbare Rückgriff auf das Sozialstaatsprinzip erst in Betracht, wenn alle anderen Möglichkeiten, die einerseits zielführend,
andererseits unter Berücksichtigung einer wirtschaftlichen Haushaltsführung ökonomisch vertretbar sind, ausgeschöpft wurden.
Aus dem Rechtstaatsprinzip ließe sich eine Rettungspflicht nur herleiten, wenn
man von einer Aufgabenübertragung oder einem besonderen Vertrauen der Bevölkerung gegenüber der öffentlichen Hand bezüglich der Erbringung der Netzdienstleistungen ausgeht. Aufgrund von § 46 EnWG 2005 muss sich jedoch auch das kommunale Netzbetreiberunternehmen an der Ausschreibung für einen Konzessionsvertrag beteiligen. Anders als im Versorgungsmarkt ist zwar die Erfüllung der Aufgabe
937 Die Frage ist in der Literatur umstritten, vgl. dazu Schulze, Rpfleger 1999, 167, 171 f.; Salje,
Energiewirtschaftsgesetz, 2006, § 46, Rn. 73 ff.
938 Säcker/Jaecks, BB 2001, 997, 1000.
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nicht dem Wettbewerb zugeordnet, denn dieser besteht faktisch auf der Ebene der
Leistungserbringung nicht, wie auch der Gesetzgeber erkannt hat.939 Soweit jedoch
Wettbewerb hinsichtlich der Übernahme der Leistung besteht, kann nicht nur nicht
von einer besonderen Aufgabenzuordnung an die öffentliche Hand ausgegangen
werden, sondern auch nicht von einem besonderen Vertrauen in die Erfüllung der
Netzbetreiberpflichten, welches über das Vertrauen hinausginge, das einem Privatunternehmer entgegengebracht wird; dafür bietet die Gesetzeslage keinen Anhaltspunkt. Da sich ein besonderes Vertrauen in die Erbringung der Leistung durch die
öffentliche Hand nicht erkennen lässt, scheidet eine Rettungspflicht aus dem Rechtstaatsprinzip aus.
Gleiches gilt für eine mögliche Rettungspflicht aus den Vorschriften des Gemeindewirtschaftsrechts. Könnte sich ein kommunaler Netzbetreiber mit der Gewissheit
um eine Konzession bewerben, dass im Falle des Missmanagements oder des Preisdumpings die Kommune für den Ausgleich der Bilanz Sorge zu tragen hätte, wäre
ein unverfälschter Wettbewerb um die Netze nicht mehr gewährleistet. Die Kommune trifft auch hier keine Pflicht zum Tätigwerden. Entscheidet sich ein kommunaler Netzbetreiber daher für die Teilnahme am Bieterwettbewerb, so muss er die
Konsequenzen für sein Handeln hinnehmen wie jedes andere private Unternehmen
auch.
Hinsichtlich der Bewertung einer möglichen Rettungspflicht aus dem Verwaltungsprivatrecht bleibt es bei der Feststellung, dass dieses Prinzip im Energiewirtschaftsrecht nicht anwendbar ist. Gleiches gilt für eine Ingerenzpflicht des Staates
und das System der Konzernhaftung.940
3. Rettungspflicht aufgrund einer energierechtlichen Garantenstellung für eine
sichere Netzinfrastruktur?
Zurückgegriffen werden kann für eine Rettungspflicht im Falle der Insolvenz des
kommunalen Netzbetreibers möglicherweise zunächst auf die einfachgesetzlichen
Regelungen in den §§ 11 ff. EnWG 2005 oder hilfsweise auf die allgemeine Regelung in § 1 Abs. 1 EnWG 2005, worin ebenfalls die Sicherheit der Versorgung genannt wird. Eine sichere Versorgung mit Energie ist nur möglich, wenn der Netzbetrieb gewährleistet ist, daher wird auch die Sicherheit der Netze mit umfasst.
