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die Übernahme der Versorgerfunktion selbst. Beide Ansätze unterliegen dabei Bedenken und verlangen Kompromisse. Es ist jedenfalls nicht ganz fern liegend, eine
stetige Versorgung der Bevölkerung mit Energie durch eine bestimmte Anzahl öffentlicher Versorgungsunternehmen zu sichern.839 Eine solche Pflicht zur Leistungs-
übernahme sieht sich zwangsläufig der Kritik ausgesetzt, dass Gewinne privatisiert
wurden, die Verluste jedoch die öffentliche Hand zu tragen hat.840 Tatsächlich hat
der Staat sich seiner Leistungsaufgaben zugunsten des Wettbewerbs entledigt. Seiner Gewährleistungsfunktion jedoch kann er sich nicht entziehen und zwar insbesondere dann nicht, wenn der für die Erbringung der Leistung vorgesehene Markt
nicht funktioniert.841 Als Letztverantwortlicher bleibt daher der Staat verpflichtet,
die Versorgung sicherzustellen. Dazu zwingt das Sozialstaatsprinzip als übergeordnete Staatszielbestimmung. Im Bereich der Energieversorgung ist dieses Ergebnis
verfassungsrechtlich nicht problematisch.842 Jeder Haushalt benötigt Energie. Wollte
man die Energieversorger verpflichten, eine hundertprozentige Ausfallsicherheit zu
gewährleisten, wären entsprechend höhere Energiekosten die Folge und der Staat als
die Summe seiner Bürger würde damit die Gewährleistungsfunktion indirekt übernehmen.
D. Rettungspflicht gegenüber kommunalen Netzbetreibern
Aufgrund des durch § 7 Abs. 1 EnWG angeordneten Legal Unbundling, das durch
die Pläne zum Ownership Unbundling noch weiter verstärkt werden soll, ist grundsätzlich die Versorgungsleistung von den Transportleistungen gesellschaftsrechtlich
zu trennen. Für die größeren kommunalen Energieversorger bedeutet dies, dass die
Netze in eigenständige Gesellschaften zu überführen sind, die ihrerseits in eine wirtschaftliche Schieflage geraten können. Zu untersuchen ist daher, ob und wenn ja,
welche Rettungspflichten sich gegenüber einem kommunalen Netzbetreiberunternehmen ergeben können.
839 Vgl. Püttner, LKV 1994, 193, 194.
840 Vgl. Lege, DÖV 2001, 969, 974.
841 Vgl. Lege, DÖV 2001, 969, 975. Das Risiko des „Rosinenpickens“ besteht in der Energieversorgung aufgrund von § 36 EnWG 2005 nicht. Anders in der Telekommunikation, dazu Lerche in Maunz/Dürig, GG, Stand Okt. 1996, Art. 87f, Rn. 71, 76; Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, S. 393 f.
842 Für den Bereich der Telekommunikation bietet Lege, DÖV 2001, 969, 971 ff. einen Überblick und weist die Kritikpunkte zurück.
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I. Voraussetzungen für das Vorliegen eines Netzbetreiberunternehmens
1. Vorliegen eines Netzes
Nach § 3 Nr. 18 EnWG 2005 ist ein Energieversorgungsunternehmen auch als Unternehmen legal definiert, das ein Energieversorgungsnetz betreibt oder an einem
Energieversorgungsnetz als Eigentümer Verfügungsbefugnis besitzt. Ein einheitlicher Netzbegriff ist dem EnWG nicht bekannt.843 Das Gesetz unterscheidet zwischen
Elektrizitäts- und Gasversorgungsnetzen nach § 3 Nr. 2, Nr. 6, Elektrizitäts- und
Gasverteilernetzen nach § 3 Nr. 3, Nr. 7, Fernleitungsnetzen nach § 3 Nr. 5 und
Übertragungsnetzen nach § 3 Nr. 10 EnWG 2005. Im vorliegenden Zusammenhang
kann es dahinstehen, welche Art von Netz von dem kommunalen Energieversorger
betrieben wird.844 Es kommt entscheidend lediglich darauf an, dass eine planvolle
Zusammenfassung von Leitungen845 besteht, es muss eine Mehrheit von Leitungen
planvoll miteinander verbunden sein.846 Diese Frage kann unabhängig von einem
räumlichen, regionalen oder überregionalen Bezug, der Spannungsebene bzw.
Druckstufe und dem Leitungsquerschnitt geklärt werden.847 Abzugrenzen ist der
Begriff des Netzes von dem der Leitung, die in § 3 Nr. 12 EnWG 2005 legal definiert ist. Sie verbindet zwei Punkte direkt miteinander, weist aber nicht den für ein
Netz typischen Verbundcharakter mehrerer Einspeise- und Abnahmestationen auf.848
2. Definition des Betreibers
Betreiber ist, wer für die Wartung und Instandhaltung der Netze verantwortlich ist
und damit auch die Kosten für den Unterhalt trägt, über den Zugang zu ihnen entscheidet849 und die Bedingungen für ihre Benutzung festlegt. Dazu ist die tatsächliche Verfügungsgewalt über die Netze erforderlich850, da die technischen Abläufe nur
