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Kapitel 5: Die Pflicht der öffentlichen Hand zur Abwendung von Insolvenzgründen bei kommunalen Energieversorgungsunternehmen
A. Kommunale Versorgungsunternehmen und Netzbetreiber als mögliche Zielunternehmen einer Rettungspflicht
I. Überblick
Über das Vermögen von Energieversorgern, die ausschließlich in kommunaler Hand
stehen, kann ein Insolvenzverfahren eröffnet werden, wenn ein Eröffnungsgrund
vorliegt.498 Planverfahren und Eigenverwaltung sind in der Insolvenzordnung als
Möglichkeit ausgestaltet, aber nicht zwingend vorgesehen. Mangels entsprechendem
Antrag kann Folge eines Insolvenzverfahrens die Liquidierung des kommunalen
Energieversorgers sein. Mit Abschluss des Insolvenzverfahrens und der Liquidation
der vorhandenen Vermögenswerte erlischt die Rechtspersönlichkeit des insolventen
Unternehmens. Die bestehenden Energielieferungsverträge kann der Insolvenzverwalter gemäß den §§ 103 f. InsO kündigen499, Gleiches gilt für die Durchleitungsverträge mit Drittanbietern.500
Die Elektrizitätsrichtlinie501 aus dem Jahr 2003 stellt in Art. 3 Abs. 3 klar, dass
die Sicherheit der Endkundenversorgung mit Energie ein wesentliches Ziel ist und
diese stets aufrechterhalten werden muss. Wie der Zusammenbruch der Stromversorgung im Münsterland im Winter 2006 nachdrücklich gezeigt hat, ist unsere Gesellschaft nicht auf den Ausfall der Energieversorgung vorbereitet.502
In der folgenden Prüfung wird zwischen einer Insolvenzabwendungspflicht, die
sich aufgrund der Gesellschafterstellung der öffentlichen Hand ergibt, und einer
Insolvenzabwendungspflicht, die sich auf eine staatliche Garantenstellung für eine
sichere Energieversorgung begründen könnte, unterschieden. Die mögliche Abwendungspflicht der Gemeinden wird aus deren Stellung als Gesellschafterin eines Un-
498 Vgl. oben S. 74 ff.
499 BGH ZIP 1997, 688; Berscheid in Uhlenbruck, Insolvenzordnung, 12.A., 2003, § 105, Rn. 8,
13 f.; Ahrendt in Schmidt, Hamburger Kommentar zur InsO, 2006, § 105, Rn. 4 f.
500 Beckermann, Vereinbarkeit der Durchführung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen
eines Grundversorgers mit den diesen treffenden Grundversorgungs- und Ersatzversorgungspflichten, 2008, im Erscheinen.
501 Richtlinie 2003/54/EG vom 26.07.2003.
502 In der industrialisierten Gesellschaft funktioniert kaum mehr ein Telefon ohne Strom, gleiches gilt für die Zentralheizung oder auch den Notruf.
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ternehmens, das Leistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse erbringt,
deduziert. Die staatliche Abwendungspflicht der Länder bzw. des Bundes wird hingegen aus deren möglicher Stellung als Garanten für eine sichere Energieversorgung
und damit aus verfassungsrechtlichen und/oder speziell energierechtlichen Erwägungen geprüft.
II. Trennung von Netzbetrieb und Versorgung aufgrund von § 7 EnWG
1. Grundsatz
§ 3 Nr. 18 EnWG 2005 definiert Energieversorgungsunternehmen als „natürliche
oder juristische Person, die Energie an andere liefern, ein Energieversorgungsnetz
betreiben oder an einem Energieversorgungsnetz als Eigentümer Verfügungsbefugnisse besitzen“.
Zu unterscheiden ist hinsichtlich der möglichen Rettungspflicht damit zwischen
der Versorgung des Netzgebietes mit Energie einerseits und dem Betrieb des Netzes
in einem bestimmten lokalen Netzgebiet andererseits. Denn Energieversorgungsunternehmen sind nach dieser Definition nicht ausschließlich Letztversorger mit Energie, sondern können auch selbständige Netzbetreiber sein oder beide Leistungen in
einer Gesellschaft anbieten. Maßgeblich dafür ist insbesondere die Größe des Versorgungsunternehmens, wie § 7 Abs. 2 EnWG 2005 zeigt. Nach dieser de-minimis-
Regelung sind Energieversorgungsunternehmen, die weniger als 100.000 Kunden
unmittelbar oder mittelbar nach S. 1 mit Elektrizität oder nach S. 2 mit Gas versorgen, nicht verpflichtet, den Netzbetrieb von der Energieversorgung zu trennen. Zuletzt muss daher untersucht werden, ob und welche Besonderheiten sich für Netzgebiete ergeben, in denen kommunale Energieversorger tätig sind, die den Netzbetrieb
von der Versorgung nicht getrennt haben.
Die Entflechtung der Ebenen Erzeugung, Transport und Versorgung geht auf die
Elektrizitätsrichtlinie aus dem Jahr 2003 zurück.503 Ziel war die Herstellung eines
Systems des unverfälschten Wettbewerbs.504 Nach Ansicht des europäischen Gesetzgebers kann sich Wettbewerb nur etablieren, wenn die Netze von der Versorgung und der Erzeugung nicht nur bilanziell505, sondern auch gesellschaftsrechtlich
getrennt werden und so für jedermann zu gleichen Bedingungen zugänglich sind. § 7
Abs. 1 EnWG 2005 ordnet für vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen
eine rechtliche Entflechtung an. Zugrunde gelegt wird das Prinzip der Rechtsformunabhängigkeit.506 Diese erfordert auf der Seite der Anteilsinhaber keine eigentums-
503 Richtlinie 2003/54/EG v. 26.6.2003, ABl. EG 2003, L 176/37.
504 Koenig/Kühling/Rasbach, Energierecht, 2006, S. 113 f.
505 So noch die Regelung im EnWG 1998, vgl. die §§ 4 Abs. 4, 9 Abs. 2 EnWG 1998.
506 Salje, Energiewirtschaftsgesetz, 2006, § 7, Rn. 3.
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References
Zusammenfassung
Die herausfordernde Aufgabe, den Energiemarkt zu liberalisieren und dem Wettbewerb zu öffnen, hat die kommunalen Energieversorger in Deutschland, die historisch bedingt über Jahrzehnte gewachsen sind, kaum berücksichtigt. Viele Stadtwerke bewegen sich mit Ihren Mitteln, wettbewerbsfähig zu bleiben, in einer juristischen Grauzone zwischen Wettbewerbspostulat und kommunalrechtlichen Beschränkungen. Hier besteht politischer Handlungsbedarf, wobei u.a. die Bedeutung der Stadtwerke für die lokale soziale Infrastruktur mit dem Erreichen eines unverfälschten Energiemarktes abgewogen werden muss. Geraten kommunale EVU neben oder sogar aufgrund dieser „Legitimationskrise“ in eine wirtschaftliche Schieflage, so ist fraglich, ob und wie eine staatliche Rettung in Betracht kommt.
Die Verantwortung des Staates ist in der Zeit einer der schwersten Finanzkrisen der Weltwirtschaft ein hoch umstrittenes Thema. Zu berücksichtigen ist, dass es der Staat ist, der eine sichere Energieversorgung garantieren muss, wobei Grundversorgung und sozialstaatliche Verantwortung mit dem europäischen Beihilfenrecht zu vereinbaren sind. Die Arbeit regt an, die Entwicklungen in der kommunalen Energiewirtschaft zu überdenken.