939 BT-Drucks. 13/7274, S. 21.
940 Vgl. zu diesen Fragestellungen bereits oben S. 124 ff; 129 ff.; 131 ff.
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a) Vorgaben der Elektrizitätsrichtlinie
Die Aufgaben der Netzbetreiber werden in der Beschleunigungsrichtlinie Elektrizität941 in den Artikeln 8 bis 17 umfangreich beschrieben. Sowohl Übertragungsnetzbetreiber (gemäß Art. 9 lit. c) als auch Verteilernetzbetreiber (Art. 14 Abs. 1) sind
verpflichtet, ein zuverlässiges, sicheres und effizientes Netz zu unterhalten. Es ist
dabei Aufgabe der Mitgliedsstaaten dafür zu sorgen, dass die Netzbetreiber die ihnen auferlegten Pflichten einhalten, Art. 8 S. 2 bzw. Art. 13 S. 2 EltRL. Die Regelungen sind damit von der Grundkonzeption mit den Vorschriften über die Versorgung der Endkunden vergleichbar. Auch bezüglich der Netze verlangt die Elektrizitätsrichtlinie nicht den Betrieb selbst, aber die Gewährleistung des Betriebes.
b) Umsetzung im EnWG 2005
Das EnWG 2005 trifft bezüglich der Netzbetreiber- und Netzerhaltungspflichten
zwar umfangreiche Regelungen, die über § 65 Abs. 2 EnWG auch durchgesetzt
werde können, jedoch bestimmt das Gesetz nicht ausdrücklich, welche Maßnahmen
getroffen werden dürfen, wenn ein Netzbetreiber nicht in der Lage ist, diese von ihm
- freiwillig im Wege des Konzessionsvertrages übernommenen - Verpflichtungen zu
erfüllen. Insbesondere geht in diesem Fall die Ermächtigung in § 65 Abs. 2 EnWG
2005 ins Leere, da niemand verpflichtet werden kann, Unmögliches zu erbringen.
Fraglich ist daher, welche Interpretationsmöglichkeiten die einzelnen Vorschriften
bieten.
aa) Pflicht zum sicheren Netzbetrieb in den §§ 11 ff. EnWG 2005
Der 3. Teil des EnWG 2005 hat die Regulierung des Netzbetriebes zum Gegenstand;
dessen Abschnitt 1 regelt die Aufgaben der Netzbetreiber. § 11 EnWG 2006 soll die
Bestimmungen in Art. 8 und 12 der Gasrichtlinie und der Art. 9 und 14 der Elektrizitätsrichtlinie umsetzen.942 Die Regelung liefert ausdrücklich keine Erkenntnis, was
zu geschehen hat, wenn der Netzbetreiber finanziell nicht mehr in der Lage ist, ein
sicheres Versorgungsnetz zu betreiben.943 In der Literatur wird eine vorläufige Übertragung des Weiterbetriebes auf dem Wege eines Betriebsführungsverhältnisses auf
941 Richtlinie 2003/54/EG vom 26.07.2003 „Beschleunigungsrichtlinie“.
942 Salje, Energiewirtschaftsgesetz, 2006, § 11, Rn. 1.
943 Die übrigen Ziele des § 1 EnWG 2005 werden in einer solchen Situation auch nicht mehr
erreicht.
208
einen Dritten vorgeschlagen, wobei dafür beispielsweise der Nachbarversorger genannt wird.944 Einer Spezialregelung im EnWG bedürfe es dafür nicht.
Zu Bedenken ist allerdings, dass es sich hierbei um einen grundrechtsrelevanten
Eingriff in Freiheit und Eigentum des betroffenen Energieversorgers handelt945, der
aufgrund des Vorranges und des Vorbehaltes des Gesetzes stets einer besonderen
Rechtfertigung bedarf; die Staatsgewalten sind nach Art. 20 Abs. 3 GG an Recht
und Gesetz gebunden.946 Folglich muss eine solche Anordnung an einer Norm festgemacht werden können.