vom Inhaber der tatsächlichen Verfügungsgewalt kontrolliert und verändert werden
843 Salje, Energiewirtschaftsgesetz, 2006, § 3, Rn. 128.
844 In der Regel wird es sich um ein lokales Niederspannungsnetz handeln.
845 Salje, Energiewirtschaftsgesetz, 2006, § 3, Rn. 128.
846 Schneider, EnWG 1998, § 2, Anm. 4.2.2.
847 Salje, Energiewirtschaftsgesetz, 2006, § 3, Rn. 128 f.
848 Vgl. BGH, RdE 2005, 79, 81: Stichleitungen sind Bestandteil eines Netzes, sofern mit ihnen
Kunden aus dem Netz versorgt werden. Eine Direktleitung hingegen benötigt keine Verbindung zum Netz, um einen Kunden mit Energie zu versorgen, vgl. Salje, Energiewirtschaftsgesetz, 2006, § 3, Rn. 129; Schneider, EnWG 1998, § 2, Anm. 4.2.2.
849 Vgl. Salje, Energiewirtschaftsgesetz, 2006, § 3, Rn. 132; Schneider, EnWG 1998, § 2, Anm.
4.2.2; Schau, IR 2007, 98, 99 kritisiert, dass der Begriff offen lasse, wann ein Betreiber ein
Netz betreibe.
850 Schneider, EnWG 1998, § 2, Anm. 4.2.2.
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können.851 Die Stellung als Eigentümer ist dagegen nicht zwingend, da bereits ein
Pächter diese Kriterien erfüllen kann.852 Nicht hingegen genügt die reine Durchleitung von Energie durch bestehende Netze, da damit eine Verfügungsgewalt gerade
nicht erlangt wird.853
Zweifelhaft ist, ob auch der Eigentümer und Verpächter neben dem Pächter Netzbetreiber und damit Energieversorger ist oder ob lediglich eine nachrangige Netzbetreiberstellung in Betracht kommt. Begründet wird erstere Ansicht mit der Rechtsprechung des BGH, wonach ein Verpächter seine Verkehrssicherungspflichten
nicht vollständig delegieren kann.854 Diese Ansicht geht jedoch gerade im Hinblick
auf § 2 Abs. 1 EnWG 2005 zu weit und ist auch nicht unter die Formulierung von §
3 Nr. 18 EnWG 2005 zu subsumieren, wonach ein Energieversorgungsunternehmen
auch vorliegt, wenn an einem Netz der Eigentümer Verfügungsbefugnis besitzt. Der
Verpächter entledigt sich durch die Verpachtung an einen Dritten seiner Pflichten,
der nach § 582 Abs. 1 BGB das Inventar eines Grundstückes zu erhalten hat. Der
Pächter kann sich anders als der Mieter nach § 536 BGB gerade nicht darauf berufen, der Verpächter habe für die Instandsetzung vorhandener Mängel zu sorgen. Im
Gegenzug wird ihm dafür - anders als dem Mieter - gewährt, die Früchte aus der
verpachteten Sache zu ziehen. Würde man den Verpächter gleichrangig mit dem
Pächter als Netzbetreiber und Energieversorger heranziehen, so wäre eine Verpachtung ein nicht kalkulierbares Risiko. Nach § 2 Abs. 1 EnWG 2005 wäre der Verpächter weiter zur Versorgung verpflichtet, ohne jedoch nach Belieben über die
dafür erforderlichen Netze verfügen zu können. Solange folglich die Netze dem
Verpächter vom Pächter nicht zurückgegeben wurden und ihm daran die unbeschränkte tatsächliche Verfügungsgewalt verschafft worden ist, sei es, weil der
Pachtvertrag auslief, sei es, dass der Pächter insolvent geworden ist, ist der Verpächter nicht Netzbetreiber im Sinne des EnWG 2005.855 Auch alleine die Möglichkeit
der rechtlichen Verfügungsbefugnis, also der Möglichkeit, auf ein bestehendes
Recht unmittelbar einzuwirken, ändert daran nichts. Zwar würde dies dem Wortlaut
von § 3 Nr. 18 EnWG 2005 entsprechen. Nach Sinn und Zweck geht es hier jedoch
um die tatsächliche und nicht die rechtliche Einwirkungsmöglichkeit.856 Für ein und
dasselbe Netz gibt es daher niemals zwei Energieversorgungsunternehmen, die
gleichzeitig für den Betrieb verantwortlich sind. Vielmehr besteht lediglich eine
nachrangige Pflicht des Eigentümers, für die Instandhaltung des Netzes zu sorgen.
851 Salje/Peter, UmweltHG, §§ 1, 3, Rz. 15.
852 Säcker/Jaeks, BB 2001, 997, 1000 f.
853 Salje, Energiewirtschaftsgesetz, 2006, § 3, Rn. 133.
854 BGH NJW 1996, 2646; NJW-RR 1989, 394, 395; daraus leitet Salje, Energiewirtschaftsgesetz, 2006, § 3, Rn. 135 eine Netzbetreiberstellung für den Verpächter her, den damit eine
Überwachungspflicht treffe, die mit einer restlichen Verfügungsmacht verbunden sei.