Die Regulierungsbehörde kann nach einhelliger Ansicht „nur dem für das konkrete Netz zuständigen Betreiber“ gegenüber eine Betriebspflicht anordnen.947 Damit
besteht ohne eine entsprechende Ermächtigung gerade keine Möglichkeit, einen
unbeteiligten Dritten zur Fortführung des Netzbetriebes zu verpflichten. Insbesondere kann nicht auf andere kommunale Energieversorgungsunternehmen zurückgegriffen werden, da deren Betrauung gegen den Örtlichkeitsgrundsatz verstoßen würde
und damit möglicherweise auch in den Hoheitsbereich der betroffenen Gemeinde
eingegriffen wird.948 Da im Falle der Insolvenz des Netzbetreibers eine Weiterverpflichtung des insolventen Unternehmens nicht möglich ist, muss als ultima ratio mit
öffentlichen Mitteln eine Möglichkeit gefunden werden, den Netzbetrieb aufrechtzuerhalten.
§ 11 EnWG 2005 regelt jedoch ausdrücklich nur die Pflichten des jeweiligen
Netzbetreibers in seinem Netzgebiet. Die Norm weist, anders als beispielsweise § 36
EnWG 2005, keinen Drittbezug auf. Auch eine Auslegung im Sinne des Sozialstaatsgebotes kann nicht dazu führen, dass ein unbeteiligter Dritter zur Aufgabenerledigung gegen seinen Willen ohne entsprechende Entschädigung herangezogen
wird. Ein solcher Eingriff in dessen Privatautonomie würde verfassungsrechtlich ein
nicht zu rechtfertigendes Sonderopfer darstellen.949 Fraglich ist daher, ob die öffentliche Hand eine Verpflichtung zum Eingreifen trifft, weil dies in § 11 EnWG 2005
angelegt ist.
Anders als in § 36 EnWG 2005, sieht der Gesetzgeber für den Netzbereich überhaupt keine Möglichkeit vor, was zu geschehen hat, wenn ein Netzbetreiber ausfällt.
Die Sach- und Rechtslage ist in diesem Fall auch deutlich komplizierter als bei Versorgungsunternehmen, da mangels Wettbewerb kein anderes Unternehmen in diesem Netzgebiet tätig ist, auf das zurückgegriffen werden könnte. Die gesetzliche
Verpflichtung eines Unternehmens, das mit dem Netzgebiet überhaupt nicht in Ver-
944 Salje, Energiewirtschaftsgesetz, 2006, § 11, Rn. 35.
945 Pieroth/Schlink, Grundrechte, 22.A., 2006, Rn. 238; Ehlers in Erichsen/Ehlers, Allgemeines
Verwaltungsrecht, 13.A., 2005, § 3, Rn. 41.
946 Ehlers in Erichsen/Ehlers, Allgemeines Verwaltungsrecht, 13.A., 2005, § 3, Rn. 39.
947 Dies sieht so auch Salje, Energiewirtschaftsgesetz, 2006, § 11, Rn. 36, entgegen seiner zuvor
geäußerten Ansicht.
948 Vgl. dazu schon oben S. 87 ff.
949 Vgl. dazu Jarass in Jarass/Pieroth, Grundgesetz Kommentar, 8.A., 2006, Art. 14, Rn. 52.
209
bindung steht, liegt fern und würde sich dem Vorwurf der Willkür ausgesetzt sehen.
In Betracht gekommen wäre eine Regelung dieser Frage dahingehend, dass der Übertragungsnetzbetreiber, der technisch den Druck bzw. die Spannung des Netzes
aufrechterhält, auch für die Anlagen verantwortlich gemacht wird. Aber auch diese
Regelung wäre nicht unproblematisch, da die Übertragungsnetze hinsichtlich Wartung und Unterhalt anderen Bedingungen unterliegen als die Niederspannungsnetze,
bei denen insbesondere die Anschlusspflicht zu beachten ist, die weiteren erheblichen Verwaltungsaufwand nach sich zieht.
Mangels ausdrücklich positivrechtlicher Regelung muss daher auf die Möglichkeit der Auslegung der Norm auf dem Wege einer teleologischen Erweiterung zurückgegriffen werden. Hierbei ist insbesondere das Zielpentagon in § 1 Abs. 1
EnWG 2005 zu berücksichtigen, sowie die Bestimmungen der Elektrizitätsrichtlinie
und das Sozialstaatsprinzip. Gleichwohl findet eine Auslegung ihre Grenzen stets im
Wortlaut der Norm und der gesetzgeberischen Wertentscheidung.950 Anders als im
Bereich der Endkundenversorgung hat der Gesetzgeber im Bereich des Netzbetriebes nicht einmal im Ansatz darüber befunden, was zu geschehen hat, wenn der
Netzbetreiber seine Leistungen einstellt oder einstellen muss. Herangezogen werden
in den §§ 11 ff. EnWG 2005 nur die bereits bestehenden Netzbetreiber.
Art. 13 der Elektrizitätsrichtlinie951 verpflichtet die Mitgliedsstaaten, einen oder
mehrere Verteilnetzbetreiber zu benennen und dafür zu sorgen, dass die Verteilnetzbetreiber die Artt. 14 bis 16 der Richtlinie einhalten. Dort verlangt Art. 14 Abs. 1,
dass der Verteilnetzbetreiber in seinem Gebiet ein sicheres, zuverlässiges und effizientes Elektrizitätsverteilernetz unter Beachtung des Umweltschutzes zu unterhalten hat. Die Umsetzung dieser Vorgaben ist mit den §§ 11 ff. EnWG 2005 vorgenommen worden, jedoch wurde die Pflicht der Mitgliedsstaaten, für die Sicherstellung der genannten Ziele Sorge zu tragen, nur dahingehend umgesetzt, dass
bestehende Netzbetreiber über § 65 Abs. 2 EnWG 2005 zu weitergehenden Handlungen verpflichtet werden können. Die Pflicht der Mitgliedsstaaten zur Umsetzung
hätte jedoch darüber hinausgehen und auch der Fall geregelt werden müssen, wenn
der Netzbetreiber selbst nicht mehr in der Lage ist, diese Vorgaben umzusetzen. Das
deutsche Recht geht damit lediglich von dem Unwillen des Netzbetreibers aus, sein
Netz sicher und effizient zu gestalten, nicht von dessen finanzieller Unfähigkeit,
notwendige Maßnahmen vorzunehmen. Nach geltendem einfachen Recht hat die
öffentliche Hand daher weder die Möglichkeit, ein drittes Unternehmen zur Übernahme zu zwingen, noch die Verpflichtung, die Insolvenz des Netzbetreibers abzuwenden. Die Umsetzung der Richtlinie erfolgte damit mangelhaft. Die §§ 11 ff.
EnWG 2005 können nicht für eine Rettungspflicht herangezogen werden.
950 Vgl. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6.A.,1991, S. 318.
951 Richtlinie 96/92/EG vom 19.12.1996, ABl. Nr. L 27 v. 30.01.1997, S. 20 ff.
210
bb) Anschlusspflicht, § 18 EnWG 2005
Aus der allgemeinen Anschlusspflicht von Letztverbrauchern nach § 18 EnWG 2005
kann keine Rettungspflicht abgeleitet werden. Sie umschreibt lediglich die Rechtsfolge952, wenn ein Unternehmen in einem Niederspannungsnetz Netzbetreiber ist.
Die Regelung normiert damit nur eine Folge des Betriebes eines Niederspannungsnetzes, nicht aber die Voraussetzung für dessen Netzbetrieb. Deshalb ist es mit Blick
auf § 36 EnWG 2005 auch missverständlich, von einer „Grundversorgung der Bevölkerung mit Netzanschlüssen“953 zu sprechen. Der Begriff der Grundversorgung
erfährt in § 36 EnWG 2005 eine spezielle Prägung mit einer Rückabsicherung, die §
18 EnWG 2005 nicht gewährleistet. Die allgemeine Anschlusspflicht enthält damit
keine Ermächtigung, ein Energieversorgungsunternehmen, das bisher nicht Netzbetreiber in dem betroffenen Netzgebiet ist, zum Tätigwerden zu zwingen.954 Auch
die Verordnung über die „Allgemeinen Bedingungen für den Netzanschluss und
dessen Netzung für die Elektrizitätsversorgung in Niederspannung (Niederspannungsanschlussverordnung – NAV)“955 stellt in § 26 NAV bzw. § 26 NDAV fest,
dass das Anschlussverhältnis – abgesehen von einer Kündigung - so lange besteht,
bis der Anschlussnutzer die Anschlussnutzung einstellt. Damit enthält auch die Verordnung keine Regelung zu der Frage, was im Falle der Insolvenz des Netzbetreibers zu geschehen hat und bestätigt, dass weder Verordnungs- noch Gesetzgeber
diese Möglichkeit in Betracht gezogen haben.