855 So in sich widersprüchlich auch Salje, Energiewirtschaftsgesetz, 2006, § 11, Rn. 27; Salje/Peter, UmweltHG, §§ 1, 3, Rz. 22.
856 Salje, Energiewirtschaftsgesetz, 2006, § 3, Rn. 132; Schneider, EnWG 1998, § 2, Anm. 4.2.2.
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Vorliegend ist die Frage der Betreibereigenschaft dann von Bedeutung, wenn eine
Kommune ihr Netz verpachtet hat, um sich der Instandhaltungsverpflichtungen zu
entziehen und der Pächter insolvent wird. In diesem Augenblick lebt die Netzbetreiberfunktion wieder auf. Sollte sich nun herausstellen, dass die Netze aufgrund mangelnder Wartung nur durch erhebliche Investitionen saniert werden können, kann
dies die Leistungsfähigkeit der Gemeinde überfordern. In diesem Fall stellt sich die
gleiche Frage wie bei der Insolvenz eines kommunalen Netzbetreibers.
II. Keine Vergleichbarkeit mit Versorgungsunternehmen
1. Überblick
Die oben gefundenen Ergebnisse einer möglichen Rettungspflicht für Versorgungsunternehmen können nicht ohne weiteres auf die Netzbetreiberunternehmen übertragen werden. Auf dem Versorgungsmarkt soll nach dem Willen des Gesetzgebers
Wettbewerb um die Endkunden herrschen. Dies ist insoweit möglich, als mehrere
verschiedene Versorgungsunternehmen sich mit ihren Leistungen um die Endkunden in einem Netzgebiet bemühen können. Die Versorgungsleistung kann zudem
von jedem beliebigen Ort erfolgen.
Bei den Versorgungsnetzen hingegen handelt es sich um natürliche (lokale) Monopole.857 Dies setzt auch der Gesetzgeber voraus.858 Deshalb ist der Netzbetrieb
nach dem 01.07.2007 und mit Aufhebung der BTOElt auch die einzige Marktstufe,
die weiterhin einer sektorspezifischen Regulierung durch die Regulierungsbehörde
unterliegt und nicht lediglich der allgemeinen bzw. besonderen859 Missbrauchsaufsicht. Gerade auf der Niederspannungsebene, bei der historisch bedingt das Netz in
der Regel im Eigentum der Kommunen bzw. ihrer kommunalen Unternehmen steht,
gibt es im Netzbereich keinen Wettbewerb. Der Netzausbau ist besonders kostenintensiv und deshalb unwirtschaftlicher, da die Leitungen häufig unterirdisch gelegt
werden müssen. Die Situation ist vergleichbar mit der „letzten Meile“ im Telekommunikationsbereich, die Gegenstand erheblicher Kontroversen zwischen der Deutschen Telekom und ihren Wettbewerbern war.860 Für die Energienetze hat der Ge-
857 Mestmäcker/Schweitzer, Europäisches Wettbewerbsrecht, 2.A., 2004, § 18, Rn. 65; Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Teil 1, 4.A., 2007, Einl. Rn. 53; Möschel in Immenga/Mestmäcker, EG-Wettbewerbsrecht, Teil 1, 4.A., 2007, Art. 82, Rn. 277; Lecheler/Herrmann, WuW 2005, 482; Knieps, Wettbewerbsökonomie, 2001, S. 21 ff.
858 BT-Drucks. 13/7274, S. 21, li. Sp.
859 Vgl. § 29 GWB.
860 Vgl. Ritter/Piepenbrock, emw 4/2004, S. 16 ff.
Chapter Preview
References
Zusammenfassung
Die herausfordernde Aufgabe, den Energiemarkt zu liberalisieren und dem Wettbewerb zu öffnen, hat die kommunalen Energieversorger in Deutschland, die historisch bedingt über Jahrzehnte gewachsen sind, kaum berücksichtigt. Viele Stadtwerke bewegen sich mit Ihren Mitteln, wettbewerbsfähig zu bleiben, in einer juristischen Grauzone zwischen Wettbewerbspostulat und kommunalrechtlichen Beschränkungen. Hier besteht politischer Handlungsbedarf, wobei u.a. die Bedeutung der Stadtwerke für die lokale soziale Infrastruktur mit dem Erreichen eines unverfälschten Energiemarktes abgewogen werden muss. Geraten kommunale EVU neben oder sogar aufgrund dieser „Legitimationskrise“ in eine wirtschaftliche Schieflage, so ist fraglich, ob und wie eine staatliche Rettung in Betracht kommt.
Die Verantwortung des Staates ist in der Zeit einer der schwersten Finanzkrisen der Weltwirtschaft ein hoch umstrittenes Thema. Zu berücksichtigen ist, dass es der Staat ist, der eine sichere Energieversorgung garantieren muss, wobei Grundversorgung und sozialstaatliche Verantwortung mit dem europäischen Beihilfenrecht zu vereinbaren sind. Die Arbeit regt an, die Entwicklungen in der kommunalen Energiewirtschaft zu überdenken.