cc) Konzessionsverträge, § 46 EnWG 2005
Die Regelung zu den Konzessionsverträgen in § 46 EnWG 2005 sieht keinen über
den Vertrag hinausgehenden Kontrahierungszwang vor. Allein aus der Tatsache,
dass ein Unternehmen, sei es in privater, sei es in öffentlicher Hand, den Betrieb
eines Netzes für eine Konzessionsperiode übernommen hat, lässt sich daher nicht
schließen, dass dieses Unternehmen auch verpflichtet ist, nach Ende der Konzession
einen neuen Konzessionsantrag zu stellen.
Gerät ein Unternehmen während einer Konzessionsperiode in eine wirtschaftliche
Schieflage, so ist fraglich, ob aufgrund der gesetzlichen Konzeption des Wettbewerbs um die Netze eine Insolvenz des Netzbetreibers mit dem Hinweis hingenommen werden kann, dass die Möglichkeit einer Neuausschreibung besteht. Praktische
Probleme ergeben sich in einem solchen Fall allerdings selbst dann, wenn sich trotz
952 Salje, Energiewirtschaftsgesetz, 2006, § 18, Rn. 16.
953 So aber Salje, Energiewirtschaftsgesetz, 2006, § 18, Rn. 1.
954 So im Ergebnis auch Salje, Energiewirtschaftsgesetz, 2006, § 18, Rn. 16.
955 Verordnung vom 01.11.2006, BGBl. 2006, S. 2477, im Gasbereich ergänzt durch die Niederdruckanschlussverordnung – NDAV, BGBl. 2006, S. 2485.
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der Ausschreibung kein anderes Unternehmen findet, das bereit ist, sich um die
Konzession zu bewerben. Konsequenz wäre, dass sowohl der öffentliche kommunale Energieversorger aus dem Markt ausgetreten ist und aufgrund mangelnder Ermächtigung auch kein privater Energieversorger zum Netzbetrieb verpflichtet werden kann. Unter Berücksichtigung des Ziels der Sicherheit der Versorgung, für das
der Netzbetrieb eine entscheidende Grundlage ist, darf ein solches Risiko nicht in
Kauf genommen werden. Erklärt sich daher kein anderes Unternehmen bereits vor
der Insolvenz des kommunalen Energieversorgers bereit, den Netzbetrieb zu übernehmen, ist der Zeitpunkt der Rettungspflicht der öffentlichen Hand bereits vor
Eintritt der Insolvenz festzulegen, um den dauerhaften Netzbetrieb zu gewährleisten.
Der Wettbewerb um die Netze und die Konzessionsvergabe führen daher nicht dazu,
dass anders als im Versorgungsbereich die Insolvenz abgewartet werden kann, bis es
zum Ausfall des Netzbetreibers kommt.
Gleichwohl gebietet auch diese Regelung keine Rettungspflicht für kommunale
Energieversorger. Der Regelungsgehalt ist auf die Vergabe der Konzession begrenzt.
Die Sicherheit der Energieversorgung ist hingegen nicht Gegenstand der Regelung.
dd) Direkter Rückgriff auf die Generalklausel in § 1 Abs. 1 EnWG 2005
Mangels anderer einfachgesetzlicher Alternativen ist es fraglich, ob für den Fall des
Marktaustritts des Netzbetreibers oder des Nichtbewerbens privater Unternehmen
um die Konzession für den Netzbetrieb auf die Generalklausel in § 1 EnWG 2005
zurückgegriffen werden kann und diese im Lichte des Sozialstaatgebotes dahingehend auszulegen ist, dass im Falle des Versagens des netzbetreibenden Energieversorgungsunternehmens die öffentliche Hand zur Aufrechterhaltung des Netzbetriebes oder zur entsprechenden finanziellen Unterstützung des kommunalen Energieversorgers verpflichtet ist.
Problematisch ist dabei jedoch die Einordnung von § 1 EnWG 2005 und dessen
Ziele in das System des EnWG. Es handelt sich gerade nicht um unmittelbar anwendbares Recht, sondern um eine unmittelbar nicht anwendbare und vollziehbare
Norm, die lediglich eine Auslegungshilfe für die auslegungsbedürftigen Normen des
EnWG darstellt.956 Es ist daher nicht möglich, auf § 1 EnWG 2005 unmittelbar eine
Rettungspflicht zu begründen.
956 Vgl. dazu schon S. 79.
212
ee) Rettungspflicht aus dem Sozialstaatsprinzip?
Die Gewährleistungsverantwortung für einen sicheren Netzbetrieb als Voraussetzung für die Grundversorgung der Bevölkerung mit Energie begründet sich auf das
Sozialstaatsprinzip.957 Primär obliegt es dem Gesetzgeber, dieses Primat in die einfachgesetzlichen Vorschriften umzusetzen.958 Gelingt dies, wie bei der Energieversorgung aufgrund gesetzgeberischer Defizite nicht, vermittelt das Sozialstaatsprinzip
in Verbindung mit dem Grundrecht auf Menschenwürde aus Art. 1 Abs. 1 GG einen
Solidaritätsanspruch, da der Einzelne nicht in der Lage ist, die Netzinfrastruktur
instand zu halten. Es ist nicht Ziel dieses Rettungsansatzes, das noch junge Marktgefüge in der Netzinfrastruktur durch ein soziales Netz zu verfälschen.959 Der Staat
muss jedoch die sozialen Existenzbedingungen für seine Bürger sichern.960 Ultima
ratio muss damit im Falle des Marktversagens, in dem die Selbstregulierungskräfte
des Marktes nicht mehr funktionieren, der Staat durch entsprechende finanzielle
Hilfeleistungen dafür Sorge tragen, dass die Netzinfrastruktur aufrechterhalten
bleibt.961 Dies ergibt sich im Gegensatz zu der Endkundenversorgung aus der Besonderheit, dass die Netze natürliche Monopole sind; ein Auffangen durch andere
Marktteilnehmer kommt daher nicht ohne ausdrückliche Normierung in Betracht.
Ob es sich dabei um eine Rettungspflicht zugunsten des in die Krise geratenen
kommunalen Netzbetreibers handeln kann, weil dieses Unternehmen auf einem
Markt der einzige Marktteilnehmer ist, oder ob eine Ausschreibung erforderlich ist
und die Unterstützung theoretisch jedem Unternehmen zukommen können muss,
bleibt den Bestimmungen des Beihilfenrechts vorbehalten.962
Kommt es zu kurzfristigen Netzstörungen, die eines sofortigen Eingreifens bedürfen, weil es bei einer natürlichen Weiterentwicklung der Dinge mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit zu einem Zusammenbrechen des Netzes kommen
wird, liegt also eine Situation vor, die dem Gefahrenbegriff963 im polizeirechtlichen
Sinne ähnlich ist, so verpflichtet das Sozialstaatsprinzip die öffentliche Hand, durch
unmittelbare und sofort wirkende Maßnahmen den Netzbetrieb aufrechtzuerhalten,
957 Vgl. Lege, DÖV 2001, 969, 979.
958 BVerfGE 66, 248, 258; 97, 332, 347 f.; Herzog in Maunz/Dürig, GG, Stand 18. Lfg, 1980,
Art. 20 VIII, Rn. 53 ff.; Gröschner in Dreier, GG, 1998, Art. 20 (Sozialstaat), Rn. 54; Depenheuer, Das soziale Staatsziel und die Angleichung der Lebensverhältnisse in Ost und West in
Isensee/Kirchhof, Handbuch des Staatsrechts, Band IX, § 204, Rn. 98, der von „Infrastrukturvorsorge“ spricht.
959 So beispielsweise die Sorge von Lege, DÖV 2001, 969, 979 f.
960 Vgl. Gröschner in Dreier, GG, 1998, Art. 20 (Sozialstaat), Rn. 54.
961 Diese Situation ist durch ein stetiges Monitoring und ein frühzeitiges Eingreifen der Regulierungsbehörden bis zu einem gewissen Grad vermeidbar. § 65 Abs. 2 EnWG 2005 stellt der
Regulierungsbehörde dafür ein wirksames Instrument zur Verfügung.
962 Siehe dazu unten unter S. 216 ff.
963 Schenke in Steiner, Besonderes Verwaltungsrecht, 7.A., 2003, II, Rn. 46 ff.; Würtenberger in
Achterberg/Püttner, Besonderes Verwaltungsrecht, Bd. 2, 1992, 7/1, Rn. 149.
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bis beispielsweise durch ein Ausschreibungsverfahren ein neuer Netzbetreiber gefunden ist.
ff) Vorgreifende Verstaatlichung der Netze zur Sicherung der Versorgung?
Den Netzen kommt auf einem liberalisierten Markt eine Schlüsselfunktion zu. Sie
müssen daher mit besonderer Sorgfalt erhalten und ausgebaut werden. Unter dem
Druck sinkender Margen besteht gleichwohl das Risiko, dass private Investoren
zugunsten höherer Gewinne der Sicherheit der Versorgung der Bevölkerung mit
Energie geringere Bedeutung zukommen lassen.964 Die politische Vorstellung, durch
Wettbewerb sinkende Preise und gleichzeitig eine gleich bleibende Versorgungssicherheit erreichen zu können, ist betriebswirtschaftlich kaum nachvollziehbar. Im
Zusammenhang mit den Netzen wird daher immer wieder der Vorschlag aufgeworfen, die Netze vollständig zu verstaatlichen.965 Dabei müsste zunächst geklärt werden, ob eine Übertragung an die öffentliche Hand oder eine echte Verstaatlichung
gemeint ist. Eine Verstaatlichung könnte dazu führen, dass auch die kommunalen
Energieversorger, deren Gesellschafterin eine nichtstaatliche Kommune ist, den
Netzbetrieb auf ein staatliches Unternehmen übertragen müssten. Wie gezeigt, sehen
sich auch die kommunalen Energieversorger erheblichem Wettbewerb ausgesetzt,
obwohl sie anderen Wettbewerbsbedingungen unterliegen als ihre privaten Konkurrenten. Sollte daher tatsächlich zugunsten der Versorgungssicherheit und einem
diskriminierungsfreien Netzzugang eine Übertragung der Netze an die öffentliche
Hand in Betracht gezogen werden, ist nur eine echte Verstaatlichung der Netze sinnvoll.966
Die Europäische Union verfolgt mit dem Ownership Unbundling jedenfalls gegenwärtig nicht das Ziel der Überführung der Netze in Staatshand. Mit dem so genannten dritten Legislativpaket zur Energiepolitik, das die Kommission am 19. September 2007 verabschiedet hat967, wird „nur“ eine rechtliche Trennung vorgeschlagen oder die Gründung eines privaten neuen unabhängigen Netzbetreibers.
964 So hält Ehricke fest: „Die Versorgungssicherheit ist auf dem Altar des Wettbewerbs geopfert
worden“, Vortrag bei der Jahrestagung des Instituts für Energierecht, Berlin, gehalten am
4.12.2006.
965 Z.B. Hermann Scheer, Präsident von Eurosolar, Frankfurter Rundschau vom 20.09.2004;
siehe auch die Debatte im Bundestag über Antrag zur Verstaatlichung der Strom- und Gasnetze vom 19. Oktober 2006, BT-Drucks. 16/2678.
966 Diese Frage ist in vorliegenden Zusammenhang nicht weiter zu diskutieren.
967 Alle Texte finden sich hier:
http://ec.europa.eu/energy/electricity/package_2007/index_en.htm; zuletzt abgerufen am
16.11.2007.
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E. Zusammenfassung
Anders als bei den Versorgungsleistungen, findet sich hinsichtlich der Rettungspflicht kommunaler Netzbetreiber, die in eine wirtschaftliche Schieflage geraten
sind, kein Anknüpfungspunkt im EnWG 2005. Der deutsche Gesetzgeber hat die
Vorgaben der Elektrizitätsrichtlinie nicht hinreichend umgesetzt. Ein Rückgriff auf
diese im Wege der unmittelbaren Anwendung ist gleichwohl nicht erforderlich, da
sich aus dem Sozialstaatsprinzip eine staatliche Rettungspflicht für die Netzinfrastruktur ergibt, wenn eine Gefahrenlage vorliegt. Dieser Gewährleistungsfunktion
kann sich der Staat auch nicht durch eine Übertragung der Leistungserbringung auf
Private entziehen. Es obliegt den Regulierungsbehörden, durch Kontrolle des Netzzustandes und entsprechende Verfügungen das Risiko des Ausfalls eines Netzbetreibers zu minimieren. Gelingt dies nicht und ist kein Dritter bereit, die Netze zu übernehmen, wandelt sich die Gewährleistungsfunktion des Staates in eine Leistungsfunktion. Auch hier ist eine Aufgabenübertragung möglich, indem Dritte durch
entsprechende Geldleistungen in die Lage versetzt werden, die Aufgabe zu übernehmen. Ohne Berücksichtigung des Beihilfenrechts968 ist es nicht möglich festzustellen, ob eine solche Hilfeleistung direkt an ein kommunales Netzbetreiberunternehmen geleitet werden kann, das aufgrund einer finanziellen Schieflage unmittelbar
vor einem Marktaustritt steht oder seinen Betrieb einstellen muss, oder ob im Rahmen einer Ausschreibung auch Dritte, die ohne eine entsprechende Beihilfe nicht
bereit gewesen wären, den Netzbetrieb zu übernehmen, die Möglichkeit gegeben
werden muss, sich nunmehr um den Netzbetrieb zu bewerben.
F. Rettungspflicht gegenüber integrierten kommunalen Energieversorgungsunternehmen mit weniger als 100.000 Endkunden
Für Unternehmen, die weniger als 100.000 Endkunden versorgen, sieht § 7 Abs. 2
EnWG eine Ausnahme vom so genannten „Legal Unbundling“ vor. Grund für diese
de-minimis-Regelung ist, insbesondere kleine Stadtwerke vor zusätzlichen Kosten
und erhöhtem organisatorischen Aufwand zu bewahren.969
Die zuvor gefundenen Ergebnisse lassen sich auf diese Konstellation entsprechend anwenden. Auch hier trifft die öffentliche Hand eine allgemeine Rettungspflicht, sollte sich kein anderes Unternehmen finden, das die Aufgaben übernimmt
bzw. übernehmen kann. Schwierigkeiten bereitet diese Situation vor allem dann,
wenn nach § 36 Abs. 2 EnWG 2005 das zweitgrößte Unternehmen in der Lage ist,
die Grundversorgung zu übernehmen, jedoch den Netzbetrieb nicht übernehmen
968 Vgl. Britz, ZHR 169 (2005), 370, 376; Vgl. dazu auch unten S. 216 ff.
969 BT-Drucks. 15/3917, S. 52 f.
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References
Zusammenfassung
Die herausfordernde Aufgabe, den Energiemarkt zu liberalisieren und dem Wettbewerb zu öffnen, hat die kommunalen Energieversorger in Deutschland, die historisch bedingt über Jahrzehnte gewachsen sind, kaum berücksichtigt. Viele Stadtwerke bewegen sich mit Ihren Mitteln, wettbewerbsfähig zu bleiben, in einer juristischen Grauzone zwischen Wettbewerbspostulat und kommunalrechtlichen Beschränkungen. Hier besteht politischer Handlungsbedarf, wobei u.a. die Bedeutung der Stadtwerke für die lokale soziale Infrastruktur mit dem Erreichen eines unverfälschten Energiemarktes abgewogen werden muss. Geraten kommunale EVU neben oder sogar aufgrund dieser „Legitimationskrise“ in eine wirtschaftliche Schieflage, so ist fraglich, ob und wie eine staatliche Rettung in Betracht kommt.
Die Verantwortung des Staates ist in der Zeit einer der schwersten Finanzkrisen der Weltwirtschaft ein hoch umstrittenes Thema. Zu berücksichtigen ist, dass es der Staat ist, der eine sichere Energieversorgung garantieren muss, wobei Grundversorgung und sozialstaatliche Verantwortung mit dem europäischen Beihilfenrecht zu vereinbaren sind. Die Arbeit regt an, die Entwicklungen in der kommunalen Energiewirtschaft zu überdenken.